Der Sammelband "Neidökonomie" geht der Bedeutung des Neids in Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach.
Auch wenn das Buch weder eine eigentliche ökonomische Theorie des Neids entwickelt noch die Frage, ob der Neid den Fortschritt eher voranbringt oder behindert, endgültig beantworten kann, beleuchtet es doch die verschiedensten Aspekte dieses Lasters aus soziologischer, ökonomischer und philosophischer Sicht.
Auch wenn das Buch weder eine eigentliche ökonomische Theorie des Neids entwickelt noch die Frage, ob der Neid den Fortschritt eher voranbringt oder behindert, endgültig beantworten kann, beleuchtet es doch die verschiedensten Aspekte dieses Lasters aus soziologischer, ökonomischer und philosophischer Sicht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2001Wege und Irrwege des Neides
Das Ringen um Gleichheit verstümmelt Gerechtigkeit und Freiheit
Gerhard Schwarz/Robert Nef (Herausgeber): Neidökonomie. Wirtschaftspolitische Aspekte eines Lasters. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2000, 200 Seiten, 48 Franken.
Es gibt wohl kaum ein soziales Phänomen, das so allgegenwärtig und gleichzeitig so kaschiert ist wie der gleichmacherische Neid. Kein Neidender wagt sich offen dazu zu bekennen, daß er am Wohlergehen und Glück des Nächsten leidet. Vielmehr liebt es dieses unedle Motiv, sich in ausgeklügelten gesellschaftlichen Theorien zu verkleiden: so in den Theorien des Sozialismus, der sozialen Gerechtigkeit oder der Wohlfahrtsökonomie. Im 20. Jahrhundert wäre es auf Neid gegründeten Gesellschaftslehren beinahe gelungen, die menschliche Zivilisation zu zerstören.
Trotzdem kann man nicht behaupten, daß diese Theorien diskreditiert seien. In ihren gemäßigten Varianten sind sie in den Wohlfahrtsstaaten Europas so gegenwärtig wie eh und je. Der Soziologe Helmut Schoeck schrieb: "Nur weil eine ausreichende Zahl von Zeitgenossen es noch vermag, sich mit dem eigenen persönlichen Schicksal zu beschäftigen . . ., ohne es sofort auf eine klassenmäßige oder sonstige gruppenorientierte Schicksalsgemeinschaft gleichbenachteiligter Menschen zu projizieren, haben wir weniger prärevolutionäre Dynamismen in der Gesellschaft, als man aufgrund der Gleichheitsidee erwarten könnte."
Gerhard Schwarz und Robert Nef haben in dieser Position - neben eigenen Beiträgen - wichtigste fremde Texte zum Thema "Neidökonomie" (vielleicht wäre der Ausdruck "Neidstrategie" zutreffender gewesen) zusammengestellt. Man findet in ihrem handlichen Büchlein "klassische" Texte von Helmut Schoeck ebenso wie einen originellen Beitrag von Erich Weede und auch Friedrich August von Hayeks Abrechnung mit der Progressionssteuer. Besonders eindrucksvoll sind die ausgewählten Texte eines im deutschsprachigen Raum wenig bekannten Spaniers: Gonzalo Fernández de la Mora. Beiträge von John Rawls und Ernst Fehr runden den Band ab.
Der Leser wird in diesen Texten eindrucksvoll durch die verschlungenen Wege und Irrwege des Neides geführt, bis hoch zum Ressentiment als widerwärtigster Neidverkleidung. Besonders eindrucksvoll sind die Analysen de la Moras. Wohl selten ist dieses tabuisierte Thema systematischer und tiefgründiger angegangen worden. Selbst ein Lieblingsbegriff moderner Demokratien - die "Chancengleichheit" - wird gnadenlos seziert.
De la Mora führt vor Augen, daß es eigentlich nur eine Gleichheit geben kann - die liberale: vor dem Gesetz. "Die Gleichheit gibt es nicht, und das ganze politische Problem beschränkt sich auf die Regulierung der Ungleichheiten, ohne den Trieb zur Selbstverwirklichung zu beengen, der das Edelste im Menschen ist, die mächtigste Triebkraft der Geschichte und das Heilmittel gegen den Neid." Der Versuch, eine unmögliche "Gleichheit" herbeizuführen, zerstört nach de la Mora die Persönlichkeit, verstümmelt die Gerechtigkeit und die Freiheit, entmutigt die Kreativität, entfremdet moralisch, unterdrückt die Besten, zerstört die Gleichheit vor dem Gesetz und die politische Gleichheit.
Die moderne Wohlfahrtsökonomie betreibt eine Politik des "geringsten Neides der größten Zahl", denn eine vollständig "entneidete" Gesellschaft ist unmöglich (Schoeck). Die gegenwärtig wohl wirksamste Eindämmung und Nutzbarmachung des Neides bieten Markt und Wettbewerb (Weede); auch die Religionen versuchen den Neid zu hemmen (Theorien vom Ausgleich im Jenseits). Bevorzugte Schichten suchen sich mit Elitetheorien oder Ansichten vom kapriziösen und unerforschlichen Glück zu sichern. Nur die liberale Gleichheit vor dem Gesetz ist konsequent durchführbar.
Es gibt kein vergleichbares Buch. Wer sich über die Unvermeidlichkeit des Neides und seiner Gegenmittel sowie, besonders, über die Gefährdung moderner Massendemokratien durch dieses Phänomen unterrichten will, kommt an diesem Sammelband nicht vorbei.
GERD HABERMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Ringen um Gleichheit verstümmelt Gerechtigkeit und Freiheit
Gerhard Schwarz/Robert Nef (Herausgeber): Neidökonomie. Wirtschaftspolitische Aspekte eines Lasters. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2000, 200 Seiten, 48 Franken.
Es gibt wohl kaum ein soziales Phänomen, das so allgegenwärtig und gleichzeitig so kaschiert ist wie der gleichmacherische Neid. Kein Neidender wagt sich offen dazu zu bekennen, daß er am Wohlergehen und Glück des Nächsten leidet. Vielmehr liebt es dieses unedle Motiv, sich in ausgeklügelten gesellschaftlichen Theorien zu verkleiden: so in den Theorien des Sozialismus, der sozialen Gerechtigkeit oder der Wohlfahrtsökonomie. Im 20. Jahrhundert wäre es auf Neid gegründeten Gesellschaftslehren beinahe gelungen, die menschliche Zivilisation zu zerstören.
Trotzdem kann man nicht behaupten, daß diese Theorien diskreditiert seien. In ihren gemäßigten Varianten sind sie in den Wohlfahrtsstaaten Europas so gegenwärtig wie eh und je. Der Soziologe Helmut Schoeck schrieb: "Nur weil eine ausreichende Zahl von Zeitgenossen es noch vermag, sich mit dem eigenen persönlichen Schicksal zu beschäftigen . . ., ohne es sofort auf eine klassenmäßige oder sonstige gruppenorientierte Schicksalsgemeinschaft gleichbenachteiligter Menschen zu projizieren, haben wir weniger prärevolutionäre Dynamismen in der Gesellschaft, als man aufgrund der Gleichheitsidee erwarten könnte."
Gerhard Schwarz und Robert Nef haben in dieser Position - neben eigenen Beiträgen - wichtigste fremde Texte zum Thema "Neidökonomie" (vielleicht wäre der Ausdruck "Neidstrategie" zutreffender gewesen) zusammengestellt. Man findet in ihrem handlichen Büchlein "klassische" Texte von Helmut Schoeck ebenso wie einen originellen Beitrag von Erich Weede und auch Friedrich August von Hayeks Abrechnung mit der Progressionssteuer. Besonders eindrucksvoll sind die ausgewählten Texte eines im deutschsprachigen Raum wenig bekannten Spaniers: Gonzalo Fernández de la Mora. Beiträge von John Rawls und Ernst Fehr runden den Band ab.
Der Leser wird in diesen Texten eindrucksvoll durch die verschlungenen Wege und Irrwege des Neides geführt, bis hoch zum Ressentiment als widerwärtigster Neidverkleidung. Besonders eindrucksvoll sind die Analysen de la Moras. Wohl selten ist dieses tabuisierte Thema systematischer und tiefgründiger angegangen worden. Selbst ein Lieblingsbegriff moderner Demokratien - die "Chancengleichheit" - wird gnadenlos seziert.
De la Mora führt vor Augen, daß es eigentlich nur eine Gleichheit geben kann - die liberale: vor dem Gesetz. "Die Gleichheit gibt es nicht, und das ganze politische Problem beschränkt sich auf die Regulierung der Ungleichheiten, ohne den Trieb zur Selbstverwirklichung zu beengen, der das Edelste im Menschen ist, die mächtigste Triebkraft der Geschichte und das Heilmittel gegen den Neid." Der Versuch, eine unmögliche "Gleichheit" herbeizuführen, zerstört nach de la Mora die Persönlichkeit, verstümmelt die Gerechtigkeit und die Freiheit, entmutigt die Kreativität, entfremdet moralisch, unterdrückt die Besten, zerstört die Gleichheit vor dem Gesetz und die politische Gleichheit.
Die moderne Wohlfahrtsökonomie betreibt eine Politik des "geringsten Neides der größten Zahl", denn eine vollständig "entneidete" Gesellschaft ist unmöglich (Schoeck). Die gegenwärtig wohl wirksamste Eindämmung und Nutzbarmachung des Neides bieten Markt und Wettbewerb (Weede); auch die Religionen versuchen den Neid zu hemmen (Theorien vom Ausgleich im Jenseits). Bevorzugte Schichten suchen sich mit Elitetheorien oder Ansichten vom kapriziösen und unerforschlichen Glück zu sichern. Nur die liberale Gleichheit vor dem Gesetz ist konsequent durchführbar.
Es gibt kein vergleichbares Buch. Wer sich über die Unvermeidlichkeit des Neides und seiner Gegenmittel sowie, besonders, über die Gefährdung moderner Massendemokratien durch dieses Phänomen unterrichten will, kommt an diesem Sammelband nicht vorbei.
GERD HABERMANN
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Daniel Brühlmeier versäumt es nicht zu erwähnen, dass einer der beiden Herausgeber, Gerhard Schwarz, gleichzeitig Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion ist. Insgesamt begrüßt der Rezensent das Erscheinen eines solchen Buchs, da seiner Ansicht nach der "Neid von größter, aber meist tabuisierter Präsenz" ist. Und so bietet das Buch, wie er lobend hervorhebt, nicht nur Klassikertexte, Zitate und Sprichwörter aus verschiedenen Ländern und Zeiten, sondern auch ausführliche Überlegungen dazu, inwiefern Neid schädlich oder auch nützlich für die Gesellschaft und den Fortschritt ist. Nach Brühlmeier wird dabei unter anderem deutlich, dass die Auswirklungen von Neid ganz besonders dann verheerend sind, "wenn er politisiert wird und durch staatlichen Zwang Recht erlangen will". Das heißt für Brühlmeier, dass Gesellschaften, die auf egalitaristische Ideen aufbauen, gleichzeitig den Neid als Nährboden benutzen und ihn sogar zur "sozialen Tugend" erheben, und das, obwohl sie genau das Gegenteil vorgeben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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