Als die 79-jährige Elfriede wegen Schlafstörungen einen Arzt aufsucht, rät ihr dieser: "Suchen Sie sich einen Mann." Die alte Dame ist zunächst skeptisch, tastet sich dann jedoch ins Liebesleben zurück, das bald turbulenter und intensiver wird, als es für sie je war. Nacktbadestrand ist eine überraschende, provokante und wahre Geschichte über Lust, Phantasien und Beziehungsängste im Spätherbst des Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2010Österreichs greises Luder
Es gibt verschiedene Wege, auf ein Buch aufmerksam zu werden. Man kann sich zum Beispiel darüber wundern, was ein Werk, das so aussieht wie Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete" und sich obendrein "Roman" nennt, seit Wochen auf der Sachbuch-Bestsellerliste verloren hat. Oder man wird neugierig, weil einen zuerst ein namhafter Schriftsteller und kurz darauf die Physiotherapeutin auf ein Buch namens "Nacktbadestrand" anspricht. Nur die Frage, was die Autorin, eine rüstige Greisin, die mit Wiener Zungenschlag über die Vorzüge sexueller Promiskuität im Alter parliert, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, genauer bei "3 nach 9", verloren hat, die braucht man sich nicht zu stellen. In unserer permissiven Gesellschaft wird derjenige, der seine Marktlücke erkennt und ausschlachtet, und sei es angesichts der demographisch verschärften Lage mit Pornographie für Senioren, nicht geächtet, sondern vereinnahmt.
Jetzt gibt der Erfolg also auch Elfriede Vavrik recht, einer ehemaligen Buchhändlerin, die ihr erstes Buch vorgelegt hat. "Nacktbadestrand" ist der offenbar autobiographische, jedenfalls mit vielen neckischen Fotos der Autorin gesprenkelte Bericht ihres mit 79 Jahren im Kampf gegen die Schlaflosigkeit, sozusagen auf Anraten des Arztes, wiederaufgenommenen Sexlebens. In jüngeren Jahren gab der Bereich Frau Vavrik nach eigenem Bekunden keinen Anlass zur Begeisterung, mit vierzig wurde die Mutter von drei Söhnen Witwe und abstinent, mit fast achtzig beschließt sie, alles, was sie zuvor verpasst hat, nachzuholen - und die Welt an dieser Späterweckungsreise teilhaben zu lassen, in deren Verlauf sie unter anderem mit einem Mörder, einem Fäkalfetischisten und manchem sehr viel jüngeren Mann schläft, für den sie auch großmütterliche Gefühle entwickelt. Das Resultat ist eine Aneinanderreihung von Geschmacklosigkeiten, die mit Erotik so viel zu tun haben wie "Josefine Mutzenbacher", das andere österreichische Luder, mit Hochliteratur. Es hat sich aber, wie edition a aus Wien mitteilt, bereits 55 000 Mal verkauft.
Das Kalkül, das hinter dem Buch steht, nämlich den Erfolg von "Feuchtgebiete", das seine Leserschaft ja vornehmlich bei jungen Frauen und älteren Männern gefunden haben soll, mit einem ähnlich nah an der Ekelschwelle angesiedelten Thema für ältere Frauen und jüngere Männer zu wiederholen, geht offenbar auf. Männer ab fünfzig sind jedenfalls eindeutig nicht die Zielgruppe, da die Autorin diese als sexuell ohnehin nicht mehr satisfaktionsfähig einstuft. Woher sie diese Gewissheit nimmt, nachdem sie angeblich vier Jahrzehnte wie eine Nonne gelebt haben will und nun die Zuschriften von älteren Herren von vornherein aussortiert, bleibt ihr Geheimnis.
Frau Vavrik schreibt mit dem vom eigenen Tabubruch berauschten, humorfreien Gestus der Pionierin, die neue Wahrheiten zu verkünden hat. Wer sich angewidert abwendet, ist für sie ein verklemmter Spießer mit Orgasmusneid. Ihr zufolge sind schließlich mindestens zehn Prozent aller Männer gerontophil, besitzen also eine sexuelle Neigung, die, anders als ihr Gegenstück, die Pädophilie, nicht gegen Gesetze, sondern lediglich gegen den Comment verstößt. Man malt sich lieber nicht aus, was nach der Logik des Bestsellermarkts demnächst auf dieses Schauermärchen von der lüsternen Großmutter folgen könnte.
FELICITAS VON LOVENBERG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt verschiedene Wege, auf ein Buch aufmerksam zu werden. Man kann sich zum Beispiel darüber wundern, was ein Werk, das so aussieht wie Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete" und sich obendrein "Roman" nennt, seit Wochen auf der Sachbuch-Bestsellerliste verloren hat. Oder man wird neugierig, weil einen zuerst ein namhafter Schriftsteller und kurz darauf die Physiotherapeutin auf ein Buch namens "Nacktbadestrand" anspricht. Nur die Frage, was die Autorin, eine rüstige Greisin, die mit Wiener Zungenschlag über die Vorzüge sexueller Promiskuität im Alter parliert, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, genauer bei "3 nach 9", verloren hat, die braucht man sich nicht zu stellen. In unserer permissiven Gesellschaft wird derjenige, der seine Marktlücke erkennt und ausschlachtet, und sei es angesichts der demographisch verschärften Lage mit Pornographie für Senioren, nicht geächtet, sondern vereinnahmt.
Jetzt gibt der Erfolg also auch Elfriede Vavrik recht, einer ehemaligen Buchhändlerin, die ihr erstes Buch vorgelegt hat. "Nacktbadestrand" ist der offenbar autobiographische, jedenfalls mit vielen neckischen Fotos der Autorin gesprenkelte Bericht ihres mit 79 Jahren im Kampf gegen die Schlaflosigkeit, sozusagen auf Anraten des Arztes, wiederaufgenommenen Sexlebens. In jüngeren Jahren gab der Bereich Frau Vavrik nach eigenem Bekunden keinen Anlass zur Begeisterung, mit vierzig wurde die Mutter von drei Söhnen Witwe und abstinent, mit fast achtzig beschließt sie, alles, was sie zuvor verpasst hat, nachzuholen - und die Welt an dieser Späterweckungsreise teilhaben zu lassen, in deren Verlauf sie unter anderem mit einem Mörder, einem Fäkalfetischisten und manchem sehr viel jüngeren Mann schläft, für den sie auch großmütterliche Gefühle entwickelt. Das Resultat ist eine Aneinanderreihung von Geschmacklosigkeiten, die mit Erotik so viel zu tun haben wie "Josefine Mutzenbacher", das andere österreichische Luder, mit Hochliteratur. Es hat sich aber, wie edition a aus Wien mitteilt, bereits 55 000 Mal verkauft.
Das Kalkül, das hinter dem Buch steht, nämlich den Erfolg von "Feuchtgebiete", das seine Leserschaft ja vornehmlich bei jungen Frauen und älteren Männern gefunden haben soll, mit einem ähnlich nah an der Ekelschwelle angesiedelten Thema für ältere Frauen und jüngere Männer zu wiederholen, geht offenbar auf. Männer ab fünfzig sind jedenfalls eindeutig nicht die Zielgruppe, da die Autorin diese als sexuell ohnehin nicht mehr satisfaktionsfähig einstuft. Woher sie diese Gewissheit nimmt, nachdem sie angeblich vier Jahrzehnte wie eine Nonne gelebt haben will und nun die Zuschriften von älteren Herren von vornherein aussortiert, bleibt ihr Geheimnis.
Frau Vavrik schreibt mit dem vom eigenen Tabubruch berauschten, humorfreien Gestus der Pionierin, die neue Wahrheiten zu verkünden hat. Wer sich angewidert abwendet, ist für sie ein verklemmter Spießer mit Orgasmusneid. Ihr zufolge sind schließlich mindestens zehn Prozent aller Männer gerontophil, besitzen also eine sexuelle Neigung, die, anders als ihr Gegenstück, die Pädophilie, nicht gegen Gesetze, sondern lediglich gegen den Comment verstößt. Man malt sich lieber nicht aus, was nach der Logik des Bestsellermarkts demnächst auf dieses Schauermärchen von der lüsternen Großmutter folgen könnte.
FELICITAS VON LOVENBERG
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