Offenbar hat der Neue Mensch sein utopisches Potential in den totalitären Bewegungen des letzten Jahrhunderts nicht erschöpft. Die Frage nach der Perfektibilität des Menschen treibt die Öffentlichkeit weiterhin um, wie sich an den Debatten um künstliche Intelligenz oder die Reproduktionsmedizin und deren bisweilen ressentimentgeladene Zurückweisung ablesen lässt. Dabei artikulieren sich Ängste vor technischen Entwicklungen und den jeweils neuen Unübersichtlichkeiten unserer sozialen Lebenswelten. Das Versprechen einer besseren Welt harrt derweil noch immer seiner Einlösung. Nur in den digitalen Fantasien künstlicher Intelligenz und den utopischen Reichen der Produktwerbung oder der Esoterik scheint die Sehnsucht nach neuen Möglichkeiten und Intensitäten des Menschseins greifbar. Schließlich eignet dem Topos vom Neuen Menschen eine widersprüchliche universale Dimension, die in diesem Essay durch Analysen historischer Quellen, kultureller Texte sowie politischer Debatten freigelegt wird.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christian Thomas lernt in Hans-Joachim Hahns Essay die Geschichte des Traums vom Neuen Menschen kennen, von ihren biblischen Anfängen über das Atomzeitalter und seine Ängste bis zur Genmanipulation und Dystopien a la Houellebecq. Ob spirituelle oder biotechnische Mission, asketisches Selbstfindungsprojekt oder Teil eines totalitären Systems, Hahn fängt die Pläne zur Abschaffung des Altmenschen und zur Zwangsoptimierung mittels Texten von Schriftstellern und Philosophen ein, deren Lektüre Thomas mitunter für kursorisch hält. Auch wenn der Autor den Menschenparkgedanken eines Peter Sloterdijk kritisch sieht, meint Thomas, allzu harmlos fällt seine Sicht auf Herbert Marcuse und dessen Heilsversprechen sowie andere totalitäre und antiautoritäre Anmaßungen aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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