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André Wiersig vollendete als erster Deutscher und 16. Mensch überhaupt die anspruchsvollste Herausforderung im Open-Water-Schwimmen: die Ocean’s Seven. In diesem Buch erzählt Wiersig, wie er sich auf die sieben berühmtesten Meerengen der Welt vorbereitete – und wie er im Takt der stundenlangen Armschläge, teils nachts und ganz allein auf sich gestellt, den offenen Ozean kennen und lieben lernte. Sechs Jahre dauerte es, bis er den Ärmelkanal, den Catalina Channel (Los Angeles), den Kaiwi Channel (Hawaii), den North Channel (Schottland), die Tsugaru Strait (Japan), die Cook Strait (Neuseeland)…mehr

Produktbeschreibung
André Wiersig vollendete als erster Deutscher und 16. Mensch überhaupt die anspruchsvollste Herausforderung im Open-Water-Schwimmen: die Ocean’s Seven. In diesem Buch erzählt Wiersig, wie er sich auf die sieben berühmtesten Meerengen der Welt vorbereitete – und wie er im Takt der stundenlangen Armschläge, teils nachts und ganz allein auf sich gestellt, den offenen Ozean kennen und lieben lernte. Sechs Jahre dauerte es, bis er den Ärmelkanal, den Catalina Channel (Los Angeles), den Kaiwi Channel (Hawaii), den North Channel (Schottland), die Tsugaru Strait (Japan), die Cook Strait (Neuseeland) und die Straße von Gibraltar durchquerte. Dabei begegnete er Haien, Delfinen, Walen, Plastikmüll und Europaletten. In dieser Zeit wurde Wiersig zum Botschafter der Ozeane und der Deutschen Meeresstiftung. Die Geschichte eines Familienvaters und Managers im mittleren Alter, der mit seiner Einstellung zum Leben in der Lage ist, ungeahnte körperliche und mentale Leistungen zu vollbringen und den Traum lebt!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2019

Bezwungen! Mich und das Meer!

Kanalschwimmer verabreden sich im Ozean mit sich selbst. Dort lassen sie sich los. Sie machen sich leicht und hüpfen auf den Wellen hin und her.

Von Erik Eggers

Die letzte große Prüfung für den Schwimmer André Wiersig war die Cook Strait. Die Meerenge, welche die neuseeländischen Hauptinseln trennt, zählt zu den stürmischsten der Welt, weil dort die wuchtigen Wellen der Tasmanischen See auf den Pazifik klatschen. Anfang Mai war die See dort tosend und 13 Grad kalt, ein kalter Wind wehte zudem, als Wiersig in das Wasser watete, um den 22 Kilometer breiten Kanal zu durchqueren. Und irgendwann erreichte er die Passage, die ihm alles abverlangte. "Es war die pure Kreuzsee", erinnert sich der 47 Jahre alte, in Paderborn lebende Wiersig in seinem neuen Buch "Nachts allein im Ozean". "Die Wellen schlugen so hart gegeneinander, dass sich Strudel bildeten."

Die beiden Männer im Schlauchboot, die den Schwimmer begleiteten, hatten schwer zu kämpfen. Mehrfach standen sie vor dem Kentern. Wiersig aber begann irgendwann, die Wildheit zu genießen. Sein Talent und seine Fähigkeiten bestünden darin, "beim Schwimmen im Ozean alles abzugeben, auch alle Erwartungen", davon ist er überzeugt. "Mich komplett leicht zu machen. Ich stehe dann da und habe nur die Badehose an, dazu die Badekappe und die Schwimmbrille. Alles andere ist dann wie von mir abgefallen. Ich fühle mich dann wie schwerelos. Genauso bin ich durch diese völlig surreale Passage im Pazifik geschwommen. Ich war ganz leicht. Ich hüpfte praktisch auf diesen Wellen hin und her. Und wenn es ging, bewegte ich dabei meine Arme."

Mal habe er atmen können und mal nicht, er habe dann einfach, während er weiter kraulte, den Kopf unter Wasser gelassen. "Aber dabei geriet ich niemals in Panik oder war meiner Sache nicht sicher. Irgendwie war es mir fast egal, ob ich atmen konnte oder nicht. Ich schwamm einfach da hindurch." Er konnte in diesen Minuten, so menschenfeindlich diese Umgebung für alle Außenstehenden auch erscheinen mag, loslassen. "Nur der Pazifik und ich, eine bedingungslose Liebe", schreibt Wiersig weiter. "Keiner erwartet etwas vom Anderen. Vertrauen. Respekt. Hier zu sein, das war das Größte."

Inzwischen hat Wiersig seine Mission abgeschlossen. Als er im Juni auch die Straße von Gibraltar durchquerte, hatte er als erster deutschsprachiger Schwimmer die Ocean's Seven komplettiert - jenen Wettbewerb, den der Amerikaner Steven Munatones als Äquivalent zu den Seven Summits im Bergsteigen erfunden hatte: Die Aufgabe besteht darin, sieben große Kanäle zu durchschwimmen, die sehr unterschiedliche Charakteristika aufweisen: Neben dem Ärmelkanal (33 Kilometer) als Klassiker des Kanalschwimmens sind das noch der Cook Strait und Gibraltar (14 Kilometer), der North Channel (34,5 Kilometer) vor Nordirland und Schottland, die Straße von Catalina (32 Kilometer) vor Los Angeles, die Tsugaru-Straße (19,5 Kilometer) in Japan und der Kaiwi Channel auf Hawaii, die 42 Kilometer von Molokai nach Oahu.

Begründet hatte diese Tradition des Kanalschwimmens im Jahr 1875 ein englischer Kapitän namens Matthew Webb, als er den Ärmelkanal in knapp 22 Stunden durchschwamm und als erster Mensch eine physische Leistung vollbrachte, die man vorher für schier unmöglich gehalten hatte. Dieser schwimmerische Mythos wirkt bis heute - zumal Webb im Bruststil unterwegs war, das Kraulen war noch nicht erfunden. In Dover, wo heute die meisten Schwimmen über den Kanal beginnen, steht sein Denkmal.

Zur ersten großen Konjunktur des Ärmelkanalschwimmens aber kam es erst in den 1920er Jahren. Als die Olympiasiegerin Gertrud Ederle, die Tochter eines nach New York emigrierten Schlachters aus Bissingen, am 6. August 1926 den Ärmelkanal als erste Frau (und in neuer Rekordzeit) bewältigte, produzierte sie damit weltweit Schlagzeilen. New York veranstaltete Ederle zu Ehren eine Konfettiparade, an der zwei Millionen Menschen teilgenommen haben sollen, danach trat sie als Schauspielerin in Filmen auf.

Kaum weniger populär war Ernst Vierkötter, ein 1900 in Köln geborener Bäckersohn, der auf einem Auge blind war. Vierkötter hatte schon deutsche Meisterschaften über 1500 Meter Freistil gewonnen, bevor er sich - unter Anleitung seines Coaches Barensche - mit langen Schwimm-Distanzen im Rhein auf den Ärmelkanal vorbereitete. Einmal schwamm er die 106 (!) Kilometer lange Strecke von Oberlahnstein flussabwärts nach Köln. Nur 24 Tage nach Ederle verbesserte er den Rekord für die Strecke zwischen Dover und Calais deutlich auf 12:38 Stunden, der Rekord hielt 20 Jahre. Dafür wurde er mit Preisen überschüttet. So wurde er 1927 mit dem Goldenen Band der Sportpresse ausgezeichnet, einem Vorläufer des heutigen "Sportler des Jahres".

Weniger bekannt ist, dass Vierkötter danach als Profi nach Kanada übersiedelte und auch in Nordamerika berühmt wurde. 1927 siegte er bei der Canadian National Exhibition, einem 34 Kilometer langen Rennen im Lake Ontario, für das der Kaugummi-Magnat William Wrigley ein exorbitantes Preisgeld in Höhe von 50 000 Dollar gestiftet hatte (30 000 Dollar erhielt allein der Sieger). Vierkötter startete, wie die Sporthistorikerin Swantje Scharenberg schreibt, in dem "Rennstall" seines Managers Armando von Vincent und leistete sich neben Barensche noch einen Ko-Trainer sowie einen Ernährungsberater. Nachdem er sich gegen den Favoriten Young durchgesetzt hatte, wurde er als "Weltmeister" tituliert. Der Ansturm der Fans, so Scharenberg, "musste durch die Polizei geregelt werden". Die Presse feierte Vierkötter danach als "Black Shark" (Schwarzer Hai), weil er sich, um sich vor der Kälte zu schützen, mit einer Teerpaste eingeschmiert hatte.

Ein Star war auch die in Brighton geborene Mercedes Gleitze, deren Eltern ebenfalls deutscher Herkunft waren. Gleitze war 1927 die erste britische Ärmelkanalschwimmerin, was sie mit einem Schlag berühmt machte. Ein Jahr später bezwang sie als erste Sportlerin die Straße von Gibraltar. Auch umrundete sie einmal die Isle of Man. Wie Ederle gilt sie heute als eine der zentralen Pionierinnen des modernen Frauensports, weil sie mit ihren außergewöhnlichen Leistungen das (männliche) Vorurteil von der angeblich "schwachen Frau" ad absurdum führte. In der olympischen Leichtathletik etwa stand keine Distanz über 800 Meter hinaus im Programm, weil man den Frauen das nicht zutraute.

Welch enorme Aufmerksamkeit Gleitze in der britischen Presse weckte, belegt auch die Tatsache, dass sie als erste "Markenbotschafterin" im Sport wirkte und damit Geld verdiente - sie trug 1927, als sie den Ärmelkanal bewältigte, eine Rolex-Uhr um den Hals, was den Ruhm des Uhrenherstellers erst begründete, weil diese Uhr über die lange Strecke hinweg wasserdicht geblieben war. Auch diese Episode findet sich in der Biographie (In the Wake of Mercedes Gleitze: Open Water Swimming Pioneer), die ihre Tochter Doloranda Pemper kürzlich veröffentlichte.

All die frühen großen Figuren des Freiwasserschwimmens vereint, dass sie als Profis ihr Geld mit dem Schwimmen verdienten oder (wie besonders Ederle) den Ruhm, der aus diesen einmaligen Leistungen resultierte, clever vermarkteten. Das war angesichts des olympischen Ideals, das den Sportler als reinen Amateur vorsah, keineswegs selbstverständlich. Warum diese Schwimmer zu internationalen Stars werden konnten, dafür gibt es laut Scharenberg mehrere Gründe. Einerseits bildeten sie gewissermaßen das schwimmerische Äquivalent der Industrialisierung. So wie am Ende des 19. Jahrhunderts oft Sportler gegen Tiere antraten (Olympiasieger Jesse Owens machte das noch in den 1930er Jahren) und dabei als menschliche Prototypen studiert wurden, um auszuloten, wie weit sich ein Körper in einen Mechanismus verwandeln könne, so stilisierten die Medien die enormen physischen Anstrengungen dieser "menschlichen Maschinen" in den 1920er Jahren auch im Hinblick auf den Kampf gegen die Naturgewalten.

Das gilt für die deutsche Sportpresse, die in den 1920er Jahren förmlich explodierte und Auflagen wie noch nie erreichte, genauso wie für die Konkurrenz aus dem Ausland. Aber auch die intellektuelle "Vossische Zeitung" brachte Ederles Rekord auf der Titelseite. "Solche Ausdauer-Wettbewerbe waren eine gute Möglichkeit der Medien, eine noch größere Bekanntheit zu erlangen", sagt die Sporthistorikerin Scharenberg. Markantes Beispiel dafür sei das "Maglia Rosa", das seit je dem schnellsten Radprofi beim Giro d'Italia übergezogen werde - der Trikotstifter und Sponsor, die Sportzeitung "La Gazzetta dello Sport", wird auf rosa Papier gedruckt.

Aber schon in der Weimarer Republik waren Schwimmer unterwegs, die solche langen Distanzen nicht aus finanziellen Motiven heraus angingen, sondern als Amateure. Sie betrachteten das Schwimmen als Selbsterfahrung und Möglichkeit, sich bewusst dem Alltag zu entziehen. Einer der vergessenen Vorreiter dieses Typs war der Husumer Otto Kemmerich (1886-1952), der in fortgeschrittenem Alter unfassbare Strecken im Wasser zurücklegte. Nach ersten Versuchen im nordfriesischen Wattenmeer schwamm er 1925 - und das völlig allein, nur mit einem Kompass und ein paar Tafeln Schokolade ausgestattet - durch die stürmische Ostsee von Fehmarn nach Warnemünde, also rund 60 Kilometer Strecke. Kurz darauf querte er die Danziger Bucht von Pillau (beim heutigen Kaliningrad) nach Zoppot (bei Danzig). Als er 1925 den Strand von Warnemünde erreichte, stammelte er: "Bezwungen! Mich und das Meer!"

Kemmerich, der 1952 vor der Insel Föhr als 66-Jähriger ertrank, bildete mit seiner selbstgewählten Einsamkeit den Prototyp des Amateurs, der das Ausdauerschwimmen als "monomane Angelegenheit, eine Verabredung nur mit sich selbst" (John von Düffel) betrachtete. "Kein Mensch hilft dir, keiner sagt dir, wann du fertig bist, du musst alles alleine zu Ende bringen."

Das gilt besonders für die Freiwasserschwimmer, deren internationale Bewegung in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Inzwischen haben auch ein Moldauer, ein Inder und zwei Mexikanerinnen die Ocean's Seven bewältigt. "Dieser Wettbewerb hat, was die großen Kanäle betrifft, einen enormen Run ausgelöst", sagt Matthias Kassner, ein Ingenieur aus Berlin, der wie Wiersig als Amateur das Ausdauerschwimmen betreibt und inzwischen fünf der sieben geforderten Kanäle absolviert hat. "Als ich 2010 Gibraltar schwamm, habe ich nur zwei Monate auf meinen Slot warten müssen. Heute dauert das zwei Jahre." Der Ärmelkanal, sagt Kassner, sei als Klassiker schon immer sehr populär gewesen. Heute aber kämen auch die Organisationen neben der Channel Swim Association (CSA) in Dover, die an den Kanälen die sehr puristischen Regeln überwachen, kaum noch hinterher. Die "Piloten", wie die Kapitäne der Begleitboote heißen, sind im Dauerstress.

Deutschland, sagt Kassner, sei dabei im Vergleich zu vielen anderen Industrienationen unterentwickelt. "Ich bin oft in Irland, dort ist das Freiwasserschwimmen unheimlich populär", erzählt er, auch in Großbritannien, Australien und den Vereinigten Staaten gebe es riesige Schwimm-Communities. Der Berliner hat im Jahr 2015 mit der sogenannten "Triple Crown" eine der größten Herausforderungen der angelsächsischen Szene komplettiert, als er nach dem Ärmelkanal und der Umrundung von Manhattan auch die Straße von Catalina schaffte. Der 51-Jährige hat auch versucht, in Berlin das Schwimmen durch die Spree und den Landwehrkanal zu organisieren. "Aber da bin ich leider bei den Behörden gegen Wände gelaufen", sagt er. Das sei nicht erlaubt, hieß es, zu viel Schiffsverkehr. Wobei sich da die Frage aufdrängt, warum andererseits ein Marathon durch die ganze Stadt möglich ist.

André Wiersig mit Erik Eggers: "Nachts allein im Ozean. Mein Weg durch die Ocean's Seven".

Verlag Eriks Buchregal, Kellinghusen, 160 Seiten, 19,90 Euro.

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