Produktdetails
- Verlag: Links, Ch
- ISBN-13: 9783861534679
- ISBN-10: 3861534673
- Artikelnr.: 23336743
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2008Rechte Gratwanderung
Wie sich die NPD maskiert
Wenn die NPD wieder mal die Fünf-Prozent-Hürde nimmt, ist die Betroffenheit „in der Mitte der Gesellschaft” groß, und die Vertreter der demokratischen Parteien versichern unisono, die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus noch entschiedener in Angriff nehmen zu wollen. Doch den großen Worten folgen selten große Taten. Und wenn beim nächsten Urnengang die Rechtspartei wieder auf ihr 1,5-Prozent-Normalmaß zurechtgestutzt wird, keimt schnell die stille Hoffnung, das Problem werde sich schon bald von selbst erledigen.
Eine trügerische Hoffnung, wie der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band zeigt. Die acht Beiträge, meist Mischformen aus Reportage, faktengesättigter Bestandsaufnahme und Analyse, führen in ein Milieu, das sich in der Offensive wähnt und sich entsprechend kämpferisch und selbstbewusst geriert. Jedenfalls zeigt es sich bestens organisiert. Auf ihren Exkursionen in die braune Szene beleuchten die Autoren die mitunter dunklen Finanzierungskanäle der neonazistischen Organisationen, gehen der wachsenden Bedeutung von Frauen in den nach wie vor männerdominierten rechten Hierarchien nach, beschreiben die „soldatische Kindererziehung” in der „Heimattreuen Deutschen Jugend” oder stellen die rechte Musikszene und ihre Ikonen vor.
Ein Kapitel untersucht die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten und die zuweilen fragwürdigen politischen, polizeilichen und strafrechtlichen Reaktionen. Im Zentrum der Texte steht die NPD, die sich in den vergangenen Jahren organisatorisch und ideologisch modernisiert hat und immer mehr zu einem Gravitationszentrum für das extrem rechte Spektrum insgesamt wird. Viele NPDler sind längst keine lichtscheuen Gestalten mehr, sondern rhetorisch und ideologisch geschulte Aktivisten, die keine Hemmungen haben, auf Veranstaltungen des politischen Gegners „mitzudiskutieren”.
Obwohl allesamt informativ, erhellend und verdienstvoll, belegen die Studien nicht durchweg die These des Buchtitels. Gewiss gibt es die „Neonazis in Nadelstreifen”, und zweifellos befindet sich die NPD in einigen Landstrichen auf dem Weg „in die Mitte der Gesellschaft” (wie auch umgekehrt). Doch beide Phänomene geben nur die halbe Wahrheit wieder. Im Buch selbst ist denn auch differenzierter und zutreffender von einer „Gratwanderung” der NPD die Rede. Einerseits gibt sich die Partei „bürgerlich”, sammelt Punkte als Interessenvertreterin des kleinen Mannes, kümmert sich um die Angelegenheiten vor Ort – ohne ihr nazistisches Gedankengut zu verwässern. Doch zugleich versucht sie, wie insbesondere ihre Verbrüderung mit den extremistischen „Freien Kameradschaften” zeigt, auch systematisch Elemente zu integrieren, die auf Dauer einer weiteren Radikalisierung und Militanz Vorschub leisten könnten, jedenfalls nicht in die Mitte drängen, sondern eher neonazistische Rand- oder Subkulturen festigen. Wohin diese Ambivalenz am Ende führen wird, ist schwer zu sagen – und macht die Auseinandersetzung mit der NPD nicht einfacher. ULRICH TEUSCH
ANDREA RÖPKE/ANDREAS SPEIT (Hg.): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links, Berlin 2008. 208 S., 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Wie sich die NPD maskiert
Wenn die NPD wieder mal die Fünf-Prozent-Hürde nimmt, ist die Betroffenheit „in der Mitte der Gesellschaft” groß, und die Vertreter der demokratischen Parteien versichern unisono, die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus noch entschiedener in Angriff nehmen zu wollen. Doch den großen Worten folgen selten große Taten. Und wenn beim nächsten Urnengang die Rechtspartei wieder auf ihr 1,5-Prozent-Normalmaß zurechtgestutzt wird, keimt schnell die stille Hoffnung, das Problem werde sich schon bald von selbst erledigen.
Eine trügerische Hoffnung, wie der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band zeigt. Die acht Beiträge, meist Mischformen aus Reportage, faktengesättigter Bestandsaufnahme und Analyse, führen in ein Milieu, das sich in der Offensive wähnt und sich entsprechend kämpferisch und selbstbewusst geriert. Jedenfalls zeigt es sich bestens organisiert. Auf ihren Exkursionen in die braune Szene beleuchten die Autoren die mitunter dunklen Finanzierungskanäle der neonazistischen Organisationen, gehen der wachsenden Bedeutung von Frauen in den nach wie vor männerdominierten rechten Hierarchien nach, beschreiben die „soldatische Kindererziehung” in der „Heimattreuen Deutschen Jugend” oder stellen die rechte Musikszene und ihre Ikonen vor.
Ein Kapitel untersucht die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten und die zuweilen fragwürdigen politischen, polizeilichen und strafrechtlichen Reaktionen. Im Zentrum der Texte steht die NPD, die sich in den vergangenen Jahren organisatorisch und ideologisch modernisiert hat und immer mehr zu einem Gravitationszentrum für das extrem rechte Spektrum insgesamt wird. Viele NPDler sind längst keine lichtscheuen Gestalten mehr, sondern rhetorisch und ideologisch geschulte Aktivisten, die keine Hemmungen haben, auf Veranstaltungen des politischen Gegners „mitzudiskutieren”.
Obwohl allesamt informativ, erhellend und verdienstvoll, belegen die Studien nicht durchweg die These des Buchtitels. Gewiss gibt es die „Neonazis in Nadelstreifen”, und zweifellos befindet sich die NPD in einigen Landstrichen auf dem Weg „in die Mitte der Gesellschaft” (wie auch umgekehrt). Doch beide Phänomene geben nur die halbe Wahrheit wieder. Im Buch selbst ist denn auch differenzierter und zutreffender von einer „Gratwanderung” der NPD die Rede. Einerseits gibt sich die Partei „bürgerlich”, sammelt Punkte als Interessenvertreterin des kleinen Mannes, kümmert sich um die Angelegenheiten vor Ort – ohne ihr nazistisches Gedankengut zu verwässern. Doch zugleich versucht sie, wie insbesondere ihre Verbrüderung mit den extremistischen „Freien Kameradschaften” zeigt, auch systematisch Elemente zu integrieren, die auf Dauer einer weiteren Radikalisierung und Militanz Vorschub leisten könnten, jedenfalls nicht in die Mitte drängen, sondern eher neonazistische Rand- oder Subkulturen festigen. Wohin diese Ambivalenz am Ende führen wird, ist schwer zu sagen – und macht die Auseinandersetzung mit der NPD nicht einfacher. ULRICH TEUSCH
ANDREA RÖPKE/ANDREAS SPEIT (Hg.): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links, Berlin 2008. 208 S., 16,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2008Ideologische Doppelbödigkeit
Aufsatzbände über die Erfolgsursachen des Rechtsextremismus
Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien haben in der Bundesrepublik bislang keine flächendeckenden Wahlerfolge erzielen können - ganz im Unterschied zu anderen west- und mittelosteuropäischen Ländern. Die von den Experten so genannte "dritte Welle" des Rechtsextremismus, die in den achtziger Jahren anhob, ist allerdings bis heute nicht abgerissen. Sie äußert sich in einer organisatorischen Erstarkung der rechtsextremen Szene im Umfeld der 1964 gegründeten NPD, die inzwischen die eindeutige Führungsrolle im rechten Lager übernommen hat. Gleichzeitig existiert ein für die Parolen der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten empfängliches Wählerpotential, das von Wahlforschern auf Größenordnungen von bis zu 30 Prozent geschätzt wird.
Erklärungen für den Erfolg der Rechten müssen sich dem Phänomen folglich sowohl von der Angebotsseite der Parteien beziehungsweise Organisationen als auch von der Nachfrageseite des Wählers her nähern. Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band über die NPD beschreitet den ersten Weg. Er zeigt, wie es den Rechtsextremisten gelungen ist, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft allmählich zu verbreitern. Als Erfolgsrezept wird zum einen die Vernetzung mit der Skinhead-Szene und den neonazistischen Kameradschaften ausgemacht, zum anderen das Bemühen, sich durch Engagement in lokalen Vereinen und Initiativen sowie durch den Aufbau eines "Kümmerer-Images" einen betont bürgerlichen Anstrich zu geben. In den acht Beiträgen versuchen die Autoren - allesamt Journalisten -, die von der Öffentlichkeit weithin unbemerkten Entwicklungen sichtbar zu machen: die Intellektualisierung der Partei, ihre Finanzquellen, die Rolle der Frauen in der Rechtsextremismusszene, die Bedeutung von Vorfeldorganisationen wie der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die Verbindungen der NPD zur rechtsextremen Musikszene. Ihrem journalistischen Charakter entsprechend bleiben die durchweg gut recherchierten Beiträge weitgehend "impressionistisch", verzichten also auf generalisierende analytische Einordnungen. Ihr sachlich-nüchterner Ton hebt sie gleichwohl wohltuend von dem alarmistischen und moralisierenden Duktus ab, der die Debatte um den Rechtsextremismus hierzulande häufig begleitet.
Auch wissenschaftliche Publikationen sind vor der Versuchung nicht gefeit, ins Polemische abzugleiten, wenn sie einem normativ einseitigen Weltbild huldigen. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene Band über "Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut" gibt dafür ein abschreckendes Beispiel. Die Autoren nehmen den Rechtsextremismus hier von der Nachfrageseite aus in den Blick. Sie wollen zeigen, dass die Empfänglichkeit für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen bei den gesellschaftlichen Gruppen am größten ist, die in ihrer Arbeitswelt die negativen Folgen der ökonomischen Entwicklung am eigenen Leibe erfahren müssen: von der Kürzung sozialer Leistungen über die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bis hin zum drohenden oder tatsächlichen Arbeitsplatzverlust. Ob die überwiegend interviewbasierten empirischen Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, auf die sich die Befunde stützen, dem wissenschaftlichen Erfordernis der Generalisierbarkeit genügen, mag dahingestellt bleiben. Geeignet, die Triftigkeit der "Modernisierungsverliererthese" zu untermauern, sind sie allemal. Dies gilt auch für die Feststellung, dass es sich keineswegs nur um ein Randgruppenproblem handelt, sondern um ein Phänomen breiter Mittelschichten.
Irritierend wirkt die theoretische Interpretation der Befunde. Herausgeber Butterwegge befindet sich hier in einem für ihn schwierigen Dilemma. Er will die Wähler der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien als unschuldige Opfer der unter dem ideologischen Vorzeichen des Neoliberalismus stattfindenden marktradikalen Modernisierungsprozesse in Schutz nehmen, muss ihnen aber dennoch ein falsches Bewusstsein unterstellen. "Gelöst" wird das Problem dadurch, dass Butterwegge den Rechtsextremismus kurzerhand selbst zu einem Bestandteil der angeblich herrschenden neoliberalen Ideologie erklärt. Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Sicherheitsdenken seien für beide Denkrichtungen gleichermaßen konstitutiv. Damit werden aber nicht nur die "globalistischen" Bezüge des Neoliberalismus vollständig ausgeblendet, sondern auch die antikapitalistische Stoßrichtung des Neonationalsozialismus und dessen prononcierte Kritik an Globalisierung und Sozialstaatsreformen. Letzteres als reine Taktik abzutun geht an der inhaltlichen Substanz insbesondere des (nichtextremistischen) Rechtspopulismus vorbei. Dieser ist - was das Verhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und wohlfahrtsstaatlich garantierter Solidarität angeht - gerade durch seine ideologische Doppelbödigkeit charakterisiert, die er gleichsam zum programmatischen Grundsatz erhebt.
Wenn Neoliberalismus und Rechtsextremismus ideologisch verwandt sind und der Populismus nur eine "Teilmenge" des Rechtsextremismus darstellt, nimmt es nicht wunder, dass es aus Sicht des Herausgebers so etwas wie einen linken Populismus nicht geben kann: "Populismus ist heute in Europa entweder Rechtspopulismus oder überhaupt keiner." Der Versuch, diesen Beweis zu führen und das oft zitierte Gegenbeispiel Oskar Lafontaine gegen entsprechende Vorwürfe zu verteidigen, ist Butterwegge mehrere Seiten wert. Dass dabei andere wissenschaftliche Stimmen (einschließlich der des Rezensenten) abqualifiziert und dann auch noch in die Nähe der NPD gerückt werden, macht das verschwörungstheoretische Szenario komplett und nimmt den im Band versammelten Studien manches von ihrer Überzeugungskraft.
FRANK DECKER
Andrea Röpke/Andreas Speit (Herausgeber): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 208 S., 16,90 [Euro].
Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Herausgeber): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 306 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufsatzbände über die Erfolgsursachen des Rechtsextremismus
Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien haben in der Bundesrepublik bislang keine flächendeckenden Wahlerfolge erzielen können - ganz im Unterschied zu anderen west- und mittelosteuropäischen Ländern. Die von den Experten so genannte "dritte Welle" des Rechtsextremismus, die in den achtziger Jahren anhob, ist allerdings bis heute nicht abgerissen. Sie äußert sich in einer organisatorischen Erstarkung der rechtsextremen Szene im Umfeld der 1964 gegründeten NPD, die inzwischen die eindeutige Führungsrolle im rechten Lager übernommen hat. Gleichzeitig existiert ein für die Parolen der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten empfängliches Wählerpotential, das von Wahlforschern auf Größenordnungen von bis zu 30 Prozent geschätzt wird.
Erklärungen für den Erfolg der Rechten müssen sich dem Phänomen folglich sowohl von der Angebotsseite der Parteien beziehungsweise Organisationen als auch von der Nachfrageseite des Wählers her nähern. Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band über die NPD beschreitet den ersten Weg. Er zeigt, wie es den Rechtsextremisten gelungen ist, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft allmählich zu verbreitern. Als Erfolgsrezept wird zum einen die Vernetzung mit der Skinhead-Szene und den neonazistischen Kameradschaften ausgemacht, zum anderen das Bemühen, sich durch Engagement in lokalen Vereinen und Initiativen sowie durch den Aufbau eines "Kümmerer-Images" einen betont bürgerlichen Anstrich zu geben. In den acht Beiträgen versuchen die Autoren - allesamt Journalisten -, die von der Öffentlichkeit weithin unbemerkten Entwicklungen sichtbar zu machen: die Intellektualisierung der Partei, ihre Finanzquellen, die Rolle der Frauen in der Rechtsextremismusszene, die Bedeutung von Vorfeldorganisationen wie der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die Verbindungen der NPD zur rechtsextremen Musikszene. Ihrem journalistischen Charakter entsprechend bleiben die durchweg gut recherchierten Beiträge weitgehend "impressionistisch", verzichten also auf generalisierende analytische Einordnungen. Ihr sachlich-nüchterner Ton hebt sie gleichwohl wohltuend von dem alarmistischen und moralisierenden Duktus ab, der die Debatte um den Rechtsextremismus hierzulande häufig begleitet.
Auch wissenschaftliche Publikationen sind vor der Versuchung nicht gefeit, ins Polemische abzugleiten, wenn sie einem normativ einseitigen Weltbild huldigen. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene Band über "Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut" gibt dafür ein abschreckendes Beispiel. Die Autoren nehmen den Rechtsextremismus hier von der Nachfrageseite aus in den Blick. Sie wollen zeigen, dass die Empfänglichkeit für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen bei den gesellschaftlichen Gruppen am größten ist, die in ihrer Arbeitswelt die negativen Folgen der ökonomischen Entwicklung am eigenen Leibe erfahren müssen: von der Kürzung sozialer Leistungen über die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bis hin zum drohenden oder tatsächlichen Arbeitsplatzverlust. Ob die überwiegend interviewbasierten empirischen Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, auf die sich die Befunde stützen, dem wissenschaftlichen Erfordernis der Generalisierbarkeit genügen, mag dahingestellt bleiben. Geeignet, die Triftigkeit der "Modernisierungsverliererthese" zu untermauern, sind sie allemal. Dies gilt auch für die Feststellung, dass es sich keineswegs nur um ein Randgruppenproblem handelt, sondern um ein Phänomen breiter Mittelschichten.
Irritierend wirkt die theoretische Interpretation der Befunde. Herausgeber Butterwegge befindet sich hier in einem für ihn schwierigen Dilemma. Er will die Wähler der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien als unschuldige Opfer der unter dem ideologischen Vorzeichen des Neoliberalismus stattfindenden marktradikalen Modernisierungsprozesse in Schutz nehmen, muss ihnen aber dennoch ein falsches Bewusstsein unterstellen. "Gelöst" wird das Problem dadurch, dass Butterwegge den Rechtsextremismus kurzerhand selbst zu einem Bestandteil der angeblich herrschenden neoliberalen Ideologie erklärt. Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Sicherheitsdenken seien für beide Denkrichtungen gleichermaßen konstitutiv. Damit werden aber nicht nur die "globalistischen" Bezüge des Neoliberalismus vollständig ausgeblendet, sondern auch die antikapitalistische Stoßrichtung des Neonationalsozialismus und dessen prononcierte Kritik an Globalisierung und Sozialstaatsreformen. Letzteres als reine Taktik abzutun geht an der inhaltlichen Substanz insbesondere des (nichtextremistischen) Rechtspopulismus vorbei. Dieser ist - was das Verhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und wohlfahrtsstaatlich garantierter Solidarität angeht - gerade durch seine ideologische Doppelbödigkeit charakterisiert, die er gleichsam zum programmatischen Grundsatz erhebt.
Wenn Neoliberalismus und Rechtsextremismus ideologisch verwandt sind und der Populismus nur eine "Teilmenge" des Rechtsextremismus darstellt, nimmt es nicht wunder, dass es aus Sicht des Herausgebers so etwas wie einen linken Populismus nicht geben kann: "Populismus ist heute in Europa entweder Rechtspopulismus oder überhaupt keiner." Der Versuch, diesen Beweis zu führen und das oft zitierte Gegenbeispiel Oskar Lafontaine gegen entsprechende Vorwürfe zu verteidigen, ist Butterwegge mehrere Seiten wert. Dass dabei andere wissenschaftliche Stimmen (einschließlich der des Rezensenten) abqualifiziert und dann auch noch in die Nähe der NPD gerückt werden, macht das verschwörungstheoretische Szenario komplett und nimmt den im Band versammelten Studien manches von ihrer Überzeugungskraft.
FRANK DECKER
Andrea Röpke/Andreas Speit (Herausgeber): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 208 S., 16,90 [Euro].
Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Herausgeber): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 306 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr instruktiv findet Rezensent Ulrich Teusch diesen von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebenen Band über die neonazistische Szene in Deutschland. Beleuchtet werden unter anderem die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten, die dunklen Finanzierungskanäle diverser Organisationen, die rechte Musikszene, die Erziehungsmethoden der "Heimattreuen Deutschen Jugend". Im Mittelpunkt des Buchs sieht Teusch die NPD, die sich in den vergangenen Jahren organisatorisch und ideologisch modernisiert hat. Zwar lobt er sämtliche Beiträge als "informativ, erhellend und verdienstvoll". Aber die These des Buchtitels, wonach sich die NPD "auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft" befindet, wird von den Studien in seinen Augen nicht "durchweg" belegt. Treffender scheint ihm demgegenüber, wenn im Buch selbst von einer "Gratwanderung der NPD" die Rede ist, die sich einerseits bürgerlich geriere, andererseits radikale Elemente integriere.
© Perlentaucher Medien GmbH
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