Das unverzichtbare Buch, um das moderne Leiden zu verstehen.
Schwankendes Selbstwertgefühl. Die Unfähigkeit, zu arbeiten. Leben ohne Rhythmus und Horizont. Die Erniedrigung durch das Mögliche. Das Fehlen von Menschen, Bezügen, Elementen ... In »Negative Moderne« analysiert Sven Hillenkamp die Schattenseiten der Moderne und liefert außerdem eine scharfe Kritik der gängigen Sozialtheorien.
»Sven Hillenkamp ist eine originelle und wichtige Stimme. Mit seltener Brillianz untersucht er die gesellschaftlichen Zustände bis in die Tiefen und Risse des Alltags hinein.
Durch eine neue Kombination aus Struktur- und Erfahrungsanalyse kann Hillenkamp anschaulich zeigen, warum wir uns ohne permanente Bestätigung wertlos fühlen müssen, warum die Zeit ihre Struktur verliert, warum Menschen nicht handeln können, warum ihre Arbeit ohne Ertrag bleibt.«
Eva Illouz
Schwankendes Selbstwertgefühl. Die Unfähigkeit, zu arbeiten. Leben ohne Rhythmus und Horizont. Die Erniedrigung durch das Mögliche. Das Fehlen von Menschen, Bezügen, Elementen ... In »Negative Moderne« analysiert Sven Hillenkamp die Schattenseiten der Moderne und liefert außerdem eine scharfe Kritik der gängigen Sozialtheorien.
»Sven Hillenkamp ist eine originelle und wichtige Stimme. Mit seltener Brillianz untersucht er die gesellschaftlichen Zustände bis in die Tiefen und Risse des Alltags hinein.
Durch eine neue Kombination aus Struktur- und Erfahrungsanalyse kann Hillenkamp anschaulich zeigen, warum wir uns ohne permanente Bestätigung wertlos fühlen müssen, warum die Zeit ihre Struktur verliert, warum Menschen nicht handeln können, warum ihre Arbeit ohne Ertrag bleibt.«
Eva Illouz
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jens-Christian Rabe kann Sven Hillenkamps Zeitdiagnose nicht allzu viel abgewinnen. Wenn der Autor das zweite Gesicht der Moderne zu zeichnen versucht, ein von Wert-, Struktur- und Bezuglosigkeit geprägtes Bild, respektiert Rabe zwar, dass er eben nicht auf die materielle Armut abhebt, sondern auf mangelnden Selbstwert, mangelnde zeitliche Strukturiertheit, mangelnde Motivation, mangelndes Können. Doch das Zwischenreich jenseits von Soziologie, Ökonomie und Psychologie, in das der Autor den Rezensenten entführt, scheint Rabe nicht zu behagen, ebensowenig der Plauderton. Und dass der Analyse der Gegebenheiten bei Hillenkamp keine Entwicklung folgt, sonder philosophisch-schriftstellerische Dauer-Umkreisung der aufgelisteten Negativitäten, macht Rabe geradezu depressiv.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2016Da stürzt das Selbst ins Nichts der Zeit
Moderne zur Auswahl: Sven Hillenkamp versucht eine Zeitdiagnose und landet mit ihr wortreich im Ungefähren
Wer die Gegenwart in zeitdiagnostischer Absicht verstehen will, bedient sich in der Regel eines theoretischen Apparats, der dazu Begriffe und Modelle stellt. So reden die Schüler Michel Foucaults von Diskursen und Dispositiven, jene Ulrich Becks von reflexiver oder zweiter Moderne, andere analysieren den "neuen" Kapitalismus, den Postkapitalismus oder die Postdemokratie. Unzufrieden mit diesen Ansätzen, sucht der Schriftsteller und Philosoph Sven Hillenkamp in seinem Buch nach alternativen Kategorien, um die Gegenwart auf den Begriff zu bringen. Was ihm in den überkommenen Modellen fehlt, ist vor allem die Dimension der menschlichen Erfahrung, deren Leidensformen aus dem Blick gerieten, wenn nur von Märkten, Diskursen oder Medien die Rede ist.
Damit die menschliche Erfahrung zur Sprache kommt, entwickelt Hillenkamp ein Vokabular, das eigentümlich quer steht zu den akademisch geadelten Großtheorien. Was ist etwa die "negative" Moderne, die dem Buch als Titel dient? Sie soll keine Epoche markieren, die einer "positiven" Moderne gefolgt sei, sondern sei ihr "später" Zwilling, der sie nun unausweichlich begleitet. Wo die "positive" Moderne, wie es einigermaßen undeutlich heißt, für "Füllung und Überfüllung, Überdeterminierung, Überstrukturierung und Überflutung" steht, da steht die negative Moderne nun für "Wertlosigkeit, Strukturlosigkeit, Unfähigkeit, Möglichkeit, Bezugslosigkeit". Die der negativen Moderne ausgesetzten Subjekte "stürzen", sie verlieren den Boden, ihre Zeit "verbreit", sie könnten vieles tun und tun doch nichts, sie glauben, nichts erreicht zu haben, sind ein Niemand, "nicht interessant, nicht attraktiv, nicht liebenswert".
Hillenkamp veranschaulicht diese Thesen gelegentlich an Arbeitslosen, Rentnern, Flüchtlingen, Kranken, Selbständigen, jungen Menschen oder auch, freilich auf eher peinliche Weise, an selbstmörderischen Literaturgenies wie Sylvia Plath und Anne Sexton. Was eint diese disparaten Gruppen? Sie sind in den Augen Hillenkamps in gewisser Weise frei, sogar radikal frei, aber ihr Leben verharre im Konjunktiv, sie sehen überall Möglichkeiten, aber keinen Weg zu deren Realisierung. Das Mögliche, so wird Hillenkamp sagen, bleibt "nur als ein Mögliches anwesend", es entzieht sich, entfernt sich in der Zeit, die dadurch jede Struktur verliert. Und weil die Verwirklichung des Möglichen nicht am Subjekt hängt, ist es in seiner scheinbaren Freiheit doch unfrei. So entleere sich das Selbst just in dem Augenblick, da es ganz auf sich zurückgeworfen wird, und stürze ins "Nichts der Zeit", ins "Nichts des Anderen", ins "Nichts des Wertes" - das ist die "reale Erfahrung", die das Buch wortreich artikulieren will.
Leider nur bleibt die Sprache, in der Hillenkamp die uns vertrauten und doch angeblich unangemessen verstandenen Erfahrungen auf den Punkt bringen will, anstrengend, verliert sie nicht selten im Vagen, gerät häufig auch zum Unsinn. So geht Hillenkamp etwa davon aus, dass die Sehnsucht der Deutschen des Dritten Reichs auf die Anerkennung durch Führerpersönlichkeiten ging. Ihr Werben um die Gunst von Oberabschnittsleitern, SS-Standartenjunkern, Reichsverwesern und schließlich um die Gunst Adolf Hitlers habe eine Parallele in unserem Werben um die Gunst von Redakteuren, Intendanten, Galeristen, Verlegern, Lesern, Zuschauern, um die Gunst von Mama und Papa, Tom und Julia oder, "schlicht und wahrheitsgetreu", um die Gunst eines jeden Du. Selbst wenn man einräumt, dass das "spätmoderne" Subjekt seinen Wert wesentlich durch die Anerkennung anderer erhält (oder eben nicht), ist es doch wenig plausibel, an diesem Punkt keine weiteren Differenzierungen einzuführen. Julia ist nicht Hitler, und Papa ist nicht Goebbels, wenn Julia mich verstößt, bin ich unglücklich, wen Hitler "verstieß", der war im Zweifelsfall tot.
So bleibt Hillenkamp, obwohl er doch Erfahrung "auslegen" will, oberflächlich und verliert sich oft in selbstverliebten Sprachspielen, ohne dass man wüsste, wozu nun die Kategorie der negativen Moderne wirklich brauchbar sein soll. Sicher, es mag Erfahrungen der totalen Zeitverbreiung oder der massiv erlittenen Struktur- und Wertlosigkeit geben. Aber hat uns eine Sprache für die Erfahrungen der Arbeitslosen, der Alten, der Jungen oder der Kranken gefehlt? Wir haben die Literatur, das sieht Hillenkamp selbst, wir haben die Reportagen Barbara Ehrenreichs oder Bourdieus Studie über "Das Elend der Welt". Und ist es überhaupt sinnvoll, die Erfahrungen dieser unterschiedlichen Gruppen über einen Kamm zu scheren, sie gar zum Signum eines wie immer verstandenen Epochenbegriffs zu machen?
Hillenkamps Buch vermag dies nicht zu zeigen, auch weil der Begriff der "positiven" Moderne als Folie oder eben "Zwilling" der negativen Moderne verschwommen bleibt. Man weiß nie so genau, was gemeint ist, und wenn es einmal konkreter wird, wenn etwa Rassismus, Nationalismus oder Islamismus als Kennzeichen der positiven Moderne genannt werden, dann erschließt sich nicht recht, inwieweit Erfahrungen der Wert- oder Bezuglosigkeit sinnvoll ihre andere Seite sind. Zwischen Überdeterminiertheit und Unterdeterminiertheit scheint es keine Alternativen zu geben, das aber erfasst weder die Theorielandschaft angemessen noch die Wirklichkeit, in der wir leben.
MARTIN HARTMANN.
Sven Hillenkamp: "Negative Moderne". Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016. 384 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Moderne zur Auswahl: Sven Hillenkamp versucht eine Zeitdiagnose und landet mit ihr wortreich im Ungefähren
Wer die Gegenwart in zeitdiagnostischer Absicht verstehen will, bedient sich in der Regel eines theoretischen Apparats, der dazu Begriffe und Modelle stellt. So reden die Schüler Michel Foucaults von Diskursen und Dispositiven, jene Ulrich Becks von reflexiver oder zweiter Moderne, andere analysieren den "neuen" Kapitalismus, den Postkapitalismus oder die Postdemokratie. Unzufrieden mit diesen Ansätzen, sucht der Schriftsteller und Philosoph Sven Hillenkamp in seinem Buch nach alternativen Kategorien, um die Gegenwart auf den Begriff zu bringen. Was ihm in den überkommenen Modellen fehlt, ist vor allem die Dimension der menschlichen Erfahrung, deren Leidensformen aus dem Blick gerieten, wenn nur von Märkten, Diskursen oder Medien die Rede ist.
Damit die menschliche Erfahrung zur Sprache kommt, entwickelt Hillenkamp ein Vokabular, das eigentümlich quer steht zu den akademisch geadelten Großtheorien. Was ist etwa die "negative" Moderne, die dem Buch als Titel dient? Sie soll keine Epoche markieren, die einer "positiven" Moderne gefolgt sei, sondern sei ihr "später" Zwilling, der sie nun unausweichlich begleitet. Wo die "positive" Moderne, wie es einigermaßen undeutlich heißt, für "Füllung und Überfüllung, Überdeterminierung, Überstrukturierung und Überflutung" steht, da steht die negative Moderne nun für "Wertlosigkeit, Strukturlosigkeit, Unfähigkeit, Möglichkeit, Bezugslosigkeit". Die der negativen Moderne ausgesetzten Subjekte "stürzen", sie verlieren den Boden, ihre Zeit "verbreit", sie könnten vieles tun und tun doch nichts, sie glauben, nichts erreicht zu haben, sind ein Niemand, "nicht interessant, nicht attraktiv, nicht liebenswert".
Hillenkamp veranschaulicht diese Thesen gelegentlich an Arbeitslosen, Rentnern, Flüchtlingen, Kranken, Selbständigen, jungen Menschen oder auch, freilich auf eher peinliche Weise, an selbstmörderischen Literaturgenies wie Sylvia Plath und Anne Sexton. Was eint diese disparaten Gruppen? Sie sind in den Augen Hillenkamps in gewisser Weise frei, sogar radikal frei, aber ihr Leben verharre im Konjunktiv, sie sehen überall Möglichkeiten, aber keinen Weg zu deren Realisierung. Das Mögliche, so wird Hillenkamp sagen, bleibt "nur als ein Mögliches anwesend", es entzieht sich, entfernt sich in der Zeit, die dadurch jede Struktur verliert. Und weil die Verwirklichung des Möglichen nicht am Subjekt hängt, ist es in seiner scheinbaren Freiheit doch unfrei. So entleere sich das Selbst just in dem Augenblick, da es ganz auf sich zurückgeworfen wird, und stürze ins "Nichts der Zeit", ins "Nichts des Anderen", ins "Nichts des Wertes" - das ist die "reale Erfahrung", die das Buch wortreich artikulieren will.
Leider nur bleibt die Sprache, in der Hillenkamp die uns vertrauten und doch angeblich unangemessen verstandenen Erfahrungen auf den Punkt bringen will, anstrengend, verliert sie nicht selten im Vagen, gerät häufig auch zum Unsinn. So geht Hillenkamp etwa davon aus, dass die Sehnsucht der Deutschen des Dritten Reichs auf die Anerkennung durch Führerpersönlichkeiten ging. Ihr Werben um die Gunst von Oberabschnittsleitern, SS-Standartenjunkern, Reichsverwesern und schließlich um die Gunst Adolf Hitlers habe eine Parallele in unserem Werben um die Gunst von Redakteuren, Intendanten, Galeristen, Verlegern, Lesern, Zuschauern, um die Gunst von Mama und Papa, Tom und Julia oder, "schlicht und wahrheitsgetreu", um die Gunst eines jeden Du. Selbst wenn man einräumt, dass das "spätmoderne" Subjekt seinen Wert wesentlich durch die Anerkennung anderer erhält (oder eben nicht), ist es doch wenig plausibel, an diesem Punkt keine weiteren Differenzierungen einzuführen. Julia ist nicht Hitler, und Papa ist nicht Goebbels, wenn Julia mich verstößt, bin ich unglücklich, wen Hitler "verstieß", der war im Zweifelsfall tot.
So bleibt Hillenkamp, obwohl er doch Erfahrung "auslegen" will, oberflächlich und verliert sich oft in selbstverliebten Sprachspielen, ohne dass man wüsste, wozu nun die Kategorie der negativen Moderne wirklich brauchbar sein soll. Sicher, es mag Erfahrungen der totalen Zeitverbreiung oder der massiv erlittenen Struktur- und Wertlosigkeit geben. Aber hat uns eine Sprache für die Erfahrungen der Arbeitslosen, der Alten, der Jungen oder der Kranken gefehlt? Wir haben die Literatur, das sieht Hillenkamp selbst, wir haben die Reportagen Barbara Ehrenreichs oder Bourdieus Studie über "Das Elend der Welt". Und ist es überhaupt sinnvoll, die Erfahrungen dieser unterschiedlichen Gruppen über einen Kamm zu scheren, sie gar zum Signum eines wie immer verstandenen Epochenbegriffs zu machen?
Hillenkamps Buch vermag dies nicht zu zeigen, auch weil der Begriff der "positiven" Moderne als Folie oder eben "Zwilling" der negativen Moderne verschwommen bleibt. Man weiß nie so genau, was gemeint ist, und wenn es einmal konkreter wird, wenn etwa Rassismus, Nationalismus oder Islamismus als Kennzeichen der positiven Moderne genannt werden, dann erschließt sich nicht recht, inwieweit Erfahrungen der Wert- oder Bezuglosigkeit sinnvoll ihre andere Seite sind. Zwischen Überdeterminiertheit und Unterdeterminiertheit scheint es keine Alternativen zu geben, das aber erfasst weder die Theorielandschaft angemessen noch die Wirklichkeit, in der wir leben.
MARTIN HARTMANN.
Sven Hillenkamp: "Negative Moderne". Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016. 384 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2016Depressiver Narzissmus
Sven Hillenkamp erkundet die dunkle Seite der Freiheit – und schreibt versehentlich ein Millennial-Manifest
Wir leben in wilden Zeiten: all die nicht enden wollenden Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten, der islamistische Terrorismus, der Aufstieg nationalistischer Parteien und Bewegungen, die allgegenwärtige Überwachung, der Neoliberalismus, der Kapitalismus, die Technologisierung des Alltags – kein Wunder, dass längst fast jeder deutsche Buchverlag einen hauseigenen Kulturkritiker beschäftigt, den weniger die penible Erforschung der komplizierten Details unserer grässlichen Gegenwart quälen, als die Frage, was daran eigentlich die Qual für jeden Einzelnen ist. Und unter deren Augen noch die letzte Errungenschaft der Moderne zu einem pathologischen Problem wird. Also etwa die Beschleunigung (Hartmut Rosa, Suhrkamp), die Zivilisierung der Instinkte (Robert Pfaller, S. Fischer) oder auch einfach nur das Transparenzgebot (Byung-Chul Han, ebenfalls bei Fischer).
Beim Stuttgarter Klett-Cotta Verlag hat die Populäre-Kulturkritik-Planstelle seit einer Weile der in Stockholm lebende Essayist und Schriftsteller Sven Hillenkamp inne, der nach „Das Ende der Liebe“ (2012) nun mit „Negative Moderne – Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts“ den zweiten Band seiner auf vier Bände angelegten Untersuchung über die „Zwänge der Freiheit“ vorlegt.
Die „negative Moderne“ ist für Hillenkamp dabei das zweite Gesicht der Moderne, das er gegenüber der seiner Ansicht nach überbewerteten „positiven Moderne“ ins Recht setzen will. Denn schon ein Blick auf die Arbeitslosen am Berliner Landwehrkanal zeige, dass die Moderne nur vordergründig das Gesetz der Steigerung, der ewigen Positivität präge, das Gesetz von „Überfüllung, Überdeterminierung, Überstrukturierung, Überflutung“. In der negativen Moderne des Lebens am Landwehrkanal herrsche dagegen „Wertlosigkeit, Strukturlosigkeit, Unfähigkeit, Möglichkeit, Bezuglosigkeit“. Wie schon in „Das Ende der Liebe“ geht es also um die dunkle Seite der Freiheit als vielfach erlebte, theoretisch jedoch sträflich vernachlässigte Erfahrung der Moderne: Man frage sich immer, was passiert sei, nie aber, was NICHT passiert sei, obwohl uns doch womöglich – so Hillenkamps Grundannahme – das, was nie geschehen ist, tiefer gezeichnet habe, als alles, was geschehen sei.
Das klingt wahrlich philosophisch, gewinnt jedoch Kontur durch zwei bemerkenswerte Abgrenzungen. Die dunkle Seite der Freiheit soll beim Hillenkamp nämlich weder bloß die manifeste materielle Armut sein, noch allein die gute alte spirituelle „innere Leere“. Die beiden seien theoretisch hinreichend abgehandelt. Es geht ihm vielmehr um Negativitäten, die der Einzelne nur durch seine soziale Verbundenheit und Abhängigkeit erfährt: mangelnden Selbstwert, mangelnden zeitliche Strukturiertheit, mangelnde Motivation, mangelndes Können, mangelnde Verwirklichung seiner Möglichkeiten. Um deren vertiefte Erkundung drehen sich denn auch die fünf Hauptkapitel.
In ein theoretisches Zwischenreich jenseits von Soziologie, Ökonomie und Psychologie wird man hier also entführt. Und das erscheint als Behauptung zunächst schon erstaunlich. Aber dann hat man es doch wieder einmal eher mit einem Mantra zu tun als mit erkenntnisstiftender Philosophie. Und wie so oft zeigt das schon der Stil dieses Denkens.
Dieser Stil ist nämlich mindestens gewöhnungsbedürftig. Nicht allerdings in dem Sinn, in dem Bücher aus Philosophie oder soziologischer Theorie oft gewöhnungsbedürftig sind, weil die Erkenntnisse, die sie entfalten, in einer ganz eigenen Sprache abgefasst sind, die man während der Lektüre erst mit erlernen muss. Um Kant zu verstehen, Hegel, Habermas oder Luhmann, muss man bis zu einem gewissen Grad Kantisch, Hegelianisch, Habermasisch oder Luhmanisch lernen. Das ist bei Hillenkamp nicht der Fall, ein Hillenkampisch gibt es nicht, eher einen informierten Plauderton. Die Analyse kennt jedoch keine Entwicklung. Man schleicht mit dem Autor immer wieder von neuem um die fünf Negativitäten herum.
Passend dazu sind die Kapitel des Hauptteils in sich – oft schon nach weniger als einer Seite – nur durch viele unnummerierte Zwischenüberschriften unterteilt, die die Lektüre eher poetisierend begleiten als klärend strukturieren: „Hautlosigkeit“, „Liebe deinen Nächsten“, „Die Ontologisierung der Geschichte“, „Alterozentrik“.
Wie man eben überhaupt bald den Eindruck nicht mehr los wird, dass man es – beim Hillenkamp-Förderer Byung-Chul Han ist es ganz ähnlich – mit jenem Typ philosophischer Schriftstellerei zu tun hat, die im Grunde nicht versucht, den Leser durch Argumente zu überzeugen, sondern ihn im substantivlastigen Hauptssatz-Stakkato eher Befunde beschwört, die er besser schon für weise hält, bevor er das Buch überhaupt zur Hand nimmt: „Die Kultur muss das menschliche Handeln motivieren und organisieren“, heißt es beispielsweise, „denn der instinktlose Mensch handelt nicht aus dem Nichts heraus, bzw. im sozialen Nichts handelt er nicht. Die Kultur muss das Denken und das Fühlen, das Erinnern und das Erwarten vermitteln, sonst findet ,der Mensch‘ sich im Nichts aller Innerlichkeit wieder. Die Kultur muss das Entstehen von Unendlichkeiten verhindern, Endlichkeit erzeugen.“
Sätze wie diese, aus denen im Grunde das gesamte Buch besteht, hängen so gewaltig schillernd in der intellektuellen Mittelerde, irgendwo zwischen Banalität, Anmaßung und blankem Unfug. Bestenfalls sind sie so verknappt, dass man über Voraussetzungen und Hintergrundannahmen der Befunde gerne Genaueres wüsste. Und so gleicht dieses als Philosophie getarnte Buch eher einer Sammlung von Reden eines Gurus an seine Jünger.
Der Nebelstil – das ist irgendwann nicht mehr zu übersehen – ist dabei die direkte Folge von Hillenkamps methodischer Positionierung zwischen allen Stühlen, deren Rechtfertigung er am Schluss sogar noch ein ganzes Kapitel widmet. Indem er sich offen gegen jede Quantifizierung oder intersubjektiven Prüfung ausspricht und versucht, eine ganze Gesellschaftsdiagnose rein aus der eigenen Erfahrung abzuleiten, geht er eben kein überfälliges intellektuelles Wagnis sein, wie er den Leser beredt glauben machen will. Er macht es sich vielmehr zu leicht, weil er sich nicht der Mühe unterziehen muss, Belege beizubringen. Der Pakt mit dem Leser lautet: Komm schon, Dir macht dein mangelnder Selbstwert doch auch schrecklich zu schaffen!
Was das Buch als Symptom und Dokument zeitdiagnostisch trotzdem interessant macht, ist etwas, das man vielleicht selbstbewusste Weinerlichkeit nennen kann: „Wenn ich nachschaue, ob mir jemand eine Mail geschrieben hat, oder mich mit meinem Selbstrepräsentationen in ,sozialen Medien‘ befasse, sind die Nachrichten, Kommentare, Bilder, Texte, der gesamte sogenannte Inhalt, nichts als mein ,Wert‘ bzw. ,meine Wertlosigkeit‘.“ Am Ende fühlt man sich wie ein Zeuge bei der skrupulösen, nicht selten leicht angeheideggerten („das Nachglühen des Gewesenen“) Anamnese eines depressiven Narzissten, dem jede Erfahrung die eigene Nichtigkeit bestätigt.
Und so gerinnt die „Negative Moderne“ am Ende immerhin zu so etwas wie einem philosophischen Manifest für Millennials. Jener Generation der derzeit 20- bis 35-Jährigen, über deren eigenwilligen Begriff von Leistung zuletzt viel geschrieben und von nicht wenigen alten Firmenchefs ausdauernd geklagt wird. Das Gefühl, dass diese Generation eint, ist ja, dass sie einerseits weiß, dass sie gebraucht wird, ihr andererseits aber auch vollkommen klar ist, dass das große Fressen ohne sie stattgefunden hat, weshalb sie am liebsten so viel Zeit wie möglich am Landwehrkanal verbringen dürfen will.
JENS-CHRISTIAN RABE
Interessant macht das Buch das,
was man vielleicht selbstbewusste
Weinerlichkeit nennen könnte
Sven Hillenkamp: Negative Moderne. Moderne Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2016. 384 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sven Hillenkamp erkundet die dunkle Seite der Freiheit – und schreibt versehentlich ein Millennial-Manifest
Wir leben in wilden Zeiten: all die nicht enden wollenden Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten, der islamistische Terrorismus, der Aufstieg nationalistischer Parteien und Bewegungen, die allgegenwärtige Überwachung, der Neoliberalismus, der Kapitalismus, die Technologisierung des Alltags – kein Wunder, dass längst fast jeder deutsche Buchverlag einen hauseigenen Kulturkritiker beschäftigt, den weniger die penible Erforschung der komplizierten Details unserer grässlichen Gegenwart quälen, als die Frage, was daran eigentlich die Qual für jeden Einzelnen ist. Und unter deren Augen noch die letzte Errungenschaft der Moderne zu einem pathologischen Problem wird. Also etwa die Beschleunigung (Hartmut Rosa, Suhrkamp), die Zivilisierung der Instinkte (Robert Pfaller, S. Fischer) oder auch einfach nur das Transparenzgebot (Byung-Chul Han, ebenfalls bei Fischer).
Beim Stuttgarter Klett-Cotta Verlag hat die Populäre-Kulturkritik-Planstelle seit einer Weile der in Stockholm lebende Essayist und Schriftsteller Sven Hillenkamp inne, der nach „Das Ende der Liebe“ (2012) nun mit „Negative Moderne – Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts“ den zweiten Band seiner auf vier Bände angelegten Untersuchung über die „Zwänge der Freiheit“ vorlegt.
Die „negative Moderne“ ist für Hillenkamp dabei das zweite Gesicht der Moderne, das er gegenüber der seiner Ansicht nach überbewerteten „positiven Moderne“ ins Recht setzen will. Denn schon ein Blick auf die Arbeitslosen am Berliner Landwehrkanal zeige, dass die Moderne nur vordergründig das Gesetz der Steigerung, der ewigen Positivität präge, das Gesetz von „Überfüllung, Überdeterminierung, Überstrukturierung, Überflutung“. In der negativen Moderne des Lebens am Landwehrkanal herrsche dagegen „Wertlosigkeit, Strukturlosigkeit, Unfähigkeit, Möglichkeit, Bezuglosigkeit“. Wie schon in „Das Ende der Liebe“ geht es also um die dunkle Seite der Freiheit als vielfach erlebte, theoretisch jedoch sträflich vernachlässigte Erfahrung der Moderne: Man frage sich immer, was passiert sei, nie aber, was NICHT passiert sei, obwohl uns doch womöglich – so Hillenkamps Grundannahme – das, was nie geschehen ist, tiefer gezeichnet habe, als alles, was geschehen sei.
Das klingt wahrlich philosophisch, gewinnt jedoch Kontur durch zwei bemerkenswerte Abgrenzungen. Die dunkle Seite der Freiheit soll beim Hillenkamp nämlich weder bloß die manifeste materielle Armut sein, noch allein die gute alte spirituelle „innere Leere“. Die beiden seien theoretisch hinreichend abgehandelt. Es geht ihm vielmehr um Negativitäten, die der Einzelne nur durch seine soziale Verbundenheit und Abhängigkeit erfährt: mangelnden Selbstwert, mangelnden zeitliche Strukturiertheit, mangelnde Motivation, mangelndes Können, mangelnde Verwirklichung seiner Möglichkeiten. Um deren vertiefte Erkundung drehen sich denn auch die fünf Hauptkapitel.
In ein theoretisches Zwischenreich jenseits von Soziologie, Ökonomie und Psychologie wird man hier also entführt. Und das erscheint als Behauptung zunächst schon erstaunlich. Aber dann hat man es doch wieder einmal eher mit einem Mantra zu tun als mit erkenntnisstiftender Philosophie. Und wie so oft zeigt das schon der Stil dieses Denkens.
Dieser Stil ist nämlich mindestens gewöhnungsbedürftig. Nicht allerdings in dem Sinn, in dem Bücher aus Philosophie oder soziologischer Theorie oft gewöhnungsbedürftig sind, weil die Erkenntnisse, die sie entfalten, in einer ganz eigenen Sprache abgefasst sind, die man während der Lektüre erst mit erlernen muss. Um Kant zu verstehen, Hegel, Habermas oder Luhmann, muss man bis zu einem gewissen Grad Kantisch, Hegelianisch, Habermasisch oder Luhmanisch lernen. Das ist bei Hillenkamp nicht der Fall, ein Hillenkampisch gibt es nicht, eher einen informierten Plauderton. Die Analyse kennt jedoch keine Entwicklung. Man schleicht mit dem Autor immer wieder von neuem um die fünf Negativitäten herum.
Passend dazu sind die Kapitel des Hauptteils in sich – oft schon nach weniger als einer Seite – nur durch viele unnummerierte Zwischenüberschriften unterteilt, die die Lektüre eher poetisierend begleiten als klärend strukturieren: „Hautlosigkeit“, „Liebe deinen Nächsten“, „Die Ontologisierung der Geschichte“, „Alterozentrik“.
Wie man eben überhaupt bald den Eindruck nicht mehr los wird, dass man es – beim Hillenkamp-Förderer Byung-Chul Han ist es ganz ähnlich – mit jenem Typ philosophischer Schriftstellerei zu tun hat, die im Grunde nicht versucht, den Leser durch Argumente zu überzeugen, sondern ihn im substantivlastigen Hauptssatz-Stakkato eher Befunde beschwört, die er besser schon für weise hält, bevor er das Buch überhaupt zur Hand nimmt: „Die Kultur muss das menschliche Handeln motivieren und organisieren“, heißt es beispielsweise, „denn der instinktlose Mensch handelt nicht aus dem Nichts heraus, bzw. im sozialen Nichts handelt er nicht. Die Kultur muss das Denken und das Fühlen, das Erinnern und das Erwarten vermitteln, sonst findet ,der Mensch‘ sich im Nichts aller Innerlichkeit wieder. Die Kultur muss das Entstehen von Unendlichkeiten verhindern, Endlichkeit erzeugen.“
Sätze wie diese, aus denen im Grunde das gesamte Buch besteht, hängen so gewaltig schillernd in der intellektuellen Mittelerde, irgendwo zwischen Banalität, Anmaßung und blankem Unfug. Bestenfalls sind sie so verknappt, dass man über Voraussetzungen und Hintergrundannahmen der Befunde gerne Genaueres wüsste. Und so gleicht dieses als Philosophie getarnte Buch eher einer Sammlung von Reden eines Gurus an seine Jünger.
Der Nebelstil – das ist irgendwann nicht mehr zu übersehen – ist dabei die direkte Folge von Hillenkamps methodischer Positionierung zwischen allen Stühlen, deren Rechtfertigung er am Schluss sogar noch ein ganzes Kapitel widmet. Indem er sich offen gegen jede Quantifizierung oder intersubjektiven Prüfung ausspricht und versucht, eine ganze Gesellschaftsdiagnose rein aus der eigenen Erfahrung abzuleiten, geht er eben kein überfälliges intellektuelles Wagnis sein, wie er den Leser beredt glauben machen will. Er macht es sich vielmehr zu leicht, weil er sich nicht der Mühe unterziehen muss, Belege beizubringen. Der Pakt mit dem Leser lautet: Komm schon, Dir macht dein mangelnder Selbstwert doch auch schrecklich zu schaffen!
Was das Buch als Symptom und Dokument zeitdiagnostisch trotzdem interessant macht, ist etwas, das man vielleicht selbstbewusste Weinerlichkeit nennen kann: „Wenn ich nachschaue, ob mir jemand eine Mail geschrieben hat, oder mich mit meinem Selbstrepräsentationen in ,sozialen Medien‘ befasse, sind die Nachrichten, Kommentare, Bilder, Texte, der gesamte sogenannte Inhalt, nichts als mein ,Wert‘ bzw. ,meine Wertlosigkeit‘.“ Am Ende fühlt man sich wie ein Zeuge bei der skrupulösen, nicht selten leicht angeheideggerten („das Nachglühen des Gewesenen“) Anamnese eines depressiven Narzissten, dem jede Erfahrung die eigene Nichtigkeit bestätigt.
Und so gerinnt die „Negative Moderne“ am Ende immerhin zu so etwas wie einem philosophischen Manifest für Millennials. Jener Generation der derzeit 20- bis 35-Jährigen, über deren eigenwilligen Begriff von Leistung zuletzt viel geschrieben und von nicht wenigen alten Firmenchefs ausdauernd geklagt wird. Das Gefühl, dass diese Generation eint, ist ja, dass sie einerseits weiß, dass sie gebraucht wird, ihr andererseits aber auch vollkommen klar ist, dass das große Fressen ohne sie stattgefunden hat, weshalb sie am liebsten so viel Zeit wie möglich am Landwehrkanal verbringen dürfen will.
JENS-CHRISTIAN RABE
Interessant macht das Buch das,
was man vielleicht selbstbewusste
Weinerlichkeit nennen könnte
Sven Hillenkamp: Negative Moderne. Moderne Strukturen der Freiheit und der Sturz ins Nichts. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2016. 384 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ungewöhnlich für eine sozialphilosophische Studie ist der subjektive Blick, der dem Buch eine große energetische Kraft gibt. Hillenkamps Ausgangspunkt ist, das Leid zu verstehen, das die Moderne verursacht. Dass er damit den Nerv vieler Menschen trifft, zeigt die Reaktion einer Zuhörerin bei der Buchvorstellung in der Berliner Volksbühne. Für sie sei seine Untersuchung ein Trostbuch gewesen, und das, obwohl Sven Hillenkamp keine Lösungsmuster anbietet. Und auch wer dem diagnostizierten Sturz des Menschen ins Nichts nicht bis ins Letzte folgen mag, wird diesem Versuch, eine Epoche und eine Kultur aus der Perspektive ihrer Verwerfungen zu verstehen, einiges abgewinnen können. Deutschlandradio, 12.06.2016 Sven Hillenkamp zerpflückt manches Klischee der Philosophie und der Soziologie. Er versucht, sich von den großen philosophischen Apparaten des 20. Jahrhunderts zu lösen. Eine so düstere wie brilliante Gesellschaftsanalyse. MDR Figaro, 17.02.2016 Es kann uns ein Schwindel befallen, konstatiert Hillenkamp, eine seltsame Übelkeit, wenn wir nur die Wörter Kapitalismus, Diskurs, Internet, System und so weiter hören ... Negative Moderne als Vernichtungsmaschine ... Hillenkamp schreibt weiter. Alle fertigen Bilder der Wirklichkeit sollen von den Wänden gerissen werden, das Schreiben sich gegen sich selber richten. Der Theoriesturm ist in Gang. Adolf Holl, Die Presse, 27.05.2016 Anders als seine Vorbilder will Hillenkamp die gesellschaftliche Ordnung des modernen Leidens durch das Leiden selbst erkunden. Er beschreibt also nicht moderne Arbeitsweisen und Institutionen und auch nicht die kulturellen Diskurse, die uns bestimmen. Er analysiert die Logik des Erlebens. Wie wird die Zeit, wie werden die anderen Menschen und wie wird das Selbst innerhalb moderner Lebenswirklichkeit erfahren? ... Es ist die Sensibilität und Genauigkeit in der Beschreibung, die Hillenkamps Deutung auszeichnen. DIE ZEIT, 26.05.2016 Laut Hillenkamp leidet das moderne Ich nicht am Überfluss oder an der Beschleunigung. Es leidet an existenziellem Mangel. So wird das Subjekt zur "pausenlosen Fehltrittforschung in eigener Sache" gezwungen. Sein Leben fängt nie richtig an, denn kein Erfolg ist groß genug, um die Flächen der Verletzlichkeit abdecken zu können. Hillenkamp lässt sich beim Denken über die Schulter schauen. Man muss bereit sein, sich von manch liebgewonnener Denkfigur zu verabschieden. Weder Internet noch Computerspiele, weder Partnerbörsen noch Casting-Shows sind für ihn Teufelswerk, er nimmt vielmehr die Erwartungshorizonte und Bedürfnisstrukturen ins Visier, die sie bedienen. Darmstädter Echo, 04.04.2016