Kein Jahrgang ohne Klassenkasper, kein Kartenspiel ohne Joker, keine Regel ohne Ausnahme - Narren kommen in den besten Familien vor. Vorwärtsgetrieben von ihren törichten Träumen, kämpfen sie gegen wechselnde Windmühlen, Götter, staatliche Behörden oder andere dubiose Übermächte. In seinem aberwitzigen Kompendium der weltlichen und geistlichen Narretei sammelt Ulrich Holbein die unglaublichen Lebensgeschichten von über dreihundert lebenden und historischen Persönlichkeiten. Er läßt unterschätzte Übermenschen aus den Nebeln der Weltgeschichte hervortreten und wirft neues Licht auf bewährte Heilige wie Franz von Assisi, den Dalai Lama oder Pater Anselm Grün. Die Viten von Laozi, Kaspar Hauser, Peter Handke bis Osama bin Laden bieten Stoff für dieses hochamüsante und welthaltige Erzählwerk. Ein gigantomanisches Sammelsurium kultureller Kuriosa, in dem sich Prinz Charles neben Sexguru Osho, Mohammed Ali neben Nina Hagen und Papst Benedikt XVI. Seite an Seite mit Till Eulenspiegel findet. Eine unverzichtbare Fundgrube für die Liebhaber kurioser Enzyklopädien, eine raffiniert wissensstrotzende Summa summarum der Torheiten und Genialitäten der Weltgeschichte, von A bis Zett erzählt von Ulrich Holbein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2008Der Weltwiederverzauberer
Nur von Narren lohnt es sich zu erzählen: Ulrich Holbeins "Narratorium", ein Haupt- und Sonderwerk
In diesem Kopf möchte man mal wohnen. Zwei, drei Tage vielleicht nur, dann würde es einem wohl doch etwas zu bunt und gefährlich zwischen all den Zickzackdenkern, Massenmördern, Schwadroneuren, Genies, Alleindenkern, Päpsten, Irren, Weltbeglückern. Kinder, ist da was los, im Kopf von Ulrich Holbein und in seiner Bibliothek. Der Mann ist: Essayist, Sprachbeobachter, Erzähler, Langhaarträger, Lebenskolumnist, 55 Jahre alter Eremit im nordhessischen Knüllgebirge, sanfter Mensch mit sanfter Stimme. Und vor einer Weile hat er beschlossen, das Personal seiner Welt einmal schön zu sortieren, in eine Art Ordnung zu bringen und ein Lexikon der wunderlichen Personen zusammenzustellen, von verrückten Visionären, von Gurus und von Narren - ein Narratorium.
Hier wird grundsätzlich nicht geradeaus gedacht, sondern ständig abgebogen, in lächerliche Höhen gestiegen und in Abgründe hinein, Gedankenexperimente, Lebensexperimente, einfach anders als alle. "Aber warum sehn die alle so glücklich aus?", fragt Holbein sich im Vorwort selbst. Um gleich zu antworten: "Weil sie rosarote Brillen aufhaben, Flöhe im Ohr, Rosinen im Kopf und verblüffend wenig Tassen im Schrank. Sie strampeln sich aus Zwangsjacken frei. Diese glühenden Augen! Wofür demonstrieren die alle?"
Oh, das wird auch nach 1007 Seiten nicht viel klarer geworden sein. Jeder demonstriert für sich, für seinen eigenen Wahn, seine eigene Idee von der Welt. 255 Lebensläufe hat Ulrich Holbein zusammengeschrieben, so wie es noch keiner vor ihm geschrieben hat. Es treten auf: Xerxes und Merlin, Peter Handke und Joseph Ratzinger, Salvador Dalí und Demokritos, Adolf Hitler und Holly Golightly und unendlich viele Schaumköpfe, Unheils- und Heilsbringer mehr. Aufnahmekriterium im "Narratorium" ist: Andersdenker. Und Holbein schreibt, verkürzt, dichtet und verdichtet diese Lebensgeschichten auf seine Art. Er beginnt, schön alphabetisch, mit Dennis Abner, einem Katzenfreund aus San Diego, der sich für seine Freundin, die Disneys Dschungelbuch sehr liebte, dem Tiger Shirkan anverwandeln ließ. Zweitausend Tattoo-Stunden, sechs chirurgische Eingriffe, künstliche Hasenscharte, Schnurrborsten und Reißzähne ließ er sich herbeioperieren, der Weisheitsformel "Tat twam asi" auf seine Weise folgend: "Du bist diese Katze, also werde Katze!" Wie seine Freundin die ganze Sache fand, steht leider nicht dabei.
Schon geht es weiter, über Abraham a Santa Clara: "Selbst Schönheit machte er mies" und Herbert Achternbusch: "In seinen über 22 Filmen und Textbüchern (Kamera: Wer grad eine Hand frei hatte) ließ er Frauen in weißen Nachthemden auf echten Nilpferden reiten"; zu Idi Amin: "Wen er zum Wettschwimmen nötigte, ließ ihn sicherheitshalber gewinnen" und Emile M. Cioran: "Andere schufteten; er litt. Andere hatten Probleme; er machte sich welche, gestürzt ins Unglück, bevor es eintrat."
Das alles macht einen beim Lesen auf die Dauer total verrückt. Man sehnt sich zwischendurch immer mal wieder nach einem kleinen Durchschnittsgenie, einem Sachlichkeitslebenslauf. Holbein ahnt das natürlich selbst. In einer Mail, die er als eine Art Lesehilfe verschickt hat, schreibt er: "Wer die Polyrhythmik der Subebenen und Lesarten nicht durchhören kann, hört nur nerviges Gedröhn bis zum Brechreiz." Was dann aber natürlich an den trotteligen Dauerlesern und Rezensenten liegt. Das "Narratorium" ist ein Buch zum Hin-und-Her-Lesen, zum Herauslesen sonderbarer Kleinigkeiten, zum Lebenslaufverknüpfen, per Verweispfeil wird man ständig von einem Leben in ein anderes geworfen. Überforderung ist gewünscht: "Ich habs aber so gemacht, daß Trommelfeuer und Überreizung - insofern auch Prüfstein und Vivisektion: was hält einer durch, bis er etwas erlebt, was ihm bisher entging - in ein Delirium hineinzwingen, das selbst dumpfen oder auch transzendenzkritischen Sensorien dann plötzlich die Gabe des Umkippens in 3-D-Sehen und ins plötzliche Rhythmushörenkönnen abverlangt oder gewährt."
So stellt sich Holbein selbst das Leseerlebnis seines Buches vor. Das Buch als Droge, wenn wir das jetzt richtig verstehen. Als eine Art Dauerdroge, eine Bewusstseinserweiterung, die bleibt. Und - ja, so kann man es lesen, das "Narratorium", das Lexikon als Wahnwitz und Erleuchtung. In dem übrigens natürlich keineswegs nur Heldengeschichten stehen. Ganz im Gegenteil. Am besten kann Holbein eigentlich verdammen: Handke, Hitler, Steiner, Beuys werden alle aus ihren Wolkenhäusern geworfen. Handke: "Im Sensibilitätssimulator Handke bewunderten sie einen gröblicheren Rilke, als sie vielleicht verdient hätten. Frauen im OEuvre dienten als Leserin, Dienerin, Quartiermacherin, ,schönes, junges Ding'. Oft spürte die aggressive Mimose den Impuls, dem Nächstbesten ins Gesicht zu schlagen. Ein Lektor, den er tatsächlich ohrfeigte, wusch sich tagelang das Ehrenmal nicht von der Wange." Über Hitler: "Er senkte Buchautorenhonorare von 20 auf 10 % (was man nach 1945 stillschweigend beibehielt)". Ungerechtfertigterweise wird auch die heldenhafte kalifornische Baumsitzerin Julia Butterfly Hill nach zweijährigem Baumsitzen von Holbein verhöhnt: "Darüber, daß auch für das Toilettenpapier, das Julia auf ihrem Baum Luna verbrauchte, Bäume gefällt werden mußten, reflektierte sie nicht." Und in ihrem Buch habe die Baumfee viel "Gutmensch-Schmus" zusammengetragen.
Doch keinen trifft Holbein-Hass und Holbein-Verachtung so hart wie Peter Sloterdijk. Denn dieser Mann und Schaumgelehrte, so wie der "Narratoriums"-Herr es sieht, hätte alles groß und neu und lustig denken können, so wie Holbein es sich wünscht. Als "Strubbelfreak im Schlabberlook" war er der Mann "mit Typoskripten in der Alditüte", die verstaubte Gelehrtenwelt "mit betont fröhlicher Wissenschaft aufzumischen". Doch: "Um ernstgenommen zu werden, statt bloß als Sektenchef und Clown zu rangieren, mußte PS Seele verkaufen. Humor, obwohl er welchen hatte, hielt er klein." Für ZDF und Karriere und Podien und Vernunft hat Holbeins Hoffnung alles aufgegeben. Sloterdijk heute: alles Show, alles Schaum, große Worte, kleine Gedanken, und "wenn er abends Pfauenfedern abschminkte, hing er ganz normal beim Hausitaliener ,Tartuffo bianco' ab".
Ein trauriges Ex-Närrchen in dieser großen Narrenwelt. Das Bewusstsein erweitert uns dieser Mann nicht mehr. Weiter im Text, weiter, schließlich zu Uliversum Unwiederholbein, jaaa, ein etwas drolliges Pseudonymchen für den Autor, aber schön, so sieht er sich und sein Leben: "Der schlagersingende Tiernarr wurde streichquartettsüchtiger Sozialpädagoge, dann Theologe, dazwischen auch Librettist, Ikonologe, davor, danach und jederzeit: Extremnostalgiker: Seit er in griechischer Felslandschaft ins Filmset einer Mittelalterszene hineinlief, sehnte er sich nach schöneren Zeiten, egal wohin, Hauptsache vorbei."
Und dieses Vorbei irgendwie in die Gegenwart hineinzuzaubern, hinüberzudichten aus einer unerreichbaren, ewig unwirklichen Welt zurück zu uns, zurück in diese Welt, das ist das traurig-optimistische Programm des "Narratoriums" und Holbeins wahrer Wunderwelt. Und wer wollte bezweifeln, dass das wahr ist: "Die Rückkehr des Mittelalters macht Fortschritte, aber die Wiederverzauberung der Welt läßt auf sich warten."
VOLKER WEIDERMANN
Ulrich Holbein: "Narratorium". Ammann-Verlag, 1007 Seiten, 39,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nur von Narren lohnt es sich zu erzählen: Ulrich Holbeins "Narratorium", ein Haupt- und Sonderwerk
In diesem Kopf möchte man mal wohnen. Zwei, drei Tage vielleicht nur, dann würde es einem wohl doch etwas zu bunt und gefährlich zwischen all den Zickzackdenkern, Massenmördern, Schwadroneuren, Genies, Alleindenkern, Päpsten, Irren, Weltbeglückern. Kinder, ist da was los, im Kopf von Ulrich Holbein und in seiner Bibliothek. Der Mann ist: Essayist, Sprachbeobachter, Erzähler, Langhaarträger, Lebenskolumnist, 55 Jahre alter Eremit im nordhessischen Knüllgebirge, sanfter Mensch mit sanfter Stimme. Und vor einer Weile hat er beschlossen, das Personal seiner Welt einmal schön zu sortieren, in eine Art Ordnung zu bringen und ein Lexikon der wunderlichen Personen zusammenzustellen, von verrückten Visionären, von Gurus und von Narren - ein Narratorium.
Hier wird grundsätzlich nicht geradeaus gedacht, sondern ständig abgebogen, in lächerliche Höhen gestiegen und in Abgründe hinein, Gedankenexperimente, Lebensexperimente, einfach anders als alle. "Aber warum sehn die alle so glücklich aus?", fragt Holbein sich im Vorwort selbst. Um gleich zu antworten: "Weil sie rosarote Brillen aufhaben, Flöhe im Ohr, Rosinen im Kopf und verblüffend wenig Tassen im Schrank. Sie strampeln sich aus Zwangsjacken frei. Diese glühenden Augen! Wofür demonstrieren die alle?"
Oh, das wird auch nach 1007 Seiten nicht viel klarer geworden sein. Jeder demonstriert für sich, für seinen eigenen Wahn, seine eigene Idee von der Welt. 255 Lebensläufe hat Ulrich Holbein zusammengeschrieben, so wie es noch keiner vor ihm geschrieben hat. Es treten auf: Xerxes und Merlin, Peter Handke und Joseph Ratzinger, Salvador Dalí und Demokritos, Adolf Hitler und Holly Golightly und unendlich viele Schaumköpfe, Unheils- und Heilsbringer mehr. Aufnahmekriterium im "Narratorium" ist: Andersdenker. Und Holbein schreibt, verkürzt, dichtet und verdichtet diese Lebensgeschichten auf seine Art. Er beginnt, schön alphabetisch, mit Dennis Abner, einem Katzenfreund aus San Diego, der sich für seine Freundin, die Disneys Dschungelbuch sehr liebte, dem Tiger Shirkan anverwandeln ließ. Zweitausend Tattoo-Stunden, sechs chirurgische Eingriffe, künstliche Hasenscharte, Schnurrborsten und Reißzähne ließ er sich herbeioperieren, der Weisheitsformel "Tat twam asi" auf seine Weise folgend: "Du bist diese Katze, also werde Katze!" Wie seine Freundin die ganze Sache fand, steht leider nicht dabei.
Schon geht es weiter, über Abraham a Santa Clara: "Selbst Schönheit machte er mies" und Herbert Achternbusch: "In seinen über 22 Filmen und Textbüchern (Kamera: Wer grad eine Hand frei hatte) ließ er Frauen in weißen Nachthemden auf echten Nilpferden reiten"; zu Idi Amin: "Wen er zum Wettschwimmen nötigte, ließ ihn sicherheitshalber gewinnen" und Emile M. Cioran: "Andere schufteten; er litt. Andere hatten Probleme; er machte sich welche, gestürzt ins Unglück, bevor es eintrat."
Das alles macht einen beim Lesen auf die Dauer total verrückt. Man sehnt sich zwischendurch immer mal wieder nach einem kleinen Durchschnittsgenie, einem Sachlichkeitslebenslauf. Holbein ahnt das natürlich selbst. In einer Mail, die er als eine Art Lesehilfe verschickt hat, schreibt er: "Wer die Polyrhythmik der Subebenen und Lesarten nicht durchhören kann, hört nur nerviges Gedröhn bis zum Brechreiz." Was dann aber natürlich an den trotteligen Dauerlesern und Rezensenten liegt. Das "Narratorium" ist ein Buch zum Hin-und-Her-Lesen, zum Herauslesen sonderbarer Kleinigkeiten, zum Lebenslaufverknüpfen, per Verweispfeil wird man ständig von einem Leben in ein anderes geworfen. Überforderung ist gewünscht: "Ich habs aber so gemacht, daß Trommelfeuer und Überreizung - insofern auch Prüfstein und Vivisektion: was hält einer durch, bis er etwas erlebt, was ihm bisher entging - in ein Delirium hineinzwingen, das selbst dumpfen oder auch transzendenzkritischen Sensorien dann plötzlich die Gabe des Umkippens in 3-D-Sehen und ins plötzliche Rhythmushörenkönnen abverlangt oder gewährt."
So stellt sich Holbein selbst das Leseerlebnis seines Buches vor. Das Buch als Droge, wenn wir das jetzt richtig verstehen. Als eine Art Dauerdroge, eine Bewusstseinserweiterung, die bleibt. Und - ja, so kann man es lesen, das "Narratorium", das Lexikon als Wahnwitz und Erleuchtung. In dem übrigens natürlich keineswegs nur Heldengeschichten stehen. Ganz im Gegenteil. Am besten kann Holbein eigentlich verdammen: Handke, Hitler, Steiner, Beuys werden alle aus ihren Wolkenhäusern geworfen. Handke: "Im Sensibilitätssimulator Handke bewunderten sie einen gröblicheren Rilke, als sie vielleicht verdient hätten. Frauen im OEuvre dienten als Leserin, Dienerin, Quartiermacherin, ,schönes, junges Ding'. Oft spürte die aggressive Mimose den Impuls, dem Nächstbesten ins Gesicht zu schlagen. Ein Lektor, den er tatsächlich ohrfeigte, wusch sich tagelang das Ehrenmal nicht von der Wange." Über Hitler: "Er senkte Buchautorenhonorare von 20 auf 10 % (was man nach 1945 stillschweigend beibehielt)". Ungerechtfertigterweise wird auch die heldenhafte kalifornische Baumsitzerin Julia Butterfly Hill nach zweijährigem Baumsitzen von Holbein verhöhnt: "Darüber, daß auch für das Toilettenpapier, das Julia auf ihrem Baum Luna verbrauchte, Bäume gefällt werden mußten, reflektierte sie nicht." Und in ihrem Buch habe die Baumfee viel "Gutmensch-Schmus" zusammengetragen.
Doch keinen trifft Holbein-Hass und Holbein-Verachtung so hart wie Peter Sloterdijk. Denn dieser Mann und Schaumgelehrte, so wie der "Narratoriums"-Herr es sieht, hätte alles groß und neu und lustig denken können, so wie Holbein es sich wünscht. Als "Strubbelfreak im Schlabberlook" war er der Mann "mit Typoskripten in der Alditüte", die verstaubte Gelehrtenwelt "mit betont fröhlicher Wissenschaft aufzumischen". Doch: "Um ernstgenommen zu werden, statt bloß als Sektenchef und Clown zu rangieren, mußte PS Seele verkaufen. Humor, obwohl er welchen hatte, hielt er klein." Für ZDF und Karriere und Podien und Vernunft hat Holbeins Hoffnung alles aufgegeben. Sloterdijk heute: alles Show, alles Schaum, große Worte, kleine Gedanken, und "wenn er abends Pfauenfedern abschminkte, hing er ganz normal beim Hausitaliener ,Tartuffo bianco' ab".
Ein trauriges Ex-Närrchen in dieser großen Narrenwelt. Das Bewusstsein erweitert uns dieser Mann nicht mehr. Weiter im Text, weiter, schließlich zu Uliversum Unwiederholbein, jaaa, ein etwas drolliges Pseudonymchen für den Autor, aber schön, so sieht er sich und sein Leben: "Der schlagersingende Tiernarr wurde streichquartettsüchtiger Sozialpädagoge, dann Theologe, dazwischen auch Librettist, Ikonologe, davor, danach und jederzeit: Extremnostalgiker: Seit er in griechischer Felslandschaft ins Filmset einer Mittelalterszene hineinlief, sehnte er sich nach schöneren Zeiten, egal wohin, Hauptsache vorbei."
Und dieses Vorbei irgendwie in die Gegenwart hineinzuzaubern, hinüberzudichten aus einer unerreichbaren, ewig unwirklichen Welt zurück zu uns, zurück in diese Welt, das ist das traurig-optimistische Programm des "Narratoriums" und Holbeins wahrer Wunderwelt. Und wer wollte bezweifeln, dass das wahr ist: "Die Rückkehr des Mittelalters macht Fortschritte, aber die Wiederverzauberung der Welt läßt auf sich warten."
VOLKER WEIDERMANN
Ulrich Holbein: "Narratorium". Ammann-Verlag, 1007 Seiten, 39,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicht erwärmen kann sich Burkhard Müller für Ulrich Holbeins voluminöses "Narratorium". Das Unterfangen, eine Art Enzyklopädie der Narren der Welt zu erstellen, hält er durchaus für reizvoll. Aber Holbeins Umsetzung dieses Projekts scheint ihm wenig gelungen. Er vermisst nicht nur Urteilskraft und Trennschärfe, sondern auch den "moralistischen Fonds", der nötig wäre, um ein "erkennbares Ziel" zu erreichen. Außerdem hält er Holbein vor, recht "gemütlich" vorzugehen. Gute Satire sieht für Müller jedenfalls anders aus. Den Artikel über Papst Benedikt XVI. etwa beurteilt er als "Kabarett vom Borniertesten". Auch mit den Einträgen über Karl Kraus, Rilke, Gerhart Polt und viele andere zeigt er sich nicht einverstanden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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