Produktdetails
- Verlag: Links, Ch
- ISBN-13: 9783861534679
- ISBN-10: 3861534673
- Artikelnr.: 23336743
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2008Ideologische Doppelbödigkeit
Aufsatzbände über die Erfolgsursachen des Rechtsextremismus
Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien haben in der Bundesrepublik bislang keine flächendeckenden Wahlerfolge erzielen können - ganz im Unterschied zu anderen west- und mittelosteuropäischen Ländern. Die von den Experten so genannte "dritte Welle" des Rechtsextremismus, die in den achtziger Jahren anhob, ist allerdings bis heute nicht abgerissen. Sie äußert sich in einer organisatorischen Erstarkung der rechtsextremen Szene im Umfeld der 1964 gegründeten NPD, die inzwischen die eindeutige Führungsrolle im rechten Lager übernommen hat. Gleichzeitig existiert ein für die Parolen der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten empfängliches Wählerpotential, das von Wahlforschern auf Größenordnungen von bis zu 30 Prozent geschätzt wird.
Erklärungen für den Erfolg der Rechten müssen sich dem Phänomen folglich sowohl von der Angebotsseite der Parteien beziehungsweise Organisationen als auch von der Nachfrageseite des Wählers her nähern. Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band über die NPD beschreitet den ersten Weg. Er zeigt, wie es den Rechtsextremisten gelungen ist, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft allmählich zu verbreitern. Als Erfolgsrezept wird zum einen die Vernetzung mit der Skinhead-Szene und den neonazistischen Kameradschaften ausgemacht, zum anderen das Bemühen, sich durch Engagement in lokalen Vereinen und Initiativen sowie durch den Aufbau eines "Kümmerer-Images" einen betont bürgerlichen Anstrich zu geben. In den acht Beiträgen versuchen die Autoren - allesamt Journalisten -, die von der Öffentlichkeit weithin unbemerkten Entwicklungen sichtbar zu machen: die Intellektualisierung der Partei, ihre Finanzquellen, die Rolle der Frauen in der Rechtsextremismusszene, die Bedeutung von Vorfeldorganisationen wie der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die Verbindungen der NPD zur rechtsextremen Musikszene. Ihrem journalistischen Charakter entsprechend bleiben die durchweg gut recherchierten Beiträge weitgehend "impressionistisch", verzichten also auf generalisierende analytische Einordnungen. Ihr sachlich-nüchterner Ton hebt sie gleichwohl wohltuend von dem alarmistischen und moralisierenden Duktus ab, der die Debatte um den Rechtsextremismus hierzulande häufig begleitet.
Auch wissenschaftliche Publikationen sind vor der Versuchung nicht gefeit, ins Polemische abzugleiten, wenn sie einem normativ einseitigen Weltbild huldigen. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene Band über "Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut" gibt dafür ein abschreckendes Beispiel. Die Autoren nehmen den Rechtsextremismus hier von der Nachfrageseite aus in den Blick. Sie wollen zeigen, dass die Empfänglichkeit für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen bei den gesellschaftlichen Gruppen am größten ist, die in ihrer Arbeitswelt die negativen Folgen der ökonomischen Entwicklung am eigenen Leibe erfahren müssen: von der Kürzung sozialer Leistungen über die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bis hin zum drohenden oder tatsächlichen Arbeitsplatzverlust. Ob die überwiegend interviewbasierten empirischen Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, auf die sich die Befunde stützen, dem wissenschaftlichen Erfordernis der Generalisierbarkeit genügen, mag dahingestellt bleiben. Geeignet, die Triftigkeit der "Modernisierungsverliererthese" zu untermauern, sind sie allemal. Dies gilt auch für die Feststellung, dass es sich keineswegs nur um ein Randgruppenproblem handelt, sondern um ein Phänomen breiter Mittelschichten.
Irritierend wirkt die theoretische Interpretation der Befunde. Herausgeber Butterwegge befindet sich hier in einem für ihn schwierigen Dilemma. Er will die Wähler der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien als unschuldige Opfer der unter dem ideologischen Vorzeichen des Neoliberalismus stattfindenden marktradikalen Modernisierungsprozesse in Schutz nehmen, muss ihnen aber dennoch ein falsches Bewusstsein unterstellen. "Gelöst" wird das Problem dadurch, dass Butterwegge den Rechtsextremismus kurzerhand selbst zu einem Bestandteil der angeblich herrschenden neoliberalen Ideologie erklärt. Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Sicherheitsdenken seien für beide Denkrichtungen gleichermaßen konstitutiv. Damit werden aber nicht nur die "globalistischen" Bezüge des Neoliberalismus vollständig ausgeblendet, sondern auch die antikapitalistische Stoßrichtung des Neonationalsozialismus und dessen prononcierte Kritik an Globalisierung und Sozialstaatsreformen. Letzteres als reine Taktik abzutun geht an der inhaltlichen Substanz insbesondere des (nichtextremistischen) Rechtspopulismus vorbei. Dieser ist - was das Verhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und wohlfahrtsstaatlich garantierter Solidarität angeht - gerade durch seine ideologische Doppelbödigkeit charakterisiert, die er gleichsam zum programmatischen Grundsatz erhebt.
Wenn Neoliberalismus und Rechtsextremismus ideologisch verwandt sind und der Populismus nur eine "Teilmenge" des Rechtsextremismus darstellt, nimmt es nicht wunder, dass es aus Sicht des Herausgebers so etwas wie einen linken Populismus nicht geben kann: "Populismus ist heute in Europa entweder Rechtspopulismus oder überhaupt keiner." Der Versuch, diesen Beweis zu führen und das oft zitierte Gegenbeispiel Oskar Lafontaine gegen entsprechende Vorwürfe zu verteidigen, ist Butterwegge mehrere Seiten wert. Dass dabei andere wissenschaftliche Stimmen (einschließlich der des Rezensenten) abqualifiziert und dann auch noch in die Nähe der NPD gerückt werden, macht das verschwörungstheoretische Szenario komplett und nimmt den im Band versammelten Studien manches von ihrer Überzeugungskraft.
FRANK DECKER
Andrea Röpke/Andreas Speit (Herausgeber): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 208 S., 16,90 [Euro].
Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Herausgeber): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 306 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufsatzbände über die Erfolgsursachen des Rechtsextremismus
Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien haben in der Bundesrepublik bislang keine flächendeckenden Wahlerfolge erzielen können - ganz im Unterschied zu anderen west- und mittelosteuropäischen Ländern. Die von den Experten so genannte "dritte Welle" des Rechtsextremismus, die in den achtziger Jahren anhob, ist allerdings bis heute nicht abgerissen. Sie äußert sich in einer organisatorischen Erstarkung der rechtsextremen Szene im Umfeld der 1964 gegründeten NPD, die inzwischen die eindeutige Führungsrolle im rechten Lager übernommen hat. Gleichzeitig existiert ein für die Parolen der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten empfängliches Wählerpotential, das von Wahlforschern auf Größenordnungen von bis zu 30 Prozent geschätzt wird.
Erklärungen für den Erfolg der Rechten müssen sich dem Phänomen folglich sowohl von der Angebotsseite der Parteien beziehungsweise Organisationen als auch von der Nachfrageseite des Wählers her nähern. Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band über die NPD beschreitet den ersten Weg. Er zeigt, wie es den Rechtsextremisten gelungen ist, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft allmählich zu verbreitern. Als Erfolgsrezept wird zum einen die Vernetzung mit der Skinhead-Szene und den neonazistischen Kameradschaften ausgemacht, zum anderen das Bemühen, sich durch Engagement in lokalen Vereinen und Initiativen sowie durch den Aufbau eines "Kümmerer-Images" einen betont bürgerlichen Anstrich zu geben. In den acht Beiträgen versuchen die Autoren - allesamt Journalisten -, die von der Öffentlichkeit weithin unbemerkten Entwicklungen sichtbar zu machen: die Intellektualisierung der Partei, ihre Finanzquellen, die Rolle der Frauen in der Rechtsextremismusszene, die Bedeutung von Vorfeldorganisationen wie der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die Verbindungen der NPD zur rechtsextremen Musikszene. Ihrem journalistischen Charakter entsprechend bleiben die durchweg gut recherchierten Beiträge weitgehend "impressionistisch", verzichten also auf generalisierende analytische Einordnungen. Ihr sachlich-nüchterner Ton hebt sie gleichwohl wohltuend von dem alarmistischen und moralisierenden Duktus ab, der die Debatte um den Rechtsextremismus hierzulande häufig begleitet.
Auch wissenschaftliche Publikationen sind vor der Versuchung nicht gefeit, ins Polemische abzugleiten, wenn sie einem normativ einseitigen Weltbild huldigen. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene Band über "Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut" gibt dafür ein abschreckendes Beispiel. Die Autoren nehmen den Rechtsextremismus hier von der Nachfrageseite aus in den Blick. Sie wollen zeigen, dass die Empfänglichkeit für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen bei den gesellschaftlichen Gruppen am größten ist, die in ihrer Arbeitswelt die negativen Folgen der ökonomischen Entwicklung am eigenen Leibe erfahren müssen: von der Kürzung sozialer Leistungen über die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bis hin zum drohenden oder tatsächlichen Arbeitsplatzverlust. Ob die überwiegend interviewbasierten empirischen Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, auf die sich die Befunde stützen, dem wissenschaftlichen Erfordernis der Generalisierbarkeit genügen, mag dahingestellt bleiben. Geeignet, die Triftigkeit der "Modernisierungsverliererthese" zu untermauern, sind sie allemal. Dies gilt auch für die Feststellung, dass es sich keineswegs nur um ein Randgruppenproblem handelt, sondern um ein Phänomen breiter Mittelschichten.
Irritierend wirkt die theoretische Interpretation der Befunde. Herausgeber Butterwegge befindet sich hier in einem für ihn schwierigen Dilemma. Er will die Wähler der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien als unschuldige Opfer der unter dem ideologischen Vorzeichen des Neoliberalismus stattfindenden marktradikalen Modernisierungsprozesse in Schutz nehmen, muss ihnen aber dennoch ein falsches Bewusstsein unterstellen. "Gelöst" wird das Problem dadurch, dass Butterwegge den Rechtsextremismus kurzerhand selbst zu einem Bestandteil der angeblich herrschenden neoliberalen Ideologie erklärt. Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Sicherheitsdenken seien für beide Denkrichtungen gleichermaßen konstitutiv. Damit werden aber nicht nur die "globalistischen" Bezüge des Neoliberalismus vollständig ausgeblendet, sondern auch die antikapitalistische Stoßrichtung des Neonationalsozialismus und dessen prononcierte Kritik an Globalisierung und Sozialstaatsreformen. Letzteres als reine Taktik abzutun geht an der inhaltlichen Substanz insbesondere des (nichtextremistischen) Rechtspopulismus vorbei. Dieser ist - was das Verhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und wohlfahrtsstaatlich garantierter Solidarität angeht - gerade durch seine ideologische Doppelbödigkeit charakterisiert, die er gleichsam zum programmatischen Grundsatz erhebt.
Wenn Neoliberalismus und Rechtsextremismus ideologisch verwandt sind und der Populismus nur eine "Teilmenge" des Rechtsextremismus darstellt, nimmt es nicht wunder, dass es aus Sicht des Herausgebers so etwas wie einen linken Populismus nicht geben kann: "Populismus ist heute in Europa entweder Rechtspopulismus oder überhaupt keiner." Der Versuch, diesen Beweis zu führen und das oft zitierte Gegenbeispiel Oskar Lafontaine gegen entsprechende Vorwürfe zu verteidigen, ist Butterwegge mehrere Seiten wert. Dass dabei andere wissenschaftliche Stimmen (einschließlich der des Rezensenten) abqualifiziert und dann auch noch in die Nähe der NPD gerückt werden, macht das verschwörungstheoretische Szenario komplett und nimmt den im Band versammelten Studien manches von ihrer Überzeugungskraft.
FRANK DECKER
Andrea Röpke/Andreas Speit (Herausgeber): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 208 S., 16,90 [Euro].
Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Herausgeber): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 306 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr instruktiv findet Rezensent Ulrich Teusch diesen von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebenen Band über die neonazistische Szene in Deutschland. Beleuchtet werden unter anderem die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten, die dunklen Finanzierungskanäle diverser Organisationen, die rechte Musikszene, die Erziehungsmethoden der "Heimattreuen Deutschen Jugend". Im Mittelpunkt des Buchs sieht Teusch die NPD, die sich in den vergangenen Jahren organisatorisch und ideologisch modernisiert hat. Zwar lobt er sämtliche Beiträge als "informativ, erhellend und verdienstvoll". Aber die These des Buchtitels, wonach sich die NPD "auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft" befindet, wird von den Studien in seinen Augen nicht "durchweg" belegt. Treffender scheint ihm demgegenüber, wenn im Buch selbst von einer "Gratwanderung der NPD" die Rede ist, die sich einerseits bürgerlich geriere, andererseits radikale Elemente integriere.
© Perlentaucher Medien GmbH
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