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Die Zeit zwischen 1945 und 1989 ist bestimmt durch verschiedene Phasen des "Kalten Krieges". Der Ost-West-Konflikt nahm Einfluß auf alle gesellschaftlichen Subkulturen, auch auf die Kirchen. Andererseits bemühten sich die christlichen Kirchen in dem genannten Zeitraum um eine stärkere Einigung der Christenheit über die nationalen Grenzen und den "Eisernen Vorhang" hinweg. Die beiden einflußreichsten internationalen Kirchenorganisationen waren der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf (ÖRK) und die Prager Christliche Friedenskonferenz (CFK). Der ÖRK wäre ohne das ökumenische und finanzielle…mehr

Produktbeschreibung
Die Zeit zwischen 1945 und 1989 ist bestimmt durch verschiedene Phasen des "Kalten Krieges". Der Ost-West-Konflikt nahm Einfluß auf alle gesellschaftlichen Subkulturen, auch auf die Kirchen. Andererseits bemühten sich die christlichen Kirchen in dem genannten Zeitraum um eine stärkere Einigung der Christenheit über die nationalen Grenzen und den "Eisernen Vorhang" hinweg. Die beiden einflußreichsten internationalen Kirchenorganisationen waren der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf (ÖRK) und die Prager Christliche Friedenskonferenz (CFK). Der ÖRK wäre ohne das ökumenische und finanzielle Engagement des liberalen National Council of the Churches of Christ in Amerika (NCC) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nicht denkbar gewesen. Die Prager Christliche Friedenskonferenz wurde von der Sowjetunion und weiteren Ostblockstaaten finanziell unterstützt und ideologisch beeinflußt.

Das Buch beschreibt den allmählichen Wandel der Kräfteverhältnisse in der ökumenischen Bewegung. Während die USA aufgrund ihrer wirtschaftlichen und ethischen Überlegenheit dem ÖRK in den 50er Jahren politisch näher standen (z. B. im Korea-Krieg), konnte in den 60er Jahren die UdSSR mit Hilfe der Russisch-Orthodoxen Kirche und der Christlichen Friedenskonferenz das Blatt nach und nach zu ihren Gunsten wenden. Dazu trugen maßgeblich auch die Kirchen in der Dritten Welt bei, die in der westlichen Vormacht das imperialistische Unterdrückungssystem par Excellence sahen und den westlichen Werten einer demokratischen Gesellschaft vor dem Hintergrund von Hunger, rassischer und sozialer Benachteiligung durchaus keinen höheren Stellenwert zubilligten als den "realsozialistischen" Staaten des Ostblocks. Der Vorwurf an die USA und andere westliche Industriestaaten ging dahin, daß sie ihre hehren Ideale nicht einlösten, sondern die ärmeren Völker ausbeuteten. Es gelang den Vereinigten Staaten immer weniger, ihren Lebensstil als genuin christlich und in diesem Sinne vorbildlich herauszustellen. Mit dem Vietnam-Krieg verloren die USA vollends ihren ethischen Führungsanspruch. Umgekehrt näherten sich die ökumenischen Strömungen auf nationaler und internationaler Ebene immer mehr den ökonomischen und menschenrechtlichen Forderungen der "realsozialistischen" Staaten an. Teile der westlichen Kirchen bildeten so eine Art innere Widerstandsfront gegen den westlich-"kapitalistischen" Lebensstil in ihrem eigenen Land. Diese innen- wie außenpolitische Dynamik bildete im Raum der nationalen Kirchenräte wie der ökumenischen Organisationen einen Brennpunkt der Auseinandersetzungen. Im Zusammenhang mit dem sogenannten "Antirassismusprogramm" des Ökumenischen Rates der Kirchen prallten auch "konservative" und "progressive" Kräfte innerhalb der einzelnen Kirchen aufeinander; die Konflikte drohten in Kirchenspaltungen zu enden und führten, besonders in den USA, zu dramatischen Mitgliederverlusten in den liberalen "Mainline"-Kirchen. Nicht der Afghanistan-Krieg, sondern erst der ökonomische und politische Zusammenbruch des Ostblocks führte zu einer Entzauberung des "Communistic Gospel" und leitete eine schwere Krise des Ökumenischen Rates der Kirchen ein, die 1998 bei der ÖRK-Vollversammlung in Harare ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Autorenporträt
Gerhard Besier, geboren 1947, ist Theologe, Psychologe und Historiker. Von 1987 - 2003 Professor an der Kirchlichen Hochschule Berlin und an der Universität Heidelberg. Seit 2003 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. Fachveröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2000

Gott und Moskau zu Gefallen
Der ökumenische Protestantismus wollte während des Kalten Krieges die Spaltung der Welt überwinden

Gerhard Besier, Armin Boyens, Gerhard Lindemann: Nationaler Protestantismus und Ökumenische Bewegung. Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945-1990). Mit einer Nachschrift von Horst-Klaus Hofmann. Duncker & Humblot, Berlin 1999. 1074 Seiten, 86,- Mark.

Dem ökumenischen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg haftet ein Zug ins Tragische an. Ihr anspruchsvolles Ziel, die Kirchenspaltung abzubauen, mutierte unter dem Eindruck des Kalten Krieges zur monströsen Aufgabe, die Spaltung der Welt überwinden zu wollen. Diese Selbstüberforderung war wenigstens ebensosehr pragmatischem Kalkül wie kirchlichem Sendungsbewußtsein geschuldet. Denn wer in Zeiten des Ost-West-Konflikts konfessionelle Brücken bauen wollte, mußte seine Fundamente diesseits wie jenseits des Eisernen Vorhangs justieren und ständig das Verhältnis zur jeweiligen weltlichen Herrschaft vermessen.

Dies galt um so mehr, als den kirchlichen Sozialethikern im Kampf um die Deutungshoheit für Leitbegriffe wie Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit starke säkulare Konkurrenz erwachsen war. Deshalb glaubte der in Genf ansässige Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), seine universalistische Orientierung vor jeder politischen Instrumentalisierung bewahren zu müssen - ein Dilemma, das sich nur im Wolkenkuckucksheim auflöste. "Die Sache des Westens mag von Natur aus unsere Sache sein", schrieb der Schweizer Theologe Karl Barth Ende der vierziger Jahre, "die Sache Gottes ist sie darum doch nicht. Wie die Sache des Ostens sicher auch nicht die Sache Gottes ist." Was aber ist sie dann? Barth empfahl einen "Dritten Weg", den die Amsterdamer ÖRK-Gründungsversammlung 1948 in die Formel von der "verantwortlichen Gesellschaft" goß. Aber der Wunsch, den gleichen Abstand zu westlichen Freiheitswerten wie zum östlichen Gerechtigkeitsanspruch zu wahren, eröffnete einer gefährlichen Selbsttäuschung Tür und Tor: Wer für eine friedliche und gerechte Welt kämpfte, ohne es mit den Freiheitsrechten allzu genau zu nehmen, handelte weniger gott- als moskaugefällig. Und die KPdSU konnte mit dem 1961 erfolgten ÖRK-Beitritt der systemnahen russisch-orthodoxen Kirche durchaus zufrieden sein.

Auf der Genfer Weltkirchenkonferenz von 1966 verpflichtete sich der ÖRK zu einer "Theologie der Revolution", die eine "Umformung der Gesellschaft" herbeiführen sollte. Der antiwestliche Akzent dieser Ausrichtung war nicht zu übersehen. Die Freiheit, die der ÖRK meinte, war die Freiheit von den Geißeln des Kapitalismus. Unter dem Amerikaner Eugene Carson Blake avancierte der Kampf gegen den Rassismus zur ökumenischen Hauptaufgabe. Und je mehr die liberalen protestantischen Ökumeniker ihre Blicke für die sozialen Mißstände in der kapitalistischen Hemisphäre schärften, desto blinder wurden sie für die Unfreiheit jenseits des Eisernen Vorhangs. Verfolgungen christlicher Religionsgruppen in der Sowjetunion schafften es nicht mal auf die Tagesordnung. In der Kuba-Krise verurteilte der "National Council of Churches of Christ" (NCC), die Dachorganisation der amerikanischen Hauptkirchen, die Politik des Weißen Hauses. Die Bedrohung durch kommunistische Raketen wurde mit keinem Wort gewürdigt. Als die Panzer des Warschauer Paktes 1968 in Prag einrollten, entsandte der ÖRK ein dürres Protestschreiben. Die Konferenz Europäischer Kirchen zog es sogar vor, zu schweigen.

Der bohrende Stachel

Lang ist das ökumenische Sündenregister, das die Autoren ausbreiten. Doch allzu kurz greift das dargereichte Erklärungsangebot. Ein Grund liegt in den konzeptionellen Schwächen des Werks. Überschneidungen zwischen den Beiträgen von Armin Boyens über den Ökumenischen Rat der Kirchen und die Evangelische Kirche in Deutschland zwischen West und Ost und Gerhard Lindemann, der das Verhältnis zwischen moskaugesteuerter Christlicher Friedenskonferenz (CFK) und ÖRK untersucht, sind die Regel.

Den konfusen Eindruck verstärkt auch der Umstand, daß sich in Gerhard Besiers Beitrag über Protestantismus, Kommunismus und Ökumene in den Vereinigten Staaten manch hellsichtiger Satz zur ÖRK findet, die man eigentlich bei Boyens erwartet hätte. Dessen Werk ist zweifellos der zentrale Teil des Buches. Leider hat sich Boyens jedoch auf eine reine Organisationsgeschichte beschränkt. Statt das politische Lavieren des ÖRK auf der Folie der rasanten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse jener Zeit zu untersuchen, hangelt sich der Autor von einem Einladungsschreiben zum nächsten, breitet kirchenamtliche Kommuniqués, Briefwechsel und protokollarische Noten aus.

Wesentlich ergiebiger ist die Darstellung von Gerhard Besier. Während Boyens seinem organisationsgeschichtlichen Ansatz treu bleibt, indem er das Abdriften des ÖRK nach links vor allem auf die Wahl Blakes zum Generalsekretär zurückführt, vermag Besier für das gleiche Phänomen in den Vereinigten Staaten komplexere Erklärungen aufzubieten. Demnach seien die liberalen protestantischen Hauptkirchen dem ausgeprägten christlichen Individualismus und Pluralismus mit einem "pragmatischen Universalismus" begegnet, der tatsächlich bestehende Differenzen verwischen wollte und damit "die Subgruppen in ihrer religiösen Identität und ihren moralischen Werten verunsicherte". Vor diesem Hintergrund glich das fundamentalistische Eintreten des NCC für eine gerechtere Weltordnung einem Amoklauf, der die evangelischen Hauptkirchen nicht nur in einen scharfen Gegensatz zum Weißen Haus setzte, sondern auch die Anhängerschaft in Scharen zur konservativen evangelikalen Konkurrenz trieb. Diese verstand es geschickt, die "Glaubwürdigkeitslücke" der amerikanischen Gesellschaft in ihrem Sinne zu nutzen. Mit populistischen Themen wie der Schulgebets- und der Abtreibungsfrage gelang es der "New Christian Right" in den siebziger Jahren zunehmend, "Ängste vor einer liberalen Nivellierung aller Werte" zu mobilisieren, während der NCC mit seinem einseitigen Engagement für Menschenrechte und Weltfrieden in die nächste Glaubwürdigkeitslücke stolperte.

Die Parallelle zum ÖRK liegt nahe, wird aber von Boyens kaum wahrgenommen. Es war nicht allein der von Lukas Vischer 1990 beklagte "Anti-Anti-Kommunismus", der zum "Versagen" der liberalen reformierten Kirchen geführt hatte. Diese zogen ebensosehr die Konsequenz aus Barths These, daß "die Sache des Westens" zwar "unsere Sache", nicht aber die "Sache Gottes" sei. Das war ein bohrender Stachel im Gewissen liberaler Protestanten, den man durch einen antikapitalistischen und befreiungstheologischen Kurs ausgleichen wollte.

Diese Strategie spielte den kommunistischen Kirchenfunktionären geradezu in die Arme. Die CFK war, wie Lindeman zeigt, nach dem Ungarn-Aufstand initiiert worden, um westliche Kirchenkreise durch Propagierung vermeintlich "fortschrittlicher" Themen von der Unterdrückung der Religionsfreiheit im Ostblock abzulenken. Wie groß war die Überraschung der kommunistischen Kirchenfunktionäre, als sich die ÖRK anschickte, ihre östliche Konkurrenz links zu überholen. Selbst die Säuberung der CFK nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" vermochte das gute Einvernehmen nur kurzzeitig zu trüben. Karl Barth rümpfte über die CFK nur die Nase. Er hatte erkannt, daß der "Dritte Weg", auf dem sich die verblendeten Genfer Ökumeniker wähnten, in Wahrheit ein Holzweg war.

FRANK EBBINGHAUS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Frank Ebbinghaus skizziert in seiner Rezension des Bandes zunächst das Versagen des ökumenischen Protestantismus gegenüber dem Kommunismus - lange Zeit wollte der Protestantismus demnach im Kalten Krieg die Schwebe zwischen den Systemen halten, was in Wahrheit zu einer Einäugigkeit und Konzentration auf Kapitalismuskritik führte, während man den Kommunismus recht milde anfasste. Die Auseinandersetzung der Autoren des Buchs mit dem Thema liest Ebbinghaus mit gemischten Gefühlen. Er kritisiert vor allem den Beitrag von Armin Boyens über den Ökumenischen Rat und die deutsche Kirche in Ost und West, der sich allzu trocken auf reine Institutionengeschichte beschränke. Als wesentlich fruchtbarere Lektüre erscheint Ebbinghaus dagegen der Beitrag von Gerhard Besier über den US-amerikanischen Protestantismus, der jene Auseinandersetzungen leiste, die sich Boyens erspare.

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