Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 7,80 €
  • Gebundenes Buch

Weltweit steigt die Zahl der Naturkatastrophen. 1998 registrierten die Experten mit ca. 50.000 Todesopfern und Sachschäden in Höhe von 90 Milliarden Dollar traurige Rekordwerte. Entsprechend exakte Daten gibt es für die Antike nicht. Viele Zeugnisse beweisen aber, daß Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flutwellen, Überschwemmungen und andere Katastrophen fast zum Alltag der Menschen in der Antike gehörten.

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Weltweit steigt die Zahl der Naturkatastrophen. 1998 registrierten die Experten mit ca. 50.000 Todesopfern und Sachschäden in Höhe von 90 Milliarden Dollar traurige Rekordwerte. Entsprechend exakte Daten gibt es für die Antike nicht. Viele Zeugnisse beweisen aber, daß Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flutwellen, Überschwemmungen und andere Katastrophen fast zum Alltag der Menschen in der Antike gehörten.
Autorenporträt
Der Autor : Holger Sonnabend, geb. 1956; Studium der Geschichte und der Germanistik an der Universität Hannover; 1985 Promotion; 1993 Habilitation in Alter Geschichte; Hochschuldozent für Alte Geschichte an der Universität Stuttgart; Mitherausgeber der Reihe »Geographica Historica« und der Zeitschrift »Orbis Terrarum«. Bei J.B. Metzler ist erschienen: »Mensch und Landschaft in der Antike. Lexikon der Historischen Geographie« (Hrsg.). 1999.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.1999

Ach, die Venus ist perdü
Wenn die Götter nicht halfen: Antike Naturkatastrophen

"Das Ausmaß der Zerstörung wurde noch vergrößert durch den Zeitpunkt. Denn das Erdbeben kam nicht am Tage, als es für die Opfer möglich gewesen wäre, sich selbst zu helfen, sondern es geschah in der Nacht. Daher, als die Häuser durch die Gewalt des Erdbebens einstürzten, waren die Menschen wegen der Dunkelheit und der unerwartet eingetretenen Gefahr nicht in der Lage, sich zu retten. Die meisten waren in den zusammengefallenen Häusern eingeschlossen und wurden getötet."

Dieser Text gehört nicht, wie man zunächst meinen möchte, zu den beklemmenden Presseberichten über die jüngsten verheerenden Erdbeben, sondern stammt aus der Feder des sizilischen Universalhistorikers Diodor (erstes Jahrhundert vor Christus) und beschreibt die Katastrophe des Jahres 373 vor Christus, welcher die im Norden der Peloponnes gelegene Siedlung Helike zum Opfer fiel. Die Schilderung Diodors, aber auch die sich unweigerlich einstellenden modernen Assoziationen, bilden den Aufhänger für Holger Sonnabends informatives und flott geschriebenes Buch über verheerende Naturereignisse in der gesamten griechisch-römischen Antike.

Nach einer Präsentation ausgewählter, gut dokumentierter Erdbeben, Vulkaneruptionen und Überflutungen (darunter natürlich die in aller Ausführlichkeit beschriebenen Zerstörungen von Pompeji und Herculaneum infolge des Vesuvausbruchs vom Jahr 79) bietet Sonnabend vergleichende Analysen antiker und moderner Naturkatastrophen, um sich dann in drei Hauptteilen seines Werkes der Wahrnehmung und der Deutung von derartigen Vorgängen durch die Zeitgenossen sowie dem antiken Katastrophenmanagement zuzuwenden. Er kann dabei auf eine Reihe neuerer Forschungen zu diesem Themenkomplex zurückgreifen, insbesondere auf einen dickleibigen, von ihm selbst mit herausgegebenen Kongressband über "Naturkatastrophen in der antiken Welt" (erschienen 1998). In gewisser Weise bietet Sonnabend hier eine überarbeitete, illustrierte und popularisierte Zusammenfassung dieser aktuellen wissenschaftlichen Bemühungen.

Zur guten Lesbarkeit des Buches trägt insbesondere die großzügige Darbietung antiker Quellen bei. Sonnabend lässt die griechischen Historiker, Geographen und Philosophen ausführlich zu Wort kommen, ebenso epigraphische Denkmäler, die vor allem über erfolgreiche Wiederaufbaumaßnahmen Auskunft geben. Vergleichende und kommentierende Analysen der vorgestellten Texte ermöglichen ihm Antworten auf die ihn primär interessierenden Fragen: Kann man typische Verhaltens- und Deutungsmuster in den zeitgenössischen Reaktionen auf Erdbeben, Überschwemmungen und Verwüstungen in der Antike erkennen? Welcher historische und mentalitätsgeschichtliche Aussagewert kommt antiken Mythen und Legenden zu, in denen Erderschütterungen und Flutkatastrophen eine herausragende Rolle spielen? Gab es bereits so etwas wie eine effiziente Vorbeugung und eine systematische Katastrophennachsorge?

Die Auskünfte und Beobachtungen, die Sonnabend zu diesen und weiteren Aspekten mitteilen kann, sind nicht spektakulär, ergeben aber insgesamt ein recht klares Bild vom Umgang der antiken Menschen mit derartigen Naturphänomenen. Überragende Bedeutung kam auch auf diesem Feld den antiken Göttern zu. Poseidon etwa, dem Erderschütterer und Gebieter über die Meeresgewalten, oder Zeus, dem Blitz-und-Donner-Gott, schrieb man Urheberschaft für Naturkatastrophen zu, und demzufolge suchte man sich durch Opfergaben, Tempelbauten und Gelübde vor derartigen Heimsuchungen zu schützen oder wenigstens durch nachträgliche sakrale Handlungen eine Wiederholung des Übels zu vermeiden.

Zwar gab es auch bereits wissenschaftliche Anstrengungen in der Antike, die auf einen rationalen Umgang mit Naturkatastrophen abzielten und zu ersten seismologischen und vulkanologischen Erkenntnissen führten, sie erreichten jedoch bei weitem nicht die öffentliche Resonanz der religiösen Interpretation und Rezeption, wie sie etwa Livius für stadtrömische Ereignisse des Jahres 179 vor Christus überliefert. Damals sahen sich die lokalen Autoritäten zur Wiederholung der berühmten "ludi Romani" gezwungen, denn: "Die Erde bebte. In den öffentlichen Heiligtümern, wo das Göttermahl stattfand, wandten die Götter, die auf den Speisesofas lagen, ihre Köpfe ab, und die Schüssel, die dem Iuppiter vorgesetzt worden war, fiel mitsamt der Decke vom Tisch. Und dass Mäuse schon vorher an den Oliven gewesen waren, wurde auch als Zeichen vom Himmel gedeutet."

Die vernunftgeleiteten Reaktionen auf solche desaströsen Launen der Natur konzentrierten sich demgegenüber vor allem auf Sofortmaßnahmen zur Rettung Verschütteter, den Wiederaufbau zerstörter Gebäude, die Gewährung von direkten Finanzhilfen oder Steuererleichterungen für betroffene Städte und Regionen sowie auf die Bereitstellung fachkundigen Personals. Diese Form des Katastrophenmanagements ermittelt Sonnabend vor allem für die hellenistische und die römische Kaiserzeit, als Monarchen, hohe Funktionsträger oder römische "principes" entsprechend tätig wurden.

Für die klassische griechische Zeit und die Epoche der römischen Republik hingegen lasse sich, so Sonnabend, ein vergleichbares Katastrophenmanagement nicht nachweisen, und das Fehlen entsprechender Nachrichten könne man historisch erklären: Der Partikularismus, die Zersplitterung der griechischen Poliswelt habe polisübergreifende Solidarität und damit Hilfe in größerem Maßstab verhindert, und zu Zeiten der römischen Republik habe das inneraristokratische Misstrauen gegenüber politischen Ambitionen von Einzelpersönlichkeiten dazu geführt, dass alle lieber gar nicht effektiv halfen, denn natürlich hätte ein großer Wohltäter enormes Ansehen und damit eine politisch nützliche Klientel erwerben können.

Sowohl gegenüber diesen Beobachtungen als auch gegenüber Sonnabends Erklärungen scheint Skepsis angebracht. Von dem Fehlen einschlägiger Nachrichten auf die Nichtexistenz bestimmter Sachverhalte zu schließen, ist in den Altertumswissenschaften immer riskant. Selbstverständlich werden in den von Naturkatastrophen betroffenen Poleis der klassischen Zeit Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen mit vereinten Kräften und mit Hilfe entsprechender Experten sowie benachbarter, häufig durchaus befreundeter Siedlungen geleistet worden sein. Und gewiss wird man auch auf den stets üblichen Rückgriff auf das Vermögen besonders begüterter Individuen nicht verzichtet haben - nur gab es eben seinerzeit noch nicht, wie dann in der hellenistischen und späteren Zeit, das Bestreben, in weitschweifigen Inschriften auf derartige Verdienste hinzuweisen; folglich scheint nicht das (ja nicht überaus anspruchsvolle) Katastrophenmanagement, sondern nur ein entsprechender epigraphischer Habitus gefehlt zu haben.

Für das republikanische Rom vermutet Sonnabend zu Unrecht, dass eine Behebung von Schäden sowie weitere Restaurationsmaßnahmen wegen inneraristokratischer Spannungen "nicht mit Hilfe des Staates und durch öffentliche Koordination" stattgefunden hätten. Vielmehr ist gerade das zweite Jahrhundert vor Christus, wie Frank Kolb in seiner Geschichte der Stadt Rom (F.A.Z. vom 10. Oktober 1995) nachgewiesen hat, eine Epoche energischer, vor allem auf Initiative und unter der Leitung (aristokratischer) Censoren erfolgter Bautätigkeit gewesen. Daher wies das von zahlreichen Erdbeben, Bränden und Überschwemmungen zwischen 193 und 148 vor Christus heimgesuchte Rom am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ein runderneuertes, stark verändertes Stadtbild auf.

Das Buch überzeugt also weniger in denjenigen Abschnitten, in welchen Sonnabend seinen Gegenstand in den größeren historischen Kontext einzuordnen sucht. Dies gilt etwa auch für seine Bemerkungen zur Spätantike und zu dem angeblichen Versiegen privater Stiftungstätigkeit; neuere Forschungen zum Städtewesen und zum Stadtpatronat in der spätrömischen und frühbyzantinischen Zeit berechtigen zu optimistischeren Einschätzungen. Hingegen liegen die Vorzüge des Werkes in dem breiten Panorama, welches vor den Augen des Lesers entsteht.

Die Abläufe, die Folgen und die Rezeption antiker Naturkatastrophen werden umfassend und anschaulich vorgeführt, und überdies erhält man aufschlussreiche Informationen über die tendenziöse Interpretation und Instrumentalisierung von Naturkatastrophen seitens interessierter Kreise sowie über die Anfänge kritischen Umweltbewusstseins in der Antike. Gerade mit dem letztgenannten Aspekt trifft (und spekuliert) Sonnabend natürlich auf ein aktuelles ökologisches und "ökohistorisches" Interesse, und so finden sich in seinem Buch denn auch immer wieder mahnende Bemerkungen zum Ozonloch, zu Waldrodungen und zur Umleitung von Flussläufen. Mehrfach äußert er gar explizit die Hoffnung, der modernen "Hazard"-Forschung durch das Studium der Antike neue Impulse geben und somit "den modernen Umgang mit der Naturkatastrophe verbessern" zu können.

Diesen Optimismus wird man kaum teilen mögen: Auch nach der anregenden Lektüre des kenntnisreichen Buches empfiehlt es sich bei künftigen Katastrophen nicht unbedingt, Tacitus und Cassius Dio zur Hand zu nehmen oder mit Seneca auf die Vergänglichkeit jeder menschlichen Existenz zu verweisen, sondern alle Hoffnung auf modernstes Rettungs- und Bergungsmanagement zu setzen.

HARTWIN BRANDT

Holger Sonnabend: "Naturkatastrophen in der Antike". Wahrnehmung - Deutung - Management. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1999. 263 S., 73 Abb., geb., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr