Mit dieser erweiterten Neuauflage legt der Münchner Autor die bisher umfangreichste Napoleon-Biografie in einem Band vor. Napoleon und seine Zeitgenossen kommen darin persönlich zu Wort und erzählen anhand von historischen Zitaten, Briefen, Ansprachen, Befehlen etc. viele Einzelheiten, die die ereignisreiche Zeit Napoleons auch heute noch, zweihundert Jahre später, so interessant und lebendig machen. Dem Autor kommt es darauf an, die Aussagen und Meinungen derer, die in dieser Zeit Wesentliches zum Ausdruck gebracht haben, in den Mittelpunkt des historischen Geschehens zu stellen. Der Leser braucht nur "zuzuhören" und versteht unschwer, warum es so und nicht anders gekommen ist. Neue Kapitel sind "Napoleon im Schatten des Ruhms" über die doch zahlreichen Fehler, Niederlagen und Fehlentscheidungen des großen Politik- und Militärgenies, und wie er damit umgegangen ist. Erstmals wird darüber hinaus die hoch entwickelte französische Militärmedizin mit den berühmten Ärzten dieser Zeitund ihrer Tätigkeit dargestellt. Die erste deutschsprachige Kurz-Biografie von Napoleons Generalstabschef Berthier präsentiert den Mann, der 18 Jahre an seiner Seite stand, in einem neuen Licht. Im Kapitel "Was war wann" wird dem Leser ein deutschsprachiger kalendarischer Überblick über die Napoleon-Zeit ab 1793 geboten. Wie ein roter Faden zieht sich die Geschichte Bayerns durch die napoleonische Zeit, in der Bayern als Bundesgenosse Frankreichs sehr profitiert hat. Eine späte Folge der Säkularisation ist die Entdeckung des Tegernseer Tals nach dem Erwerb des geplünderten Klosters Tegernsee 1817 durch den König von Bayern - geschildert im Kapitel "Ein Sommerschloss am Tegernsee"
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2017Der Bub und der Kaiser
Armin Schroll hat ein Buch über Napoleon Bonaparte verfasst, der ihn schon als
Kind faszinierte. Trotzdem wurde er kein Historiker, sondern Arzt und Chemiker
VON HANS KRATZER
München – Dass der Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte eine monströse historische Gestalt war, das hat Armin Schroll schon als Bub kapiert. Eine alte Napoleon-Biografie aus dem 19. Jahrhundert, die er in der Bibliothek des Vaters aufgestöbert hatte, öffnete ihm früh die Augen. „Dieses Buch zog mich sofort in den Bann“, sagt der 1935 geborene Schroll, dessen Interesse am Mythos Napoleon das ganze Leben lang nicht mehr nachlassen sollte. Aller Publikationen über Napoleon habhaft zu werden, erwies sich allerdings schnell als unmöglich. Allein die Bayerische Staatsbibliothek besitzt 12 707 einschlägige Titel, davon 530 Biografien. Ein Menschenleben würde bei weitem nicht ausreichen, um die schätzungsweise 80 000 Publikationen, die weltweit erschienen sind, auch nur ansatzweise zu lesen. Der Korse hat das schon zu Lebzeiten geahnt, jedenfalls soll er im Exil gesagt haben: „Die Historiker mögen noch so viel unterschlagen und verstümmeln, es wird ihnen doch schwer fallen, mich ganz verschwinden zu machen.“
Die Fülle an Napoleon-Literatur hat Armin Schroll nicht davon abgehalten, selber ein Werk zu verfassen, und noch dazu ein sehr gewichtiges. Es handelt sich sogar um die bisher umfangreichste Napoleon-Biografie in einem Band, sie umfasst immerhin 1012 Seiten. Das ist umso bemerkenswerter, als sich deutsche Historiker viele Jahrzehnte lang mit Napoleon-Biografien zurückgehalten haben. Bis dann vor etlichen Jahren die Journalisten Johannes Willms und Volker Ullrich zwei inhaltlich gewichtige Bände veröffentlichten.
Von Biografien à la Willms und Ullrich, in denen die Quellen analysiert und interpretiert werden, will sich Schroll aber bewusst abheben. Sein Ziel lautet anders: „Ich trage keine persönliche Interpretation historischer Fakten vor, sondern ich lasse allein Napoleon und seine Zeitgenossen anhand von Briefen, Zitaten, Befehlen, Gesprächen, Diplomatenpost, Reden und Proklamationen zu Wort kommen.“ Schroll ist mit Blick auf die Quellen Purist, auf Interpretation kann er gerne verzichten: „Lässt man die Personen reden, erklären sie sich selbst und man versteht unschwer, warum es so oder so gekommen ist.“
Schroll hat sein Material über Jahre hinweg gesammelt, überdies kaufte er alles, was er kriegen konnte. Dabei ist er kein gelernter Historiker, sondern Arzt und Naturwissenschaftler, der an der TU München zuerst Chemie studierte und dann in der Industrie tätig war. Später schob er noch ein Medizinstudium nach, beide Studiengänge schloss er mit einer Promotion ab. Lange Zeit war er als Mediziner in der Herzchirurgie tätig. Die handwerklichen Fähigkeiten, die in diesem Beruf unabdingbar sind, hatte Schroll vom Vater geerbt. „Der war ein großer Bastler“, sagt er. „Er hat alles, was möglich war, selber gebaut.“ Und noch eines kam ihm zugute: Dass er seine Ferien auf dem Bauernhof eines Onkels in der Oberpfalz verbracht hat, wo der schmächtige Bub Bulldog und Bindemäher bedienen musste, wobei ihm das Durchtreten der Kupplung nur mit beiden Füßen gelang. „Das war eine echte Herausforderung“, erinnert er sich. Aber: „Hier habe ich gelernt, was man im späteren Leben braucht, in der Schule hab ich alles gelernt, was man im späteren Leben nicht braucht“, erzählt er schmunzelnd. Null Bock aber war damals nicht angesagt: „Wir waren ganz wild aufs Lernen.“ Das gilt für ihn bis heute, weshalb der Naturwissenschaftler auch als selbstbewusster Historiker seinen Mann steht.
Es liegt nahe, dass der Mediziner Schroll in seinem Buch auch die hoch entwickelte französische Militärmedizin jener Zeit darstellt. Welch fürchterliche Szenen sich einst auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten abspielten, war 2009 in Eggmühl zu sehen, wo Napoleons Schlacht von 1809 und ihre Begleitumstände sehr realistisch nachgestellt wurden.
Die Bayern, deren Geschichte untrennbar mit Napoleon verknüpft ist, dürfte unter anderem das Kapitel über den Marschall Alexander Berthier berühren, über den es bisher nur ein französisches Werk aus dem Jahr 1907 gibt. Dabei stand er viele Jahre als Generalstabschef an Napoleons Seite. Sein Leichnam ruht in der Krypta unter der einstigen Tegernseer Klosterkirche, also im Schutz einer Institution, deren Untergang auch er und Napoleon mit der Säkularisation herbeigeführt hatten.
Überhaupt zieht sich die Geschichte des Bundesgenossen Bayern wie ein roter Faden durch die napoleonische Zeit. Die Prinzessin Auguste Amalie von Bayern wurde sogar Napoleons Schwiegertochter. Auch über sie hat Schroll 2008 eine Biografie verfasst. Dafür wertete er den Briefwechsel Augustes mit ihrem Bruder aus, dem späteren König Ludwig I. „Erst haben sie sich gut vertragen, später waren sie spinnefeind. Weil sie einen Franzosen geheiratet hat“, sagt Schroll. Nicht auszudenken, wie Ludwig I. über Schroll geurteilt hätte, der es gewagt hat, ein so dickes Buch über den französischen Todfeind zu schreiben.
Armin Schroll, Napoleon Bonaparte, AVM - Akademische Verlagsgemeinschaft München, 2017, 1012 Seiten, 49,90 Euro.
Eines der bekanntesten Gemälde von Jacques Louis David (1748–1825) zeigt Napoleon Bonaparte während des Übergangs über den Großen Sankt Bernhard im Mai 1800.
Foto: Belvedere Wien
Armin Schroll, Jahrgang 1935, schrieb die bislang umfangreichste Napoleon-Biografie in einem Band. Seit er lesen kann, beschäftigt sich der Arzt und Naturwissenschaftler mit Napoleon. Sein Buch soll dokumentieren, nicht analysieren. Foto: privat
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Armin Schroll hat ein Buch über Napoleon Bonaparte verfasst, der ihn schon als
Kind faszinierte. Trotzdem wurde er kein Historiker, sondern Arzt und Chemiker
VON HANS KRATZER
München – Dass der Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte eine monströse historische Gestalt war, das hat Armin Schroll schon als Bub kapiert. Eine alte Napoleon-Biografie aus dem 19. Jahrhundert, die er in der Bibliothek des Vaters aufgestöbert hatte, öffnete ihm früh die Augen. „Dieses Buch zog mich sofort in den Bann“, sagt der 1935 geborene Schroll, dessen Interesse am Mythos Napoleon das ganze Leben lang nicht mehr nachlassen sollte. Aller Publikationen über Napoleon habhaft zu werden, erwies sich allerdings schnell als unmöglich. Allein die Bayerische Staatsbibliothek besitzt 12 707 einschlägige Titel, davon 530 Biografien. Ein Menschenleben würde bei weitem nicht ausreichen, um die schätzungsweise 80 000 Publikationen, die weltweit erschienen sind, auch nur ansatzweise zu lesen. Der Korse hat das schon zu Lebzeiten geahnt, jedenfalls soll er im Exil gesagt haben: „Die Historiker mögen noch so viel unterschlagen und verstümmeln, es wird ihnen doch schwer fallen, mich ganz verschwinden zu machen.“
Die Fülle an Napoleon-Literatur hat Armin Schroll nicht davon abgehalten, selber ein Werk zu verfassen, und noch dazu ein sehr gewichtiges. Es handelt sich sogar um die bisher umfangreichste Napoleon-Biografie in einem Band, sie umfasst immerhin 1012 Seiten. Das ist umso bemerkenswerter, als sich deutsche Historiker viele Jahrzehnte lang mit Napoleon-Biografien zurückgehalten haben. Bis dann vor etlichen Jahren die Journalisten Johannes Willms und Volker Ullrich zwei inhaltlich gewichtige Bände veröffentlichten.
Von Biografien à la Willms und Ullrich, in denen die Quellen analysiert und interpretiert werden, will sich Schroll aber bewusst abheben. Sein Ziel lautet anders: „Ich trage keine persönliche Interpretation historischer Fakten vor, sondern ich lasse allein Napoleon und seine Zeitgenossen anhand von Briefen, Zitaten, Befehlen, Gesprächen, Diplomatenpost, Reden und Proklamationen zu Wort kommen.“ Schroll ist mit Blick auf die Quellen Purist, auf Interpretation kann er gerne verzichten: „Lässt man die Personen reden, erklären sie sich selbst und man versteht unschwer, warum es so oder so gekommen ist.“
Schroll hat sein Material über Jahre hinweg gesammelt, überdies kaufte er alles, was er kriegen konnte. Dabei ist er kein gelernter Historiker, sondern Arzt und Naturwissenschaftler, der an der TU München zuerst Chemie studierte und dann in der Industrie tätig war. Später schob er noch ein Medizinstudium nach, beide Studiengänge schloss er mit einer Promotion ab. Lange Zeit war er als Mediziner in der Herzchirurgie tätig. Die handwerklichen Fähigkeiten, die in diesem Beruf unabdingbar sind, hatte Schroll vom Vater geerbt. „Der war ein großer Bastler“, sagt er. „Er hat alles, was möglich war, selber gebaut.“ Und noch eines kam ihm zugute: Dass er seine Ferien auf dem Bauernhof eines Onkels in der Oberpfalz verbracht hat, wo der schmächtige Bub Bulldog und Bindemäher bedienen musste, wobei ihm das Durchtreten der Kupplung nur mit beiden Füßen gelang. „Das war eine echte Herausforderung“, erinnert er sich. Aber: „Hier habe ich gelernt, was man im späteren Leben braucht, in der Schule hab ich alles gelernt, was man im späteren Leben nicht braucht“, erzählt er schmunzelnd. Null Bock aber war damals nicht angesagt: „Wir waren ganz wild aufs Lernen.“ Das gilt für ihn bis heute, weshalb der Naturwissenschaftler auch als selbstbewusster Historiker seinen Mann steht.
Es liegt nahe, dass der Mediziner Schroll in seinem Buch auch die hoch entwickelte französische Militärmedizin jener Zeit darstellt. Welch fürchterliche Szenen sich einst auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten abspielten, war 2009 in Eggmühl zu sehen, wo Napoleons Schlacht von 1809 und ihre Begleitumstände sehr realistisch nachgestellt wurden.
Die Bayern, deren Geschichte untrennbar mit Napoleon verknüpft ist, dürfte unter anderem das Kapitel über den Marschall Alexander Berthier berühren, über den es bisher nur ein französisches Werk aus dem Jahr 1907 gibt. Dabei stand er viele Jahre als Generalstabschef an Napoleons Seite. Sein Leichnam ruht in der Krypta unter der einstigen Tegernseer Klosterkirche, also im Schutz einer Institution, deren Untergang auch er und Napoleon mit der Säkularisation herbeigeführt hatten.
Überhaupt zieht sich die Geschichte des Bundesgenossen Bayern wie ein roter Faden durch die napoleonische Zeit. Die Prinzessin Auguste Amalie von Bayern wurde sogar Napoleons Schwiegertochter. Auch über sie hat Schroll 2008 eine Biografie verfasst. Dafür wertete er den Briefwechsel Augustes mit ihrem Bruder aus, dem späteren König Ludwig I. „Erst haben sie sich gut vertragen, später waren sie spinnefeind. Weil sie einen Franzosen geheiratet hat“, sagt Schroll. Nicht auszudenken, wie Ludwig I. über Schroll geurteilt hätte, der es gewagt hat, ein so dickes Buch über den französischen Todfeind zu schreiben.
Armin Schroll, Napoleon Bonaparte, AVM - Akademische Verlagsgemeinschaft München, 2017, 1012 Seiten, 49,90 Euro.
Eines der bekanntesten Gemälde von Jacques Louis David (1748–1825) zeigt Napoleon Bonaparte während des Übergangs über den Großen Sankt Bernhard im Mai 1800.
Foto: Belvedere Wien
Armin Schroll, Jahrgang 1935, schrieb die bislang umfangreichste Napoleon-Biografie in einem Band. Seit er lesen kann, beschäftigt sich der Arzt und Naturwissenschaftler mit Napoleon. Sein Buch soll dokumentieren, nicht analysieren. Foto: privat
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