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Produktdetails
  • Verlag: Mandelbaum
  • Überarb. u. erw. Aufl.
  • Seitenzahl: 650
  • Erscheinungstermin: 27. März 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 1092g
  • ISBN-13: 9783854762522
  • ISBN-10: 3854762526
  • Artikelnr.: 23400789
Autorenporträt
Gerhard Botz, geb. 1941 in Oberösterreich; Studium von Geographie, Biologie und Geschichte an der Universität Wien, Dr. phil. 1967; 1965-68 Dokumentar an der Arbeiterkammer Wien; 1968-79 Assistent und 1979/80 Dozent an der Universität Linz; 1980-97 o. Professor für österreichische Geschichte an der Universität Salzburg; Gastprofessuren an der University of Minnesota, Minneapolis, an der Stanford University und an der École des Hautes Études, Paris; seit 1982 Leiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Historische Sozialwissenschaft, Salzburg-Wien; seit 1997 o. Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2008

Verdrängte Wahrheiten
Die Österreicher, der Nationalsozialismus und die „Arisierung”
Als Adolf Hitler 1913 im Alter von 24 Jahren nach München kam, war der Grundstein seines politischen Denkens bereits gelegt. Schon in Wien hatte er sich seine deutschnationalen und antisemitischen Rassentheorien angeeignet, die, verbunden mit einem kleinbürgerlichen Pragmatismus, „ein wichtiges Erfolgsprinzip für den Aufstieg der NSDAP in Deutschland” werden sollten, schreibt der österreichische Historiker Gerhard Botz. Zum 70. Jahrestag des österreichischen „Anschlusses” an das Deutsche Reich ist die vollständig überarbeitete Auflage seines Standardwerks „Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39” aus dem Jahr 1978 neu erschienen.
Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich die Mehrheit der Österreicher als „Hitlers erste Opfer”, bis Botz 1978 diese Lebenslüge seiner Landsleute in Frage stellte. 1988 standen sich selbst seine wissenschaftlichen Kollegen noch immer in zwei unversöhnlichen Lagern gegenüber: Die einen betrachteten die Österreicher weiterhin als „Opfer”, die anderen als „Mittäter”. Erst in jüngster Zeit haben sich auch in der breiten Öffentlichkeit die unbequemen Kritiker durchgesetzt, die wie Botz die Geschichte der österreichischen NS-Herrschaft schonungslos analysieren.
Botz betrachtet in seiner Studie, die er als eine „sozialgeschichtliche Politikgeschichte” Wiens versteht, die österreichische Hauptstadt als ein „Laboratorium des Weltuntergangs für Juden, ,Minderrassische‘ und Fremdvölkische”, dessen rassistische und antisemitische Experimente später in Deutschland im großen Stil umgesetzt wurden. Zeitlich hat sich der Historiker auf die Monate zwischen der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich im Frühling 1938 und dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September 1939 beschränkt. In dieser kurzen Zeitspanne entwickelten sich die Grundzüge der nationalsozialistischen Wien-Politik, die Botz untersucht.
Während seiner Forschungen für die aktuelle Ausgabe seines Buches ist er auf bisher unbeachtete Quellen gestoßen, die eine geplante territoriale „Endlösung der Wiener Tschechenfrage” dokumentieren. Abermals bringt Botz verdrängte Wahrheiten ans Licht, die den Reiz der Neuauflage seines Werks ausmachen.
Was die Auswahl perfider Machtmittel betrifft, waren die österreichischen Nationalsozialisten auch ohne deutsche Befehle äußerst erfindungsreich. So organisierten sie beispielsweise die Enteignung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung so erfolgreich, dass die Wiener „Ariseure” zum Vorbild für die deutschen Nazis wurden. Gleichzeitig richteten die Wiener NS-Funktionäre unter der Kontrolle der SS ein geheimes Büro ein, die sogenannte Minderheitenstelle. Die NS-Ideologen witterten nämlich nicht nur eine jüdische, sondern auch die tschechische „Gefahr” in Wien. Durch gezielte Fragen nach Volkszugehörigkeit und Doppelsprachigkeit im Rahmen einer Volkszählung am 17. Mai 1939, geriet mit mehr als 400 000 „Fremdvölkischen” ein Viertel der Wiener Bevölkerung ins Visier der Nationalsozialisten.
Die meisten unter ihnen waren keine gebürtigen Tschechen, sondern hatten nur tschechische Verwandte oder interessierten sich für die tschechische Kultur. Die Nationalsozialisten überschätzten in ihrem ideologischen Wahn bei weitem die Zahl der „Tschechen” und schufen so den Mythos Wiens als größter tschechischer Stadt. Laut Botz gab es nach dem Ersten Weltkrieg allenfalls noch 94 000 Tschechen in Wien. Das hielt die Nazis aber nicht davon ab, den angeblichen Slawen systematisch Sozial- und Fürsorgeleistungen abzuerkennen und sie von der Gestapo überwachen zu lassen. Auf Dauer sollten die Wiener Tschechen vertrieben oder gar ermordet werden, was nur durch die angespannte Kriegslage verhindert wurde.
Als Mitte 1942 der Sieg Deutschlands über Russland erwartet wurde, rückte das gesteckte Ziel wieder näher. „So wie ich diese Stadt (Wien) judenfrei machen werde, werde ich sie auch tschechenfrei machen”, verkündete Gauleiter Baldur von Schirach bei einem Treffen der Deutschen Arbeitsfront. Botz hat ein weiteres verstörendes Kapitel aufgeschlagen, das die Rückkehr zum gewohnten moralischen Versteckspiel in der österreichischen Geschichtsdebatte unmöglich macht. FRANZISKA BRÜNING
GERHARD BOTZ: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Mandelbaum, Wien 2008. 734 S., 29,80 Euro.
Das Holocaust-Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread am Wiener Judenplatz. Es erinnert an die mehr als 65 000 österreichischen Juden, die zwischen 1939 und 1945 ermordet wurden. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Franziska Brüning begrüßt diese völlig überarbeitete Neuausgabe von Gerhard Botz' Buch über den "Nationalsozialismus in Wien", die zum siebzigsten Jahrestag des österreichischen "Anschlusses" an das Deutsche Reich erscheint. Sie schätzt die umfangreiche Arbeit als Standardwerk, mit dem Botz die Lebenslüge seiner Landsleute, die Österreicher seien "Hitlers erste Opfer" gewesen, in Frage gestellt habe. An der vorliegenden Neuausgabe hebt Brüning die neuen Erkenntnisse des Historikers zur "Wiener Tschechenfrage" hervor. Brüning attestiert dem Autor, mit seinem Werk abermals "verdrängte Wahrheiten" zutage zu fördern.

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