Nie war Freundschaft populärer als heute. Sie gilt als entscheidende Zutat für ein gutes und glückliches Leben. Viele haben auch viele Freunde - jedoch will sich das versprochene Glück nicht so recht einstellen. Woran liegt das?Björn Vedder verknüpft in seiner Zeitdiagnose der Freundschaft philosophische Überlegungen mit der Analyse von popkulturellem Material sowie literarischen Klassikern. Er zeigt, was Freundschaft heute bedeutet, wie sie (auch zu uns selbst) gelingen kann und warum Facebook-Freunde echte Freunde sind.Dabei nimmt er die pessimistischen Kulturkritiken der Gegenwart ernst, teilt deren Defätismus aber nicht, sondern zeigt Wege aus den Pathologien der modernen Freundschaft auf.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2017Jenseits des Narzissmus
Eine Erkundung der digitalen Freundschaftskultur
Für die Romantiker war sie ein Ideal, der Inbegriff einer Seelenverwandtschaft. Freundschaft fußte auf Treue, Verantwortung sowie gemeinsamen Werten. Und heute? In einer Epoche, in der sich ein Teil der Menschheit munter im Tinder-Wischen ergeht und Verbindungen in sozialen Netzwerken eher sammelt als pflegt? Zwar gilt für viele das Motto: Facebook-Bekanntschaften hat man nie genug. Aber welchen Bestand haben solche Beziehungen heute?
Es ist allzu einfach, in der digitalen Gesellschaft in den Chor der Untergangspropheten einzustimmen, die das Ende der Tiefe und Innigkeit in menschlichen Gemeinschaften verkünden. Der 1976 geborene Publizist und Kurator Björn Vedder tut dies zum Glück nicht. Stattdessen versucht er in seiner essayistischen Studie „Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook“ einen differenzierten Blick auf uns und unsere Nächsten zu werfen.
Dabei geht er durchaus schonungslos mit traditionellen Modellen ins Gericht: Wer etwa glaubt, dass wir – ganz im Sinne der antiken Vorstellung – unsere Freunde aufgrund eines ähnlichen Moralkodex aussuchen, der irrt wohl.
Denn Freundschaften verstehen sich heute, so Vedders Analyse, vor allem als Nutzverhältnisse, die zur Befriedigung von Bedürfnissen beitragen. Um etwa ein Selbstwertgefühl zu generieren, ja, um uns selbst zu lieben, bedürfen wir des Zuspruchs durch den anderen. Dafür tauschen wir Hilfsdienste aus, spielen unterschiedliche Rollen.
Freundschaft steht für Vedder, der sich an Eva Illouz’ Analyse der modernen Liebe anlehnt, im Zeichen einer funktionalistischen Ökonomie. Dass sich das Tummeln bei Facebook gut ins Bild fügt, veranlasst ihn schließlich dazu, auch die dort geschlossenen Freundschaften „wahre“ Freundschaften zu nennen.
Ausführlich geht er auf die „Logik des Aufmerksamkeitsmarktes“ ein, auf den Selbstbestätigungshype durch Likes, Likes und wieder Likes. Er zwinge „den Benutzer, sein Profil so zu behandeln wie ein Unternehmen sein Produkt, das er am Markt platzieren will.“
Der Autor steht der Tendenz zur Vermarktung keineswegs naiv bejahend gegenüber. Mehrfach beschwört er die Gefahr der Egozentrik. Zu viel Selbstbezogenheit lasse die Bedeutung des anderen schwinden. Um dem entgegenzuwirken und „aus Narzissten wenigstens halbwegs anständige Menschen“ zu machen, entwickelt Vedder im zweiten Teil seines Buches recht apodiktische Vorschläge. Plädiert wird anhand von (oftmals sehr beliebigen) Beispieltexten aus Literatur und Philosophie für mehr Bescheidenheit, Höflichkeit und Mitleid.
Schön und gut, denkt sich der Leser. Jene ziemlich banalen Tipps für ein Mehr an Aufrichtigkeit zeugen eher von Einfallslosigkeit als von ernsthafter Vision. Wirklich neue Erkenntnisse mag diese Studie weniger hervorbringen, zumal Norbert Bolz, Byung-Chul Han oder Roberto Simanowski bereits ähnliche Essays zur digitalen Beziehungskultur vorgelegt haben. Hinzu kommt, dass Vedder immer wieder seinen Fokus aus den Augen verliert, mal trotz verschiedener Abgrenzungen von Liebe, dann wieder von Freundschaft spricht.
Auch wenn dieser Band somit nicht den großen Wurf darstellt, ruft er manche Einsicht ins Bewusstsein, die tatsächlich wertvoll für eine spätmoderne, kapitalistische Gesellschaft sein könnte. Zum Beispiel entlarvt er den Irrglauben, zu viel Intimität, wie sie bekanntermaßen sehr schnell auf sozialen Netzwerken hergestellt wird, trage zu umso festeren Bindungen bei. Vielmehr sei ein bestimmtes Maß an Fremdheit und Distanz nötig. Nur so könne die krankhafte Ich-Bezogenheit in der engsten Spiegelung im Du verhindert werden. Produktiv ist ebenso die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Narrative und Symbole. Angesichts der Überkommunikation in den neuen Medien verspricht gerade die Entwicklung eigener Erzählungen unter Freunden möglicherweise die von vielen ersehnte Stabilität gegenwärtiger Lebensverhältnisse. Hierin entsteht Raum für Gemeinsames, auch jenseits der Egokultur.
BJÖRN HAYER
Björn Vedder: Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook. transcript Verlag, Bielefeld 2017. 200 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Ein gewisses Maß an
Fremdheit und Distanz tut
Freundschaften gut
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Eine Erkundung der digitalen Freundschaftskultur
Für die Romantiker war sie ein Ideal, der Inbegriff einer Seelenverwandtschaft. Freundschaft fußte auf Treue, Verantwortung sowie gemeinsamen Werten. Und heute? In einer Epoche, in der sich ein Teil der Menschheit munter im Tinder-Wischen ergeht und Verbindungen in sozialen Netzwerken eher sammelt als pflegt? Zwar gilt für viele das Motto: Facebook-Bekanntschaften hat man nie genug. Aber welchen Bestand haben solche Beziehungen heute?
Es ist allzu einfach, in der digitalen Gesellschaft in den Chor der Untergangspropheten einzustimmen, die das Ende der Tiefe und Innigkeit in menschlichen Gemeinschaften verkünden. Der 1976 geborene Publizist und Kurator Björn Vedder tut dies zum Glück nicht. Stattdessen versucht er in seiner essayistischen Studie „Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook“ einen differenzierten Blick auf uns und unsere Nächsten zu werfen.
Dabei geht er durchaus schonungslos mit traditionellen Modellen ins Gericht: Wer etwa glaubt, dass wir – ganz im Sinne der antiken Vorstellung – unsere Freunde aufgrund eines ähnlichen Moralkodex aussuchen, der irrt wohl.
Denn Freundschaften verstehen sich heute, so Vedders Analyse, vor allem als Nutzverhältnisse, die zur Befriedigung von Bedürfnissen beitragen. Um etwa ein Selbstwertgefühl zu generieren, ja, um uns selbst zu lieben, bedürfen wir des Zuspruchs durch den anderen. Dafür tauschen wir Hilfsdienste aus, spielen unterschiedliche Rollen.
Freundschaft steht für Vedder, der sich an Eva Illouz’ Analyse der modernen Liebe anlehnt, im Zeichen einer funktionalistischen Ökonomie. Dass sich das Tummeln bei Facebook gut ins Bild fügt, veranlasst ihn schließlich dazu, auch die dort geschlossenen Freundschaften „wahre“ Freundschaften zu nennen.
Ausführlich geht er auf die „Logik des Aufmerksamkeitsmarktes“ ein, auf den Selbstbestätigungshype durch Likes, Likes und wieder Likes. Er zwinge „den Benutzer, sein Profil so zu behandeln wie ein Unternehmen sein Produkt, das er am Markt platzieren will.“
Der Autor steht der Tendenz zur Vermarktung keineswegs naiv bejahend gegenüber. Mehrfach beschwört er die Gefahr der Egozentrik. Zu viel Selbstbezogenheit lasse die Bedeutung des anderen schwinden. Um dem entgegenzuwirken und „aus Narzissten wenigstens halbwegs anständige Menschen“ zu machen, entwickelt Vedder im zweiten Teil seines Buches recht apodiktische Vorschläge. Plädiert wird anhand von (oftmals sehr beliebigen) Beispieltexten aus Literatur und Philosophie für mehr Bescheidenheit, Höflichkeit und Mitleid.
Schön und gut, denkt sich der Leser. Jene ziemlich banalen Tipps für ein Mehr an Aufrichtigkeit zeugen eher von Einfallslosigkeit als von ernsthafter Vision. Wirklich neue Erkenntnisse mag diese Studie weniger hervorbringen, zumal Norbert Bolz, Byung-Chul Han oder Roberto Simanowski bereits ähnliche Essays zur digitalen Beziehungskultur vorgelegt haben. Hinzu kommt, dass Vedder immer wieder seinen Fokus aus den Augen verliert, mal trotz verschiedener Abgrenzungen von Liebe, dann wieder von Freundschaft spricht.
Auch wenn dieser Band somit nicht den großen Wurf darstellt, ruft er manche Einsicht ins Bewusstsein, die tatsächlich wertvoll für eine spätmoderne, kapitalistische Gesellschaft sein könnte. Zum Beispiel entlarvt er den Irrglauben, zu viel Intimität, wie sie bekanntermaßen sehr schnell auf sozialen Netzwerken hergestellt wird, trage zu umso festeren Bindungen bei. Vielmehr sei ein bestimmtes Maß an Fremdheit und Distanz nötig. Nur so könne die krankhafte Ich-Bezogenheit in der engsten Spiegelung im Du verhindert werden. Produktiv ist ebenso die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Narrative und Symbole. Angesichts der Überkommunikation in den neuen Medien verspricht gerade die Entwicklung eigener Erzählungen unter Freunden möglicherweise die von vielen ersehnte Stabilität gegenwärtiger Lebensverhältnisse. Hierin entsteht Raum für Gemeinsames, auch jenseits der Egokultur.
BJÖRN HAYER
Björn Vedder: Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook. transcript Verlag, Bielefeld 2017. 200 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Ein gewisses Maß an
Fremdheit und Distanz tut
Freundschaften gut
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»Dem Autor gelingen [...] phänomenologische Deskriptionen, die Jean-Paul Sartres berühmter Beschreibung einer Ski-Abfahrt gerecht werden.« Roland Braun, Philosophische Rundschau, 64 (2017) »Ein lesenswertes Konzept moderner Freundschaft, das auch reichlich Gelegenheit zu einer eigenen kritischen - vermutlich an einigen Punkten zustimmenden und an anderen widersprechenden Positionierung - bietet. Insofern ist das Buch sicher interessant, für alle die sich in dieser Weise mit dem Konstrukt der Freundschaft auseinandersetzen möchten.« Thomas Molck, www.socialnet.de, 08.11.2017 »Ein wunderbares Buch, anspruchsvoll und ehrlich, und eines, in dem man sich nicht nur dauernd etwas anstreicht, sondern fast schon versucht ist, die angestrichenen Formulierungen auswendig zu lernen. Wer hätte so etwas erwartet.« Christophe Fricker, www.literaturkritik.de, 24.09.2017 »In einer gelungenen Verknüpfung philosophischer Ansätze mit den Freundschaftsinterpretationen antiker Klassiker bis zeitgenössischer Popkultur gelingt [Björn Vedder] ein mediengeschichtlicher Zirkelschlag.« merz, 61/3 (2017) »Psychologisch überzeugend formuliert Björn Vedder einen Gegenentwurf zur pessimistischen Kulturkritik, die in der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Medien nur eitle Selbstbespiegelung erkennt.« Frank Kaspar, WDR3 - Mosaik, 26.05.2017 »[Der Mensch] ist nicht gebunden, er muss sich selbst binden - und dazu braucht er Partnerschaften genauso wie Freundschaften. Zum Verstehen dieser Phänomene muss noch einiges getan werden, Björn Vedders Buch über Neue Freunde ist ein wertvoller Beitrag dazu.« Jörg Friedrich, Hohe Luft, 3 (2017) O-Ton: »Unverzichtbar? - Freundschaft« - Björn Vedder zu Gast beim Philosophischem Radio am 21.04.2017. O-Ton: »Echte Freundschaft per Like-Button?« - Björn Vedder im Gespräch mit Katja Bigalke am 08.04. beim Deutschlandfunk. O-Ton: »Freundschaft in Zeiten von Facebook« - Björn Vedder im Gespräch mit Christoph Leibold am 31.03.2017 auf bayern 2. O-Ton: »Bitte liken, sonst löschen!« - Björn Vedder im Gespräch mit Ulrich Biermann am 29.03.2017 beim Deutschlandfunk. Besprochen in: Der Tagesspiegel, 16.04.2017 iX, 6 (2016), Jürgen Diercks Süddeutsche Zeitung, 26.06.2017, Björn Hayer Neue Stadt, 3 (2019)