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Wie die früheren sozialistischen Länder Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion mit der Herausforderung des staatlichen Neuaufbaus und der Ausbildung stabiler, leistungsfähiger politischer Institutionen nach Ablauf von fünf Jahren fertig geworden sind, ist das Thema der Beiträge dieses Sammelbandes. Sie sind länderübergreifend angelegt und zielen auf einen systematischen Vergleich ab, der allerdings angesichts der Vielzahl der Länder und der Fülle der von dem Generalthema efaßten Einzelprobleme nur ein Versuch sein konnte.

Produktbeschreibung
Wie die früheren sozialistischen Länder Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion mit der Herausforderung des staatlichen Neuaufbaus und der Ausbildung stabiler, leistungsfähiger politischer Institutionen nach Ablauf von fünf Jahren fertig geworden sind, ist das Thema der Beiträge dieses Sammelbandes. Sie sind länderübergreifend angelegt und zielen auf einen systematischen Vergleich ab, der allerdings angesichts der Vielzahl der Länder und der Fülle der von dem Generalthema efaßten Einzelprobleme nur ein Versuch sein konnte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.1997

Zählen nach Jahrzehnten
Regierung und Institutionen in Osteuropa und der GUS

Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS. Probleme der Ausbildung stabiler Machtinstitutionen. Herausgegeben von Otto Luchterhandt. Osteuropaforschung. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Band 37. Berlin Verlag Arno Spitz 1996. 311 Seiten, 78,- Mark.

Kirk Mildner: Lokale Politik und Verwaltung in Rußland: Zwischen Neuanfang, Erbe und Korruption. Stadtforschung aktuell, Bd. 60. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin und Boston 1996. 328 Seiten, 38,- Mark.

"Die Debatten über Monarchie und Republik, das parlamentarische und das Präsidialsystem, über Einheitsstaat und Föderalismus", so klagte kürzlich der amerikanische Politologe Juan Linz, "sind in der Versenkung verschwunden." Sie hätten, so der führende Transformationsforscher, in die aktuelle Diskussion über demokratische Institutionen keinen Eingang gefunden, obwohl die Wahl etwa zwischen parlamentarischem und Präsidialsystem in vielen Staaten Europas in den letzten Jahren auf die Tagesordnung gelangte. Die Vernachlässigung dieses Themas rechnet Linz der Tatsache zu, daß bisher die meisten stabilen Demokratien Europas und des britischen Commonwealth parlamentarische oder Mischsysteme waren, "während die meisten der Länder mit Präsidialverfassungen instabile Demokratien oder autoritäre Regime waren und deshalb in die vergleichenden Untersuchungen der Demokratie nicht aufgenommen werden mußten". Immerhin sieht auch Linz für Länder im Umbruch Vorteile im parlamentarischen System: Dieses erlaube es, auf Krisen durch Umgruppierung der Kräfte flexibel zu reagieren. Dagegen könne sich die "Rigidität" des Präsidialsystems mit einem starken, für mehrere Jahre gewählten Staatsoberhaupt verhängnisvoll auswirken und die Gesellschaft polarisieren; es berge die Versuchung zu autoritärem Vorgehen in sich.

Doch auch umgekehrt wird ein Schuh daraus. In den ehemals sozialistischen Staaten war die Krise, die Polarisierung bereits da; die politischen Eliten flüchteten sich - in besonders krasser Form in den früheren Sowjetrepubliken Mittelasiens - unter die Fittiche starker Präsidenten. Hätten sie ein parlamentarisches System erproben sollen, das, wie auch Linz zugibt, disziplinierte und kooperationsfähige Parteien erfordert? In dem Band über neue Regierungssysteme, herausgegeben von dem Hamburger Ostrechtler Luchterhandt, faßt sein Kollege Brunner die Problematik zusammen: "Mißlingt das demokratische Experiment, so tendiert das parlamentarische System zum Chaos und das Präsidialsystem zur Diktatur."

In einer der wenigen wertenden Passagen empfiehlt Brunner "das Mischsystem als den geeignetsten Weg" zwischen Scylla und Charibdis. Nun ist es eine Frage der Definition, ob man das "Mischsystem" als eigenen Typus gelten läßt. Schließt man sich Brunner an und läßt die Länder von Ungarn bis Usbekistan Revue passieren, ergibt sich ein überraschend buntes Bild. Neun Staaten, darunter so verschiedene Länder wie die Tschechische Republik und Bulgarien, werden parlamentarisch regiert. Elf Staaten, darunter Rußland, die Ukraine und - vor Verabschiedung der neuen Verfassung im März - auch Polen, erscheinen als Mischsysteme, wobei zugestanden wird, daß Rußland "nicht weit vom reinen Präsidentialismus entfernt" ist. Und nur sechs Staaten, darunter das wenig demokratische Weißrußland und vier mittelasiatische Republiken, sind dem Typ des Präsidialsystems zuzuordnen. Es entbehrt nicht der Ironie, daß der große Reformer Gorbatschow der erste war, der in Osteuropa das Amt des Staatspräsidenten einführte.

Präsidialregime ist aber nicht gleich Präsidialregime; die Unterscheidung zwischen demokratischen und undemokratischen Regimen sollte dabei nicht vergessen werden. Doch auch für die demokratischen gilt, daß die starke Stellung des Präsidenten in vielen GUS-Staaten das fast durchweg verfassungsrechtlich anerkannte Prinzip der Gewaltenteilung arg strapaziert - so wichtig das Staatsoberhaupt als Integrationsfigur und Verkörperung der neuen Staatlichkeit und der politischen Handlungsfähigkeit in Umbruchzeiten auch sein mag.

Zugleich ist in Osteuropa ein deutlicher Legitimitätsschwund der Parlamente zu beobachten. Er hat nur mittelbar damit zu tun, daß in ihnen heute weit weniger Arbeiter, Bauern und Frauen sitzen als vor der Wende. Ziemer vermutet "die mangelnde Leistungsfähigkeit des Staates im wirtschaftlichen Bereich" als Hauptursache. Angesichts der Verarmung breiter Schichten seit der Wende nennt Ziemer das Fehlen "unkontrollierter Massenproteste" in Osteuropa zu Recht bemerkenswert (der Beitrag entstand vor den Unruhen in Albanien). Doch diese Ruhe ist eher auf soziale Apathie zurückzuführen als auf das Wirken der Volksvertreter.

Wenn die Entwicklung von Demokratie und ziviler Gesellschaft im Lande insgesamt Schwierigkeiten bereitet, so könnte sich durch die eigenständige Entwicklung der Regionen "ersatzweise" ein wichtiges Reformpotential anbieten. Diese These hat der Politologe Gerhard Simon mit Blick auf Rußland vertreten. Über die Regionen ist viel geschrieben worden; hier sei nur erinnert an die von Klaus Segbers im Nomos-Verlag herausgegebenen, vierbändigen "Post-Soviet Puzzles", in denen die ganze GUS untersucht wird. Doch wie sieht es in diesen Ländern auf der Mikroebene, in den Kommunen aus?

"Die Kraft der freien Völker ruht in der Gemeinde", zitiert der Politologe Kirk Mildner in seiner Dissertation den Klassiker Tocqueville. Der Verfasser hat in drei russischen Regionen - unter anderem durch etwa 100 Interviews - festzustellen versucht, ob auch dort etwas von der Kraft eines freien Volkes zu spüren ist. In seinem von einigen Schreib- und Druckfehlern verunstalteten Buch kommt er zu dem Schluß, daß die russischen Kommunen in den vergangenen Jahren "zumindest formal" einen beträchtlichen Zuwachs an Aufgaben und Kompetenzen erlebt haben, dabei jedoch weder selbst immer willens und fähig waren, diesen Spielraum zu nutzen, noch auf einen vorgegebenen, eindeutigen rechtlichen Rahmen und Leitlinien vertrauen konnten. Nachdem Jelzin Anfang der neunziger Jahre - auch aus taktischen Gründen - die vorherrschende Dezentralisierungstendenz unterstützt hatte, verstrickte sich der Volksheld, einmal im Kreml eingezogen, alsbald im "Widerspruch zwischen der autokratisch-zentralistischen Herrschaftstradition und den Prinzipien der lokalen Selbstverwaltung und Dezentralisierung". Er ernannte die Verwaltungschefs ("Gouverneure") der Regionen zunächst selbst, was jedoch, so Mildner, nicht zu mehr Kontrolle und Reformen führte, sondern die Kommunen "der Macht und Willkür der Regionalverwaltungen" auslieferte. Das ist die andere Seite der Vielfalt und Selbständigkeit der Regionen: eine Rezentralisierung auf regionaler Ebene.

Erst jetzt wird Jelzins altes Versprechen der Volkswahl der Gouverneure eingelöst. Wird das auch den Kommunen, die bei den Einnahmen oft zu mehr als 90 Prozent auf Zuweisungen "von oben" angewiesen sind, mehr Spielraum bringen? Wird das zwischen Bürgern und Verwaltung herrschende wechselseitige Mißtrauen einer stärkeren Offenheit und Bürgerbeteiligung Platz machen? Wird die Möglichkeit, Bereitschaft und Notwendigkeit, zu korrumpieren und sich korrumpieren zu lassen, wirksam bekämpft werden? Die Verfassunggebung geht schnell, schrieb der amerikanische Politologe Putnam über das moderne Italien, doch bei der Institutionenbildung zählt man nach Jahrzehnten. GERHARD GNAUCK

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