Nedko Solakov's Fears is a series of 99 drawings, each one fleshing out an anxiety extracted from modern life -- whether real or imagined, dark or droll -- minutely hand-drawn and captioned in the artist's signature self-deprecating style. Nedko Solakov: 99 Fears will include the full series of drawings accompanied by an introduction by critic Suzaan Boettger placing them in the context of the artist's prior work and connecting them to other representations of fear in art history.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Angst im All
Nedko Solakovs „99 Fears” sind vor allem komisch
So erhellend kann Schwarzmalerei, so tröstlich können Ängste sein: Ein Sammelband, gemalt auf 99 Blatt Büttenpapier, mit tiefschwarzer Tinte, dazu jeweils ein an den untersten Bildrand gekrakelter Satz: Mit „99 Fears” bringt der bulgarische Künstler Nedko Solakov die Phobieforschung ein gutes Stück nach vorne: Erstens weiß man jetzt endlich, wie Ängste aussehen; meist sind es klumpenförmige Häufchen, nicht sonderlich angsteinflößend, wenn man sie so hingekleckst sieht.
Vor allem aber, und das ist das immens Tröstliche an diesem Buch, beweisen all die Zeichnungen, dass der Mensch nicht allein ist mit seinen Ängsten, Phobien und Befürchtungen. Im Universum des Nedko Solakov hat alles Angst: Kaminrauch, der raus in die bittere Kälte muss, Blitze im Dunkel, eingeschneite Steine im Winter, die Haare eines unbegabten Hardrock-Musikers und, vielleicht am tröstlichsten, das Dunkel selber – alle haben sie ihr Päckchen Angst zu tragen. Sogar Ja und Nein fürchten sich voreinander: „Ja und Nein haben voreinander die gleiche Angst. Deshalb sagen clevere Leute stattdessen ,vielleicht’”.
Ja, nein, schwarz auf weiß: Vielleicht sein berühmtestes Werk schuf Solakov 2001, als er auf der Biennale in Venedig die Installation „A Life (Black and White)” einrichtete: Ein Raum, in dem zwei Maler einander folgten, Freiwillige, die Tag um Tag, fünf Monate lang, von früh bis spät diesen Raum ausmalten, beziehungsweise die Arbeit des jeweils anderen zunichte machten, immer im Kreis herum, der eine mit weißer Farbe, der andere mit Schwarz, ein Leben lang.
Auch Solakovs Klecksmenschen führen meist eine recht prosaische, ja pessoasche Existenz – was mit daran liegen mag, dass sie so ausgesprochen klein sind. Ihre Kugelköpfe sind oft gekippt, vielleicht weil das Leben so lastet, vielleicht auch, weil sie selbst wiederum Museumsbesucher nachäffen, die gerade vor einem Solakov-Werk stehen (meist kritzelt er Sätze schräg auf Museumswände, Solakovbetrachter sehen immer aus wie Menschen in Buchhandlungen, Kopf sechzig Grad geneigt, Texte entziffernd). Oft scheinen sie ihre lebenstechnischen Hausaufgaben nicht gemacht zu haben, was selbstverständlich wieder zu massiven Ängsten und Kalamitäten führt. Sobald sie aber irgendeine grässliche Situation überlebt haben, schauen sie dankbar und standhaft in die Zukunft: „Was für eine (vorläufige) Erleichterung! Jetzt kann ich auch in Zukunft noch Angst haben.” Aufgrund dieser demütig tapferen Haltung aber ist man ihnen allen mit warmem Herzen zugetan. Wir müssen uns Nedko Solakov als großen Humanisten vorstellen. ALEX RÜHLE
Nedko Solakov
99 Fears
99 Zeichnungen. Phaidon Verlag, Berlin 2008. 112 Seiten, 24,95 Euro.
Welche Erleichterung: „Jetzt kann ich auch in Zukunft noch Angst haben”
Angst Nummer 77: „Ein Ehemann gibt seiner Frau eine riesige Blume. Ihre Angst: Es scheint so, als ob er diesmal (offensichtlich im Geheimen) etwas wirklich Schlimmes getan hat.” Abb. aus dem besprochenen Band © Nedko Solakov
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Nedko Solakovs „99 Fears” sind vor allem komisch
So erhellend kann Schwarzmalerei, so tröstlich können Ängste sein: Ein Sammelband, gemalt auf 99 Blatt Büttenpapier, mit tiefschwarzer Tinte, dazu jeweils ein an den untersten Bildrand gekrakelter Satz: Mit „99 Fears” bringt der bulgarische Künstler Nedko Solakov die Phobieforschung ein gutes Stück nach vorne: Erstens weiß man jetzt endlich, wie Ängste aussehen; meist sind es klumpenförmige Häufchen, nicht sonderlich angsteinflößend, wenn man sie so hingekleckst sieht.
Vor allem aber, und das ist das immens Tröstliche an diesem Buch, beweisen all die Zeichnungen, dass der Mensch nicht allein ist mit seinen Ängsten, Phobien und Befürchtungen. Im Universum des Nedko Solakov hat alles Angst: Kaminrauch, der raus in die bittere Kälte muss, Blitze im Dunkel, eingeschneite Steine im Winter, die Haare eines unbegabten Hardrock-Musikers und, vielleicht am tröstlichsten, das Dunkel selber – alle haben sie ihr Päckchen Angst zu tragen. Sogar Ja und Nein fürchten sich voreinander: „Ja und Nein haben voreinander die gleiche Angst. Deshalb sagen clevere Leute stattdessen ,vielleicht’”.
Ja, nein, schwarz auf weiß: Vielleicht sein berühmtestes Werk schuf Solakov 2001, als er auf der Biennale in Venedig die Installation „A Life (Black and White)” einrichtete: Ein Raum, in dem zwei Maler einander folgten, Freiwillige, die Tag um Tag, fünf Monate lang, von früh bis spät diesen Raum ausmalten, beziehungsweise die Arbeit des jeweils anderen zunichte machten, immer im Kreis herum, der eine mit weißer Farbe, der andere mit Schwarz, ein Leben lang.
Auch Solakovs Klecksmenschen führen meist eine recht prosaische, ja pessoasche Existenz – was mit daran liegen mag, dass sie so ausgesprochen klein sind. Ihre Kugelköpfe sind oft gekippt, vielleicht weil das Leben so lastet, vielleicht auch, weil sie selbst wiederum Museumsbesucher nachäffen, die gerade vor einem Solakov-Werk stehen (meist kritzelt er Sätze schräg auf Museumswände, Solakovbetrachter sehen immer aus wie Menschen in Buchhandlungen, Kopf sechzig Grad geneigt, Texte entziffernd). Oft scheinen sie ihre lebenstechnischen Hausaufgaben nicht gemacht zu haben, was selbstverständlich wieder zu massiven Ängsten und Kalamitäten führt. Sobald sie aber irgendeine grässliche Situation überlebt haben, schauen sie dankbar und standhaft in die Zukunft: „Was für eine (vorläufige) Erleichterung! Jetzt kann ich auch in Zukunft noch Angst haben.” Aufgrund dieser demütig tapferen Haltung aber ist man ihnen allen mit warmem Herzen zugetan. Wir müssen uns Nedko Solakov als großen Humanisten vorstellen. ALEX RÜHLE
Nedko Solakov
99 Fears
99 Zeichnungen. Phaidon Verlag, Berlin 2008. 112 Seiten, 24,95 Euro.
Welche Erleichterung: „Jetzt kann ich auch in Zukunft noch Angst haben”
Angst Nummer 77: „Ein Ehemann gibt seiner Frau eine riesige Blume. Ihre Angst: Es scheint so, als ob er diesmal (offensichtlich im Geheimen) etwas wirklich Schlimmes getan hat.” Abb. aus dem besprochenen Band © Nedko Solakov
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nedko Solakovs Sammelband von 99 Schwarzweißzeichungen zum Thema Angst hat Alex Rühle gut gefallen. Alles in diesen Zeichnungen hat Angst, und die Angst bekommt in schwarz gemalte figürliche Gegenständlichkeit. Vor allem Gegensatzpaare sind in Ängsten vor ihrem jeweiligen Gegenstück verstrickt, etwa Hell und Dunkel, Warm und Kalt, Ja und Nein - der Rezensent erinnert sogar an eine frühere Installation des bulgarischen Künstlers Solakov, in der sich das hier genutzte Farbmaterial, Schwarz und Weiß, in einem endlosen Prozess gegenseitig zunichte machte. So lernt der Leser nicht nur viel über die Angst, ihre Darstellung kann auch eine (wiederum gegensätzliche) komische oder tröstliche Wirkung haben. Die komische Wirkung wird dadurch verstärkt, dass die durchweg schräg gehaltenen Köpfe der gezeichneten Figuren, wie Rühle bemerkt, womöglich die Körperhaltung seiner Ausstellungsbesucher spiegeln, insofern Solakov Texte im Museumsraum bevorzugt schräg anordnet. Und die "demütig tapfere Haltung", mit der die Figuren ihre unausweichlichen Ängste tragen, lassen, wie der Rezensent amüsiert feststellt, Solakov als großen Humanisten erscheinen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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