Fons ist hellwach. 'Ich will in die Nacht!', denkt er. Aber allein traut er sich nicht. Papa muss mit. Auf ihrem Spaziergang durch die nächtliche Stadt beteuert der verschlafene Vater, dass es in der Dunkelheit doch gar nichts zu sehen gibt. Aber Wolf Erlbruchs Bilder zeigen, was nur Kinderaugen im Dunkeln entdecken. LUCHS und Jahres-LUCHS der Jury von Zeit und Radio Bremen, Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis, Troisdorfer Bilderbuchpreis 2000.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999Nenn die Nacht nicht Nacht
Vater und Sohn auf der Schwelle des Schlafens
Kinder ohne Schlaf haben müde Eltern. Besonders in der Nacht, der ja immer ein Tag vorausgeht und meistens einer folgt. Gerne gestalten wache Kinder gerade die frühe und die späte Schlafenszeit zu Phasen angeregten Kontaktes zwischen unterschiedlich munteren Angehörigen der beiden Generationen. So begegnen sich auch Vater und Sohn in Wolf Erlbruchs Buch auf der Schwelle des Schlafens. "Fons ist hellwach. ,Ich will in die Nacht!' denkt er. Aber allein traut er sich nicht. Papa muss mit." Eine Chance zur Gegenwehr hat der unsanft Geweckte nicht. Also gehen die beiden über Straßen, Plätze und Dackelbrücken durch die Nacht, immer im Zeichen des Mondes, jenes Freundes der Kinder, der hier mal weiß, mal anders durch den Himmel sichelt und sogar als gelber Dackel scheinen kann. Da wundert es nicht, dass Mickymaus in Rot vorbeiflattert, ein Riesengorilla mit Armbanduhr die Hand reicht und die Erde so kahl wird wie der Mond, bis schließlich Hase, Hund, Eisbär, ein Fisch mit Erdbeeren sowie freundliche Gesichterbäume erscheinen.
Die Nacht ist eine große Collage: Variationen von Grau, Blau und Gelb aus getöntem Papier - Farben, die wirken wie aus den frühen fünfziger Jahren, als Wolf Erlbruch im Alter seines kleinen, wachen Helden war - stehen als Häuserwände, Straßen und andere Flächen vor dem nächtlichen Schwarz. Der Autor zeichnet, schneidet und montiert sie zu einer Sequenz von traumhaft wirklichen Bühnenbildern für den Auftritt von Vater, Sohn und Nachtwesen in satter Kolorierung. Manches an diesen Gestalten und ihrer Umgebung wirkt wie eine Hommage an Max Ernst; sogar Alice gibt ein kurzes Gastspiel in diesem Wunderland, das Vater und Sohn gemeinsam nebeneinander durchmessen, die kleine Hand in der großen, jeder von ihnen versunken in seine eigene Nacht.
Freundlich, verschlafen und eingehüllt in den langen Mantel erwachsener Müdigkeit, trottet der Vater dahin; auf der Suche nach Ruhe und Schlaf redet er Sätze, die sich als helle Streifen am unteren Rand der Seiten ablagern. Sie behaupten, dass nichts passiert, wenn alle schlafen, die Hasen, Frösche, Störche ("zum Glück"), Freunde, Fliegen, Opas, Bären und Omas. "Es ist einfach nur dunkel. Sonst nichts." So wenig Text den Lesern auch gegönnt wird - er besteht doch aus lauter Sätzen, die eine Chance haben, zu geflügelten Worten der Kinderzimmerwelten aufzusteigen: "Die Indianer schlafen. Die Cowboys also auch. Die Bären schlafen sogar Tag und Nacht."
Auch wenn der Erwachsene mit allem, was er sagt, Recht hat, irrt er natürlich, denn er geht (wie man das so macht) von den Gesetzen der Erfahrung und der Wahrscheinlichkeit aus. Von dem großen Theater der Geheimnisse, das die Dunkelheit nur seinem Sohn aufschließt, ahnt er nichts. Das Schauen bleibt das Geschäft des Jungen; große helle Kreise hat er dort, wo beim Vater nur müde schmale Striche sind. So freut sich das Kind über alles, was Papa nicht sieht; es entdeckt die alte Wahrheit, dass die Schönheit eine lustige Schwester des Wunders sein kann. Am Ende fragt man sich: War alles nur ein Traum? Bis man den Beweis des Gegenteils erblickt, rot-weiß und so rund, wie nur Bälle sein können. Oder Monde, die Ikonen der schlaffreien Nächte.
HANS-JOACHIM NEUBAUER
Wolf Erlbruch: "Nachts". Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999. 32 S., geb., 19,80 DM. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vater und Sohn auf der Schwelle des Schlafens
Kinder ohne Schlaf haben müde Eltern. Besonders in der Nacht, der ja immer ein Tag vorausgeht und meistens einer folgt. Gerne gestalten wache Kinder gerade die frühe und die späte Schlafenszeit zu Phasen angeregten Kontaktes zwischen unterschiedlich munteren Angehörigen der beiden Generationen. So begegnen sich auch Vater und Sohn in Wolf Erlbruchs Buch auf der Schwelle des Schlafens. "Fons ist hellwach. ,Ich will in die Nacht!' denkt er. Aber allein traut er sich nicht. Papa muss mit." Eine Chance zur Gegenwehr hat der unsanft Geweckte nicht. Also gehen die beiden über Straßen, Plätze und Dackelbrücken durch die Nacht, immer im Zeichen des Mondes, jenes Freundes der Kinder, der hier mal weiß, mal anders durch den Himmel sichelt und sogar als gelber Dackel scheinen kann. Da wundert es nicht, dass Mickymaus in Rot vorbeiflattert, ein Riesengorilla mit Armbanduhr die Hand reicht und die Erde so kahl wird wie der Mond, bis schließlich Hase, Hund, Eisbär, ein Fisch mit Erdbeeren sowie freundliche Gesichterbäume erscheinen.
Die Nacht ist eine große Collage: Variationen von Grau, Blau und Gelb aus getöntem Papier - Farben, die wirken wie aus den frühen fünfziger Jahren, als Wolf Erlbruch im Alter seines kleinen, wachen Helden war - stehen als Häuserwände, Straßen und andere Flächen vor dem nächtlichen Schwarz. Der Autor zeichnet, schneidet und montiert sie zu einer Sequenz von traumhaft wirklichen Bühnenbildern für den Auftritt von Vater, Sohn und Nachtwesen in satter Kolorierung. Manches an diesen Gestalten und ihrer Umgebung wirkt wie eine Hommage an Max Ernst; sogar Alice gibt ein kurzes Gastspiel in diesem Wunderland, das Vater und Sohn gemeinsam nebeneinander durchmessen, die kleine Hand in der großen, jeder von ihnen versunken in seine eigene Nacht.
Freundlich, verschlafen und eingehüllt in den langen Mantel erwachsener Müdigkeit, trottet der Vater dahin; auf der Suche nach Ruhe und Schlaf redet er Sätze, die sich als helle Streifen am unteren Rand der Seiten ablagern. Sie behaupten, dass nichts passiert, wenn alle schlafen, die Hasen, Frösche, Störche ("zum Glück"), Freunde, Fliegen, Opas, Bären und Omas. "Es ist einfach nur dunkel. Sonst nichts." So wenig Text den Lesern auch gegönnt wird - er besteht doch aus lauter Sätzen, die eine Chance haben, zu geflügelten Worten der Kinderzimmerwelten aufzusteigen: "Die Indianer schlafen. Die Cowboys also auch. Die Bären schlafen sogar Tag und Nacht."
Auch wenn der Erwachsene mit allem, was er sagt, Recht hat, irrt er natürlich, denn er geht (wie man das so macht) von den Gesetzen der Erfahrung und der Wahrscheinlichkeit aus. Von dem großen Theater der Geheimnisse, das die Dunkelheit nur seinem Sohn aufschließt, ahnt er nichts. Das Schauen bleibt das Geschäft des Jungen; große helle Kreise hat er dort, wo beim Vater nur müde schmale Striche sind. So freut sich das Kind über alles, was Papa nicht sieht; es entdeckt die alte Wahrheit, dass die Schönheit eine lustige Schwester des Wunders sein kann. Am Ende fragt man sich: War alles nur ein Traum? Bis man den Beweis des Gegenteils erblickt, rot-weiß und so rund, wie nur Bälle sein können. Oder Monde, die Ikonen der schlaffreien Nächte.
HANS-JOACHIM NEUBAUER
Wolf Erlbruch: "Nachts". Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999. 32 S., geb., 19,80 DM. Ab 4 J.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Jens Thiele feiert Erlbruchs neues Bilderbuch für die nächtliche Schönheit seiner Illustrationen. Ein kleiner Sohn geht mit dem übermüdeten Vater durch die Nacht. Viel passiert, auch wenn der Vater davon nichts bemerkt. Ganz verzaubert beschreibt Thiele Erlbruchs "verschachtelte Bildräume, fremd und verrätselt, zeichenhaft und kühl" und wünscht sich noch viele Bilderbücher von diesem Autor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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