Endlich bilanziert ein Themenband die regional- und lokalgeschichtlich spezialisierten Einzelforschungen zum Nationalsozialismus. Die Beiträge resümieren die Forschungsergebnisse, sie diskutieren auch die methodischen Probleme einer Regionalgeschichte des Nationalsozialismus. Beiträge von: Hellmuth Auerbach , Walter L. Bernecker, Werner K. Blessing, Christoph Boyer/ Jaroslav Kucera, Gerhard Brunn / Jürgen Reulecke, Ursula Büttner, Volker Dahm, Kurt Düwell, Roger Engelmann, Ernst Hanisch, Horst Möller, Jeremy Noakes, Heinz-J. Priamus, Wolfram Pyta, Cornelia Rauh-Kühne, Michael Ruck, Detlef Schmiechen-Ackermann, Cornelia Wilhelm, Andreas Wirsching, Walter Ziegler.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.1996Regionalismus ernst genommen
Ein Sammelband auf wenigen alten Pfaden und vielen neuen Wegen
Horst Möller, Andreas Wirsching, Walter Ziegler (Herausgeber): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer. R. Oldenbourg Verlag, München 1996. 350 Seiten, 78,- Mark.
Der zu besprechende Band ist das Ergebnis eines Symposions im Münchner Institut für Zeitgeschichte. Wie spannend dieser Kongreß war, zeigten die zumeist auf hohem Niveau geführten Diskussionen. Am Schluß dieses Beitrags, der in knapper Form das Thema auf den Punkt bringt, heißt es: "Wenn man das Beziehungsgeflecht zwischen den ,kulturellen' Bedürfnissen der Menschen in den zwanziger und dreißiger Jahren und dem Herrschaftsapparat beziehungsweise den NS-Organisationen und -Funktionären besser verstehen will, dann liefert unseres Erachtens besonders der regionalgeschichtliche Zugriff einen aussichtsreichen Zugang. Die von Ian Kershaw mit Erstaunen registrierte Beobachtung, das Ausmaß von Dissens im Dritten Reich sei frappierend, noch mehr aber dessen Vereinbarkeit mit einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit den Hauptlinien der NS-Politik, fände dann vielleicht einleuchtendere Erklärungen als bisher."
Dem kann man nur zustimmen, und die beiden brillanten Einleitungsvorträge von Horst Möller über "Regionalismus und Zentralismus in der neueren Geschichte" und von Andreas Wirsching, "Nationalsozialismus in der Region", stecken in weitgespanntem Bogen die Möglichkeiten des regionalhistorischen Ansatzes ab. Es würde zu weit führen, den Reichtum der Einzelbeiträge ausbreiten zu wollen.
Für das Dritte Reich führen zum Kern des Themas die beiden Beiträge über die NS-Gauleiter beziehungsweise Gau- und Kreisleiter. Beide Autoren sind mit Recht vorsichtig bei der Frage, ob sich in diesen NS-Subsystemen regionale Kräfte älterer Zeit fortsetzten. Besonders deutlich wird das in dem Beitrag von Walter Ziegler, der stark auf die kräftigen regionalen beziehungsweise eigenstaatlichen Strukturen Bayerns eingeht und daran die berechtigte Frage knüpft, was davon nach 1933 in völlig verändertem Kontext fortwirkte. Man teilt seine Skepsis, denn es hat wohl wenig mit der ehrenvollen Tradition der konstitutionellen Monarchie Bayerns zu tun, wenn der Gauleiter Wagner - eine brutale Säufer-Type - aus Machtgier die anderen Gauleiter im ehemaligen Königsstaat an seiner Münchner Kandare zu halten suchte. Hier erweist der regionale Aspekt noch ex negativo seine klärende Kraft.
Im Grunde ist das auch die Botschaft des gediegenen Beitrags von Kurt Düwell, der das Machtstreben der "Gaufürsten" zwar genau dokumentiert, aber ebenfalls erkennen läßt, daß hier doch ein qualitativer Unterschied zu echten regionalen Traditionen besteht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß "weit mehr Landräte als Kreisleiter der Partei zum Fronteinsatz berufen" wurden, die NS-Bonzokratie also durchaus am (eigenen) Leben hing - ein Gesichtspunkt, der noch viel zuwenig hinsichtlich seiner Konsequenzen für die Zeit nach 1945 beachtet wurde, aber zur Niedertracht des Gesamtsystems wesentlich dazugehört.
Wie problematisch es ist, ältere oder vergleichbare Ansätze unbesehen in das NS-System einzubeziehen, zeigt hingegen der Beitrag von Christoph Boyer und Jaroslav Kucera über "Die Deutschen in Böhmen, die Sudetendeutsche Partei und der Nationalsozialismus". Es ist eine Darstellung, die ideologisch weitgehend auf der Linie der alten tschechoslowakischen Staatsideologie liegt, wonach der deutsche Bevölkerungsteil der Böhmischen Länder, der zahlenmäßig das "zweite Staatsvolk" der CSR, die Slowaken, zwar bei weitem überwog, aber vom Prager Establishment als "Minderheit" und im Grunde als "Sand im Getriebe" des offiziell deklarierten Nationalstaats der Tschechen und Slowaken betrachtet wurde.
Sehr pointiert, aber kaum zu Recht, hat Ferdinand Seibt der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins eine enge Geistesverwandtschaft mit dem reichsdeutschen Nationalsozialismus und eine weitgehende politisch-organisatorische Abhängigkeit nachgesagt, wobei er die Differenzen zu Berlin als "Bruderzwist" minimalisierte. Der Amerikaner Ronald Smelser hat 1980 demgegenüber für die Zeit bis 1937 die eigenständigen Wurzeln dieser auch durch die Prager Politik provozierten Bewegung hervorgehoben. Ohne näher auf Smelser einzugehen, werden von den beiden Autoren die ständestaatlichen Konzepte der SdP offenbar gering eingeschätzt, was zu einem von Anfang an schiefen, das heißt negativen Bild führt. Dabei sollte man bedenken, daß ständestaatliche Ideen nicht eo ipso "faschistisch" oder "faschistoid" sind.
Was an realer "Abhängigkeit" der SdP Henleins von Berlin angeführt wird, reduziert sich im Grunde auf die seit 1935 gezahlte finanzielle Unterstützung der sudetendeutschen Parteizeitung "Die Zeit" von 30000 Reichsmark pro Jahr - eine geringe Summe im Vergleich zu den Millionen Kronen, mit denen die Prager Regierung ausländische Journalisten zu wohlwollenden Berichten über die CSR inspirierte. Beträchtlicher war die Starthilfe von 330000 Reichsmark für die erste Wahlkampagne der Sudetendeutschen Partei (Heimatfront), aber auch hierbei sollte nicht vergessen werden, daß bereits die Weimarer Republik unter anderem über den "Verein für das Deutschtum im Ausland" (1881 gegründet, 1933 in "Volksbund für das Deutschland im Ausland" umbenannt) Subventionen an die Sudetendeutschen gab. In diesen Organisationen hatten "Traditionalisten" (so Smelser) wie Dr. Hans Steinacher sowie Karl und Albrecht Haushofer das Sagen, die dann seit 1937 von Himmlers Parteileuten verdrängt wurden. Über das katastrophale und schließlich auch schuldhafte Ende der SdP kann es keinen Zweifel geben, aber der Historiker hat die Pflicht, die Gesamtentwicklung dieser Sammlungsbewegung zu analysieren, in der auch andere Möglichkeiten enthalten waren.
Schließlich sei methodisch angemerkt, daß - wenn man korrekt argumentieren will - nicht gerade eines der schlimmsten chauvinistischen Blätter der Republik, nämlich "Ceské slovo", nebenbei das Parteiblatt Edvard Benes', als Beweis für den "Hitlerismus" der SdP vor 1937 zitiert werden sollte. Im Hinblick auf den seriösen regionalistischen Aspekt des Buches mutet es überdies seltsam an, wenn die Verfasser das Prinzip nationaler Kataster kritisieren, das 1905/06 mit Erfolg in Mähren eingeführt wurde und dort den Nationalitätenkampf weitgehend dämpfte. Mährische Tschechen und Deutschmährer hatten gemeinsam die Einführung des Nationalkatasters, das heißt die politisch-nationale Aufgliederung der Wahlkörper, in der Einsicht beschlossen, daß damit dem Frieden im Lande gedient sei; diese Idee Karl Renners war seither Gemeingut beider Völker. Auf dieses Prinzip berief sich Henlein ebenfalls, was nach Meinung der beiden Autoren "im Endergebnis sicherlich auf einen deutschen Staat im tschechoslowakischen Staat hinausgelaufen wäre". Zwangsläufig war das aber keineswegs. Hier waren nämlich in der Tat erfolgreiche regionalistische Konzeptionen der Selbstverwaltung gemeint, die auch für das heutige Europa der Regionen richtungweisend sein können.
Insgesamt jedoch handelt es sich um eine wichtige und gehaltvolle Veröffentlichung, an deren Lektüre niemand vorbeikommen wird, der Regionalismus als Problem ernst nimmt. FRIEDRICH PRINZ
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Ein Sammelband auf wenigen alten Pfaden und vielen neuen Wegen
Horst Möller, Andreas Wirsching, Walter Ziegler (Herausgeber): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer. R. Oldenbourg Verlag, München 1996. 350 Seiten, 78,- Mark.
Der zu besprechende Band ist das Ergebnis eines Symposions im Münchner Institut für Zeitgeschichte. Wie spannend dieser Kongreß war, zeigten die zumeist auf hohem Niveau geführten Diskussionen. Am Schluß dieses Beitrags, der in knapper Form das Thema auf den Punkt bringt, heißt es: "Wenn man das Beziehungsgeflecht zwischen den ,kulturellen' Bedürfnissen der Menschen in den zwanziger und dreißiger Jahren und dem Herrschaftsapparat beziehungsweise den NS-Organisationen und -Funktionären besser verstehen will, dann liefert unseres Erachtens besonders der regionalgeschichtliche Zugriff einen aussichtsreichen Zugang. Die von Ian Kershaw mit Erstaunen registrierte Beobachtung, das Ausmaß von Dissens im Dritten Reich sei frappierend, noch mehr aber dessen Vereinbarkeit mit einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit den Hauptlinien der NS-Politik, fände dann vielleicht einleuchtendere Erklärungen als bisher."
Dem kann man nur zustimmen, und die beiden brillanten Einleitungsvorträge von Horst Möller über "Regionalismus und Zentralismus in der neueren Geschichte" und von Andreas Wirsching, "Nationalsozialismus in der Region", stecken in weitgespanntem Bogen die Möglichkeiten des regionalhistorischen Ansatzes ab. Es würde zu weit führen, den Reichtum der Einzelbeiträge ausbreiten zu wollen.
Für das Dritte Reich führen zum Kern des Themas die beiden Beiträge über die NS-Gauleiter beziehungsweise Gau- und Kreisleiter. Beide Autoren sind mit Recht vorsichtig bei der Frage, ob sich in diesen NS-Subsystemen regionale Kräfte älterer Zeit fortsetzten. Besonders deutlich wird das in dem Beitrag von Walter Ziegler, der stark auf die kräftigen regionalen beziehungsweise eigenstaatlichen Strukturen Bayerns eingeht und daran die berechtigte Frage knüpft, was davon nach 1933 in völlig verändertem Kontext fortwirkte. Man teilt seine Skepsis, denn es hat wohl wenig mit der ehrenvollen Tradition der konstitutionellen Monarchie Bayerns zu tun, wenn der Gauleiter Wagner - eine brutale Säufer-Type - aus Machtgier die anderen Gauleiter im ehemaligen Königsstaat an seiner Münchner Kandare zu halten suchte. Hier erweist der regionale Aspekt noch ex negativo seine klärende Kraft.
Im Grunde ist das auch die Botschaft des gediegenen Beitrags von Kurt Düwell, der das Machtstreben der "Gaufürsten" zwar genau dokumentiert, aber ebenfalls erkennen läßt, daß hier doch ein qualitativer Unterschied zu echten regionalen Traditionen besteht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß "weit mehr Landräte als Kreisleiter der Partei zum Fronteinsatz berufen" wurden, die NS-Bonzokratie also durchaus am (eigenen) Leben hing - ein Gesichtspunkt, der noch viel zuwenig hinsichtlich seiner Konsequenzen für die Zeit nach 1945 beachtet wurde, aber zur Niedertracht des Gesamtsystems wesentlich dazugehört.
Wie problematisch es ist, ältere oder vergleichbare Ansätze unbesehen in das NS-System einzubeziehen, zeigt hingegen der Beitrag von Christoph Boyer und Jaroslav Kucera über "Die Deutschen in Böhmen, die Sudetendeutsche Partei und der Nationalsozialismus". Es ist eine Darstellung, die ideologisch weitgehend auf der Linie der alten tschechoslowakischen Staatsideologie liegt, wonach der deutsche Bevölkerungsteil der Böhmischen Länder, der zahlenmäßig das "zweite Staatsvolk" der CSR, die Slowaken, zwar bei weitem überwog, aber vom Prager Establishment als "Minderheit" und im Grunde als "Sand im Getriebe" des offiziell deklarierten Nationalstaats der Tschechen und Slowaken betrachtet wurde.
Sehr pointiert, aber kaum zu Recht, hat Ferdinand Seibt der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins eine enge Geistesverwandtschaft mit dem reichsdeutschen Nationalsozialismus und eine weitgehende politisch-organisatorische Abhängigkeit nachgesagt, wobei er die Differenzen zu Berlin als "Bruderzwist" minimalisierte. Der Amerikaner Ronald Smelser hat 1980 demgegenüber für die Zeit bis 1937 die eigenständigen Wurzeln dieser auch durch die Prager Politik provozierten Bewegung hervorgehoben. Ohne näher auf Smelser einzugehen, werden von den beiden Autoren die ständestaatlichen Konzepte der SdP offenbar gering eingeschätzt, was zu einem von Anfang an schiefen, das heißt negativen Bild führt. Dabei sollte man bedenken, daß ständestaatliche Ideen nicht eo ipso "faschistisch" oder "faschistoid" sind.
Was an realer "Abhängigkeit" der SdP Henleins von Berlin angeführt wird, reduziert sich im Grunde auf die seit 1935 gezahlte finanzielle Unterstützung der sudetendeutschen Parteizeitung "Die Zeit" von 30000 Reichsmark pro Jahr - eine geringe Summe im Vergleich zu den Millionen Kronen, mit denen die Prager Regierung ausländische Journalisten zu wohlwollenden Berichten über die CSR inspirierte. Beträchtlicher war die Starthilfe von 330000 Reichsmark für die erste Wahlkampagne der Sudetendeutschen Partei (Heimatfront), aber auch hierbei sollte nicht vergessen werden, daß bereits die Weimarer Republik unter anderem über den "Verein für das Deutschtum im Ausland" (1881 gegründet, 1933 in "Volksbund für das Deutschland im Ausland" umbenannt) Subventionen an die Sudetendeutschen gab. In diesen Organisationen hatten "Traditionalisten" (so Smelser) wie Dr. Hans Steinacher sowie Karl und Albrecht Haushofer das Sagen, die dann seit 1937 von Himmlers Parteileuten verdrängt wurden. Über das katastrophale und schließlich auch schuldhafte Ende der SdP kann es keinen Zweifel geben, aber der Historiker hat die Pflicht, die Gesamtentwicklung dieser Sammlungsbewegung zu analysieren, in der auch andere Möglichkeiten enthalten waren.
Schließlich sei methodisch angemerkt, daß - wenn man korrekt argumentieren will - nicht gerade eines der schlimmsten chauvinistischen Blätter der Republik, nämlich "Ceské slovo", nebenbei das Parteiblatt Edvard Benes', als Beweis für den "Hitlerismus" der SdP vor 1937 zitiert werden sollte. Im Hinblick auf den seriösen regionalistischen Aspekt des Buches mutet es überdies seltsam an, wenn die Verfasser das Prinzip nationaler Kataster kritisieren, das 1905/06 mit Erfolg in Mähren eingeführt wurde und dort den Nationalitätenkampf weitgehend dämpfte. Mährische Tschechen und Deutschmährer hatten gemeinsam die Einführung des Nationalkatasters, das heißt die politisch-nationale Aufgliederung der Wahlkörper, in der Einsicht beschlossen, daß damit dem Frieden im Lande gedient sei; diese Idee Karl Renners war seither Gemeingut beider Völker. Auf dieses Prinzip berief sich Henlein ebenfalls, was nach Meinung der beiden Autoren "im Endergebnis sicherlich auf einen deutschen Staat im tschechoslowakischen Staat hinausgelaufen wäre". Zwangsläufig war das aber keineswegs. Hier waren nämlich in der Tat erfolgreiche regionalistische Konzeptionen der Selbstverwaltung gemeint, die auch für das heutige Europa der Regionen richtungweisend sein können.
Insgesamt jedoch handelt es sich um eine wichtige und gehaltvolle Veröffentlichung, an deren Lektüre niemand vorbeikommen wird, der Regionalismus als Problem ernst nimmt. FRIEDRICH PRINZ
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