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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.1998

Unter dem Joch der Nationalsozialisten
Die Nationalökonomie im Dritten Reich

Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus. Die deutsche Volkswirtschaftslehre in den dreißiger Jahren. Metropolis-Verlag, Marburg 1998, 650 Seiten, 98 DM.

Die deutsche Nationalökonomie leidet noch heute unter den Spätfolgen ihres Sonderwegs, der mit der Historischen Schule begonnen hat. Als Erbsenzähler hat Werner Sombart die "Kathedersozialisten" beschimpft - die Vertreter dieser Richtung, die nach Erkenntnis aus praktischer Anschauung statt aus theoretischer Ableitung gesucht haben, auch wenn Sombart ihr selbst noch angehört hat. Die Resistenz gegenüber der Erneuerung durch die deduktive Grenznutzenanalyse sowie durch erste Ansätze zur dynamischen Theorie hat dazu geführt, daß die deutsche Nationalökonomie im internationalen Vergleich dauerhaft zurückgefallen ist. In der dogmengeschichtlichen Literatur ist dieser Prozeß umfassend behandelt worden. Doch das Augenmerk richtet sich dabei meist nur auf die Zeit bis zur Weimarer Republik; das Interesse setzt erst später mit den Widerstands-Entwürfen für eine Nachkriegswirtschaft wieder ein. Die ökonomischen Strömungen im Dritten Reich bleiben ausgespart oder werden als indiskutabel tabuisiert.

Hauke Janssen schließt nun diese Lücke. In seinem Buch geht er Fragen nach, die schon längst hätten geklärt werden sollen: Hat der historisierende Sonderweg in der deutschen Nationalökonomie logisch zwingend zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten geführt? Und - was nicht dasselbe ist - hätte die nationalsozialistische Zentralverwaltungswirtschaft ohne die geistige Basis der Historischen Schule bestehen können? Haben die Nationalsozialisten ihrerseits die Fortentwicklung der Ökonomie entscheidend geprägt? Haben sich die deutschen Ökonomen mehrheitlich vom Hitler-Regime in Dienst nehmen lassen?

Der Autor widerlegt die These von einer zwangsläufigen Kontinuität der deutschen Nationalökonomie. Er weist darauf hin, daß es bis 1933 noch so ausgesehen habe, als ob die moderne Klassik, angetrieben von den "deutschen Ricardianern" um Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke und Walter Eucken, den Historismus im Verein für Socialpolitik hätte überwinden können. Doch die Gruppe der Ricardianer sei letztlich zu heterogen gewesen, um diesen Zweikampf zu gewinnen. Durch das Hitler-Regime sei ihr dann der Boden entzogen worden. Janssen schreibt: "So markierte das Jahr 1933 vor allem den Bruch mit der klassischen Tradition der deutschen Nationalökonomie, während der Historismus Rückenwind erhielt."

Der Autor geht vorsichtig mit dem Vorwurf um, die Historische Schule sei in verhängnisvolle Nähe zu den Nationalsozialisten gerückt. Inhaltlich habe es zwar einen gemeinsamen Nenner im "Primat der Politik" gegeben, im Gestaltungswillen, der auf ökonomische Gesetze nicht immer Rücksicht zu nehmen bereit gewesen sei, sowie in dem Grundsatz "Gemeinnutz vor Eigennutz". Den entscheidenden Unterschied erkennt Janssen indes darin, daß die Nationalsozialisten diese Parole rassisch fundiert hätten. "Im nationalsozialistischen Wirtschaftsdenken wurden nun häufig Kapitalismus, Judentum und Liberalismus in einen Topf geworfen." Im übrigen hätten die Nationalsozialisten zwar wohl von der Vorbereitung des geistigen Terrains durch die Historische Schule profitiert, zugleich jedoch keine Ansprüche auf geistige Vaterschaft geduldet.

Auch wenn die wissenschaftlichen Grundlagen der Historischen Schule von antisemitischem Ressentiment frei gewesen sind, hat das nicht für die persönliche Einstellung aller ihrer Vertreter gegolten. So zitiert Janssen die unrühmlichen Auslassungen Sombarts (für ihn akzeptiert er die Bezeichnung "geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus") und berichtet von den Ambitionen des NSDAP-Mitglieds Jens Jessen, der erst spät zum Widerstand gefunden hat und zunächst am Institut für Weltwirtschaft in Kiel "das ,nationalsozialistische Ideal der wirtschaftlichen Selbstgenügsamkeit mit den naturgegebenen weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten und Bedingtheiten der deutschen Wirtschaft' verbinden" wollte. Verwertbare Impulse habe das nationalsozialistische Wirtschaftsdenken, das vollkommen auf die Kriegswirtschaft ausgerichtet gewesen sei, freilich nicht gegeben.

Der Bericht über die Gleichschaltung der Wirtschaftswissenschaft 1933 ist beklemmend. "Die Beflissenheit, mit der sich die deutschen Gelehrten und Wissenschaftler fast ausnahmslos den neuen Machthabern zur Verfügung stellten, ist eins der erschütterndsten und beschämendsten Schauspiele in der ganzen Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus" - mit diesem 1944 im Londoner Exil geschriebenen Satz zitiert der Autor Friedrich August von Hayek. Er berichtet von den unseligen Strömungen, die der neue Geist gebar, von Ökonomen, die sich notgedrungen arrangierten, sowie von anderen, die sich nicht verführen ließen.

Aus einem Gespräch mit Karl Schiller, zu jener Zeit Assistent des Schmoller-Schülers Carl Brinkmann, gibt Janssen zu lesen: "Am Katheder stand ein Mann in Uniform. Er war aus Berlin gekommen, um uns zu sagen, daß die Nationalökonomie alter Ordnung und Observanz überholt sei: liberalistisch, jüdisch, schwächlich und nicht zu gebrauchen. Eine furchtbare Philippika ging über uns herunter. Alle saßen da mit gebeugten Köpfen . . . Mit einem Mal stand ein Mann auf und sagte: ,Ich protestiere, ich protestiere' und schüttelte die Fäuste . . . Der mutige Mann war Walter Eucken . . . Sonst gab es keinen öffentlichen Protest."

In Janssens Werk wird das geistige Klima im Dritten Reich auf fast gespenstische Weise greifbar. Der Autor formuliert packend, seine Theorieabrisse sind präzise, die Antworten differenziert. Das einzige, woran das Werk leidet, ist eine gewisse Neigung zu Wiederholungen, Zeichen der schwierigen Gliederung einer von vielen Zusammenhängen durchwobenen Materie - indes: ein kleines Manko in einem guten, längst überfälligen Buch. Am Ende findet sich auf knapp hundert Seiten noch ein kleiner Schatz: eine Sammlung von Kurzbiographien der bekannten wie der teils zu Recht, teils zu Unrecht vergessenen Ökonomen jener Zeit. Sie reicht vom "letzten großen Kathedersozialisten" und Goerdeler-Berater Gerhard Albrecht bis hin zu Charlotte von Reichenau, der einzigen Frau auf einem nationalökonomischen Lehrstuhl im Dritten Reich, und zum rassisch geächteten George-Anhänger Edgar Salin. KAREN HORN

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