Schräge Vögel und brave Bürger bevölkern dieses Buch, in dem Großstadt und familiäres Zusammenleben, Jung und Alt, Leben in der Mitte der Gesellschaft und am Rande der Armut erzählerisch zusammenfinden.Die Leute in diesem Roman sind ganz normale Narren: ein Ehemann mit nächtlichen Albträumen, eine gestresste Pharmavertreterin, ein verliebter Rechtsanwalt, eine Alte mit dem Kopf voll Erinnerungen oder ein Museumsbesucher, der vor Bildern auf die Knie fallen will. Ein Roman aus bunten, nicht selten komischen Geschichten. 28 Leute werden uns mit beiläufiger Präzision in ihren großen und kleinen Nöten und Träumen vorgestellt. Oder sie erhalten selbst das Wort, und wir hören sie sprechen mit jeweils sehr eigener Stimme - witzig, anmaßend, nachdenklich oder überspannt und manchmal alles zugleich. Ein vielstimmiger Chor entsteht, dissonant mitunter, aber schnell wird deutlich, dass es Verbindungen untereinander gibt. Die Leute arbeiten miteinander, sind befreundet oder verwandt, wenn auch manchmal über mehrere Ecken. Oder es begegnen sich ganz Fremde im Stadtgetümmel und nehmen sich für einen Augenblick als Zeitgenossen wahr, die nicht nur Ort und Zeit miteinander teilen, sondern auf verrückte Weise miteinander zu tun haben.Sabine Peters webt einen ungemein vielfältigen und welthaltigen Erzählteppich, sie entwirft scharfe individuelle Konturen und hat einen ausgeprägten Sinn für das Kleine, Versehrte. Und doch gibt es hier die Ahnung von Gemeinsamkeit und gelingendem Leben, von einem großen Gespräch zwischen den Generationen und Schichten der Gesellschaft.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Sabine Peters' neuem Episodenroman "Narrengarten" hat Rezensentin Jutta Person ein ebenso vergnügliches wie anrührendes "Gedankendurcheinander" gelesen, in dem ihr ein kurioses Ensemble an Figuren von "kaurismäkihafter" Verschrobenheit begegnet. Gerlinde etwa, die abgeklärte Bibliothekarin, die ihre Besucher bissig bewertet, aber doch schätzt. Oder die Schriftstellerin Marie, wohl das Alter Ego der Autorin, die 22 Jahre lang mit einem 2008 verstorbenen Schriftsteller verheiratet war. Die Kritikerin erkennt bald, dass all die Figuren, die knapp in ihrer Alltagstragik skizziert werden, in einem Verhältnis zu dem Schriftsteller-Ehepaar stehen. Auch wenn Peters gelegentlich die ein oder andere Milieustudie oder Stimmungsskizze zu "mitfühlend" gerät, bewundert Person die Autorin für ihren verträumt-bodenständigen Tonfall, der ganz ohne Kitsch auskommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2013Jahrmarkt der Uneitlen
Wechseljahre: Mit Sabine Peters im "Narrengarten"
Der Umschlag zeigt das turbulente Treiben des Jahrmarkts: wilde und zahme Karussells, Schieß- und Spielbuden und deutlich lesbar das Schild einer Bratwurstbude. Und wer sich auf Personenidentifikation versteht, wird darauf auch den Mann mit der Schiffermütze sehen, Hand in Hand mit dem guten Bürger mit Hut, Schlips und Kragen. Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.
"Narrengarten" hat Sabine Peters ihr Buch genannt und es als "Roman" deklariert, was insofern eine etwas eigenwillige Bezeichnung ist, als dass hier nicht eine im Großen und Ganzen ineinander verwobene Geschichte erzählt, sondern eher ein Fotoalbum in sechsundzwanzig Episoden aufgeblättert wird. "Dom" heißt dieses Spielfeld des Volksvergnügens in Hamburg. Und die Gäste sind Piet und Mareike, Paul, Sonja, Andrea, Bernd, Hermine mit dem roten Haar sowie Christa und Klaus. Auch eine Frau Ahab ist dabei aus morgenländischer Ferne und ebenso Nazim, Insa oder Nadine, und nicht zuletzt dann wieder Frau Müller aus Flottbek sowie Heiko, der "Doktor jur. aal. glatt", was mit Fisch von der Nordsee indes nichts zu tun hat. Die Männer sind bereits auf dem Weg in den zweiten Frühling, die Frauen in die Wechseljahre. "Sie steigen in eine der Gondeln, schweben langsam in die Höhe. Unter ihnen die grellen Buden, das Bismarck-Denkmal, die Elbe mit den falschen Mississippi-Dampfern. Weiter Blick über die Stadt. Heller Himmel, alles ganz klar, kein Schwindel." Und natürlich gehört die Hamburger Kunsthalle dazu ebenso wie die Baustelle der Elbphilharmonie.
Seinem Wesen nach ist das alles ein Patchwork-Porträt einer Stadt, das Sabine Peters angelegt hat, mit mehr als fünfzig Personen, zu denen dann noch ein paar literarische Orientierungsgestalten treten. Wenn Vera fragt: "War es nicht Hölderlin mit dem heilignüchternen Wasser?" erhält sie von Judith zur Antwort: "Der hat bestimmt nicht an Chlor gedacht." Denn was für junge Frauen heutzutage zählt, ist bei Peters der Swimmingpool. Dennoch werden da und dort künstlerische Markierungen gesetzt. Bei Almut dreht zum Beispiel Maurice Ravel in seinem Bolero "endlos Kreise", was er ja eigentlich gerade nicht tut, sondern seine Kreise raffiniert zum absoluten Ende steigert. Amateurmusiker Florian wiederum versucht, Bachsche Musik rückwärts zu pfeifen, bis ihm Frau Bauer solcherlei streng verweist: "Bist du närrisch?"
Der Narrengarten des Buches bekommt so nach und nach seine Bewohner. Aber auch Fragen versuchen, ein eigenes Maß für die Hamburger Musikszene herzustellen: "Woran denken die Leute, die hier ein Konzert absitzen? An ihre feuchte Wäsche, die im Knitterschutz-Modus in der Maschine wartet und die sie nachher noch aufhängen müssen." Der Alltag als Störer des Schönen? Was stört, ist offenbar wirklich Alltag, sind die "Mühen der Ebenen". So jedenfalls lautet der Titel des drittletzten Kapitels von Sabine Peters' Buch, womöglich eine Anspielung auf Erich Loests Roman "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" aus dem Jahr 1977.
Das zweitletzte Kapitel trägt dann speziell noch einmal die thematische Überschrift "Narrengarten". Dort wird vom Leben des Doktor Friedo erzählt, der sich um die Seelenkranken sorgt, dessen größte Sorge es aber ist, dass die Patienten nicht sein Wissen und seine Sorge zu brauchen scheinen, sondern lieber Psychopharmaka schlucken. Bis dann das letzte Kapitel "Wohlan denn, Herz" mit diesem Ausruf zum versöhnlichen Ausklang beiträgt. Denn darin ist die Rede von Regine, die in die Welt hinauszieht, jene junge Frau, von der ihre Mutter denkt und sagt: "Meine Tochter ist nicht friedfertig. Sie ist kritisch, ehrgeizig und tüchtig. Deutscher als deutsch." Und deshalb treibt es sie hinaus in die Welt, um sich unter den Menschen anderer Länder zu bewähren. Als Legitimation wählt Sabine Peters aus ihrer Perspektive dann jedoch zusätzlich noch Hermann Hesse: "Es muss das Herz bereit sein für den Neubeginn." Und das versucht sie dann auszubalancieren mit dem letzten Satz ihres Buches: "Aber Regine kommt doch erst." Was freilich, wie dieses ganze Kaleidoskop an Charakteren und Begebenheiten des norddeutschen Lebens, mehr Fragen öffnet, als sie beantwortet.
GERHARD SCHULZ
Sabine Peters: "Narrengarten". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wechseljahre: Mit Sabine Peters im "Narrengarten"
Der Umschlag zeigt das turbulente Treiben des Jahrmarkts: wilde und zahme Karussells, Schieß- und Spielbuden und deutlich lesbar das Schild einer Bratwurstbude. Und wer sich auf Personenidentifikation versteht, wird darauf auch den Mann mit der Schiffermütze sehen, Hand in Hand mit dem guten Bürger mit Hut, Schlips und Kragen. Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.
"Narrengarten" hat Sabine Peters ihr Buch genannt und es als "Roman" deklariert, was insofern eine etwas eigenwillige Bezeichnung ist, als dass hier nicht eine im Großen und Ganzen ineinander verwobene Geschichte erzählt, sondern eher ein Fotoalbum in sechsundzwanzig Episoden aufgeblättert wird. "Dom" heißt dieses Spielfeld des Volksvergnügens in Hamburg. Und die Gäste sind Piet und Mareike, Paul, Sonja, Andrea, Bernd, Hermine mit dem roten Haar sowie Christa und Klaus. Auch eine Frau Ahab ist dabei aus morgenländischer Ferne und ebenso Nazim, Insa oder Nadine, und nicht zuletzt dann wieder Frau Müller aus Flottbek sowie Heiko, der "Doktor jur. aal. glatt", was mit Fisch von der Nordsee indes nichts zu tun hat. Die Männer sind bereits auf dem Weg in den zweiten Frühling, die Frauen in die Wechseljahre. "Sie steigen in eine der Gondeln, schweben langsam in die Höhe. Unter ihnen die grellen Buden, das Bismarck-Denkmal, die Elbe mit den falschen Mississippi-Dampfern. Weiter Blick über die Stadt. Heller Himmel, alles ganz klar, kein Schwindel." Und natürlich gehört die Hamburger Kunsthalle dazu ebenso wie die Baustelle der Elbphilharmonie.
Seinem Wesen nach ist das alles ein Patchwork-Porträt einer Stadt, das Sabine Peters angelegt hat, mit mehr als fünfzig Personen, zu denen dann noch ein paar literarische Orientierungsgestalten treten. Wenn Vera fragt: "War es nicht Hölderlin mit dem heilignüchternen Wasser?" erhält sie von Judith zur Antwort: "Der hat bestimmt nicht an Chlor gedacht." Denn was für junge Frauen heutzutage zählt, ist bei Peters der Swimmingpool. Dennoch werden da und dort künstlerische Markierungen gesetzt. Bei Almut dreht zum Beispiel Maurice Ravel in seinem Bolero "endlos Kreise", was er ja eigentlich gerade nicht tut, sondern seine Kreise raffiniert zum absoluten Ende steigert. Amateurmusiker Florian wiederum versucht, Bachsche Musik rückwärts zu pfeifen, bis ihm Frau Bauer solcherlei streng verweist: "Bist du närrisch?"
Der Narrengarten des Buches bekommt so nach und nach seine Bewohner. Aber auch Fragen versuchen, ein eigenes Maß für die Hamburger Musikszene herzustellen: "Woran denken die Leute, die hier ein Konzert absitzen? An ihre feuchte Wäsche, die im Knitterschutz-Modus in der Maschine wartet und die sie nachher noch aufhängen müssen." Der Alltag als Störer des Schönen? Was stört, ist offenbar wirklich Alltag, sind die "Mühen der Ebenen". So jedenfalls lautet der Titel des drittletzten Kapitels von Sabine Peters' Buch, womöglich eine Anspielung auf Erich Loests Roman "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" aus dem Jahr 1977.
Das zweitletzte Kapitel trägt dann speziell noch einmal die thematische Überschrift "Narrengarten". Dort wird vom Leben des Doktor Friedo erzählt, der sich um die Seelenkranken sorgt, dessen größte Sorge es aber ist, dass die Patienten nicht sein Wissen und seine Sorge zu brauchen scheinen, sondern lieber Psychopharmaka schlucken. Bis dann das letzte Kapitel "Wohlan denn, Herz" mit diesem Ausruf zum versöhnlichen Ausklang beiträgt. Denn darin ist die Rede von Regine, die in die Welt hinauszieht, jene junge Frau, von der ihre Mutter denkt und sagt: "Meine Tochter ist nicht friedfertig. Sie ist kritisch, ehrgeizig und tüchtig. Deutscher als deutsch." Und deshalb treibt es sie hinaus in die Welt, um sich unter den Menschen anderer Länder zu bewähren. Als Legitimation wählt Sabine Peters aus ihrer Perspektive dann jedoch zusätzlich noch Hermann Hesse: "Es muss das Herz bereit sein für den Neubeginn." Und das versucht sie dann auszubalancieren mit dem letzten Satz ihres Buches: "Aber Regine kommt doch erst." Was freilich, wie dieses ganze Kaleidoskop an Charakteren und Begebenheiten des norddeutschen Lebens, mehr Fragen öffnet, als sie beantwortet.
GERHARD SCHULZ
Sabine Peters: "Narrengarten". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013Zitterrochen gesucht
In ihrem Episodenroman „Narrengarten“ folgt Sabine Peters den
Verschrobenen und Versehrten durch die Straßen Hamburgs
VON JUTTA PERSON
Etwa zehn Besucher, Durchschnittsalter fünfzig Jahre. Zwei Gebetsketten, ein Rastajüngling. Das riecht hier wie in einem Pantherkäfig, und es ist nicht der obdachlose Stotterer in seiner Ecke, den kenn ich. Einmal hat er das Ende der Öffnungszeiten verschlafen, ich musste ihn wecken. Tu-tu-tut mir l-l-leid.“ Die Gebetsketten und das Stotter-Imitat sind nicht abwertend gemeint, im Gegenteil. Gerlinde, die freundlich-abgeklärte Bibliothekarin einer Hamburger Stadtteilbücherei, schätzt ihre Besucher. Nichts Lesendes ist ihr fremd, vom zittrigen Pensionär im Karojackett bis zur herrischen Upperclass-Mutti, die sich um den Abi-Lehrstoff ihrer Tochter kümmert.
Gerlinde eröffnet den Reigen in Sabine Peters’ Episodenroman „Narrengarten“, und viele Figuren, die ihren Gedankenstrom bevölkern, tauchen in den folgenden Kapiteln wieder auf. Der Karojackettträger versucht, die Schnapsflaschen an der Lebensgefährtin vorbei in die Wohnung zu schmuggeln, die Tochter der Upperclassmutti sitzt einsam pubertierend in einem Park an der Außenalster. Und so geht es immer weiter: Grade noch rauscht dem Chef die Sekretärin durch den Kopf, schon wird sie zur Hauptfigur des nächsten Kapitels. Scheinbar zufällig springt die Erzählstimme vom einen auf die andere über und erfasst die Alltagstragik jeder Gestalt mit einer knappen Nahaufnahme. Die leicht oder auch schwer Angeschlagenen bilden eine Mehrheit, ohne dass der Ton deshalb ins große Außenseiter-Tremolo kippte. Menschen ziehen vorüber wie Wolken, sorgsam beobachtet, manchmal mit Witz, manchmal mit Wehmut ins Offene entlassen.
In seinen besten Momenten umhüllt der Roman seine Figuren mit kaurismäkihafter Verschrobenheit. „Zwei Bullen im lockeren Sheriff-Gang und bei den Souvenirbuden das Drängen um die Ständer mit Schals. Die Behausten und die Unbehausten gehen ihrer Wege, Tauben tucken“, denkt sich der Obdachlose. Mittlerweile sitzt er am Rathausmarkt beim Heine-Denkmal und fasst die Großwetterlage zusammen: „Aufgerissene Wolkendecke, die Sonne weiß nicht, wen sie bescheint.“
Gelegentlich kippt der Ton dann doch, zum Beispiel, wenn der Eifer zweier sich unterhaltender Pädagoginnen allzu sehr um Zustimmung für die gute Sache wirbt. Dann werden Milieubeschreibung und Stimmungsskizze um genau jene Nuance zu mitfühlend, die der Roman ansonsten vermeidet. Wie viel Empathie die grundverschiedenen, mehr oder weniger verbogenen Lebensläufe vertragen, wird von Figur zu Figur neu erprobt.
Die scheinbare Zufälligkeit der 26 Übersprünge hat allerdings System; die vermeintlich weit voneinander entfernten Desperados kennen sich oder sind über ein, zwei Ecken miteinander verbandelt. Vor allem aber zeichnet sich allmählich ein Verwandtschafts-Organigramm ab, in dessen Zentrum eine Schriftstellerin namens Marie steht. Sie war 22 Jahre mit Rupert verheiratet, einem ehemals bekannten Schriftsteller, der 2008 starb. Die meisten Figuren sind Freunde oder Verwandte des Paares, das im ostfriesischen Rheiderland und zuletzt in Hamburg lebte. Marie nennt ihren sehr viel älteren Ehemann „die Heimat“ und widmet ihm eine Heimat-Ansprache, die gleichzeitig eine Totenklage ist.
Sabine Peters, Jahrgang 1961, hat in den neunziger Jahren erste Prosaskizzen veröffentlicht; sie war viele Jahre mit dem 2008 verstorbenen Schriftsteller Christian Geissler verheiratet. Ihr literarisches Alter Ego Marie hat sie schon mehrmals auftauchen lassen, so auch in ihrem vor drei Jahren erschienenen Roman „Feuerfreund“. Dort ging es ums Abschiednehmen von Rupert, um politische Kritik aus der Geborgenheit des Landlebens heraus – und um die Frage, ob und wie man einem Toten überhaupt literarisch gerecht werden kann. Peters schreibt nah an ihrer Lebenswelt, mit einem lakonischen Realismus, der die Figuren sprachlich verdichtet und verschiebt. Das ist oft auch ziemlich komisch: Das derangierte Karojackett soll beim Kreuzworträtsel helfen, ein Knorpelfisch mit zwölf Buchstaben fehlt – der Zitterrochen.
In „Narrengarten“ macht vor allem das geschickt angelegte Zickzack zwischen den Figuren und den Hamburger Milieus - jedes voller Narren – den Reiz aus. Am Ende freut sich die Putzfrau Elena auf den Besuch ihrer Tochter, die in England studiert. Elena kauft Lammfleisch in St. Georg, sehnt sich nach dem Himmel in Kasachstan und fiebert ihrer Tochter entgegen – „heute Abend gibt es Plow. Ihr Lieblingsessen“. Ein gelungenes Gedankendurcheinander, anrührend und dabei unkitschig in seiner verträumten Bodenständigkeit.
Sabine Peters: Narrengarten. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 238 Seiten, 19 Euro, E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In ihrem Episodenroman „Narrengarten“ folgt Sabine Peters den
Verschrobenen und Versehrten durch die Straßen Hamburgs
VON JUTTA PERSON
Etwa zehn Besucher, Durchschnittsalter fünfzig Jahre. Zwei Gebetsketten, ein Rastajüngling. Das riecht hier wie in einem Pantherkäfig, und es ist nicht der obdachlose Stotterer in seiner Ecke, den kenn ich. Einmal hat er das Ende der Öffnungszeiten verschlafen, ich musste ihn wecken. Tu-tu-tut mir l-l-leid.“ Die Gebetsketten und das Stotter-Imitat sind nicht abwertend gemeint, im Gegenteil. Gerlinde, die freundlich-abgeklärte Bibliothekarin einer Hamburger Stadtteilbücherei, schätzt ihre Besucher. Nichts Lesendes ist ihr fremd, vom zittrigen Pensionär im Karojackett bis zur herrischen Upperclass-Mutti, die sich um den Abi-Lehrstoff ihrer Tochter kümmert.
Gerlinde eröffnet den Reigen in Sabine Peters’ Episodenroman „Narrengarten“, und viele Figuren, die ihren Gedankenstrom bevölkern, tauchen in den folgenden Kapiteln wieder auf. Der Karojackettträger versucht, die Schnapsflaschen an der Lebensgefährtin vorbei in die Wohnung zu schmuggeln, die Tochter der Upperclassmutti sitzt einsam pubertierend in einem Park an der Außenalster. Und so geht es immer weiter: Grade noch rauscht dem Chef die Sekretärin durch den Kopf, schon wird sie zur Hauptfigur des nächsten Kapitels. Scheinbar zufällig springt die Erzählstimme vom einen auf die andere über und erfasst die Alltagstragik jeder Gestalt mit einer knappen Nahaufnahme. Die leicht oder auch schwer Angeschlagenen bilden eine Mehrheit, ohne dass der Ton deshalb ins große Außenseiter-Tremolo kippte. Menschen ziehen vorüber wie Wolken, sorgsam beobachtet, manchmal mit Witz, manchmal mit Wehmut ins Offene entlassen.
In seinen besten Momenten umhüllt der Roman seine Figuren mit kaurismäkihafter Verschrobenheit. „Zwei Bullen im lockeren Sheriff-Gang und bei den Souvenirbuden das Drängen um die Ständer mit Schals. Die Behausten und die Unbehausten gehen ihrer Wege, Tauben tucken“, denkt sich der Obdachlose. Mittlerweile sitzt er am Rathausmarkt beim Heine-Denkmal und fasst die Großwetterlage zusammen: „Aufgerissene Wolkendecke, die Sonne weiß nicht, wen sie bescheint.“
Gelegentlich kippt der Ton dann doch, zum Beispiel, wenn der Eifer zweier sich unterhaltender Pädagoginnen allzu sehr um Zustimmung für die gute Sache wirbt. Dann werden Milieubeschreibung und Stimmungsskizze um genau jene Nuance zu mitfühlend, die der Roman ansonsten vermeidet. Wie viel Empathie die grundverschiedenen, mehr oder weniger verbogenen Lebensläufe vertragen, wird von Figur zu Figur neu erprobt.
Die scheinbare Zufälligkeit der 26 Übersprünge hat allerdings System; die vermeintlich weit voneinander entfernten Desperados kennen sich oder sind über ein, zwei Ecken miteinander verbandelt. Vor allem aber zeichnet sich allmählich ein Verwandtschafts-Organigramm ab, in dessen Zentrum eine Schriftstellerin namens Marie steht. Sie war 22 Jahre mit Rupert verheiratet, einem ehemals bekannten Schriftsteller, der 2008 starb. Die meisten Figuren sind Freunde oder Verwandte des Paares, das im ostfriesischen Rheiderland und zuletzt in Hamburg lebte. Marie nennt ihren sehr viel älteren Ehemann „die Heimat“ und widmet ihm eine Heimat-Ansprache, die gleichzeitig eine Totenklage ist.
Sabine Peters, Jahrgang 1961, hat in den neunziger Jahren erste Prosaskizzen veröffentlicht; sie war viele Jahre mit dem 2008 verstorbenen Schriftsteller Christian Geissler verheiratet. Ihr literarisches Alter Ego Marie hat sie schon mehrmals auftauchen lassen, so auch in ihrem vor drei Jahren erschienenen Roman „Feuerfreund“. Dort ging es ums Abschiednehmen von Rupert, um politische Kritik aus der Geborgenheit des Landlebens heraus – und um die Frage, ob und wie man einem Toten überhaupt literarisch gerecht werden kann. Peters schreibt nah an ihrer Lebenswelt, mit einem lakonischen Realismus, der die Figuren sprachlich verdichtet und verschiebt. Das ist oft auch ziemlich komisch: Das derangierte Karojackett soll beim Kreuzworträtsel helfen, ein Knorpelfisch mit zwölf Buchstaben fehlt – der Zitterrochen.
In „Narrengarten“ macht vor allem das geschickt angelegte Zickzack zwischen den Figuren und den Hamburger Milieus - jedes voller Narren – den Reiz aus. Am Ende freut sich die Putzfrau Elena auf den Besuch ihrer Tochter, die in England studiert. Elena kauft Lammfleisch in St. Georg, sehnt sich nach dem Himmel in Kasachstan und fiebert ihrer Tochter entgegen – „heute Abend gibt es Plow. Ihr Lieblingsessen“. Ein gelungenes Gedankendurcheinander, anrührend und dabei unkitschig in seiner verträumten Bodenständigkeit.
Sabine Peters: Narrengarten. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 238 Seiten, 19 Euro, E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»'Narrengarten' spielt nicht einfach nur in Hamburg, es ist - das kann man durchaus so sagen - eine Ode an die Hansestadt.« (Thomas Andre, Hamburger Abendblatt, 23.08.2013) »Sabine Peters' Sprache macht süchtig« (Sabine Vogel, Frankfurter Rundschau, 10./11.08.2013) »Ein Buch, das jene Wünsche nach einem befreiten Leben wiedererweckt, die in unserer Alltagsroutine erstickt sind.« (Michael Braun, Badische Zeitung, 06.07.2013) »ein anrührend-komisches Panorama der Hamburger Bevölkerung« (Ijoma Mangold, Die ZEIT, 04.07.2013) »ein poetisches Ganzes aus locker und leicht sich fügenden Puzzlestücken« (Katja Weise, Norddeutscher Rundfunk, 08.07.2013) »'Narrengarten' ist neben Michael Kleebergs 'Vaterjahre' das beste Buch der jüngeren Vergangenheit, in dem Hamburg eine Hauptrolle spielt.« (Thomas Andre, Hamburger Abendblatt, 21.06.2016) »Ein kleines schönes Konzert über unsere Vergänglichkeit.« (Denis Scheck, Literatur im Foyer, 04.07.2013) »Eine literarische Kartografie Hamburgs ist Sabine Peters` ungeheuer warmherziger Roman 'Narrengarten'« (Hamburger Abendblatt, 08.09.2018)