Wie das Unfassbare darstellen? "Selbstverständlich könnte jemand die Augen mit jenem besonders starren Blick abbilden, der vom Hunger hervorgerufen wird; er könnte aber weder die Unrast der Mundhöhle, noch die unwillkürlichen Regungen der Speiseröhre aufleben lassen." Fotografischer Realismus ist nicht imstande, diese unsichtbaren, ja unvorstellbaren Erfahrungen mitzuteilen. Vielmehr bedarf es der literarischen Kunst eines Erzählers, der sich ganz in die Tiefe des Erlebten versinken lässt, zugleich aber die Distanz des Entronnenen mitbedenkt. Nekropolis erzählt beides zugleich: die Irrfahrt eines slowenischen Widerstandskämpfers durch die deutschen Konzentrationslager und die Erinnerungsversuche des Überlebenden, der in den frühen sechziger Jahren die Lager-Gedenkstätten auf Reisen besucht - von Dachau und Natzweiler bis Bergen-Belsen.
Es ist der Waschraum, der Galgen, der Ofen, der bei Pahor das Reich der Vergangenheit wiederauferstehen lässt - nicht wie bei Proust eine in Tee getunk te Madeleine. Aber in der Schärfe seiner Wahrnehmung, in seiner untrüglichen Psychologie, in seiner nie nachlassenden Fähigkeit, das Erlebte ins Blitzlicht einer Metapher zu tauchen, rückt dieser Autor an die Seite der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts. Nicht nur thematisch berührt Nekropolis die Werke Primo Levis und Imre Kertesz'. Wie diese musste Pahor jahrzehntelang auf die Anerkennung seiner Kunst und jener Haltung warten, die man kaum mehr Humanität zu nennen wagt: die Bewahrung von Geist und Gefühl angesichts der äußersten Erniedrigung in Nekropolis, dem deutschen Todesreich.
Es ist der Waschraum, der Galgen, der Ofen, der bei Pahor das Reich der Vergangenheit wiederauferstehen lässt - nicht wie bei Proust eine in Tee getunk te Madeleine. Aber in der Schärfe seiner Wahrnehmung, in seiner untrüglichen Psychologie, in seiner nie nachlassenden Fähigkeit, das Erlebte ins Blitzlicht einer Metapher zu tauchen, rückt dieser Autor an die Seite der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts. Nicht nur thematisch berührt Nekropolis die Werke Primo Levis und Imre Kertesz'. Wie diese musste Pahor jahrzehntelang auf die Anerkennung seiner Kunst und jener Haltung warten, die man kaum mehr Humanität zu nennen wagt: die Bewahrung von Geist und Gefühl angesichts der äußersten Erniedrigung in Nekropolis, dem deutschen Todesreich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2001Die Internationale der Verdammten
Monument des Schreckens und der Freundschaft: Boris Pahors bewegende Erzählung "Nekropolis" · Von Karl-Markus Gauß
Manches Buch hofft man sich ersparen zu können, um später doch zu erkennen, daß es genau dieses Buch war, das einem gefehlt hat. Ein solches Buch ist "Nekropolis", das im slowenischen Original 1967 erschien und jetzt mit großer Verspätung auch den deutschen Sprachraum erreicht hat. Boris Pahor erzählt darin von einem Sommertag in den sechziger Jahren und von der Höllenfahrt, auf die er zwanzig Jahre zuvor durch die Konzentrationslager Natzweiler, Dachau, Dora Mittelbau, Harzungen, Bergen-Belsen geschickt wurde. Um davon reden zu können, was ihm widerfahren ist, hat der Autor durch ein langes, lebensbedrohliches Schweigen gehen müssen, und er zweifelt auch in seinem Erinnerungsbuch noch stetig daran, ob es zulässig ist zu berichten, was er berichten muß: "Man kann sich über den Tod wie über die Liebe doch nur mit sich selbst unterhalten . . . Weder Tod noch Liebe ertragen Zeugen." Zögernd, sich selbst ins Wort fallend, die Fragwürdigkeit des Erinnerns, Schreibens, ja Überlebens bedenkend, erzählt Boris Pahor indes gerade davon: vom Tod und von der Liebe.
An einem schönen Sonntag kehrt der slowenische Schriftsteller nach Natzweiler, das Lager in den Vogesen, zurück, in das er im Januar 1944 deportiert worden war. Er geht, eine Gruppe von pflichtbewußt erschütterten Touristen in Hörweite, die Wege und Treppen, die er damals gegangen ist, zuerst als Häftling unter Tausenden, dann als Krankenpfleger, schließlich als Träger der Toten: oben der Galgen, unten die Verbrennungsöfen, dazwischen die Baracken der Häftlinge. Jetzt ist Natzweiler eine vielbesuchte Gedenkstätte, eine "nécropole nationale", damals war es ein Lager, in das eine Internationale der Verdammten gepfercht wurde: Franzosen, Holländer, Polen, Ungarn, Slowenen und Kroaten, Serben und Italiener.
Sie Gefährten zu nennen, fällt dem Überlebenden nicht leicht, denn die systematische Entwürdigung hat Solidarität kaum zugelassen: "Keine Lehrbücher werden je die Stimmung jenes Menschen wiedergeben können, der den Eindruck hat, sein Nachbar habe um einen halben Finger mehr gelbe Flüssigkeit in seine blecherne Schüssel eingeschenkt bekommen." Und doch ist dieser Bericht, der vom elenden Verrecken, Verhungern, Austrocknen, Erfrieren, vom grausam hinausgezögerten Erhängen und vom allgegenwärtigen Tod erzählt, auch ein großes Freundschaftsbuch, das die Liebe in den geringsten Gesten der Hilfe, des Zuspruchs, der Zärtlichkeit beschwört. In Natzweiler steht heute ein fünfundvierzig Meter hoher Obelisk, vor dem "jeder Franzose, der in der deutschen Krematorienwelt zu Staub wurde, sein eigenes Kreuz hat". Ein anderes Monument, in das Pahor die Namen seiner Gefährten aus halb Europa eingraviert, ist dieses Buch.
Da ist Ivo, der alte slowenische Freund, Tomaz, der sterbend vom schweren Rotwein seiner Heimat Istrien träumt, der Ungar Janos, der französische Arzt André, der hünenhafte Norweger Leif, der kroatische Frauenheld Vlado, der keine Frau mehr sehen wird, da sind die vielen anderen, mit denen er die gerade Verstorbenen schwankend die Treppen hinuntertrug und von denen endlich selbst viele zu den Verbrennungsöfen getragen wurden.
Es ist wie ein Akt des Widerstands, daß Pahor seine Mitgefangenen, die ihrer Individualität beraubt und als Namenlose ermordet wurden, gerade als Individuen zu würdigen versucht: Er referiert ihre außerhalb des Lagergeländes zurückgelassenen Biographien, skizziert ihren Charakter, beschreibt ihre Art zu überleben und zu sterben. Und immer wieder wird ihm daraus ein Lob der Freundschaft, ein Preis der Menschen, die im Angesichte des Todes, zermürbt von Hoffnungslosigkeit und Hunger, doch so etwas wie Gemeinschaft zu behaupten suchten, da einen Kranken retteten, dort einem Sterbenden den letzten Dienst erwiesen.
Einer von ihnen ist Gabriele, der Italiener. Erschrocken wurde der Häftling Pahor damals gewahr, daß zwischen ihnen beiden ausgerechnet hier, "im Umfeld des Ofens", eine Begegnung möglich war. Das ist nicht selbstverständlich, denn Pahor wurde 1913 als Angehöriger der slowenischen Minderheit im Hinterland Triests geboren, und das hieß, daß er die nationale Entrechtung von klein auf erfuhr. 1920 brannten italienische Nationalisten in Triest das slowenische Theater nieder, und die Faschisten erließen eine Serie von Gesetzen, die den Slowenen das nationale Überleben erschweren sollten. In der Schule spuckte der italienische Lehrer jenen Kindern, denen ein Wort in ihrer Muttersprache entkommen war, in den Mund, und "die Ungeheuerlichkeit erreichte ihren Höhepunkt, als man Tausenden und Abertausenden die Vor- und Nachnamen änderte, jedoch nicht nur den Lebenden, sondern auch denjenigen, die schon auf dem Friedhof lagen". Im Lager treffen der Slowene und der Italiener aus derselben, der national strikt getrennten Stadt aufeinander, offenbar nur hier ist es ihnen möglich, über die Schranke ihrer Nationalität zueinanderzufinden: "Kann dir ein Italiener aus Triest nur dann näherkommen, wenn er selbst in Gefahr ist, vernichtet zu werden?"
Was ihn schon als Schulkind so viel Unrecht erfahren ließ und ihn später ins Lager brachte, daß er ein Slowene war, das rettete Pahor in Natzweiler womöglich das Leben. Als Angehöriger einer kleinen Nation hatte er schon früh das Talent, fremde Sprachen zu erlernen, genutzt, und als der Lagerarzt merkt, daß dieser Häftling sich nicht nur mit allen Slawen, sondern auch mit Italienern und Franzosen unterhalten kann und sogar die deutschen Anweisungen versteht, macht er ihn zu seinem Gehilfen.
Dem Konzentrationslager entronnen, hat sich Pahor nur langsam damit abgefunden, überlebt zu haben. Die schmerzhafte Rückkehr ins Leben ist das Thema seines grandiosen Romans "Der Kampf mit dem Frühling", den er als Vierzigjähriger schrieb. Als der Roman um die Welt ging und 1997 auch in Deutschland respektvolle Kritiken fand, war sein Verfasser bereits über achtzig. Die verspätete Resonanz hängt damit zusammen, daß Pahor 1945 nach Triest zurückkehrte, wo mit dem Faschismus längst nicht auch der nationale Dünkel besiegt war. So mußten die Bücher des Triestiners Pahor in Slowenien erscheinen, von wo bekanntlich auch Literatur von Weltrang kaum je der Welt zur Kenntnis gelangt. Wie "Der Kampf mit dem Frühling" ist auch "Nekropolis" nicht über Italien, sondern auf dem Umweg über die Vereinigten Staaten und Frankreich, wo Pahor mittlerweile im Range eines Primo Levi steht, nach Deutschland gekommen.
Die Lektüre dieses Buches, das gestochen scharfe, unvergeßliche Bilder des Schreckens bietet, würde man sich gerne reinen Gewissens ersparen dürfen. Aber auch wer glaubt, sich bereits genügend Studien, Berichte, Romane über die Welt der Konzentrationslager zugemutet zu haben, wird feststellen, daß es genau dieses eine, nur durch einen glücklichen Zufall des Literaturbetriebs doch noch zu uns gelangte Buch ist, das ihm bisher gefehlt hat.
Boris Pahor: "Nekropolis". Erzählung. Aus dem Slowenischen übersetzt von Mirella Urdih-Merkú. Berlin Verlag, Berlin 2001. 279 S., geb., 36,- DM.
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Monument des Schreckens und der Freundschaft: Boris Pahors bewegende Erzählung "Nekropolis" · Von Karl-Markus Gauß
Manches Buch hofft man sich ersparen zu können, um später doch zu erkennen, daß es genau dieses Buch war, das einem gefehlt hat. Ein solches Buch ist "Nekropolis", das im slowenischen Original 1967 erschien und jetzt mit großer Verspätung auch den deutschen Sprachraum erreicht hat. Boris Pahor erzählt darin von einem Sommertag in den sechziger Jahren und von der Höllenfahrt, auf die er zwanzig Jahre zuvor durch die Konzentrationslager Natzweiler, Dachau, Dora Mittelbau, Harzungen, Bergen-Belsen geschickt wurde. Um davon reden zu können, was ihm widerfahren ist, hat der Autor durch ein langes, lebensbedrohliches Schweigen gehen müssen, und er zweifelt auch in seinem Erinnerungsbuch noch stetig daran, ob es zulässig ist zu berichten, was er berichten muß: "Man kann sich über den Tod wie über die Liebe doch nur mit sich selbst unterhalten . . . Weder Tod noch Liebe ertragen Zeugen." Zögernd, sich selbst ins Wort fallend, die Fragwürdigkeit des Erinnerns, Schreibens, ja Überlebens bedenkend, erzählt Boris Pahor indes gerade davon: vom Tod und von der Liebe.
An einem schönen Sonntag kehrt der slowenische Schriftsteller nach Natzweiler, das Lager in den Vogesen, zurück, in das er im Januar 1944 deportiert worden war. Er geht, eine Gruppe von pflichtbewußt erschütterten Touristen in Hörweite, die Wege und Treppen, die er damals gegangen ist, zuerst als Häftling unter Tausenden, dann als Krankenpfleger, schließlich als Träger der Toten: oben der Galgen, unten die Verbrennungsöfen, dazwischen die Baracken der Häftlinge. Jetzt ist Natzweiler eine vielbesuchte Gedenkstätte, eine "nécropole nationale", damals war es ein Lager, in das eine Internationale der Verdammten gepfercht wurde: Franzosen, Holländer, Polen, Ungarn, Slowenen und Kroaten, Serben und Italiener.
Sie Gefährten zu nennen, fällt dem Überlebenden nicht leicht, denn die systematische Entwürdigung hat Solidarität kaum zugelassen: "Keine Lehrbücher werden je die Stimmung jenes Menschen wiedergeben können, der den Eindruck hat, sein Nachbar habe um einen halben Finger mehr gelbe Flüssigkeit in seine blecherne Schüssel eingeschenkt bekommen." Und doch ist dieser Bericht, der vom elenden Verrecken, Verhungern, Austrocknen, Erfrieren, vom grausam hinausgezögerten Erhängen und vom allgegenwärtigen Tod erzählt, auch ein großes Freundschaftsbuch, das die Liebe in den geringsten Gesten der Hilfe, des Zuspruchs, der Zärtlichkeit beschwört. In Natzweiler steht heute ein fünfundvierzig Meter hoher Obelisk, vor dem "jeder Franzose, der in der deutschen Krematorienwelt zu Staub wurde, sein eigenes Kreuz hat". Ein anderes Monument, in das Pahor die Namen seiner Gefährten aus halb Europa eingraviert, ist dieses Buch.
Da ist Ivo, der alte slowenische Freund, Tomaz, der sterbend vom schweren Rotwein seiner Heimat Istrien träumt, der Ungar Janos, der französische Arzt André, der hünenhafte Norweger Leif, der kroatische Frauenheld Vlado, der keine Frau mehr sehen wird, da sind die vielen anderen, mit denen er die gerade Verstorbenen schwankend die Treppen hinuntertrug und von denen endlich selbst viele zu den Verbrennungsöfen getragen wurden.
Es ist wie ein Akt des Widerstands, daß Pahor seine Mitgefangenen, die ihrer Individualität beraubt und als Namenlose ermordet wurden, gerade als Individuen zu würdigen versucht: Er referiert ihre außerhalb des Lagergeländes zurückgelassenen Biographien, skizziert ihren Charakter, beschreibt ihre Art zu überleben und zu sterben. Und immer wieder wird ihm daraus ein Lob der Freundschaft, ein Preis der Menschen, die im Angesichte des Todes, zermürbt von Hoffnungslosigkeit und Hunger, doch so etwas wie Gemeinschaft zu behaupten suchten, da einen Kranken retteten, dort einem Sterbenden den letzten Dienst erwiesen.
Einer von ihnen ist Gabriele, der Italiener. Erschrocken wurde der Häftling Pahor damals gewahr, daß zwischen ihnen beiden ausgerechnet hier, "im Umfeld des Ofens", eine Begegnung möglich war. Das ist nicht selbstverständlich, denn Pahor wurde 1913 als Angehöriger der slowenischen Minderheit im Hinterland Triests geboren, und das hieß, daß er die nationale Entrechtung von klein auf erfuhr. 1920 brannten italienische Nationalisten in Triest das slowenische Theater nieder, und die Faschisten erließen eine Serie von Gesetzen, die den Slowenen das nationale Überleben erschweren sollten. In der Schule spuckte der italienische Lehrer jenen Kindern, denen ein Wort in ihrer Muttersprache entkommen war, in den Mund, und "die Ungeheuerlichkeit erreichte ihren Höhepunkt, als man Tausenden und Abertausenden die Vor- und Nachnamen änderte, jedoch nicht nur den Lebenden, sondern auch denjenigen, die schon auf dem Friedhof lagen". Im Lager treffen der Slowene und der Italiener aus derselben, der national strikt getrennten Stadt aufeinander, offenbar nur hier ist es ihnen möglich, über die Schranke ihrer Nationalität zueinanderzufinden: "Kann dir ein Italiener aus Triest nur dann näherkommen, wenn er selbst in Gefahr ist, vernichtet zu werden?"
Was ihn schon als Schulkind so viel Unrecht erfahren ließ und ihn später ins Lager brachte, daß er ein Slowene war, das rettete Pahor in Natzweiler womöglich das Leben. Als Angehöriger einer kleinen Nation hatte er schon früh das Talent, fremde Sprachen zu erlernen, genutzt, und als der Lagerarzt merkt, daß dieser Häftling sich nicht nur mit allen Slawen, sondern auch mit Italienern und Franzosen unterhalten kann und sogar die deutschen Anweisungen versteht, macht er ihn zu seinem Gehilfen.
Dem Konzentrationslager entronnen, hat sich Pahor nur langsam damit abgefunden, überlebt zu haben. Die schmerzhafte Rückkehr ins Leben ist das Thema seines grandiosen Romans "Der Kampf mit dem Frühling", den er als Vierzigjähriger schrieb. Als der Roman um die Welt ging und 1997 auch in Deutschland respektvolle Kritiken fand, war sein Verfasser bereits über achtzig. Die verspätete Resonanz hängt damit zusammen, daß Pahor 1945 nach Triest zurückkehrte, wo mit dem Faschismus längst nicht auch der nationale Dünkel besiegt war. So mußten die Bücher des Triestiners Pahor in Slowenien erscheinen, von wo bekanntlich auch Literatur von Weltrang kaum je der Welt zur Kenntnis gelangt. Wie "Der Kampf mit dem Frühling" ist auch "Nekropolis" nicht über Italien, sondern auf dem Umweg über die Vereinigten Staaten und Frankreich, wo Pahor mittlerweile im Range eines Primo Levi steht, nach Deutschland gekommen.
Die Lektüre dieses Buches, das gestochen scharfe, unvergeßliche Bilder des Schreckens bietet, würde man sich gerne reinen Gewissens ersparen dürfen. Aber auch wer glaubt, sich bereits genügend Studien, Berichte, Romane über die Welt der Konzentrationslager zugemutet zu haben, wird feststellen, daß es genau dieses eine, nur durch einen glücklichen Zufall des Literaturbetriebs doch noch zu uns gelangte Buch ist, das ihm bisher gefehlt hat.
Boris Pahor: "Nekropolis". Erzählung. Aus dem Slowenischen übersetzt von Mirella Urdih-Merkú. Berlin Verlag, Berlin 2001. 279 S., geb., 36,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Boris Pahor ist in den USA und Frankreich bereits ein Autor vom Range Primo Levis, schreibt Karl-Markus Gaus. Seinen 1967 im Original und nun mit großer Verspätung auf Deutsch erschienenen Bericht aus den Konzentrationslagern lobt der Rezensent hymnisch - nicht nur als bedeutendes Monument für die Ermordeten, sondern auch als Akt des Widerstandes gegen die Anonymität des KZ-Todes. Denn Pahor versuche seine Mitgefangenen als Individuen zu würdigen. Er referiere ihre "außerhalb des Lagers zurückgelassenen Biografien", skizziere ihren Charakter, beschreibe ihre Art "zu überleben und zu sterben". Und immer wieder werde daraus auch ein "Lob der Freundschaft", eine Preisung der Menschen, die "im Angesicht des Todes" doch so etwas wie "Gemeinschaft" zu behaupten versuchten. Zögernd, sich selbst ins Wort fallend, "die Fragwürdigkeit des Erinnerns, Schreibens, ja Überlebens bedenkend", erzähle Pahor vom Tod und von der Liebe. Wer glaube, sich bereits genügend "Studien, Berichte, Romane über die Welt der Konzentrationslager zugemutet zu haben", wird Gaus zufolge feststellen, dass es genau dieses Buch und seine gestochen scharfen, unvergesslichen Bilder des Schreckens sind, die ihm bisher gefehlt haben.
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