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Netzwerk-Wissen ist der Schlüssel zur Kulturtheorie des 21. Jahrhunderts. Gibt es eine Geschichte der Netze und Netzwerke, die den modernen Vernetzungen und Entnetzungen auf die Spur kommen kann?Der Aufstieg des Netzwerk-Denkens beginnt mit den naturhistorischen Ordnungsverfahren des 18. Jahrhunderts. Im Umfeld der französischen Juli-Revolution von 1830 nehmen Netzwerke erstmals ihre heutige Gestalt an. Das Netz - le réseau - ordnet das Wissen über die Natur und prägt die Bauweise von Kanalisation, Telegrafen und Eisenbahn. In der frühsozialistischen Bewegung des Saint-Simonismus entsteht…mehr

Produktbeschreibung
Netzwerk-Wissen ist der Schlüssel zur Kulturtheorie des 21. Jahrhunderts. Gibt es eine Geschichte der Netze und Netzwerke, die den modernen Vernetzungen und Entnetzungen auf die Spur kommen kann?Der Aufstieg des Netzwerk-Denkens beginnt mit den naturhistorischen Ordnungsverfahren des 18. Jahrhunderts. Im Umfeld der französischen Juli-Revolution von 1830 nehmen Netzwerke erstmals ihre heutige Gestalt an. Das Netz - le réseau - ordnet das Wissen über die Natur und prägt die Bauweise von Kanalisation, Telegrafen und Eisenbahn. In der frühsozialistischen Bewegung des Saint-Simonismus entsteht zeitgleich das erste Programm zur globalen Vernetzung - als Utopie einer gerechteren Welt.Ob naturwissenschaftlich, technisch oder sozial: Der Blick auf die Geschichtlichkeit des Netzwerk-Wissens ist unverzichtbar für das Verständnis von Moderne und Gegenwart.
Autorenporträt
Gießmann, SebastianSebastian Gießmann (Dr.), geb. 1976, leitet die Werkstatt Praxistheorie »Geschichte und Ethnographie der kooperativen Medienpraktiken« im Sonderforschungsbereich Medien der Kooperation, Universität Siegen. Aktuelles Forschungsprojekt zur Mediengeschichte und politischen Ökonomie der Kreditkarte und des digitalen Bezahlens. Veröffentlichungen u.a. »Die Verbundenheit der Dinge. Eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke«, 2. Auflage, Berlin 2016. »Workarounds. Praktiken des Umwegs«, Hamburg 2017.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2006

Die spinnen, die Kulturtechniker von heute
O, wie schön ist Panama: Sebastian Gießmann beobachtet den Aufstieg des vernetzten Denkens

Netzwerke, fein gesponnen als Kulturtechnik für Leute von heute, haben Konjunktur. Sozialsystem, Straßenlauf, Nervenleitungen - was läßt sich eigentlich nicht als Netz aus Verbindungen und Knoten bezeichnen? Daß die Sozialutopie der Vernetzung von Raum und Zeit sich nicht selbst verwirklicht, sondern zu einer veritablen Kanalisierung des Denkens geführt hat, ist die Pointe einer kleinen Studie von Sebastian Gießmann über den Aufstieg des Netzwerk-Denkens.

Trotz seines häufigen Gebrauchs ist das Begriffsfeld "Netz" assoziativ und vieldeutig geblieben. Gießmann zeigt, daß die Naturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts die Abstammung der Arten schon netzförmig darstellte, um Diskontinuitäten und Ähnlichkeiten abbilden zu können. Doch konnte sich der Netzbegriff erst in den 1830er Jahren mit Hilfe der optischen Telegraphie durchsetzen, wobei er außer für die Mitteilung von Lottozahlen nur geringe ökonomische Bedeutung gewann und nationale Grenzen kaum überschritt. Die Faszinationskraft des optischen Telegraphen hat seinen Nutzen offensichtlich überstrahlt, denn es ist, wie Gießmann feststellt, über ihn schon damals mehr geschrieben worden, als er selbst übermittelt hat.

Der egalisierende Effekt des Vernetzens verschmälert sich zusätzlich mit der Erkenntnis, daß sein epochaler Erfolg - wie häufig bei Phänomenen der Globalisierung - aus dem Geist von Nationalismus und Militär stammt. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts erschloß der Graf von Saint-Simon das Netz als Organisationsform, um Geld- und Blutkreisläufe zu einem technologischen Gemeinschaftskörper zu verschalten. Der Frühsozialist, der nach der Französischen Revolution mit enteigneten Kirchengütern spekuliert hat, verlegte im Gehirn ein Röhrensystem: Ganz im Sinne der politischen Agitation sollte sich der Organisationsgrad eines Lebewesens an seiner Kanalisierung bemessen. Je mehr Ströme den Kollektivkörper durchzögen, desto fortschrittlicher wäre die Menschheit.

Geleitet wurde seitdem gerne: Verkehrsverbindungen galten als Venen und Arterien der Nation, städtische Kanalisationstechniken sorgten mittels Druckausgleich und Verteilungsröhren für den richtigen Austausch und spülten die Netzmetapher schließlich bis ins Hirn. Solche weniger magischen Kanäle folgten freilich nicht der Logik einer offenen Netzwerkgesellschaft, sondern der hierarchischen Infrastruktur des Transportwesens. Tatsächlich hatte bereits Saint-Simon in Mexiko, Holland und Spanien Vorstöße für die Verlinkung von Ozeanen durch den Bau gewaltiger Schiffskanäle unternommen, die im Zeitalter der imperialen Vernetzung in Teilen realisiert wurden. Oh, wie schön ist Panama! Doch öffnet Gießmann, selbst dem Netzwerkdenken verpflichtet, für Utopisten ein eigenes Überlaufbecken. In einer Fußnote erwähnt er, daß der Kanalbauer Saint-Simon Empfindsamkeit und Gefühl ebenfalls als Kennzeichen des Lebendigen anerkannte.

CHRISTIAN HOLTORFF

Sebastian Gießmann: "Netze und Netzwerke". Archäologie einer Kulturtechnik, 1740 bis 1840. Transcript Verlag, Bielefeld 2006. 114 S., br., 13,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Positiv erwähnt Niels Werber in einer Sammelbesprechung über Bücher zum Thema Weltprojekte vorliegende Studie von Sebastian Gießmann über die Kulturtechnik der Vernetzung. Besonders interessiert er sich für Gießmanns Skizze des Lebenswerks des Grafen Saint-Simon (1760-1825): der Vernetzung der Welt mit einer Unzahl von Straßen, Kanäle, Eisenbahnen, Banken und so weiter. Für Werber zeigt sich hier, wie der Weltverkehr Weltprojekte hervorbringt, bei Saint-Simon die Idee einer "association universelle" der Menschheit. Allerdings sind die Schattenseiten solcher Projekte seines Erachtens nicht unter den Tisch zu kehren, die Opfer etwa, die sie bei Kolonialisierung Ägyptens und die Annektierung Panamas forderten. "Weltprojekte, alte wie neue", resümiert der Rezensent, "scheinen ihre humanitären Kosten zum Wohle der Allgemeinheit stets zu verdrängen."

© Perlentaucher Medien GmbH
Besprochen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.08.2006, Christian Holtorff