Produktdetails
- Verlag: Alexander Verlag
- ISBN-13: 9783895811883
- ISBN-10: 3895811882
- Artikelnr.: 23518009
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2008Wenn die Botschaft zweimal klingelt
Unerbittlich pädagogisch: Ein Werkgespräch mit Michael Haneke
"Meine Filme sind eine Gegenreaktion - eine Reaktion auf meine Unzufriedenheit mit dem existierenden Kino. Von ihm sind wir ja schließlich alle abhängig." Das sagt Michael Haneke zu Thomas Assheuer, und diesem gelingt im Gespräch eine Nahaufnahme des österreichischen Filmemachers, die bis auf den Grund dieser Unzufriedenheit vordringt und die Strategien aufdeckt, mit denen Haneke gegen sie anarbeitet.
Das Gespräch beginnt in der Kindheit und beim familiären Umfeld und führt langsam, aber sicher von Hanekes Arbeit als Dramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden bis zu seinen Filmen. Dabei vernetzt Assheuer geschickt den biographischen Hintergrund Hanekes - der zunächst Musiker und dann Schauspieler werden wollte, um schließlich beim Philosophiestudium zu landen - mit ästhetischen Fragestellungen zu einem detailreichen Porträt, ohne dabei den roten Faden zu verlieren.
Im Interview zeigt sich Haneke als gesellschaftskritischer Filmemacher, der sein Publikum fordern will, nicht nur in Europa. In diesem Jahr landete mit "Funny Games U.S." sein erster amerikanischer Film in den Kinos, ein Remake der 1997 in Österreich gedrehten Urfassung über Gewalt und Voyeurismus. "Funny Games" sei ein Spezialfall in seinem Werk, sagt Haneke. "Es ist der einzige Film, der wirklich provozieren will und als Ohrfeige für sein Publikum gedacht war." Haneke scheut sich auch sonst nicht, einiges an Pädagogik mit in die Debatte zu bringen: Die Moral der Form sei ästhetisch gesehen die einzig gültige. Es ist das Verhältnis von Inhalt und Form, das für Haneke zum Schlüsselpunkt des Films als Kunstwerk wird. Wo die Identität von Inhalt und Form erreicht sei, da entstünden große Filme. Die sind allerdings rar. Haneke bewundert Abbas Kiarostami und verehrt Robert Bresson, der für ihn der einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, dessen Werk eine durchgehend hohe Qualität aufweist.
In der Nähe zu Bresson liegt vielleicht auch der Schlüssel zu den Filmen von Michael Haneke. Er selbst sieht sie als untragische Trauerspiele und nicht als Tragödien. Pathos und Größe sollen nach Möglichkeit aus ihnen herausgehalten werden. Seine Filme kreisen von "Benny's Video" über "Die Klavierspielerin" bis zu "Caché" um das Zentralthema Gewalt. Und Gewalt hat für Haneke kein Pathos in der Darstellung verdient, da ist er eins mit der unerbittlichen Ästhetik Bressons. Haneke zeigt Entsetzen ohne Ausweg und will dem Zuschauer visuellen Schmerz zufügen: "Ohne eine somatische Reaktion steigt der Zuschauer nicht ein, sonst erlebt er es ja nicht. Man kann über Gewalt nicht reden nach dem Prinzip: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."
Immer wieder knüpft Haneke an Adorno und den Religionsphilosophen René Girard an, dessen These von der Zeitlosigkeit der Gewalt Haneke unterschreibt. Hat Girard recht, wenn er sagt, dass jede filmische Darstellung von Gewalt Gefahr läuft, sie zu ästhetisieren? Genau um diese Gratwanderung dreht sich die Arbeit von Michael Haneke: die Ästhetisierung von Gewalt mittels Form zu vermeiden.
GESINE HINDEMITH
"Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer". Alexander Verlag Berlin, Berlin 2008. 180 S., Broschur, zahlr. s/w- und Farbabbildungen, 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unerbittlich pädagogisch: Ein Werkgespräch mit Michael Haneke
"Meine Filme sind eine Gegenreaktion - eine Reaktion auf meine Unzufriedenheit mit dem existierenden Kino. Von ihm sind wir ja schließlich alle abhängig." Das sagt Michael Haneke zu Thomas Assheuer, und diesem gelingt im Gespräch eine Nahaufnahme des österreichischen Filmemachers, die bis auf den Grund dieser Unzufriedenheit vordringt und die Strategien aufdeckt, mit denen Haneke gegen sie anarbeitet.
Das Gespräch beginnt in der Kindheit und beim familiären Umfeld und führt langsam, aber sicher von Hanekes Arbeit als Dramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden bis zu seinen Filmen. Dabei vernetzt Assheuer geschickt den biographischen Hintergrund Hanekes - der zunächst Musiker und dann Schauspieler werden wollte, um schließlich beim Philosophiestudium zu landen - mit ästhetischen Fragestellungen zu einem detailreichen Porträt, ohne dabei den roten Faden zu verlieren.
Im Interview zeigt sich Haneke als gesellschaftskritischer Filmemacher, der sein Publikum fordern will, nicht nur in Europa. In diesem Jahr landete mit "Funny Games U.S." sein erster amerikanischer Film in den Kinos, ein Remake der 1997 in Österreich gedrehten Urfassung über Gewalt und Voyeurismus. "Funny Games" sei ein Spezialfall in seinem Werk, sagt Haneke. "Es ist der einzige Film, der wirklich provozieren will und als Ohrfeige für sein Publikum gedacht war." Haneke scheut sich auch sonst nicht, einiges an Pädagogik mit in die Debatte zu bringen: Die Moral der Form sei ästhetisch gesehen die einzig gültige. Es ist das Verhältnis von Inhalt und Form, das für Haneke zum Schlüsselpunkt des Films als Kunstwerk wird. Wo die Identität von Inhalt und Form erreicht sei, da entstünden große Filme. Die sind allerdings rar. Haneke bewundert Abbas Kiarostami und verehrt Robert Bresson, der für ihn der einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, dessen Werk eine durchgehend hohe Qualität aufweist.
In der Nähe zu Bresson liegt vielleicht auch der Schlüssel zu den Filmen von Michael Haneke. Er selbst sieht sie als untragische Trauerspiele und nicht als Tragödien. Pathos und Größe sollen nach Möglichkeit aus ihnen herausgehalten werden. Seine Filme kreisen von "Benny's Video" über "Die Klavierspielerin" bis zu "Caché" um das Zentralthema Gewalt. Und Gewalt hat für Haneke kein Pathos in der Darstellung verdient, da ist er eins mit der unerbittlichen Ästhetik Bressons. Haneke zeigt Entsetzen ohne Ausweg und will dem Zuschauer visuellen Schmerz zufügen: "Ohne eine somatische Reaktion steigt der Zuschauer nicht ein, sonst erlebt er es ja nicht. Man kann über Gewalt nicht reden nach dem Prinzip: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."
Immer wieder knüpft Haneke an Adorno und den Religionsphilosophen René Girard an, dessen These von der Zeitlosigkeit der Gewalt Haneke unterschreibt. Hat Girard recht, wenn er sagt, dass jede filmische Darstellung von Gewalt Gefahr läuft, sie zu ästhetisieren? Genau um diese Gratwanderung dreht sich die Arbeit von Michael Haneke: die Ästhetisierung von Gewalt mittels Form zu vermeiden.
GESINE HINDEMITH
"Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer". Alexander Verlag Berlin, Berlin 2008. 180 S., Broschur, zahlr. s/w- und Farbabbildungen, 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main