Diese innovative Studie versteht das nationalsozialistische Strafrecht - in Übereinstimmung mit Kontinuitäts- und Radikalisierungsthese - als rassistisch (antisemitisch), völkisch ("germanisch") und totalitär ausgerichtete Fortschreibung der autoritären und antiliberalen Tendenzen des deutschen Strafrechts der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik. Dies wird durch die systematisch-analytische Aufbereitung der Texte relevanter Autoren belegt, wobei es primär um die - für sich selbst sprechenden - Texte, nicht die moralische Beurteilung ihrer Verfasser geht. Dabei werden auch Erkenntnisse zur Rezeption des deutschen (NS-)Strafrechts in Lateinamerika mitgeteilt. Die besagte Kontinuität existierte nicht nur rückwärtsgewandt (post-Weimar), sondern auch zukunftsgerichtet (Bonner Republik). Kurzum, das NS-Strafrecht kam weder aus dem Nichts noch ist es nach 1945 völlig verschwunden. Der zeitgenössische Versuch der identitären Rekonstruktion des germanischen Mythos durch die sog. "neue Rechte" schließt daran nahtlos an. "alles ... ungeheuer spannend ... viel neues Material ... In der Sache stimme ich ... durchgehend zu, insbesondere auch bei der Behandlung des Neukantianismus."Prof. (em.). Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin, München "großartiges Buch .... Materialreichtum und Sicherheit der Beurteilungen beeindruckend"Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. mult. Günther Jakobs, Bonn "Eine höchst beeindruckende Leistung, die sowohl ungewöhnlich tiefe Einblicke in das nationalsozialistische (Un-)Rechtsdenken eröffnet als auch ungemein breite Vertrautheit mit der lateinamerikanischen Strafrechtsdoktrin erkennen lässt."Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser, M.C.J., Freiburg i. Br. "... ein gehaltvolles Buch, das für die Bestimmung des Gegenstandes der modernen Strafrechtswissenschaft wichtig ist, jedenfalls werden sollte. Die vorherrschende Meinung und die übliche Arbeitsweise im Strafrecht wird Mühe haben, die Themen aufzunehmen, die hier mit Klarheit ausformuliert wird. ... höchst informative Auseinandersetzung mit Zaffaronis Ansichten und dabei ohne jeden vorwurfsvollen Ton ..."Prof. (em.) Dr. Wolfgang Naucke, Frankfurt am Main "ein gelungenes Werk, von dem ich sehr profitiert habe"Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Franz Streng, Uni Erlangen Nürnberg "Beeindruckend... Ein solches Buch zu dieser Zeit empfinde ich als Glücksfall. Entschieden wird der Gegenwartsbezug herausgestellt. Damit wird gleichermaßen entschieden Tendenzen entgegengetreten, das Thema der Strafrechtsgeschichte zu überantworten. Dem Materialreichtum der Schrift wird sich niemand entziehen können."Prof. (em.) Dr. Klaus Marxen, Berlin"Die überaus materialreiche Schrift öffnet die Augen für die Kontinuität des Strafrechts in den Jahren vor, während und nach dem Ende des Nationalsozialismus. Sie zeigt zugleich die - durchaus aktuellen - Gefahren, die von einer Ent-Rationalisierung des Strafrechts und von dem Postulat einer vagen Gemeinschaftsethik als dessen vermeintlicher Grundlage ausgehen."Prof. (em.) Dr. Thomas Weigend, Köln
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2019Brauner Speichel aus den Jurafakultäten
Kai Ambos erklärt, warum es vielen Strafrechtlern nach 1933 nicht schwerfiel, sich der neuen NS-Ideologie anzupassen
Von 1933 an machten sich die neuen braunen Herrscher daran, die stockkonservative bis reaktionäre Weimarer Justiz zu einem Kampfinstrument umzuformen. Die Justiz sollte sich nicht mehr behindern lassen von solchen juristischen Kleinigkeiten wie Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Auch den Rechtsprofessoren an den Universitäten dachten die Nationalsozialisten dabei eine Aufgabe zu. Sie sollten das Ganze intellektuell einspeicheln, auf dass die Justizpraxis es leichter schluckt.
Und wie sie es eingespeichelt haben! Der kleine Band „Nationalsozialistisches Strafrecht“ des Göttinger Strafrechtsprofessors Kai Ambos strotzt nur so vor Beispielen, wie Ehrfurcht gebietende Ordinarien von 1933 an ihre ganze Bildung einsetzten, um feine Worte zu spinnen für das, was die Nazis längst an Kasernenhofparolen vorgegeben hatten. Edmund Mezger ist so ein Beispiel, angesehener Professor für Strafrecht in München. 1934 schrieb er von der „Totalität der Rechtsgemeinschaft“ – in Abgrenzung zur überkommenen „liberalistischen Auffassung“ –, um zu begründen, dass die staatliche Reaktion auf den „psychopathischen Verbrecher“ „unmöglich … vom Individuum hergeleitet werden“ könne, sondern eben in der besagten „Totalität der Rechtsgemeinschaft“ ihren „Ausgangspunkt“ nehmen müsse. Mit anderen Worten: Egal, was einer verbrochen hat. Gestraft wird, wenn es gerade den Interessen des Kollektivs, der Volksgemeinschaft, nützt.
Wozu sperrt man überhaupt Kriminelle ein? Nicht Prävention oder Schuldausgleich seien das Ziel, so schrieb 1934 Erik Wolf, bis dahin wenig auffälliger Strafrechtsprofessor in Freiburg. Sondern die „Ausschließung von Schädlingen“. Derselbe Erik Wolf hatte noch bis 1933 ein klassisch-autoritäres Konzept von Strafrecht vertreten und dieses, genau besehen, nur leicht radikalisieren müssen, um damit den von den Nazis gewünschten Ton zu treffen, so lautet die These von Ambos. Die Ansätze waren alle schon da. Autoritarismus und Menschenverachtung waren stark an den juristischen Fakultäten, auch vor 1933. „Das NS-Strafrecht kam weder aus dem Nichts noch ist es nach 1945 völlig verschwunden“, schreibt Ambos.
Dazu trugen – bittere Pointe – auch die eigentlich größten Gegner dieses alten, deutschen Vergeltungsdenkens bei, die linken Idealisten der sogenannten modernen Schule des Strafrechts, die in den 1920er-Jahren Träume von Prävention und (Straftäter-)Erziehung träumten. Ein SPD-Justizminister hatte 1924 das Jugendstrafrecht eingeführt, ganz dem Erziehungsgedanken verpflichtet. Die NS-Juristen führten dies von 1933 an mit Freude fort. Es diente ihnen als Legitimation für ihre gewaltsame Umerziehung Jugendlicher mit „schädlichen Neigungen“. Sie mussten das präventive Konzept der Linken, das den autoritären Kern bereits in sich trug, wie Ambos betont, nur weiterdrehen.
Dieses Buch ist durch einen Zufall entstanden. Kai Ambos wollte eigentlich nur eine neue spanischsprachige Schrift über NS-Strafrecht rezensieren, ein Buch des argentinischen Richters Eugenio Raúl Zaffaroni. Das Buch kennt freilich hierzulande niemand. Der eher ungnädigen Kritik Ambos’ zufolge hat man auch nicht viel verpasst. Aber dieses Buch hat Ambos derart angeregt, dass aus seiner anfänglichen Rezension eine eigene Recherche erwachsen ist. Beschreibt Ambos die Genese seiner Arbeit anfangs noch sympathisch offen in Ich-Form, morpht dies im Laufe des Bandes zurück in einen akademisch-majestätischen Plural („wir haben gezeigt, dass“); es ist eine Studie über Ambos’ eigene Zunft der Rechtsprofessoren geworden.
Ambos zeichnet sie nicht so sehr als politische Wendehälse. Er beschreibt sie vielmehr als Vertreter einer Beharrungskraft, die sich selbst weitgehend treu bleiben durften; autoritär, unerbittlich. Der erwähnte Münchner Professor Edmund Mezger zum Beispiel wurde nach 1945 zu einem der einflussreichsten Strafrechtler auch der jungen Bundesrepublik, er arbeitete im Auftrag der Bonner Regierung mit an Strafgesetzen. Oder der Professor Friedrich Schaffstein, in der NS-Zeit einer der lautesten Vertreter der besonders fanatischen „Kieler Schule“: Sein Lehrbuch zum Jugendstrafrecht zählt noch heute zu den Marktführern. Inzwischen erscheint es, stark überarbeitet, in 15. Auflage.
Die Strafrechtswissenschaft ist nicht irgendeine Wissenschaft. Das Strafrecht, schärfstes Schwert des Staates, übt nicht nur erheblichen Zwang aus. Es erhebt vor allem auch den Anspruch, einen Menschen im Namen der Gemeinschaft mit moralischem Gestus auszuschließen. Es geht also um Maßregelung plus Verdammung; nirgends sonst nimmt der Staat den Mund so voll. Kai Ambos’ Studie macht bewusst, welches Personal diese Disziplin in der frühen Bundesrepublik geprägt hat und hier und da bis heute prägt.
RONEN STEINKE
Kai Ambos:
Nationalsozialistisches Strafrecht. Kontinuität und Radikalisierung. Nomos, Baden-Baden, 2019. 169 Seiten, 39 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kai Ambos erklärt, warum es vielen Strafrechtlern nach 1933 nicht schwerfiel, sich der neuen NS-Ideologie anzupassen
Von 1933 an machten sich die neuen braunen Herrscher daran, die stockkonservative bis reaktionäre Weimarer Justiz zu einem Kampfinstrument umzuformen. Die Justiz sollte sich nicht mehr behindern lassen von solchen juristischen Kleinigkeiten wie Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Auch den Rechtsprofessoren an den Universitäten dachten die Nationalsozialisten dabei eine Aufgabe zu. Sie sollten das Ganze intellektuell einspeicheln, auf dass die Justizpraxis es leichter schluckt.
Und wie sie es eingespeichelt haben! Der kleine Band „Nationalsozialistisches Strafrecht“ des Göttinger Strafrechtsprofessors Kai Ambos strotzt nur so vor Beispielen, wie Ehrfurcht gebietende Ordinarien von 1933 an ihre ganze Bildung einsetzten, um feine Worte zu spinnen für das, was die Nazis längst an Kasernenhofparolen vorgegeben hatten. Edmund Mezger ist so ein Beispiel, angesehener Professor für Strafrecht in München. 1934 schrieb er von der „Totalität der Rechtsgemeinschaft“ – in Abgrenzung zur überkommenen „liberalistischen Auffassung“ –, um zu begründen, dass die staatliche Reaktion auf den „psychopathischen Verbrecher“ „unmöglich … vom Individuum hergeleitet werden“ könne, sondern eben in der besagten „Totalität der Rechtsgemeinschaft“ ihren „Ausgangspunkt“ nehmen müsse. Mit anderen Worten: Egal, was einer verbrochen hat. Gestraft wird, wenn es gerade den Interessen des Kollektivs, der Volksgemeinschaft, nützt.
Wozu sperrt man überhaupt Kriminelle ein? Nicht Prävention oder Schuldausgleich seien das Ziel, so schrieb 1934 Erik Wolf, bis dahin wenig auffälliger Strafrechtsprofessor in Freiburg. Sondern die „Ausschließung von Schädlingen“. Derselbe Erik Wolf hatte noch bis 1933 ein klassisch-autoritäres Konzept von Strafrecht vertreten und dieses, genau besehen, nur leicht radikalisieren müssen, um damit den von den Nazis gewünschten Ton zu treffen, so lautet die These von Ambos. Die Ansätze waren alle schon da. Autoritarismus und Menschenverachtung waren stark an den juristischen Fakultäten, auch vor 1933. „Das NS-Strafrecht kam weder aus dem Nichts noch ist es nach 1945 völlig verschwunden“, schreibt Ambos.
Dazu trugen – bittere Pointe – auch die eigentlich größten Gegner dieses alten, deutschen Vergeltungsdenkens bei, die linken Idealisten der sogenannten modernen Schule des Strafrechts, die in den 1920er-Jahren Träume von Prävention und (Straftäter-)Erziehung träumten. Ein SPD-Justizminister hatte 1924 das Jugendstrafrecht eingeführt, ganz dem Erziehungsgedanken verpflichtet. Die NS-Juristen führten dies von 1933 an mit Freude fort. Es diente ihnen als Legitimation für ihre gewaltsame Umerziehung Jugendlicher mit „schädlichen Neigungen“. Sie mussten das präventive Konzept der Linken, das den autoritären Kern bereits in sich trug, wie Ambos betont, nur weiterdrehen.
Dieses Buch ist durch einen Zufall entstanden. Kai Ambos wollte eigentlich nur eine neue spanischsprachige Schrift über NS-Strafrecht rezensieren, ein Buch des argentinischen Richters Eugenio Raúl Zaffaroni. Das Buch kennt freilich hierzulande niemand. Der eher ungnädigen Kritik Ambos’ zufolge hat man auch nicht viel verpasst. Aber dieses Buch hat Ambos derart angeregt, dass aus seiner anfänglichen Rezension eine eigene Recherche erwachsen ist. Beschreibt Ambos die Genese seiner Arbeit anfangs noch sympathisch offen in Ich-Form, morpht dies im Laufe des Bandes zurück in einen akademisch-majestätischen Plural („wir haben gezeigt, dass“); es ist eine Studie über Ambos’ eigene Zunft der Rechtsprofessoren geworden.
Ambos zeichnet sie nicht so sehr als politische Wendehälse. Er beschreibt sie vielmehr als Vertreter einer Beharrungskraft, die sich selbst weitgehend treu bleiben durften; autoritär, unerbittlich. Der erwähnte Münchner Professor Edmund Mezger zum Beispiel wurde nach 1945 zu einem der einflussreichsten Strafrechtler auch der jungen Bundesrepublik, er arbeitete im Auftrag der Bonner Regierung mit an Strafgesetzen. Oder der Professor Friedrich Schaffstein, in der NS-Zeit einer der lautesten Vertreter der besonders fanatischen „Kieler Schule“: Sein Lehrbuch zum Jugendstrafrecht zählt noch heute zu den Marktführern. Inzwischen erscheint es, stark überarbeitet, in 15. Auflage.
Die Strafrechtswissenschaft ist nicht irgendeine Wissenschaft. Das Strafrecht, schärfstes Schwert des Staates, übt nicht nur erheblichen Zwang aus. Es erhebt vor allem auch den Anspruch, einen Menschen im Namen der Gemeinschaft mit moralischem Gestus auszuschließen. Es geht also um Maßregelung plus Verdammung; nirgends sonst nimmt der Staat den Mund so voll. Kai Ambos’ Studie macht bewusst, welches Personal diese Disziplin in der frühen Bundesrepublik geprägt hat und hier und da bis heute prägt.
RONEN STEINKE
Kai Ambos:
Nationalsozialistisches Strafrecht. Kontinuität und Radikalisierung. Nomos, Baden-Baden, 2019. 169 Seiten, 39 Euro.
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