Produktdetails
- Verlag: Mitteldeutscher Verlag
- ISBN-13: 9783354007086
- Artikelnr.: 24568251
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2014Unsere Opfer, unsere Täter
In dem Roman "Nackt unter Wölfen" hat Bruno Apitz das KZ Buchenwald beschrieben. Das Buch war Pflichtlektüre in der DDR. Nun wagen sich MDR und Ufa an eine Verfilmung. Eine heikle Geschichte.
VOJNA, im April
Der riesige, abschüssige Appellplatz liegt im kalten Frühjahrsmorgen, unten braune Holzbaracken, aus denen Rauchfähnchen wehen, dahinter Stacheldrahtzaun und dann Wald. Eine Stimme schneidet durch die Stille: "Mützen - ab!" Ein Mann im ledernen SS-Mantel kommandiert in ein Standmikrofon. Ihm gegenüber steht, aufgereiht in zwei Quadraten, eine graublaue Masse aus Häftlingen, die gehorcht. "Mützen - auf!" Es geschieht. Dann hebt die Lagerkapelle zu spielen an. Kurz darauf erschallt noch ein Befehl: "Cut!"
Es rühren sich 354 Komparsen - diese Zahl zumindest steht auf dem Produktionsblatt der Ufa Fiction für diesen Drehtag. Die Kapelle legt die Instrumente hin, die sie zuvor zum Playback bewegt hat. Die Kameraleute verlegen ihren Standort mitten hinein in die Häftlingsreihen. Männer mit Schläuchen wässern den Kies. Nach kurzer Zeit ruft der Regieassistent Andi Lang in sein Headset-Mikrofon: "And we go again. Jalla Jalla!"
Die gespenstische Appellszene aus dem Konzentrationslager Buchenwald steht am Anfang des Romans "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz, der 1958 erschien. Mancher kennt sie vielleicht auch schon bildlich aus Frank Beyers Defa-Verfilmung von 1962. Nun wird der Stoff noch einmal neu verfilmt von der Ufa und dem MDR. Aber das, was wie Buchenwald aussieht, ist die Gedenkstätte Vojna in der Tschechischen Republik, eine Stunde südlich von Prag gelegen. Auf dem Gelände dieses kommunistischen Arbeitslagers hat die Produktionsfirma das deutsche KZ nachgestellt, Baracken und auch das sogenannte "Kleine Lager" aufgebaut, in dem die Häftlinge zu Tausenden in Pferdeställen eingepfercht waren.
Es ist seltsam, in dieser Kulisse zu stehen und den Häftlingskomparsen aus nächster Nähe ins Gesicht zu sehen, die wenige Meter entfernt in Lumpen in der Kälte stehen. 354 Komparsen: Das ist noch wenig angesichts der wohl viertausend NVA-Soldaten, die Frank Beyer für seinen Film als Häftlingsdarsteller zur Verfügung hatte. Aber auch diese Zahl ist noch weit entfernt von der Wirklichkeit Buchenwalds 1945, die dann in einem anderen Teil der hier gedrehten Szene in knapper Militärsprache zum Ausdruck kommt. Der lagerälteste Häftling tritt vor zum Rapportführer der SS und meldet: "Herr Untersturmführer, Lager mit 47 571 Häftlingen vollzählig angetreten. Kommandiert 342. Krankenstand 3293. Abgänge 109." Das war die Situation im März 1945. Geschätzte 250 000 Menschen waren zwischen 1937 und 1945 in Buchenwald insgesamt interniert, mehr als 56 000 wurden ermordet, starben an Krankheit und Entkräftung oder auf den Evakuierungsmärschen.
Gegen das Schicksal dieser Masse setzte Bruno Apitz das Schicksal eines einzelnen Kindes. "Nackt unter Wölfen" erzählt, wie der dreijährige polnische Jude Stefan, dessen Eltern in Auschwitz getötet wurden, in einem Koffer ins Lager Buchenwald geschmuggelt wird und die Häftlinge in einen Gewissenskonflikt stürzt: Sollen sie das Kind verstecken und sich selbst dadurch gefährden, noch kurz vor dem Eintreffen der vorrückenden amerikanischen Armee?
Aus dem Konflikt, der mit der Rettung des Kindes und der Befreiung Buchenwalds endet, machte Apitz eine Hymne auf die Solidarität, die den "Sieg des Menschen über die Barbarei" darstelle, wie er selbst einmal sagte. Apitz war acht Jahre lang Häftling in Buchenwald.
Der Roman, der Millionenauflagen erreichte und in dreißig Sprachen übersetzt wurde, wie auch der Film waren Selbstverständigungswerke der DDR mit identitätsstiftendem Charakter. Aber es sind heute mehr denn je auch umstrittene Werke, zum einen wegen der Darstellung der Funktionshäftlinge, die inzwischen durch historische Forschung in anderem Licht erscheint - insbesondere durch Lutz Niethammers Studie "Der gesäuberte Antifaschismus" (1994) über die Rolle der "roten Kapos von Buchenwald". Zum anderen ist "Nackt unter Wölfen" umstritten, weil die Geschichte des polnischen Juden Stefan Jerzy Zweig, die ihm zugrunde liegt, sich etwas anders zugetragen hat als die der Figur in Apitz' Roman - dies hat der britische Historiker Bill Niven in seinem Buch "Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda" (2009) detailliert dargelegt. Es zeigt, wie Zweigs Geschichte für die kollektive Erinnerung in der DDR instrumentalisiert, nach der Wiedervereinigung jedoch abgelöst wurde von einem neuen Erinnerungskollektiv, das heute "nur allzu willig ist, den ostdeutschen Antifaschismus zu diskreditieren". Dabei spielt besonders die Frage eine Rolle, ob für Zweigs Rettung ein "Opfertausch" stattfand, da an seiner Stelle ein Sinto-Junge von Buchenwald nach Auschwitz geschickt wurde.
Warum also sich noch einmal an diesen heiklen Stoff wagen? Stefan Kolditz, der Drehbuchautor, sitzt in einer Baracke neben dem Appellplatz und spricht über seine Adaption. Er betont zunächst, dass er Bruno Apitz und seinem Werk mit großem Respekt begegne. Er lobt an dem Buch einen "Verismus" der Darstellung damals vieler unbekannter Vorgänge, etwa der Schilderung der Leichenentkleidungen, die Häftlinge vornehmen mussten.
Andererseits müsse man heute der Vielschichtigkeit des Geschehens im Lager gerecht werden, zu dem auch ganz andere Quellen zur Verfügung stehen. Kolditz nennt etwa Jorge Semprúns "Was für ein schöner Sonntag!" oder den "Buchenwald-Report". Dessen Herausgeber David A. Hackett hat man als Berater für den Film hinzugezogen, ebenso wie die Herausgeberin der kommentierten Neuausgabe von "Nackt unter Wölfen", Susanne Hantke, und zwei noch lebende ehemalige Buchenwald-Häftlinge.
Bei aller grundsätzlichen Wertschätzung des humanen Kerns des Romans, sagt Kolditz, könne man insbesondere zwei Aspekte nicht unkorrigiert stehenlassen. Zum einen habe Apitz stark aus der Perspektive kommunistischer Funktionshäftlinge erzählt. Während der Roman ihre Geschichte zu einer Heldengeschichte mache, komme das große Elend und sinnlose Sterben, besonders das im "Kleinen Lager" von Buchenwald, darin kaum vor. Zum anderen endet der Roman mit einer Apotheose der Selbstbefreiung der Häftlinge, die so nicht der Wirklichkeit entspreche. Es habe zwar Aktionen bewaffneter Häftlinge gegeben, aber die hätten erst stattfinden können, als die amerikanische Armee im Anmarsch und die SS in weiten Teilen geflüchtet gewesen sei. Diese Aspekte werde der Film also anders darstellen. Darum sei es auch keine Verfilmung im engeren Sinn, sondern eine "nach Motiven von" Bruno Apitz.
Wenn man heute kritisch über die Mythisierung Buchenwalds in der DDR rede, sagt Kolditz, der selbst in der DDR aufgewachsen ist, dann müsse man auch erwähnen, wie in der Bundesrepublik mit den in Buchenwald verantwortlichen SS-Männern umgegangen worden sei: Viele seien gar nicht, manche erst viel zu spät angeklagt oder nach kurzer Zeit begnadigt worden. Der neue Film, so Kolditz, solle auch eine Brücke zur unterschiedlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in beiden deutschen Staaten in den fünfziger und sechziger Jahren bauen. Die Frage nach dem Preis der Menschlichkeit sei hochaktuell.
Er rechnet damit, dass es Kontroversen gibt. Nach der Erfahrung mit dem vieldiskutierten Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", zu dem er auch das Drehbuch schrieb, ist er darauf vorbereitet. Mit dem Regisseur Philipp Kadelbach sowie den Produzenten Nico Hofmann und Benjamin Benedict ist bei "Nackt unter Wölfen" dasselbe Team verantwortlich wie bei "Unsere Mütter, unsere Väter".
Auf die Rezeption des Films ist Kolditz gespannt - gerade auch, weil in Westdeutschland "Nackt unter Wölfen" vielleicht nicht so stark in Erinnerung sei, während in Ostdeutschland sehr viele etwas damit verbänden. "Du hast sofort sehr emotionale Reaktionen", sagt er, "Roman und Film haben Spuren hinterlassen, die Leute kennen sofort Figuren daraus."
Eine dieser Figuren ist der Lagerälteste Krämer, bei Beyer gespielt von Erwin Geschonneck. Im neuen Film übernimmt diese Rolle Sylvester Groth. Er wärmt sich gerade nach langem Drehen in der Kälte in einem Wohnwagen abseits des Filmsets auf. Krämer sieht er "zwischen Baum und Borke, also zwischen der SS und den Häftlingen" - jemand, der versuche, "sauber zu bleiben" und daran scheitere, weil er über Leben und Tod anderer zu entscheiden habe. Mit seiner Rolle schließe sich für ihn ein Kreis, sagt Groth. Er hat 1983 seinen ersten Kinofilm "Aufenthalt" mit Frank Beyer gedreht.
Ob es einem Spielfilm besser gelingen kann, darzustellen, was in Buchenwald geschah, als Dokumentationen oder Textzeugnissen? Der MDR sieht in der Fiktion die Möglichkeit, "die historischen Ereignisse für die nachfolgenden Generationen nachvollziehbar zu machen". Auch, ob für den Film Aufnahmen an den Originalschauplätzen gemacht werden dürfe, wurde lange abgewägt. Schließlich hat die Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora eine zeitlich und örtlich begrenzte Drehgenehmigung erteilt, die sich allerdings mit der Auflage verbindet, den "Friedhofscharakter des Ortes" zu respektieren.
In Vojna endet der Drehtag mit einem Gang über das Set mit dem Herstellungsleiter Tim Greve. Wir passieren das Eingangstor aus Buchenwald mit seinem Schriftzug "Jedem das Seine" und den riesigen Suchscheinwerfern auf dem Dach, das hier komplett nachgebildet wurde. "In ein paar Wochen wird das alles wieder abgerissen", sagt Greve. Für den Moment wirkt es erschreckend echt.
JAN WIELE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In dem Roman "Nackt unter Wölfen" hat Bruno Apitz das KZ Buchenwald beschrieben. Das Buch war Pflichtlektüre in der DDR. Nun wagen sich MDR und Ufa an eine Verfilmung. Eine heikle Geschichte.
VOJNA, im April
Der riesige, abschüssige Appellplatz liegt im kalten Frühjahrsmorgen, unten braune Holzbaracken, aus denen Rauchfähnchen wehen, dahinter Stacheldrahtzaun und dann Wald. Eine Stimme schneidet durch die Stille: "Mützen - ab!" Ein Mann im ledernen SS-Mantel kommandiert in ein Standmikrofon. Ihm gegenüber steht, aufgereiht in zwei Quadraten, eine graublaue Masse aus Häftlingen, die gehorcht. "Mützen - auf!" Es geschieht. Dann hebt die Lagerkapelle zu spielen an. Kurz darauf erschallt noch ein Befehl: "Cut!"
Es rühren sich 354 Komparsen - diese Zahl zumindest steht auf dem Produktionsblatt der Ufa Fiction für diesen Drehtag. Die Kapelle legt die Instrumente hin, die sie zuvor zum Playback bewegt hat. Die Kameraleute verlegen ihren Standort mitten hinein in die Häftlingsreihen. Männer mit Schläuchen wässern den Kies. Nach kurzer Zeit ruft der Regieassistent Andi Lang in sein Headset-Mikrofon: "And we go again. Jalla Jalla!"
Die gespenstische Appellszene aus dem Konzentrationslager Buchenwald steht am Anfang des Romans "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz, der 1958 erschien. Mancher kennt sie vielleicht auch schon bildlich aus Frank Beyers Defa-Verfilmung von 1962. Nun wird der Stoff noch einmal neu verfilmt von der Ufa und dem MDR. Aber das, was wie Buchenwald aussieht, ist die Gedenkstätte Vojna in der Tschechischen Republik, eine Stunde südlich von Prag gelegen. Auf dem Gelände dieses kommunistischen Arbeitslagers hat die Produktionsfirma das deutsche KZ nachgestellt, Baracken und auch das sogenannte "Kleine Lager" aufgebaut, in dem die Häftlinge zu Tausenden in Pferdeställen eingepfercht waren.
Es ist seltsam, in dieser Kulisse zu stehen und den Häftlingskomparsen aus nächster Nähe ins Gesicht zu sehen, die wenige Meter entfernt in Lumpen in der Kälte stehen. 354 Komparsen: Das ist noch wenig angesichts der wohl viertausend NVA-Soldaten, die Frank Beyer für seinen Film als Häftlingsdarsteller zur Verfügung hatte. Aber auch diese Zahl ist noch weit entfernt von der Wirklichkeit Buchenwalds 1945, die dann in einem anderen Teil der hier gedrehten Szene in knapper Militärsprache zum Ausdruck kommt. Der lagerälteste Häftling tritt vor zum Rapportführer der SS und meldet: "Herr Untersturmführer, Lager mit 47 571 Häftlingen vollzählig angetreten. Kommandiert 342. Krankenstand 3293. Abgänge 109." Das war die Situation im März 1945. Geschätzte 250 000 Menschen waren zwischen 1937 und 1945 in Buchenwald insgesamt interniert, mehr als 56 000 wurden ermordet, starben an Krankheit und Entkräftung oder auf den Evakuierungsmärschen.
Gegen das Schicksal dieser Masse setzte Bruno Apitz das Schicksal eines einzelnen Kindes. "Nackt unter Wölfen" erzählt, wie der dreijährige polnische Jude Stefan, dessen Eltern in Auschwitz getötet wurden, in einem Koffer ins Lager Buchenwald geschmuggelt wird und die Häftlinge in einen Gewissenskonflikt stürzt: Sollen sie das Kind verstecken und sich selbst dadurch gefährden, noch kurz vor dem Eintreffen der vorrückenden amerikanischen Armee?
Aus dem Konflikt, der mit der Rettung des Kindes und der Befreiung Buchenwalds endet, machte Apitz eine Hymne auf die Solidarität, die den "Sieg des Menschen über die Barbarei" darstelle, wie er selbst einmal sagte. Apitz war acht Jahre lang Häftling in Buchenwald.
Der Roman, der Millionenauflagen erreichte und in dreißig Sprachen übersetzt wurde, wie auch der Film waren Selbstverständigungswerke der DDR mit identitätsstiftendem Charakter. Aber es sind heute mehr denn je auch umstrittene Werke, zum einen wegen der Darstellung der Funktionshäftlinge, die inzwischen durch historische Forschung in anderem Licht erscheint - insbesondere durch Lutz Niethammers Studie "Der gesäuberte Antifaschismus" (1994) über die Rolle der "roten Kapos von Buchenwald". Zum anderen ist "Nackt unter Wölfen" umstritten, weil die Geschichte des polnischen Juden Stefan Jerzy Zweig, die ihm zugrunde liegt, sich etwas anders zugetragen hat als die der Figur in Apitz' Roman - dies hat der britische Historiker Bill Niven in seinem Buch "Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda" (2009) detailliert dargelegt. Es zeigt, wie Zweigs Geschichte für die kollektive Erinnerung in der DDR instrumentalisiert, nach der Wiedervereinigung jedoch abgelöst wurde von einem neuen Erinnerungskollektiv, das heute "nur allzu willig ist, den ostdeutschen Antifaschismus zu diskreditieren". Dabei spielt besonders die Frage eine Rolle, ob für Zweigs Rettung ein "Opfertausch" stattfand, da an seiner Stelle ein Sinto-Junge von Buchenwald nach Auschwitz geschickt wurde.
Warum also sich noch einmal an diesen heiklen Stoff wagen? Stefan Kolditz, der Drehbuchautor, sitzt in einer Baracke neben dem Appellplatz und spricht über seine Adaption. Er betont zunächst, dass er Bruno Apitz und seinem Werk mit großem Respekt begegne. Er lobt an dem Buch einen "Verismus" der Darstellung damals vieler unbekannter Vorgänge, etwa der Schilderung der Leichenentkleidungen, die Häftlinge vornehmen mussten.
Andererseits müsse man heute der Vielschichtigkeit des Geschehens im Lager gerecht werden, zu dem auch ganz andere Quellen zur Verfügung stehen. Kolditz nennt etwa Jorge Semprúns "Was für ein schöner Sonntag!" oder den "Buchenwald-Report". Dessen Herausgeber David A. Hackett hat man als Berater für den Film hinzugezogen, ebenso wie die Herausgeberin der kommentierten Neuausgabe von "Nackt unter Wölfen", Susanne Hantke, und zwei noch lebende ehemalige Buchenwald-Häftlinge.
Bei aller grundsätzlichen Wertschätzung des humanen Kerns des Romans, sagt Kolditz, könne man insbesondere zwei Aspekte nicht unkorrigiert stehenlassen. Zum einen habe Apitz stark aus der Perspektive kommunistischer Funktionshäftlinge erzählt. Während der Roman ihre Geschichte zu einer Heldengeschichte mache, komme das große Elend und sinnlose Sterben, besonders das im "Kleinen Lager" von Buchenwald, darin kaum vor. Zum anderen endet der Roman mit einer Apotheose der Selbstbefreiung der Häftlinge, die so nicht der Wirklichkeit entspreche. Es habe zwar Aktionen bewaffneter Häftlinge gegeben, aber die hätten erst stattfinden können, als die amerikanische Armee im Anmarsch und die SS in weiten Teilen geflüchtet gewesen sei. Diese Aspekte werde der Film also anders darstellen. Darum sei es auch keine Verfilmung im engeren Sinn, sondern eine "nach Motiven von" Bruno Apitz.
Wenn man heute kritisch über die Mythisierung Buchenwalds in der DDR rede, sagt Kolditz, der selbst in der DDR aufgewachsen ist, dann müsse man auch erwähnen, wie in der Bundesrepublik mit den in Buchenwald verantwortlichen SS-Männern umgegangen worden sei: Viele seien gar nicht, manche erst viel zu spät angeklagt oder nach kurzer Zeit begnadigt worden. Der neue Film, so Kolditz, solle auch eine Brücke zur unterschiedlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in beiden deutschen Staaten in den fünfziger und sechziger Jahren bauen. Die Frage nach dem Preis der Menschlichkeit sei hochaktuell.
Er rechnet damit, dass es Kontroversen gibt. Nach der Erfahrung mit dem vieldiskutierten Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", zu dem er auch das Drehbuch schrieb, ist er darauf vorbereitet. Mit dem Regisseur Philipp Kadelbach sowie den Produzenten Nico Hofmann und Benjamin Benedict ist bei "Nackt unter Wölfen" dasselbe Team verantwortlich wie bei "Unsere Mütter, unsere Väter".
Auf die Rezeption des Films ist Kolditz gespannt - gerade auch, weil in Westdeutschland "Nackt unter Wölfen" vielleicht nicht so stark in Erinnerung sei, während in Ostdeutschland sehr viele etwas damit verbänden. "Du hast sofort sehr emotionale Reaktionen", sagt er, "Roman und Film haben Spuren hinterlassen, die Leute kennen sofort Figuren daraus."
Eine dieser Figuren ist der Lagerälteste Krämer, bei Beyer gespielt von Erwin Geschonneck. Im neuen Film übernimmt diese Rolle Sylvester Groth. Er wärmt sich gerade nach langem Drehen in der Kälte in einem Wohnwagen abseits des Filmsets auf. Krämer sieht er "zwischen Baum und Borke, also zwischen der SS und den Häftlingen" - jemand, der versuche, "sauber zu bleiben" und daran scheitere, weil er über Leben und Tod anderer zu entscheiden habe. Mit seiner Rolle schließe sich für ihn ein Kreis, sagt Groth. Er hat 1983 seinen ersten Kinofilm "Aufenthalt" mit Frank Beyer gedreht.
Ob es einem Spielfilm besser gelingen kann, darzustellen, was in Buchenwald geschah, als Dokumentationen oder Textzeugnissen? Der MDR sieht in der Fiktion die Möglichkeit, "die historischen Ereignisse für die nachfolgenden Generationen nachvollziehbar zu machen". Auch, ob für den Film Aufnahmen an den Originalschauplätzen gemacht werden dürfe, wurde lange abgewägt. Schließlich hat die Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora eine zeitlich und örtlich begrenzte Drehgenehmigung erteilt, die sich allerdings mit der Auflage verbindet, den "Friedhofscharakter des Ortes" zu respektieren.
In Vojna endet der Drehtag mit einem Gang über das Set mit dem Herstellungsleiter Tim Greve. Wir passieren das Eingangstor aus Buchenwald mit seinem Schriftzug "Jedem das Seine" und den riesigen Suchscheinwerfern auf dem Dach, das hier komplett nachgebildet wurde. "In ein paar Wochen wird das alles wieder abgerissen", sagt Greve. Für den Moment wirkt es erschreckend echt.
JAN WIELE
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