Der deutsche Arbeitsmarkt gestaltet sich seit geraumer Zeit zunehmend unübersichtlich - und das, obwohl eine Institution besteht, deren Ziel die Wahrung der Ordnung am Arbeitsmarkt ist: der Flächentarif. Immer mehr Stimmen werden laut, die ihn in seiner jetzigen Ausgestaltung für Ausmaß und Persistenz der herrschenden Arbeitslosigkeit verantwortlich machen. Alexander Vogel widmet sich in diesem Zusammenhang der Frage, auf welcher Ebene Arbeitsbedingungen bereitzustellen sind.
Als Analyse-Instrumentarium kommt die Clubtheorie zum Einsatz - die Arbeitsbedingungen stellen Clubgüter dar, Arbeitnehmer und Arbeitgeber schließen sich (freiwillig) in gemeinsamen Clubs zusammen. Es zeigt sich, daß die optimale, wertschöpfungsmaximierende Tarifebene durch ein hohes Maß an Homogenität ihrer Mitglieder charakterisiert ist. Demgegenüber steht die Entwicklung zu mehr Heterogenität bei Produktionsprozessen und Beschäftigten. Der Autor zeigt Handlungsoptionen für Tarifvertragsparteien undGesetzgeber auf, die zur Lösung dieses Spannungsfelds beitragen können.
Als Analyse-Instrumentarium kommt die Clubtheorie zum Einsatz - die Arbeitsbedingungen stellen Clubgüter dar, Arbeitnehmer und Arbeitgeber schließen sich (freiwillig) in gemeinsamen Clubs zusammen. Es zeigt sich, daß die optimale, wertschöpfungsmaximierende Tarifebene durch ein hohes Maß an Homogenität ihrer Mitglieder charakterisiert ist. Demgegenüber steht die Entwicklung zu mehr Heterogenität bei Produktionsprozessen und Beschäftigten. Der Autor zeigt Handlungsoptionen für Tarifvertragsparteien undGesetzgeber auf, die zur Lösung dieses Spannungsfelds beitragen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2005Kreative Unordnung
Ein clubtheorische Begründung für Wettbewerb in der Lohnfindung
Alexander Vogel: Neue Wege in der Tarifpolitik: Eine clubtheoretische Analyse. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2004, 238 Seiten, 69,80 Euro.
Was haben Schwimmbäder und Tarifverträge gemeinsam? Für beide gelten die mikroökonomischen Bedingungen eines öffentlichen Gutes nur zum Teil. Ein zusätzlicher Nutzer kann durchaus ausgeschlossen werden (das Ausschlußprinzip ist anwendbar), und seine Teilnahme am gemeinsamen Nutzen verursacht von einer bestimmten Gruppengröße an Mehrkosten (die Nichtrivalität im Konsum besteht nur partiell). Deswegen können Schwimmbäder wie Tarifverträge als sogenannte Clubgüter interpretiert werden. So wie das Badevergnügen abnimmt, je voller das Schwimmbecken ist, so sinken auch Paßgenauigkeit und Effizienz eines Tarifvertrages, je größer dessen Geltungsbereich ist; Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotentiale bleiben ungenutzt. Und wie man einen Badegast am Kassenhäuschen vom Schwimmvergnügen abhalten kann, so lassen sich auch Arbeitnehmer von Tarifverträgen ausschließen, weil diese - zumindest formaljuristisch - nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten.
Hat man diese entscheidende Grundannahme (Zweifel an ihr versucht Vogel - nicht ganz überzeugend - mit den Tarifabweichungen bei Burda, Viessmann und in Standortsicherungsverträgen zu entkräften) erst einmal geschluckt, kann man dem Autor ohne große Mühe in seiner weiteren Argumentation folgen. So schließen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig in gemeinsamen Clubs zusammen, weil beide das gleiche Ziel haben, die Wertschöpfung der Unternehmen zu steigern: zu einem Produktionsclub - also dem Betrieb, in dem die Wertschöpfung erwirtschaftet wird - und einem Verteilungsclub, der mit den Arbeitsbedingungen implizit auch die Produktionsweisen sowie die Höhe und Verteilung der Wertschöpfung festlegt.
Die Gretchenfrage lautet: Wie groß sollte der Verteilungsclub idealerweise sein? Ins Praktische übersetzt: Auf welcher Ebene sollten Tarifverhandlungen geführt werden, um optimale Ergebnisse zu erreichen? Da die Wertschöpfung um so höher ausfallen dürfte, je homogener die in einem Verteilungsclub zusammengeschlossenen Unternehmen sind, und da in der Arbeits- und Betriebspraxis eine immer größere Heterogenität feststellbar ist, scheint die Bildung kleinerer Verteilungsclubs, also eine Dezentralisierung der Tarifverhandlungen, ratsam. Allerdings läßt sich das optimale Ausmaß der Deregulierung nur schwer bestimmen. Die betriebliche Praxis legt aber zumindest den Schluß nahe, daß es noch nicht erreicht ist; sonst würden die drei Reaktionsmöglichkeiten - Verbandsflucht (die ökonomische Theorie kennt dafür den von Albert Hirschman geprägten Terminus "Exit"), Verhandlungen über Öffnungsklauseln ("Voice") und Unterlaufen des Flächentarifs (Verstoß gegen die Clubregeln) - nicht so intensiv genutzt.
Vogel versucht erstmals, die Frage nach der optimalen Ebene von Tarifverhandlungen mit Hilfe der Clubtheorie zu untersuchen. Seine Analyse ist solide und klar. Gerechnet wird in dem Buch nicht, was man - je nach wissenschaftlichem Temperament - als Vorteil oder Mangel bewerten mag; die theoretischen Wirkungsmechanismen werden graphisch erläutert. Zudem beschränkt sich der Autor in seiner Argumentation häufig auf Plausibilitätsüberlegungen und Indizienbeweise - wohl auch deshalb, weil sich ein empirischer Nachweis nicht immer erbringen läßt oder den Rahmen gesprengt hätte.
Den größten Teil der Arbeit (mehr als 200 Seiten) verbraucht Vogel für die Herleitung seiner clubtheoretischen Schlußfolgerungen; da viele Sachverhalte unstrittig sind, hätte man hier etwas straffen können. Die Handlungsempfehlungen für Tarifvertragsparteien und Gesetzgeber werden dagegen auf gerade einmal 14 Seiten abgehandelt. Das mag daran liegen, daß sämtliche Varianten - tarifvertragliche Öffnungsklauseln, Spartentarife sowie Options- und Korridorlösungen als erste, gesetzliche Öffnungsklauseln und eine Änderung des Günstigkeitsprinzips im Tarifvertragsgesetz als weiterführende Schritte - im Urteil der Clubtheorie durchfallen, da sie die Handlungsfreiräume der Betriebsparteien nicht ausreichend erhöhen. Diesen Anspruch erfüllt allein die Streichung des Tarifvorbehalts im Betriebsverfassungsgesetz; diese aber muß zwingend mit einer Neuregelung der Tariffähigkeit auf Arbeitnehmerseite verbunden sein: Nur wenn neben den Gewerkschaften auch andere Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern (unterhalb, auf oder oberhalb der Unternehmensebene) tariffähig sind, wird die negative Koalitionsfreiheit gewahrt und institutioneller Wettbewerb in der Lohnfindung entfacht. Die Gegner des Tarifkartells und die Freunde der Deregulierung mögen dieses theoretische Werk mit einem zufriedenen "Quod erat demonstrandum" ins Regal stellen - auch wenn der Titel "Neue Wege in der Tarifpolitik" mehr verspricht, als Vogel einzulösen vermag. Eine andere Überschrift hätte das Anliegen des Buches vielleicht besser zum Ausdruck gebracht. Daß im ersten Kapitel veraltete Daten verwendet und längst abgeschaffte Paragraphen zitiert werden, gibt dem Buch zudem den Anschein des Überholten, obschon die darin enthaltenen Mahnungen nichts von ihrer Dringlichkeit und Aktualität eingebüßt haben.
NICO FICKINGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein clubtheorische Begründung für Wettbewerb in der Lohnfindung
Alexander Vogel: Neue Wege in der Tarifpolitik: Eine clubtheoretische Analyse. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2004, 238 Seiten, 69,80 Euro.
Was haben Schwimmbäder und Tarifverträge gemeinsam? Für beide gelten die mikroökonomischen Bedingungen eines öffentlichen Gutes nur zum Teil. Ein zusätzlicher Nutzer kann durchaus ausgeschlossen werden (das Ausschlußprinzip ist anwendbar), und seine Teilnahme am gemeinsamen Nutzen verursacht von einer bestimmten Gruppengröße an Mehrkosten (die Nichtrivalität im Konsum besteht nur partiell). Deswegen können Schwimmbäder wie Tarifverträge als sogenannte Clubgüter interpretiert werden. So wie das Badevergnügen abnimmt, je voller das Schwimmbecken ist, so sinken auch Paßgenauigkeit und Effizienz eines Tarifvertrages, je größer dessen Geltungsbereich ist; Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotentiale bleiben ungenutzt. Und wie man einen Badegast am Kassenhäuschen vom Schwimmvergnügen abhalten kann, so lassen sich auch Arbeitnehmer von Tarifverträgen ausschließen, weil diese - zumindest formaljuristisch - nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten.
Hat man diese entscheidende Grundannahme (Zweifel an ihr versucht Vogel - nicht ganz überzeugend - mit den Tarifabweichungen bei Burda, Viessmann und in Standortsicherungsverträgen zu entkräften) erst einmal geschluckt, kann man dem Autor ohne große Mühe in seiner weiteren Argumentation folgen. So schließen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig in gemeinsamen Clubs zusammen, weil beide das gleiche Ziel haben, die Wertschöpfung der Unternehmen zu steigern: zu einem Produktionsclub - also dem Betrieb, in dem die Wertschöpfung erwirtschaftet wird - und einem Verteilungsclub, der mit den Arbeitsbedingungen implizit auch die Produktionsweisen sowie die Höhe und Verteilung der Wertschöpfung festlegt.
Die Gretchenfrage lautet: Wie groß sollte der Verteilungsclub idealerweise sein? Ins Praktische übersetzt: Auf welcher Ebene sollten Tarifverhandlungen geführt werden, um optimale Ergebnisse zu erreichen? Da die Wertschöpfung um so höher ausfallen dürfte, je homogener die in einem Verteilungsclub zusammengeschlossenen Unternehmen sind, und da in der Arbeits- und Betriebspraxis eine immer größere Heterogenität feststellbar ist, scheint die Bildung kleinerer Verteilungsclubs, also eine Dezentralisierung der Tarifverhandlungen, ratsam. Allerdings läßt sich das optimale Ausmaß der Deregulierung nur schwer bestimmen. Die betriebliche Praxis legt aber zumindest den Schluß nahe, daß es noch nicht erreicht ist; sonst würden die drei Reaktionsmöglichkeiten - Verbandsflucht (die ökonomische Theorie kennt dafür den von Albert Hirschman geprägten Terminus "Exit"), Verhandlungen über Öffnungsklauseln ("Voice") und Unterlaufen des Flächentarifs (Verstoß gegen die Clubregeln) - nicht so intensiv genutzt.
Vogel versucht erstmals, die Frage nach der optimalen Ebene von Tarifverhandlungen mit Hilfe der Clubtheorie zu untersuchen. Seine Analyse ist solide und klar. Gerechnet wird in dem Buch nicht, was man - je nach wissenschaftlichem Temperament - als Vorteil oder Mangel bewerten mag; die theoretischen Wirkungsmechanismen werden graphisch erläutert. Zudem beschränkt sich der Autor in seiner Argumentation häufig auf Plausibilitätsüberlegungen und Indizienbeweise - wohl auch deshalb, weil sich ein empirischer Nachweis nicht immer erbringen läßt oder den Rahmen gesprengt hätte.
Den größten Teil der Arbeit (mehr als 200 Seiten) verbraucht Vogel für die Herleitung seiner clubtheoretischen Schlußfolgerungen; da viele Sachverhalte unstrittig sind, hätte man hier etwas straffen können. Die Handlungsempfehlungen für Tarifvertragsparteien und Gesetzgeber werden dagegen auf gerade einmal 14 Seiten abgehandelt. Das mag daran liegen, daß sämtliche Varianten - tarifvertragliche Öffnungsklauseln, Spartentarife sowie Options- und Korridorlösungen als erste, gesetzliche Öffnungsklauseln und eine Änderung des Günstigkeitsprinzips im Tarifvertragsgesetz als weiterführende Schritte - im Urteil der Clubtheorie durchfallen, da sie die Handlungsfreiräume der Betriebsparteien nicht ausreichend erhöhen. Diesen Anspruch erfüllt allein die Streichung des Tarifvorbehalts im Betriebsverfassungsgesetz; diese aber muß zwingend mit einer Neuregelung der Tariffähigkeit auf Arbeitnehmerseite verbunden sein: Nur wenn neben den Gewerkschaften auch andere Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern (unterhalb, auf oder oberhalb der Unternehmensebene) tariffähig sind, wird die negative Koalitionsfreiheit gewahrt und institutioneller Wettbewerb in der Lohnfindung entfacht. Die Gegner des Tarifkartells und die Freunde der Deregulierung mögen dieses theoretische Werk mit einem zufriedenen "Quod erat demonstrandum" ins Regal stellen - auch wenn der Titel "Neue Wege in der Tarifpolitik" mehr verspricht, als Vogel einzulösen vermag. Eine andere Überschrift hätte das Anliegen des Buches vielleicht besser zum Ausdruck gebracht. Daß im ersten Kapitel veraltete Daten verwendet und längst abgeschaffte Paragraphen zitiert werden, gibt dem Buch zudem den Anschein des Überholten, obschon die darin enthaltenen Mahnungen nichts von ihrer Dringlichkeit und Aktualität eingebüßt haben.
NICO FICKINGER
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