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Hans J. Massaquoi beschreibt in seiner Autobiographie seine Kindheit und Jugend zwischen 1926 und 1948 als einer der ganz wenigen schwarzen Deutschen in diesem Land. Seine braune Haut bewahrte ihn unter anderem davor, Nazi zu werden. Und sie verhinderte, daß er in den Krieg geschickt wurde wie viele seiner Mitschüler, die nie wieder zurückkamen. Als Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters wächst Hans-Jürgen Massaquoi zunächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Der Großvater, ehemaliger König der Vai, ist liberianischer Generalkonsul in Hamburg. Die Dienstboten sind Weiße. Doch…mehr

Produktbeschreibung
Hans J. Massaquoi beschreibt in seiner Autobiographie seine Kindheit und Jugend zwischen 1926 und 1948 als einer der ganz wenigen schwarzen Deutschen in diesem Land. Seine braune Haut bewahrte ihn unter anderem davor, Nazi zu werden. Und sie verhinderte, daß er in den Krieg geschickt wurde wie viele seiner Mitschüler, die nie wieder zurückkamen. Als Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters wächst Hans-Jürgen Massaquoi zunächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Der Großvater, ehemaliger König der Vai, ist liberianischer Generalkonsul in Hamburg. Die Dienstboten sind Weiße. Doch dann verläßt die liberianische Familie das Land. Massaquoi und seine Mutter bleiben zurück und ziehen in ein Arbeiterviertel. Bald darauf übernehemen die Nazis die Macht...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2000

Sprechende Details
Als Neger im nationalsozialistischen Deutschland

Hans-Jürgen Massaquoi: "Neger, Neger, Schornsteinfeger!" Meine Kindheit in Deutschland. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Fretz und Wasmuth Verlag, Bern 1999. 416 Seiten, 45 Abbildungen, 39,90 Mark.

Eine der gespenstischsten Eigentümlichkeiten des Nationalsozialismus ist die Verbohrtheit, mit der er sich seine Volksfeinde erfand. Zwar dichtete die Propaganda den Juden und anderen immer neue "Rassemerkmale" an. Aber es brauchte schon eine scheinwissenschaftliche Abstammungslehre und farbige Winkel, um sie überhaupt kenntlich zu machen, was man ihnen freilich noch als besondere Heimtücke auslegte. Schon darum ist es interessant, die Erinnerungen eines Deutschen zu lesen, der sich schon auf den ersten Blick von seinen Landsleuten unterschied. Das Buch ist die Autobiographie eines Schwarzen, der seine Jugend im Nationalsozialismus verlebte.

Massaquoi kommt 1926 als Sohn eines liberianischen Diplomaten und einer deutschen Krankenschwester in Hamburg zur Welt. Die Stellung seiner Familie ermöglicht ihm während der ersten Jahre ein komfortables Leben. Seine Hautfarbe nimmt er nur als den Ausdruck einer vornehmen Abstammung wahr. Das ändert sich, als der Patriarch, sein Großvater, wegen politischer Verwicklungen nach Liberia zurückkehrt und den kränklichen Jungen bei seiner Mutter lässt. Mit Ausnahme einiger Kinder französischer Besatzungssoldaten gibt es in diesen Jahren fast keine Deutschen schwarzer Hautfarbe. Die naiven Mythen von den wunderlichen Mohren kursieren noch. Das macht den Alltag der Betroffenen gewiss nicht leichter; doch es rettet vermutlich manchem von ihnen das Leben.

Eine unheimliche Fotografie ist auf den Bucheinband gedruckt. Man sieht einen dunkelhäutigen, kraushaarigen kleinen Jungen mit einer Hakenkreuzplakette auf seinem Pullunder. Es handelt sich um den Verfasser im Alter von acht Jahren. Die Plakette prangt dort auf seinen eigenen Wunsch (und auch nur so lang, bis seine entsetzte Mutter sie wieder entfernt). Hans-Jürgen Massaquoi behält seine kindliche Begeisterung für den Nationalsozialismus lange bei - auch nachdem ein betrunkener SA-Mann ihn bedroht, auch nachdem er vom "arischen" Spielplatz verwiesen wird, auch nachdem sein Schulleiter ihm eröffnet, nach den Juden kämen die Neger dran.

Dennoch zeigt sich ihm auch die joviale Seite des NS-Regimes: der Polizeisportverein, der ihn wie selbstverständlich in seinen Reihen duldet, der SS-Offizier, der ihm eine Ausbildung als Bauschlosser ermöglicht, weil er ihn dann als Ausbilder in die wiedereroberten Kolonien schicken will. Als Siebzehnjähriger nimmt Massaquoi seinen Musterungsbescheid freudig entgegen, weil er hofft, durch Tapferkeit das Missverständnis ausräumen zu können, das ihn zu einem Deutschen zweiter Klasse degradiert. Die Untauglichkeit aus rassischen Gründen empfindet er als eine der tiefsten Demütigungen seines Lebens. Noch 1942 versucht er, sich freiwillig zu melden.

In welcher Gefahr er sich befindet, wird Massaquoi erst allmählich klar. Aber er überlebt und schlägt sich nach dem Krieg nach Liberia durch. Doch dort erwartet ihn eine weitere Enttäuschung. Sein Vater erweist sich als liebloser Despot; sein Onkel, ein korrupter Richter, betrügt ihn um sein Erbe. Auch die Vereinigten Staaten, wo er noch heute lebt, erfüllen seine Hoffnungen auf ein gleichberechtigtes Leben nur zum Teil. Aber er bleibt und bringt es bis zum Chefredakteur der Zeitschrift "Ebony", die sich an schwarze Leser richtet.

So tragisch die Geschichte bisweilen ist, so flott wird sie erzählt. Massaquoi denkt gar nicht daran, seinem ernsten Anliegen eine gute Anekdote zu opfern. Man merkt dem Verfasser an, dass er das alles nicht zum ersten Mal erzählt. Manches erscheint etwas zu bunt ausgeschmückt.

"Neger, Neger, Schornsteinfeger!" ist ein recht amerikanisches Buch. Massaquoi spricht von seinen schwarzen "Brüdern und Schwestern", von dem "verhassten Wort" Neger, vom "Struwwelpeter" als einem "überheblichen, versteckt rassistischen Kinderbuchklassiker", vom Holocaust als einer "ethnischen Säuberung". Ein Überlebender des nationalsozialistischen Völkermords macht Anleihen beim Wort- und Ideenschatz der politisch Korrekten. Den Grund dafür kann man ahnen: Der bescheidene Trost, Schicksalsgefährten zu finden, blieb dem Verfasser verwehrt. Er war durch seine Abstammung zum Tode verurteilt und lebte doch besser als viele Schwarze in den Vereinigten Staaten. Sie sind nur dann seine Brüder und Schwestern, wenn man den Nationalsozialismus zu einer Erscheinungsform des westlichen Rassismus reduziert und die Einzigartigkeit dieser Erlebnisse verwässert, wie es hier zum Teil auch geschieht.

Es bleiben genügend sprechende Details: der Besuch in Hagenbecks Tierpark, der damals noch bewohnte Afrikanerdörfer zu seinen Attraktionen zählte, die hilflosen Versuche des Zehnjährigen, sein Haar zu glätten. Sie bleiben im Gedächtnis haften, die daraus gewonnenen Einsichten des Verfassers leider nicht. Aber wer bislang die Erfahrungsberichte aus dieser Zeit gescheut hat, kann mit diesem einen leichten Einstieg finden.

MICHAEL ALLMAIER

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