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Ein neues Europa entsteht, doch es besteht weiterhin aus Nationen und Nationalstaaten. Sie sind Ergebnisse einer oft leidvollen Geschichte, in der nationale Identitäten entstanden, die nicht leicht "europäisiert" werden können. Wie die moderne deutsche Nation im europäischen Umfeld geformt wurde, kulturell, politisch und auch in Kriegen, ist das Thema dieses Buches.

Produktbeschreibung
Ein neues Europa entsteht, doch es besteht weiterhin aus Nationen und Nationalstaaten. Sie sind Ergebnisse einer oft leidvollen Geschichte, in der nationale Identitäten entstanden, die nicht leicht "europäisiert" werden können. Wie die moderne deutsche Nation im europäischen Umfeld geformt wurde, kulturell, politisch und auch in Kriegen, ist das Thema dieses Buches.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ulrich Speck mutmaßt, dass der Nationalismus heute im Westen angesichts einer fortschreitenden Europäisierung ausgedient habe. Daher erstaunt es ihn keineswegs, dass ein Neuzeithistoriker wie der Tübinger Dieter Langewiesche sich des Themas angenommen hat. Neun der wichtigsten seiner lesbaren wie lesenswerten Aufsätze, lobt der Rezensent, sind in diesem Band versammelt, mit denen der Autor zwei Anliegen ausdrücke. Zum einen, berichtet Speck, weise der Historiker auf die Doppelbödigkeit des Nationalismus als gut und schlecht in einem hin. Zum anderen beschreibe er brillant und wasserdicht den spezifisch deutschen, den föderativen Nationalismus als Gegengewicht zum zentralistischen Nationalstaat Frankreich - freilich nur bis zur Gründung des Deutschen Reiches. Wer mehr über Nation und Nationalismus im 19. Jahrhundert wissen möchte, werde mit Langewiesches Band bestens bedient, lobt Speck und weist darauf hin, dass die deutsche Geschichte des Föderalismus und Unitarismus des 20. Jahrhunderts aber noch geschrieben werden muss.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2001

Reich und Reich gesellt sich gern
Dieter Langewiesche hält die Nationalstaatsforschung offen

Als ob die Historiker doch einmal das richtige Gespür für die Zukunft gehabt hätten: In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen sie sich auf neue Weise für die alten, scheinbar schon längst überlebten Probleme von Nationalismus und Nationalstaatlichkeit zu interessieren, noch bevor die Umwälzungen im ehemals kommunistischen Herrschaftsbereich, von Mitteleuropa bis weit nach Zentralasien, das Thema mit Vehemenz auf die politische Tagesordnung brachten.

Nicht zuletzt in Deutschland hat freilich die Wiederherstellung eines Nationalstaates den Wissenschaftlern zusätzliche Impulse gegeben, und dabei spielte auch die zeitweise übersteigerte Furcht vor einem neuen deutschen Nationalismus eine gewisse Rolle. Sowenig sich das als gerechtfertigt erwiesen hat, so wichtig ist die historische Vergewisserung über die "Nation" geblieben in einer Zeit, da dieser Begriff wieder in den Rang eines Kernstücks der "Leitkultur" erhoben werden soll.

Zu den vielen Historikern, die sich in den vergangenen zehn Jahren dem Nationalismus zugewandt haben, gehört auch der in Tübingen lehrende Dieter Langewiesche. Seine Aufsätze zu diesem Thema liegen jetzt in einem im C. H. Beck Verlag erschienenen Taschenbuch gesammelt vor, und bei aller Skepsis gegenüber dieser oft überstrapazierten Gattung verdienen sie diese Wiederveröffentlichung für ein breiteres Publikum fraglos. Nur der Titel des Bandes ist etwas zu weit geraten: Es geht nicht wirklich um "Europa", sondern um das deutschsprachige Mitteleuropa einschließlich Österreichs, und es geht um das neunzehnte Jahrhundert, jene Zeit also, in der Langewiesche mit vielen anderen (aber gegen manchen Mediävisten und auch Frühneuzeitler) die Geburts- und widerspruchsvollen Reifejahre des modernen Nationalismus sieht.

Die Anordnung der neun Beiträge schlägt einen schönen Bogen. Nach einer Klärung der Herkunft sowie allgemeiner Merkmale des Phänomens stehen Fallstudien zum frühen deutschen Nationalismus als kultureller Bewegung im Mittelpunkt von Langewiesches Interesse: zu den Friedrich Ludwig Jahn nacheifernden Turnern und der Sängerbewegung am Beispiel Württembergs. Dann öffnet sich der Horizont wieder zum Allgemeinen hin: Behandelt werden das vielschichtige Verhältnis von Staats- und Nationsbildung im mitteleuropäischen Raum mit einem kurzen Ausblick auf gegenwärtige Probleme der staatlichen und nationalen Ordnung Europas.

In diesem letzten Teil bildet der ursprünglich in der "Historischen Zeitschrift" erschienene Aufsatz über "Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte" ein durchaus hervorhebenswertes Glanzstück. Er arbeitet die lange unterschätzte Überlappung von Reichsidee und Reichstradition mit der modernen Nationalidee überzeugend und konzise heraus - ein Ansatz, den jüngst Heinrich August Winkler zum Leitfaden seiner umfangreichen Gesamtdarstellung deutscher Geschichte seit dem späten achtzehnten Jahrhundert gemacht hat.

Die Nation ist alles,

was der Einfall ist

Das neue Interesse am Nationalismus verbindet sich seit knapp zwei Jahrzehnten mit dem Aufschwung kulturgeschichtlicher Methoden und Perspektiven. Die Nation ist nicht länger eine dringliche Realität, der Nationalismus wird nicht mehr primär funktionalistisch, etwa als Herrschaftsinstrument von Eliten, gedeutet. Nationen sind vielmehr Deutungsentwürfe, "imagined communities" (Benedict Anderson), und interessant am Nationalismus sind seine Ausprägungen im Alltag, in der sozialen und kulturellen Praxis breiterer Schichten. Diesem Ansatz der "kulturellen Nationsbildung" folgt auch Dieter Langewiesche. Dabei charakterisiert er die deutsche Nation im neunzehnten Jahrhundert pointiert als städtisch, protestantisch und männlich. Einen heimlichen Protestantismus der Nationalkultur wirft der Autor auch seinem eigenen akademischen Fach, der Geschichtswissenschaft, bis in die Gegenwart hinein vor.

Aber wichtiger noch sind drei andere Überlegungen, die sich als rote Fäden durch das ganze Buch ziehen. Zum einen betont Dieter Langewiesche das demokratische oder, genauer: das partizipatorische Potential des Nationalismus. Es geht immer um den Ausschluß von Fremden; Aggression und Gewalt spielen dabei häufig eine Rolle. Aber der nationale Gedanke hat auch Menschen mobilisiert, sie aus traditionellen Bindungen gerissen und geholfen, politische Ansprüche der Massen durchzusetzen.

In welchem Maße das auch heute noch auf dem Balkan oder im Kaukasus eine Rolle spielt, darüber könnte man mit dem Autor streiten. Den Dilemmata des Nationalismus verweigert er sich jedenfalls nicht, denn der zweite "rote Faden" lautet: Nationalstaaten sind selten auf friedliche, auf ganz evolutionäre Weise entstanden, meist gehörte Gewalt, nicht zuletzt staatliche Gewalt, dazu, so daß der Krieg sich geradezu als Vater des modernen Nationalstaates erweist. Das gilt zumal für das lange und revolutionäre neunzehnte Jahrhundert, von der Staatsgründung der Vereinigten Staaten bis zur europäischen Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg.

Der erste Toast

gilt immer dem Kaiser

Am deutlichsten tritt jedoch eine dritte Überlegung hervor, die mit dem Begriff des "föderativen Nationalismus" gekennzeichnet ist. Ein nationaler Zentralstaat, gar in den Dimensionen des "kleindeutschen" Bismarck-Reiches, bestimmte demnach keineswegs überwiegend, bis 1870 eigentlich überhaupt nicht, den Horizont der deutschen Nationalbewegung. Der Nationalismus wollte föderativ sein, wollte der eigenen Territorial- und Staatstradition ihr Recht belassen, so wie die schwäbischen Sänger auch noch nach 1870 den ersten Toast dem Kaiser, den zweiten aber ihrem württembergischen König vorbehielten. In Süddeutschland gilt das fraglos in besonderem Maße; die preußische, gar die ostelbische Perspektive kommt dagegen bei Langewiesche gelegentlich etwas zu kurz.

Vor allem will er Österreich wieder in den Horizont deutscher "National"-Geschichte hineinholen. Er wehrt sich mit gutem Recht gegen die rückwärtsgewandte Teleologie, die wegen der Reichsgründung von 1871 Österreich auch für die vorausgegangenen Jahrzehnte aus der deutschen Geschichte ausschließt, und arbeitet dagegen, wie Historiker das tun sollten, die relative Offenheit der Geschichte, die Kontingenz von Entscheidungssituationen heraus. Aber dann schießt er doch über das Ziel hinaus und überschätzt die realen Möglichkeiten, sogar noch nach 1850 ein föderalistisch organisiertes Mitteleuropa zu schaffen. Ob das "Ausscheiden" Österreichs aus einer zukünftigen deutschen Staatsorganisation sich wirklich erst im Krieg von 1866 entschied, kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Der englische Historiker John Breuilly hat dazu in den letzten Jahren sehr kluge Überlegungen angestellt, und gerade ein kultur- und kommunikationstheoretischer Ansatz kann zeigen, wie spätestens seit den 1830er Jahren die Weichen in eine andere Richtung gestellt wurden - auch ganz buchstäblich, mit dem Eisenbahnbau!

Auch unter kulturgeschichtlichem Vorzeichen sind es geradezu klassische Fragen der jüngeren deutschen Geschichte, welche die neuere Nationalismusforschung in Erinnerung ruft: Wie verhalten sich Nations- und Staatsbildung in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert zueinander? In welchem Verhältnis stand der Nationalismus zum Liberalismus? In der neuen Literatur erscheint dieser, wie zu Zeiten der nationalliberalen Historiographie, oft nur als ein Anhängsel des Nationalismus. Bei Langewiesche ist dagegen eher überraschend, daß der Liberalismus kaum einmal auftaucht, obwohl er einer seiner besten Kenner ist. Vielleicht widmet er diesem Problem ja eine weitere Studie, die man dann ebenso gerne und gewinnbringend lesen wird wie das vorliegende Buch.

PAUL NOLTE

Dieter Langewiesche: "Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa". Verlag C. H. Beck, München 2000. 267 S., br., 25,90 DM.

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