Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 14,25 €
Produktdetails
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.1997

Laster des Forschungsrassismus
Neville Symington läßt die Psychoanalyse über die Klinge springen

Neville Symington, in London ausgebildeter australischer Psychoanalytiker, denkt in seinen zwei Büchern über Psychoanalyse und Religion nach und sieht den Narzißmus als das Bindeglied zwischen beiden Gebieten. "Da ich nur eine sehr unklare Vorstellung davon hatte, was Narzißmus ist, nahm ich mir vor, täglich zwanzig Minuten über dieses Thema nachzudenken." Das Ergebnis dieses Nachdenkens sind zwei in London 1993 und 1994 erschienene Bücher: "Narzißmus" in Form von Vorlesungen, die in Sydney gehalten wurden.

"Ich glaube, daß wir Psychotherapeuten da, wo es um Narzißmus geht, weitgehend versagt haben", ist eine der ersten Mitteilungen, und das Buch schließt lapidar: "Die gängigen Theorien über Narzißmus stimmen nicht." Man darf also von Symington Abhilfe erwarten. Nur worin besteht sie? Muß der Fachkollege nicht von vornherein mißtrauisch sein gegenüber dem Entstehungsprozeß dieser Theorie? Psychoanalytische Theorien entstehen ja nicht durch zwanzig Minuten täglichen Nachdenkens, sondern in der Praxis.

Zu allen Phänomenologien, die Symington kurz antippt, finden wir bei den von ihm abgelehnten Autoren - eigentlich alle der schreibenden psychoanalytischen Welt - durchweg detailliertere Darstellungen, sowohl Fallbeschreibungen als auch Darstellungen des therapeutischen Handelns. Die Zunft soll selbst entscheiden, ob sie sich durch seinen Neuentwurf bereichert fühlt. Er selbst will ein breiteres Publikum erreichen, was ihm auch gelingen könnte, weil er sich in der Mitte zwischen pastoraler Seelsorge und klinischer Therapie aufhält. Nur, brauchen wir das?

In der postkolonialen Situation Australiens mag es noch einen gewissen Aufklärungsbedarf in Sachen Psychoanalyse geben. Wird der wißbegierige Australier aber über Psychoanalyse informiert oder nicht eher zu einer Art Mitmachethik angespornt? Vieles hört sich fatal nach Pfadfindermentalität an: jeden Tag eine gute emotionale Handlung. Wer will, kann aus Symington intellektuelle Pfadfinder wie Sartre sprechen hören, der eine Theorie der eigenen Entscheidung, der richtigen und der falschen Wahl vertritt.

Trauma ist ihm eine ungenügende Erklärung für die Entstehung narzißtischer Störungen, entscheidender ist die Antwort des Individuums auf das traumatische Ereignis, seine Entscheidungen für den "Lebensspender" - eine Art inneres Objekt - oder seine schuldhafte Abkehr von ihm. Die ist ein "Laster", und Symington bescheinigt der Psychoanalyse in der Lasterbekämpfung mehr Erfolg als den Religionen. Hören wir richtig: Tugend, Laster? Ja, wir hören richtig und würden, hätten wir angelsächsische Ohren, vielleicht gar nicht so erstaunen, denn die pragmatische Ethik der Angelsachsen hat immer mal wieder auf einige psychoanalytische Strömungen abgefärbt, die den Menschen dann nicht mehr nur als Naturwesen, wie Freud angenommen hatte, sehen wollten, sondern als ein intentionales Wesen.

Für Symington ist die "natürliche Religion Psychoanalyse" nicht nur das Heilmittel für die Zentralkrankheit Narzißmus der Individuen, sondern auch für die narzißtischen Gesellschaftssysteme. Wobei der Autor uns freilich nie verrät, auf welche gesellschaftlichen Ungereimtheiten der angeblich vorhandene Riesennarzißmus eigentlich antwortet. Zu einer solchen Überlegung wäre schon anläßlich seiner reichlichen Anna-Karenina-Zitate Gelegenheit gewesen. Aber abgesehen davon, daß es einigermaßen schleierhaft bleibt, warum sich Symington einen Roman aus dem neunzehnten Jahrhundert aussucht, um seine zeitdiagnostischen Reflexionen zu untermauern, fragt man sich, was eine Gesellschaft wäre, in der Narzißmus nicht kollektives Schicksal wäre.

So eine Gesellschaft scheint es für ihn zu geben, sonst könnte er ja den Patienten nicht mit seinen herben Ermahnungen zusetzen, sich für den Lebensspender zu entscheiden. Was ihn auch nicht weiter beschäftigt, ist, daß Narzißmus ja eine Mangelerscheinung sein mag, zugleich aber auch ein Selbstheilungsversuch, ein Aspekt, auf den Heinz Kohut, einer der bekanntesten neueren "Narzißmus-Analytiker", großen Wert gelegt hat. Kohut hat gemerkt, daß es sich bei dem bei uns so verpönten selbstverliebten Verhalten um ein weltanschauliches Element handelte. Unter dem Druck der christlichen Erziehung entstanden, hat er die Erkenntnisbehinderung, die von diesem Druck ausgeht, entdeckt und den narzißtischen Phänomenen einen geachteten Platz innerhalb der Psychoanalyse verschafft.

Die Skala der narzißtischen Phänomene ist sehr breit; dazu gehört die ganze Gruppe der Selbstachtungszustände von Freude über Erfolg bis zu Depression, der Rückzug auf die eigene Person, die Idealisierung anderer und der eigenen Person als notwendiger Bestandteil der Entwicklung und vieles mehr. Symington aber geißelt den Narzißmus insgesamt als negatives Verhalten par excellence, als "Laster". Das ist ein Rückfall hinter Kohuts Praxis.

Vor demselben Laster, das Symingtons Narzißmusbuch so wenig brauchbar macht, die unpräzise Verallgemeinerung bestimmter Phänomene, wendet sich der Gast nach der Lektüre seines Religionsbuchs nun endgültig mit Grausen. "Das geistige Leben eines Menschen, der die Grundwerte einer Hochreligion in sich aufgenommen hat, ist Welten entfernt von jemandem, der von der Mentalität primitiver Religion beherrscht wird", schreibt er in ungebrochenem Fortschrittsrassismus.

"Wenn angenommen wird, daß das Wahre und das Gute zusammenfallen", schreibt Symington, "dann haben wir Religion": O nein, dann haben wir allenfalls eine christliche Religion, wir haben aber keine mythologische, keine Mysterienreligion, keinen Buddhismus. Da Symington sich für eine abstrakte Universalreligion entscheidet, hat er dann keine Geschichten mehr zur Verfügung, die die Religionen ausmachen, sondern nur noch "Grundwerte", von denen er zeigen will, daß sie direkt den Grundentscheidungen der menschlichen Existenz entspringen.

Man kann Symington zugute halten, daß er das Religionsverständnis Freuds anprangert, der sich vehement dagegen gewehrt hat, etwas so Desillusionierendes wie seine Psychoanalyse religiös zu nennen, und der ein sehr verkürztes Religionsverständnis hatte. Man mag Symington zugute halten, daß er die religiösen Bedürfnisse ernst nimmt und Sinnfragen, die den individuellen Lebenssinn übersteigen, nicht ausschließen will, aber das Nichtkonventionelle dieses Anspruchs wird von seinen geradezu vernagelten konventionellen Antworten begraben. Es gibt bei Symington keine Konflikte, die nicht mit einem Patentrezept gelöst werden könnten.

Psychoanalyse und Religion ist ein enorm spannendes Thema. Aber als Religionsphilosoph ist Symington hoffnungslos naiv, und als Psychoanalytiker scheint er von der Krankheit befallen, die zu bekämpfen er angetreten ist: "Wenn wir lernen, was zum gesunden Handeln führt, wird das die beste Waffe gegen Neurose, Psychose und pathologische Zustände sein. Die bisherigen Theorien und Auffassungen sind dabei kaum eine Hilfe." So werden Jahrzehnte ernsthafter klinischer und theoretischer Arbeit mit einem Federstrich ausgestrichen. CAROLINE NEUBAUR

Neville Symington: "Narzißmus". Neue Erkenntnisse zur Überwindung psychischer Störungen. 160 S., geb., 28,- DM.

Neville Symington: "Emotionales Handeln". Das Geheimnis von Religion und Psychoanalyse. 288 S., geb., 34,- DM.

Beide Bände wurden von Brigitte Flickinger aus dem Englischen übersetzt und sind im Steidl Verlag, Göttingen 1997, erschienen.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr