Exotische Gewürze waren jahrhundertelang Anlass für Kriege, Eroberungen und die Entdeckung neuer Erdteile. Ihre politische Bedeutung lässt sich heute am besten mit der Rolle des Erdöls vergleichen - oder mit dem Rauschgiftschmuggel, der ebenso gefährlich, aber auch mindestens so gewinnträchtig ist wie der Gewürzhandel im 17. Jahrhundert. Miltons packende Kulturgeschichte voll abenteuerlicher Details ist auch eine Geschichte der großen Entdeckungsreisen, der christlichen Seefahrt und der Frühzeit des Kolonialismus.
The extraordinary adventure-filled story of how England came to own Manhattan in the seventeenth century
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2001Tausche Big Apple gegen Muskat
Geh’ dahin, wo der Pfeffer wächst: Giles Milton erzählt die eigenartige Geschichte des europäischen Gewürzhandels
Angenommen, irgendein Historiker würde bei irgendeinem Kongress, den irgendeine Universität in Neuengland veranstaltet, die These vertreten, New York, weniger als zweihundert Meilen südlich von Boston gelegen, führe den Namen Big Apple gegen jede historische Wahrheit, weil es seine Existenz eigentlich einer völlig anderen Frucht verdanke: der Muskatnuss – man fühlte sich in eine andere Zeit, eine andere Welt versetzt, ins für solche Exzentrizitäten sehr viel aufgeschlossenere England zum Beispiel.
Nun kann Exzentrizität, erklärt Oliver Wendell Holmes, auch die Eigenschaft einer in sich ruhenden Mitte sein. New York, die Wundertüte, auf der Big Apple drauf steht, hat Boston eines voraus: Man beschäftigt sich dort nicht so sehr mit seinem Rang. Das liegt vor allem daran, dass man ihn hat.
Wen sollte also in Manhattan die Nachricht interessieren, dass es New York, die Wall Street ausgenommen, nicht gäbe, wären nicht zwei Global Players des 17. Jahrhunderts, Briten und Niederländer, im Streit um ein paar Muskatnüsse auf einem schwer zugänglichen Inselchen südlich der Molukken aneinander geraten? New York, so lautet die Botschaft, die Giles Milton in „Muskatnuss und Musketen” verbreitet, wäre ohne diesen Konflikt heute möglicherweise nicht mehr als eine kleine niederländische Sprachinsel an der Ostküste der Neuen Welt, ein halb europäisches Kaff in der Art von Quebec.
Mit der Weltgeschichte ist es, fängt man erst einmal an, sie ernst zu nehmen, meistens ein bisschen verrückt.So, wie die deutschen idealistischen Philosophen und Dichter des 19. Jahrhunderts sie sich vorgestellt haben, hat es sie nie gegeben. Der schnöde Zweck, den Hegel und Marx ihr eintreiben wollten, nahm der Historie außer ihren Ecken und Kanten auch noch die Eckensteher, von denen man weiß, dass sie es sind, die das Leben auf die geschichtlichen Schauplätze tragen. Auf der Erde, egal ob flach oder rund oder bloß eine Idee in den Köpfen, hat es aber immer genügend Raum noch für die absonderlichsten Einfälle gegeben. Ein paar davon entstanden aus schierer Not. Aus solcher Not wurde häufig Geschichte geschrieben, manchmal sogar, nach klassischer Lesart, von einzelnen (und in ihrer Einzigartigkeit großen) Männern und Frauen.
Es sind diese, wie Giles Milton zeigt, allerdings nicht immer nur gekrönte Häupter oder gewiefte Potentaten gewesen. Nathaniel Courthope, der Mann, für den in New York eigentlich ein Denkmal aufgestellt werden müsste, würde nach heutigem Verständnis als ein Dienstleister gelten. Tatsächlich darf man ihn für einen Abenteurer und Eckensteher der Weltgeschichte halten, der, ohne es zu ahnen, an ihrem großen Rad drehte, obwohl es ihm dabei eigentlich um nicht viel mehr gegangen sein dürfte als um Treue zu seinem König, um Tapferkeit in einer Gewinn versprechenden Sache und um unbeirrbare Loyalität.
Sein Dienst bestand darin, das am Rand der ostindischen Banda-Inseln liegende Atoll Run für Jakob I. und die Ostindische Kompanie in London von 1616 bis 1620 gegen eine Übermacht von Niederländern zu halten. Nach Courthopes Tod in einem Hinterhalt ging Run mit seinen unendlich wertvollen Muskatnussbäumen zwar für die Briten verloren. Weil aber auf die Tücke, mit der der Sieg von den Niederländern errungen worden war, Jahre später auch noch ein Massaker folgte, kam es über den Streit um die ostindischen Gewürze zu einem Krieg im Ärmelkanal. Die Niederländer, deren Reichtümer Schiff um Schiff vor Dover und der Themse versanken, lenkten schließlich ein und überließen England als Entschädigung für Run ihre Kolonie Neu Amsterdam.
Nathaniel Courthope, der den Anlass geliefert hatte für die wegen Run verübten Verbrechen, lieferte so auch den Anlass für den Aufstieg von New York. Run dagegen ist heute nicht einmal mehr in renommierten Atlanten zu finden. Man braucht, wenn man die Insel im Herzen einer längst abgeschlossenen Welt- Geschichte besuchen will, wie zu Courthopes Zeiten viel Mut und vor allem ein seetüchtiges Boot. Bei der Navigation dagegen kann man sich getrost auf seine Nase verlassen. Der sicherste Wegweiser zu der winzigen Gewürzinsel ist ihr Duft von Muskat.
Einer der Gründe für die ungeheure Popularität von Muskat, Nelken und Pfeffer im 17. Jahrhundert lag in dem Glauben, all diese Substanzen taugten als Zutaten für verschiedene Allheilmittel und gegen die Pest und die Ruhr. Seinetwegen ließen sich Gewinne von so fantastischer Höhe erzielen, dass die Nachfrage nach Gewürzen zum Motor des Handels, des Schiffbaus und der Wissenschaften wurde. Sämtliche Entdeckungsreisen dieser Zeit galten der Suche nach dem kürzest möglichen Seeweg nach Indien.
West-Indien, dem Columbus sich in dem Glauben genähert hatte, er habe die Inselwelt Ostasiens gefunden, erwarb sich mit der Bezeichnung, dies sei die Gegend, in der der Pfeffer wachse, gleich noch einen zweiten auf einem Irrtum gegründeten Namen. Milton beginnt sein Buch mit einer Beschreibung der Anstrengungen englischer Merchant Adventurers, die ihre Schiffe vor Russlands Küsten in die Nordostpassage schickten. Gefeit gegen die tropischen Krankheiten, verloren die Besatzungen dort stattdessen in der arktischen Kälte ihr Leben.
Henry Hudson, eine hoch talentierte Spielernatur, täuschte seine Geldgeber, deren Interesse ebenfalls der Nordostpassage galt, und segelte stattdessen nach Westen. Die Mündung des später nach ihm benannten Hudson River hielt er für den Endpunkt eines den nordamerikanischen Kontinent durchschneidenden Wasserwegs zum Pazifik. Ähnliches haben noch die niederländischen Kolonisten geglaubt, die sich auf Manhattan nicht zuletzt deshalb niederließen, weil sie von dort in den ostindischen Gewürzhandel eingreifen wollten. Der Duft der Muskatnuss beflügelte die Fantasien der Menschen in Peter Minuits Kolonie Neu Amsterdam so sehr, dass sie sich seinetwegen in eine der Entwicklung des Gemeinwesens nicht gerade förderliche Wartestellung begaben. Erst mit der Übernahme durch die Engländer entwickelte sich die Stadt unter ihrem neuen Namen New York über die Befestigung an der Wall Street hinaus.
Miltons Buch ist eine so fantastische wie sicher und seriös aus historischen Quellen gewonnene Zusammenschau von Ereignissen auf den unterschiedlichsten Kontinenten und Meeren. Der Autor nutzt die Antriebskräfte, denen sein Gegenstand, der Gewürzhandel, seine rasante Entwicklung verdankte, für den Fortgang einer Geschichte, die sich am Ende, wenn Bilanz gezogen wird, als gar nicht so exzentrisch erweist wie eingangs vermutet. New York ohne die Muskatnuss, das wäre demnach nicht New York und schon gar nicht Big Apple. Schließlich liegt die Stadt ja bis heute an der Mündung einer nie befahrenen Passage zu den Gewürzinseln, die nur ein Traum war, aber zu welchem Preis und mit welchen Folgen! Exzentrischer als diese Geschichte zu sein, das hat Giles Milton erst gar nicht versucht. Sein eigentliches Talent besteht darin, dass er, bei allem Gewicht seiner Argumente, immer ein wenig leichtsinnig wirkt. Mag sein, dass das daran liegt, wie er das Interesse seiner Leser für die Eckensteher seiner Welt-Geschichte zu wecken versteht.
GERALD SAMMET
GILES MILTON: Muskatnuß und Musketen. Europas Wettlauf nach Ostindien. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001. 448 Seiten, 49,80 Mark.
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Geh’ dahin, wo der Pfeffer wächst: Giles Milton erzählt die eigenartige Geschichte des europäischen Gewürzhandels
Angenommen, irgendein Historiker würde bei irgendeinem Kongress, den irgendeine Universität in Neuengland veranstaltet, die These vertreten, New York, weniger als zweihundert Meilen südlich von Boston gelegen, führe den Namen Big Apple gegen jede historische Wahrheit, weil es seine Existenz eigentlich einer völlig anderen Frucht verdanke: der Muskatnuss – man fühlte sich in eine andere Zeit, eine andere Welt versetzt, ins für solche Exzentrizitäten sehr viel aufgeschlossenere England zum Beispiel.
Nun kann Exzentrizität, erklärt Oliver Wendell Holmes, auch die Eigenschaft einer in sich ruhenden Mitte sein. New York, die Wundertüte, auf der Big Apple drauf steht, hat Boston eines voraus: Man beschäftigt sich dort nicht so sehr mit seinem Rang. Das liegt vor allem daran, dass man ihn hat.
Wen sollte also in Manhattan die Nachricht interessieren, dass es New York, die Wall Street ausgenommen, nicht gäbe, wären nicht zwei Global Players des 17. Jahrhunderts, Briten und Niederländer, im Streit um ein paar Muskatnüsse auf einem schwer zugänglichen Inselchen südlich der Molukken aneinander geraten? New York, so lautet die Botschaft, die Giles Milton in „Muskatnuss und Musketen” verbreitet, wäre ohne diesen Konflikt heute möglicherweise nicht mehr als eine kleine niederländische Sprachinsel an der Ostküste der Neuen Welt, ein halb europäisches Kaff in der Art von Quebec.
Mit der Weltgeschichte ist es, fängt man erst einmal an, sie ernst zu nehmen, meistens ein bisschen verrückt.So, wie die deutschen idealistischen Philosophen und Dichter des 19. Jahrhunderts sie sich vorgestellt haben, hat es sie nie gegeben. Der schnöde Zweck, den Hegel und Marx ihr eintreiben wollten, nahm der Historie außer ihren Ecken und Kanten auch noch die Eckensteher, von denen man weiß, dass sie es sind, die das Leben auf die geschichtlichen Schauplätze tragen. Auf der Erde, egal ob flach oder rund oder bloß eine Idee in den Köpfen, hat es aber immer genügend Raum noch für die absonderlichsten Einfälle gegeben. Ein paar davon entstanden aus schierer Not. Aus solcher Not wurde häufig Geschichte geschrieben, manchmal sogar, nach klassischer Lesart, von einzelnen (und in ihrer Einzigartigkeit großen) Männern und Frauen.
Es sind diese, wie Giles Milton zeigt, allerdings nicht immer nur gekrönte Häupter oder gewiefte Potentaten gewesen. Nathaniel Courthope, der Mann, für den in New York eigentlich ein Denkmal aufgestellt werden müsste, würde nach heutigem Verständnis als ein Dienstleister gelten. Tatsächlich darf man ihn für einen Abenteurer und Eckensteher der Weltgeschichte halten, der, ohne es zu ahnen, an ihrem großen Rad drehte, obwohl es ihm dabei eigentlich um nicht viel mehr gegangen sein dürfte als um Treue zu seinem König, um Tapferkeit in einer Gewinn versprechenden Sache und um unbeirrbare Loyalität.
Sein Dienst bestand darin, das am Rand der ostindischen Banda-Inseln liegende Atoll Run für Jakob I. und die Ostindische Kompanie in London von 1616 bis 1620 gegen eine Übermacht von Niederländern zu halten. Nach Courthopes Tod in einem Hinterhalt ging Run mit seinen unendlich wertvollen Muskatnussbäumen zwar für die Briten verloren. Weil aber auf die Tücke, mit der der Sieg von den Niederländern errungen worden war, Jahre später auch noch ein Massaker folgte, kam es über den Streit um die ostindischen Gewürze zu einem Krieg im Ärmelkanal. Die Niederländer, deren Reichtümer Schiff um Schiff vor Dover und der Themse versanken, lenkten schließlich ein und überließen England als Entschädigung für Run ihre Kolonie Neu Amsterdam.
Nathaniel Courthope, der den Anlass geliefert hatte für die wegen Run verübten Verbrechen, lieferte so auch den Anlass für den Aufstieg von New York. Run dagegen ist heute nicht einmal mehr in renommierten Atlanten zu finden. Man braucht, wenn man die Insel im Herzen einer längst abgeschlossenen Welt- Geschichte besuchen will, wie zu Courthopes Zeiten viel Mut und vor allem ein seetüchtiges Boot. Bei der Navigation dagegen kann man sich getrost auf seine Nase verlassen. Der sicherste Wegweiser zu der winzigen Gewürzinsel ist ihr Duft von Muskat.
Einer der Gründe für die ungeheure Popularität von Muskat, Nelken und Pfeffer im 17. Jahrhundert lag in dem Glauben, all diese Substanzen taugten als Zutaten für verschiedene Allheilmittel und gegen die Pest und die Ruhr. Seinetwegen ließen sich Gewinne von so fantastischer Höhe erzielen, dass die Nachfrage nach Gewürzen zum Motor des Handels, des Schiffbaus und der Wissenschaften wurde. Sämtliche Entdeckungsreisen dieser Zeit galten der Suche nach dem kürzest möglichen Seeweg nach Indien.
West-Indien, dem Columbus sich in dem Glauben genähert hatte, er habe die Inselwelt Ostasiens gefunden, erwarb sich mit der Bezeichnung, dies sei die Gegend, in der der Pfeffer wachse, gleich noch einen zweiten auf einem Irrtum gegründeten Namen. Milton beginnt sein Buch mit einer Beschreibung der Anstrengungen englischer Merchant Adventurers, die ihre Schiffe vor Russlands Küsten in die Nordostpassage schickten. Gefeit gegen die tropischen Krankheiten, verloren die Besatzungen dort stattdessen in der arktischen Kälte ihr Leben.
Henry Hudson, eine hoch talentierte Spielernatur, täuschte seine Geldgeber, deren Interesse ebenfalls der Nordostpassage galt, und segelte stattdessen nach Westen. Die Mündung des später nach ihm benannten Hudson River hielt er für den Endpunkt eines den nordamerikanischen Kontinent durchschneidenden Wasserwegs zum Pazifik. Ähnliches haben noch die niederländischen Kolonisten geglaubt, die sich auf Manhattan nicht zuletzt deshalb niederließen, weil sie von dort in den ostindischen Gewürzhandel eingreifen wollten. Der Duft der Muskatnuss beflügelte die Fantasien der Menschen in Peter Minuits Kolonie Neu Amsterdam so sehr, dass sie sich seinetwegen in eine der Entwicklung des Gemeinwesens nicht gerade förderliche Wartestellung begaben. Erst mit der Übernahme durch die Engländer entwickelte sich die Stadt unter ihrem neuen Namen New York über die Befestigung an der Wall Street hinaus.
Miltons Buch ist eine so fantastische wie sicher und seriös aus historischen Quellen gewonnene Zusammenschau von Ereignissen auf den unterschiedlichsten Kontinenten und Meeren. Der Autor nutzt die Antriebskräfte, denen sein Gegenstand, der Gewürzhandel, seine rasante Entwicklung verdankte, für den Fortgang einer Geschichte, die sich am Ende, wenn Bilanz gezogen wird, als gar nicht so exzentrisch erweist wie eingangs vermutet. New York ohne die Muskatnuss, das wäre demnach nicht New York und schon gar nicht Big Apple. Schließlich liegt die Stadt ja bis heute an der Mündung einer nie befahrenen Passage zu den Gewürzinseln, die nur ein Traum war, aber zu welchem Preis und mit welchen Folgen! Exzentrischer als diese Geschichte zu sein, das hat Giles Milton erst gar nicht versucht. Sein eigentliches Talent besteht darin, dass er, bei allem Gewicht seiner Argumente, immer ein wenig leichtsinnig wirkt. Mag sein, dass das daran liegt, wie er das Interesse seiner Leser für die Eckensteher seiner Welt-Geschichte zu wecken versteht.
GERALD SAMMET
GILES MILTON: Muskatnuß und Musketen. Europas Wettlauf nach Ostindien. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001. 448 Seiten, 49,80 Mark.
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A magnificent piece of popular history . . . This is a book to read, reread, then read again to your children Nicholas Fearn, Independent on Sunday