Neapel - zur Zeit der Renaissance eine der größten und bedeutendsten Städte der Welt. Erstmals erschließt Renaissance-Kenner Tobias Roth die reichen literarischen Schätze der Stadt am Vesuv, vom Liebesgedicht bis zum Herrscherlob, von der Novelle zur Schweinigelei, vom Gassenreport zum Bericht über Vulkanausbrüche.
Hochturbulent und bunt ging es zu im Neapel der Renaissance. In der von französischen und spanischen Königen regierten Weltstadt sammelten sich Talente wie Boccaccio, Pontano, Masuccio, Sannazaro und Dichterinnen wie Laura Terracina. Gedichte, Novellen, Satiren entstanden, wurden geliebt, gelobt und mit Gold aufgewogen - oder verdammt und verboten. Schnell konnte man in der Gunst der Herrscher steigen - und schnell tief fallen: Giovanni Antonio Petrucci schrieb seine letzten, herzzerreißenden Gedichte im Kerker, kurz bevor er, sein Bruder und sein Vater hingerichtet wurden.
Chroniken erzählen über Nöte und Wunder in den engen Gassen der Stadt, über Teppiche von Fischleibern nach einer Flut, über Mönche, die Kranke gesundlecken, über Pracht und Zerstörung in rascher Folge. Berichte über vulkanische Ausbrüche auf den phlegräischen Feldern zeugen vom Staunen über Naturgewalten und von tollkühner Neugier.
Zahlreiche Abbildungen aus der grandiosen Buchkunst der Zeit machen auch das Buch selbst zum Sterben schön.
Hochturbulent und bunt ging es zu im Neapel der Renaissance. In der von französischen und spanischen Königen regierten Weltstadt sammelten sich Talente wie Boccaccio, Pontano, Masuccio, Sannazaro und Dichterinnen wie Laura Terracina. Gedichte, Novellen, Satiren entstanden, wurden geliebt, gelobt und mit Gold aufgewogen - oder verdammt und verboten. Schnell konnte man in der Gunst der Herrscher steigen - und schnell tief fallen: Giovanni Antonio Petrucci schrieb seine letzten, herzzerreißenden Gedichte im Kerker, kurz bevor er, sein Bruder und sein Vater hingerichtet wurden.
Chroniken erzählen über Nöte und Wunder in den engen Gassen der Stadt, über Teppiche von Fischleibern nach einer Flut, über Mönche, die Kranke gesundlecken, über Pracht und Zerstörung in rascher Folge. Berichte über vulkanische Ausbrüche auf den phlegräischen Feldern zeugen vom Staunen über Naturgewalten und von tollkühner Neugier.
Zahlreiche Abbildungen aus der grandiosen Buchkunst der Zeit machen auch das Buch selbst zum Sterben schön.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2023Sind dumm aufs Blut, die Herren
Tobias Roth porträtiert Neapel mit Texten der Renaissance
Renaissance in Neapel - das ist die Kirche Sant'Angelo a Nilo, das Triumphtor am Castel Nuovo, die Porta Capuana, das sind Paläste und Monumente der damals drittgrößten Stadt Europas, in der Alfonso d'Aragona, der von 1442 bis 1458 regiert, mit einem urbanen Erneuerungsprogramm tatsächlich eine Art Wiedergeburt einleitet. Aber es ist nicht nur die Architektur, sondern mehr noch das Buch, das, weniger sichtbar und gut erhalten, zur Blüte kommt. Der, so sein sprechender Beiname, "Magnanimo" gründet eine Hofbibliothek, um die er Dichter und Philosophen, Humanisten und Historiker schart. "Liber sum", lautet sein doppelsinniger Wahlspruch.
Der Renaissanceforscher Tobias Roth lenkt den Blick auf dieses wenig bekannte Kapitel und hebt es mit einer kenntnisreich komponierten Anthologie, die sich zum Stadtporträt fügt, ans Licht. Ein berühmter Florentiner, der vom dreizehnten bis siebenundzwanzigsten Lebensjahr in Neapel zu Hause war und zum poetischen Leitstern wurde, dient als Türöffner: Giovanni Boccaccios Brief an einen befreundeten Spross der Bankiersfamilie Bardi ist, im neapolitanischen Dialekt verfasst, als doppelbödiges Experiment angelegt, das mit Paradoxien jongliert und wortspielerisch die Sprachebenen wechselt. Roth, der die Auswahl auch übersetzt hat, stellt ihn erstmals auf Deutsch vor.
Mehr als die Hälfte der zwölf Autoren, die folgen, sind den einschlägigen Literaturgeschichten keine Erwähnung wert. Stadtlob und Herrscherlob, Lyrik, auch solche, die Obszönitäten in feine Distichen kleidet, Episoden, Anekdoten, Auszüge aus Chroniken und Abhandlungen, Reflexionen über die Göttin Fortuna und die Bestialität, ein Augenzeugenbericht über die Feuerschlünde von Pozzuoli, Epigramme und Sonette aus dem Kerker, Gelegenheits- und Widmungsgedichte, Liebes- und Klagelieder, Schäferroman und Eklogen belegen die klassische Gelehrsamkeit und vielstimmige Vitalität der "Metropole in der Mitte des Mittelmeers". Die Novelle ist die vorherrschende Gattung.
Dem "Novellino" des Masuccio Salernitano, der 1476 postum zum Bestseller wurde und 1559 auf den ersten Index kam, ist eine bissige Satire auf den korrumpierten Klerus entnommen: "Die Unterhose des heiligen Griffone" erzählt von einem lüsternen Mönch, der das Kleidungsstück im Bett seiner verheirateten Geliebten liegen lässt, woraufhin diese, von ihrem Gatten zur Rede gestellt, es zur Reliquie erklärt - ein derb-komisches Tausch- und Täuschungstheater, wie es Antonio De Curtis alias Totò hätte aufgreifen oder Luciano De Crescenzo hätte fortschreiben können.
Roth bettet die Texte in ausführliche Kommentare und bestimmt die machtpolitischen und kulturgeschichtlichen Konstanten, zwischen Anjou und Aragón, Buchdruck und Akademien, neulateinischer und volkssprachlicher Dichtungstradition. Eine Entdeckung macht er mit Laura Terracina, die zwischen 1548 und 1567 acht Lyrikbände veröffentlicht und feministische Töne anschlägt: "Ich will sprechen, doch die Stimme stockt vor Wut, / denn ich kämpfe allein für unser Geschlecht. / Schon länger spornen mich Begehren und Glut / zur Rache, doch sie ist mir nicht so recht / gestattet gegen jene, die, dumm aufs Blut, / nur allzu oft über Frauen schlecht sprechen", schreibt sie in den "Discorsi", die es auf siebzehn Nachauflagen bringen, und appelliert an die Frauen: "Werft die Nadel fort, um dann begierig nur / auf Arbeit mit Feder und Blatt zu sinnen. Dann steigt euer Ruhm nicht weniger empor / als der jener, die mich so sehr verstimmen."
Der Band ist schön gestaltet und ausgestattet. Um sich als "literarischer Reiseführer" empfehlen zu können, fehlt aber eine Karte: An der Kapelle, die Giovanni Pontano gegenüber seinem (1926 abgerissenen) Stadthaus in der Via dei Tribunali an die Kirche Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta baute, führt jeder Neapel-Besuch vorbei, doch wie findet der Leser die kleine Kirche, die Jacopo Sannazaro in der Nähe seiner Villa Mergellina am Hang des Posillipo errichtete? Nach dem Panorama, das er in dem Folianten "Welt der Renaissance" (F.A.Z. vom 23. Oktober 2020) entfaltet, stellt Roth die Ausprägungen der Epoche in einzelnen Städten vor. Neapel hat, der Verlagspate verpflichtet, den Vortritt; Florenz, Rom und Venedig sind angekündigt. ANDREAS ROSSMANN
Tobias Roth (Hrsg.): "Welt der Renaissance: Neapel".
Galiani Verlag, Berlin 2023. 208 S., Abb., br., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tobias Roth porträtiert Neapel mit Texten der Renaissance
Renaissance in Neapel - das ist die Kirche Sant'Angelo a Nilo, das Triumphtor am Castel Nuovo, die Porta Capuana, das sind Paläste und Monumente der damals drittgrößten Stadt Europas, in der Alfonso d'Aragona, der von 1442 bis 1458 regiert, mit einem urbanen Erneuerungsprogramm tatsächlich eine Art Wiedergeburt einleitet. Aber es ist nicht nur die Architektur, sondern mehr noch das Buch, das, weniger sichtbar und gut erhalten, zur Blüte kommt. Der, so sein sprechender Beiname, "Magnanimo" gründet eine Hofbibliothek, um die er Dichter und Philosophen, Humanisten und Historiker schart. "Liber sum", lautet sein doppelsinniger Wahlspruch.
Der Renaissanceforscher Tobias Roth lenkt den Blick auf dieses wenig bekannte Kapitel und hebt es mit einer kenntnisreich komponierten Anthologie, die sich zum Stadtporträt fügt, ans Licht. Ein berühmter Florentiner, der vom dreizehnten bis siebenundzwanzigsten Lebensjahr in Neapel zu Hause war und zum poetischen Leitstern wurde, dient als Türöffner: Giovanni Boccaccios Brief an einen befreundeten Spross der Bankiersfamilie Bardi ist, im neapolitanischen Dialekt verfasst, als doppelbödiges Experiment angelegt, das mit Paradoxien jongliert und wortspielerisch die Sprachebenen wechselt. Roth, der die Auswahl auch übersetzt hat, stellt ihn erstmals auf Deutsch vor.
Mehr als die Hälfte der zwölf Autoren, die folgen, sind den einschlägigen Literaturgeschichten keine Erwähnung wert. Stadtlob und Herrscherlob, Lyrik, auch solche, die Obszönitäten in feine Distichen kleidet, Episoden, Anekdoten, Auszüge aus Chroniken und Abhandlungen, Reflexionen über die Göttin Fortuna und die Bestialität, ein Augenzeugenbericht über die Feuerschlünde von Pozzuoli, Epigramme und Sonette aus dem Kerker, Gelegenheits- und Widmungsgedichte, Liebes- und Klagelieder, Schäferroman und Eklogen belegen die klassische Gelehrsamkeit und vielstimmige Vitalität der "Metropole in der Mitte des Mittelmeers". Die Novelle ist die vorherrschende Gattung.
Dem "Novellino" des Masuccio Salernitano, der 1476 postum zum Bestseller wurde und 1559 auf den ersten Index kam, ist eine bissige Satire auf den korrumpierten Klerus entnommen: "Die Unterhose des heiligen Griffone" erzählt von einem lüsternen Mönch, der das Kleidungsstück im Bett seiner verheirateten Geliebten liegen lässt, woraufhin diese, von ihrem Gatten zur Rede gestellt, es zur Reliquie erklärt - ein derb-komisches Tausch- und Täuschungstheater, wie es Antonio De Curtis alias Totò hätte aufgreifen oder Luciano De Crescenzo hätte fortschreiben können.
Roth bettet die Texte in ausführliche Kommentare und bestimmt die machtpolitischen und kulturgeschichtlichen Konstanten, zwischen Anjou und Aragón, Buchdruck und Akademien, neulateinischer und volkssprachlicher Dichtungstradition. Eine Entdeckung macht er mit Laura Terracina, die zwischen 1548 und 1567 acht Lyrikbände veröffentlicht und feministische Töne anschlägt: "Ich will sprechen, doch die Stimme stockt vor Wut, / denn ich kämpfe allein für unser Geschlecht. / Schon länger spornen mich Begehren und Glut / zur Rache, doch sie ist mir nicht so recht / gestattet gegen jene, die, dumm aufs Blut, / nur allzu oft über Frauen schlecht sprechen", schreibt sie in den "Discorsi", die es auf siebzehn Nachauflagen bringen, und appelliert an die Frauen: "Werft die Nadel fort, um dann begierig nur / auf Arbeit mit Feder und Blatt zu sinnen. Dann steigt euer Ruhm nicht weniger empor / als der jener, die mich so sehr verstimmen."
Der Band ist schön gestaltet und ausgestattet. Um sich als "literarischer Reiseführer" empfehlen zu können, fehlt aber eine Karte: An der Kapelle, die Giovanni Pontano gegenüber seinem (1926 abgerissenen) Stadthaus in der Via dei Tribunali an die Kirche Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta baute, führt jeder Neapel-Besuch vorbei, doch wie findet der Leser die kleine Kirche, die Jacopo Sannazaro in der Nähe seiner Villa Mergellina am Hang des Posillipo errichtete? Nach dem Panorama, das er in dem Folianten "Welt der Renaissance" (F.A.Z. vom 23. Oktober 2020) entfaltet, stellt Roth die Ausprägungen der Epoche in einzelnen Städten vor. Neapel hat, der Verlagspate verpflichtet, den Vortritt; Florenz, Rom und Venedig sind angekündigt. ANDREAS ROSSMANN
Tobias Roth (Hrsg.): "Welt der Renaissance: Neapel".
Galiani Verlag, Berlin 2023. 208 S., Abb., br., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "vielfältiges Vergnügen" empfindet Rezensent Martin Oehlen Tobias Roths Band über die Epoche der Renaissance in Neapel. Anders als der Vorgänger-Band konzentriert sich Roth hier auf Neapel und zeigt, dass besonders die Literatur hier sehr geschätzt wurde, so Oehlen. Überzeugend scheinen ihm Roths Darstellungen der Schattenseiten der Renaissance, darüber hinaus freut er sich über einige (Wieder-)entdeckungen, etwa die Dichterin und Frauenrechtlerin Laura Terracina: "'Ich will sprechen, doch die Stimme stockt vor Wut, / denn ich kämpfe allein für unser Geschlecht'", zitiert Oehlen. Dabei, so Oehlen, werden die einzelnen Schriftsteller und Künstler kenntnisreich und launig eingeführt, bei mehreren der Texte handelt es sich um die deutsche Erstübersetzung. Dass der Band auch noch schön gestaltet ist, ist für Oehlen nur ein weiterer Grund dieses Buch wärmstens zu empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Kern- und Glanzstück des Buches aber sind die Übersetzungen von Texten neapolitanischer Autoren, welche die bemerkenswerte Vielfalt der Themen, Gattungen, Stilmittel und Tonlagen eindrucksvoll widerspiegeln und wiedergeben. (...) Ein Buch, das jede Reise nach Neapel und Umgebung unbedingt begleiten sollte. Prof. Dr. Volker Reinhardt Damals. Das Magazin für Geschichte 20240220