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Eine Untersuchung sowohl zur politischen Geschichte als auch zur Sozial- und Kulturgeschichte Deutschlands und Frankreichs: Militärfeiern und der Kult um die Armeen als nationale Veranstaltungen, die in beiden Ländern die Einheit der "Nation in Waffen" vorführten.

Produktbeschreibung
Eine Untersuchung sowohl zur politischen Geschichte als auch zur Sozial- und Kulturgeschichte Deutschlands und Frankreichs: Militärfeiern und der Kult um die Armeen als nationale Veranstaltungen, die in beiden Ländern die Einheit der "Nation in Waffen" vorführten.
Autorenporträt
Jakob Vogel ist Professor für Geschichte Europas und des europäischen Kolonialismus an der Universität Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1997

Soldaten sind Modelle
Der Deutsch-Französische Krieg ist vorbei, die Kämpfer kehren heim: Jakob Vogel nimmt mit den Bürgern die Paraden ab

Allzu selbstverständlich wird das neunzehnte Jahrhundert als bürgerlich bezeichnet. Wer das so sieht, dem erscheinen der schwarze Zylinder und der dunkle Bürgerrock als typische Attribute jener Zeit. Vielfach stand der Bürger aber nur am Rande und blickte auf die Uniformen der Soldaten, die bei den Militärparaden an ihm vorbeidefilierten. Im achtzehnten Jahrhundert wurde in diesen farbenfrohen Kostümen noch gekämpft, später erfolgte zwar der Siegeszug des Kampfanzugs, doch eroberte der Dekor des Militärs zugleich ein neues Terrain. In den Paraden präsentierte sich die Armee dem zivilen Publikum regelmäßig mit klingendem Spiel und im bunten Rock.

Jakob Vogel untersucht Militärparaden und Feiern zur Erinnerung an den Krieg von 1870/71. Zweierlei steht im Mittelpunkt: einerseits der militärische und obrigkeitliche Anspruch, daß sich in diesen Feiern die Nation als geeinte Gesellschaft darstelle, und andererseits die Frage, ob das deutsche Kaiserreich eine besonders militarisierte Gesellschaft gewesen sei. Das Buch ist - darin liegt seine Stärke - als ein Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich angelegt. Vogel betrachtet die Tradition des militärischen Zeremoniells in beiden Ländern: die Feiern als symbolische Darstellungen einer militärisch fundierten Nation, die Erinnerungsfeiern an den Deutsch-Französischen Krieg, die jeweiligen politischen Gegner der Militärfeiern und die Rolle der Feiern als populärer Massenveranstaltungen, den "Folkloremilitarismus".

Der unsichtbare Gegner, der in dieser Arbeit attackiert wird, ist die inzwischen von den meisten Historikern aufgegebene vereinfachte These vom deutschen Sonderweg. Erneut wird gezeigt, daß das deutsche Kaiserreich im Vergleich zu anderen europäischen Gesellschaften keine antiquierte Feudalaristokratie unter dem Joch des preußischen Militärs war. Eine Glorifizierung des Militärs und die politische Indienstnahme der militärischen Aura für die nationalstaatliche Selbstdarstellung gab es in Frankreich genauso wie in Deutschland. Militärfeiern fanden jenseits allerinnenpolitischen Streitigkeiten eine breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung.

Etwas vereinfacht erscheint es jedoch, den Erfolg jenes Kultes um die "Nation in Waffen" so ausschließlich mit der Popularität der Militärfeiern zu erklären. Bislang wurde die Erzeugung eines "militärischen Geistes" in der Gesellschaft meist der disziplinierenden Wirkung der Sozialisation innerhalb der Armee zugeschrieben. Diese Dimension wird hier überhaupt nicht erörtert. Vogel betont sicher zu Recht die propagandistische Wirkung der Militärfeiern. Gerade in Deutschland aber war, wie er selbst hervorhebt, das zivile Publikum zeitweise ausgeschlossen, oder es wurde vor allem als Hindernis wahrgenommen. Einleuchtend sind die Schilderungen der Politisierung der Feiern, die im zentralistischen französischen Nationalstaat sehr viel weiter ging als in Deutschland, wo der Föderalismus dazu beitrug, daß die Soldaten oft unter sich blieben.

Die Arbeit betont immer wieder die Gemeinsamkeiten deutscher und französischer Militärfeiern. Ob die Beispiele ausreichen, die These der fundamentalen Besonderheit der deutschen Gesellschaft zu verwerfen, sei dahingestellt. Vogel nennt einige Gemeinsamkeiten beider Länder: das Formenrepertoire der Feiern, den Rekurs auf die Wehrpflicht als Symbol der militärisch fundierten Nation und die Begeisterung für diese öffentlichen Inszenierungen. Die Unterschiede der historischen Traditionen und politischen Systeme, die durchaus gründlich herausgearbeitet werden, könnten wichtiger gewesen sein, als der Autor glaubt.

Diese Schwierigkeiten des Vergleichs rühren vermutlich auch daher, daß Vogel zwar viel von Repräsentation, Ritual und - in monotoner Redundanz der Formulierung - vom Kult um die "Nation in Waffen" spricht, dabei allerdings vor allem die formale Dimension der Feiern untersucht. Sinn und Inhalt des Rituals hat er weniger ausführlich analysiert. Es werden einzelne Elemente des Kultes in beiden Ländern untersucht, es fehlt jedoch die begriffliche Fassung der jeweiligen symbolischen Systeme in ihrem inneren Bedeutungszusammenhang. Durch diesen Zugriff erscheinen die formalen Gemeinsamkeiten beider nationaler Traditionen bestimmender als die verschiedenen Deutungskontexte.

Im Hinblick auf Deutschland wird zwar durchaus überzeugend die dynastische Orientierung der Militärfeiern am preußischen König und deutschen Kaiser hervorgehoben, auch wird gezeigt, daß der Begriff vom "Volk in Waffen" in Deutschland vorherrschend war - aber Kaiser und Volk werden kaum als einander ergänzende und sich gegenseitig bedingende Teile der politischen Ordnung im Deutschen Reich analysiert.

Die symbolische Ordnung, die in den deutschen Militärfeiern dargestellt wurde, war keine egalitäre Nation, sondern bestand aus der Verbindung zweier ungleicher Teile. Es war nicht die gemeinsame Nation in Waffen, sondern das Volk unter dem Monarchen. Bezeichnend ist, daß die Ereignisse von 1848 und der preußische Heereskonflikt der sechziger Jahre in dem Buch nicht vorkommen - denn damals prallten zwei unterschiedliche Vorstellungen von Nation aufeinander. Vogel beschreibt die sich seit den sechziger Jahren und dann vor allem nach 1871 etablierende Ordnung, in welcher die Armee die Nation verkörperte. Ohne den Rückgriff auf den Konflikt zwischen Armee und Volk auf den Barrikaden von 1848 und die Debatten im preußischen Landtag der sechziger Jahre bleibt diese Geschichte jedoch fragmentarisch.

Die "Außeralltäglichkeit der Kriegsbrüderlichkeit", wie Max Weber die politisch legitimierende Kraft des kriegerischen Sterbens genannt hat, konnte diese Friktion zwischen dem Volk in Waffen - der Armee - und dem Volk ohne Waffen zwar überdecken. Vergessen aber war sie nicht. Das belegt schon die nach wie vor anhaltende Furcht der Obrigkeit vor dem Volk ohne Waffen. Dem widerspricht nicht, daß breite soziale Kreise eine Faszination für das Militärische hegten. Daran weiß Jakob Vogels Arbeit zu erinnern, sie zeigt die vielfältigen Formen dieser bürgerlichen Begeisterung für die Armee. MANFRED HETTLING

Jakob Vogel: "Nationen im Gleichschritt". Der Kult der "Nation in Waffen" in Deutschland und Frankreich, 1871-1914. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 118. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997.

404 S., br., 78,- DM.

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