„Nenn mich einfach Igel“ von Jacqueline Thör ist ein beeindruckender Debütroman, der bereits 2019 erschienen ist. Igel lebt im Schloß, einer Einrichtung für junge, hilfsbedürftige Menschen, weil die Mutter mal wieder im Entzug ist und fühlt sich dort sehr wohl. Als Sascha einzieht, stellt das Igels
Leben, das bis dahin aus Lesen, Arbeiten und sich im Bett verkriechen bestand, auf den Kopf. Sascha,…mehr„Nenn mich einfach Igel“ von Jacqueline Thör ist ein beeindruckender Debütroman, der bereits 2019 erschienen ist. Igel lebt im Schloß, einer Einrichtung für junge, hilfsbedürftige Menschen, weil die Mutter mal wieder im Entzug ist und fühlt sich dort sehr wohl. Als Sascha einzieht, stellt das Igels Leben, das bis dahin aus Lesen, Arbeiten und sich im Bett verkriechen bestand, auf den Kopf. Sascha, androgyn und nicht willens sich einem Geschlecht zuzuordnen, bricht Igels Schale auf. Sascha nimmt Igel mit eine Welt zu der Igel sich dazugehörig fühlen kann.
So harmlos wie sich die obere Inhaltsangabe anhört, ist es aber nicht. Auf der Lovelybooks-Seite fallen die zurecht ausgewählten Triggerwarnungen: Missbrauch, Selbstverletzung, Gewalt und Alkoholsucht auf. Alles ist enthalten und das Lesen schmerzt sehr, oft. Aber den Roman darauf zu reduzieren wäre falsch, denn ein wichtiges Thema ist sexuelle Identität und wie Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können, diskriminiert werden. Er zeigt auch, wie Radikalisierung funktioniert und was sexuelle Gewalt anrichtet.
„Nenn mich einfach Igel“ entwickelt eine ganz eigene Sogwirkung, ein wenig wie bei einem Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Manchmal habe ich mich wie eine Voyeurin gefühlt. Die bildhafte, lyrische Sprache von Jacqueline Thör entschädigt oft für die Grausamkeiten. Ihre Verweise auf das Märchen „Hans mein Igel“, klassische Literatur, sowie auf Filme sind wunderbar eingeflochten und haben dazu beigetragen, dass ich mich noch besser in Igels Lebenswelt einfühlen konnte, was allerdings Igels Schicksal noch schmerzhafter werden ließ.
Eigentlich sollte dieser Roman viel mehr Aufmerksamkeit bekomme, gerade jetzt, wo ein Buch, wie „Das Blutbuch“ den deutschen Buchpreis gewonnen hat. Wir müssen endlich anfangen über geschlechtliche Identität nachzudenken, zu reden und vor allem zu inkludieren. Dazu trägt auch „Nenn mich einfach Igel“ bei.