Mit "Neues vom Watership Down" legte Richard Adams den Folgeband seines "Kultbuchs" "Unten am Fluß" vor. Er nimmt seine Fans und alle, die es werden wollen, mit zu den Kreidehügeln der Downs, der Heimat des gewieften Hazel und seiner langohrigen Freunde. "Das Utopia, um dessen Errichtung die Kaninchen so gekämpft hatten, ist nun fest etabliert. Die neuen, anrührenden Geschichten hier handeln nicht mehr von Schwierigkeiten und Gefahren, sie sind mehr wie ein gelegentlicher Schluckauf im Paradies - Alltäglichkeiten also, die jede Gesellschaft zu bewältigen hat. ... Es ist ein Vergnügen, Adams' Gestalten wiederzubegegnen." (The Times.)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Ewig mümmeln die Kaninchen
Unverdrossen: Richard Adams setzt "Watership Down" fort / Von Eva Menasse
Modern Märchen erzählen, ohne die Ideologiekeule allzu sichtbar zu schwingen; von einem heiteren Grundton getragene Parabeln schaffen, ohne allzu oberlehrerhaft zu wirken; die gute alte Gattung der Tierfabel von Walt Disney wiederaufleben lassen - all das hat der Brite Richard Adams, Schöpfer der altklugen Kaninchen vom "Watership Down" (Unten am Fluß), im Sinn.
Nach dem Welterfolg legt er nun einen Folgeband unter dem Titel "Neues vom Watership Down" vor, der in Anspruch und Tonlage das erprobte Erfolgsrezept bruchlos weiterführt. Die Kaninchen mit ihrer merkwürdigen, druidisch angehauchten Sprache, die ein eigenes Glossar erfordert, sind wieder da. Meisterhaft und hinterhältig, wie als Rätselrallye für Literaturliebhaber, mischt Adams Motive aus der klassischen Mythologie und dem europäischen Volks- und Sagengut in die Geschichten rund um El-ahrairah, dem Kaninchen-Volkshelden, der tüchtig wie Herakles, kriegerisch wie Siegfried, listig wie Odysseus und so weise, gelassen und gerecht wie eine Personalunion aus König Artus und Christus ist.
Diese spielerisch und phantasievoll im Mythos getränkten Abenteuer El-ahrairahs gehören zum Besten des Buchs, um so mehr, je stärker sie mit irrationalen, übernatürlichen Elementen hantieren. Gleich die erste Geschichte etwa, in der El-ahrairah sich in eine Art Unterwelt aufmacht, um dort für die Kaninchen den Geruchssinn zu erbitten, ist dafür beispielhaft: Sie erinnert erstens an Prometheus, der für die Menschen das lebensnotwendige Feuer herbeischaffte, und zeigt außerdem augenzwinkernd, wie alle Gesellschaften, so eben auch Adams' literarische Kaninchen, für den gegenwärtigen Zustand ihrer Welt zumindest sagenhafte Begründungen zu finden bemüht sind, weil sie Begründungen brauchen.
Die Moral steckt hier bloß in nebensächlichen Details - El-ahrairah lernt auf seiner Suche nach dem Geruchssinn auch den "König von Gestern" kennen, der über ein Reich voller ausgestorbener Tiere herrscht - und kann guten Gewissens überlesen werden.
Dabei bleibt es leider nicht. Wenn Adams sich und den Leser nicht einfach den Höhenflügen von Mythos und Phantasie überläßt, sondern sich den "realen" Tagesereignissen seiner Kaninchenpopulation zuwendet, springt der moralische Knüppel gelegentlich dicke aus dem Sack: In der Geschichte über den erst präpotenten, dann geläuterten Angeber Sandwort etwa, die im Grunde nur den sauren Lehrsatz vom Hochmut, der vor dem Fall kommt, neu illustriert, oder in jener über Stonecrop, der, von Menschen in einem Verschlag aufgezogen, wegen seines "Menschengestanks" von den Wildkaninchen beinahe getötet wird, würde sich nicht in letzter Sekunde das reichlich humanistische Leitkaninchen Hazel mitsamt seiner ganzen Autorität dazwischenwerfen. Und die faschistisch gedrillten Kaninchen General Woundworts wurden zwar glücklicherweise bereits in "Unten am Fluß" besiegt, tauchen am Rande aber immer wieder auf: Unter dem Zeichen von Versöhnung und Verständnis darf etwa Hauptmann Campion, ein Veteran aus Woundworts Armee, weiterhin mit Freiwilligen etwas abhalten, was an Wehrsportübungen gemahnt.
Richard Adams' Gabe, mit leichter Hand diese Kaninchengeschichten zu erzählen und damit alte und junge, literarisch gebildete oder bloß am Comic geschulte Leser in seinen Bann zu ziehen, hat etwas Faszinierendes und etwas Irritierendes zugleich. Irritierend ist die Massenkompatibilität, die ungeheure Geschmacksbreite seiner Stories, aus denen jeder so viel oder so wenig Belehrung ziehen kann, wie es ihm gerade beliebt. Vielleicht ist das der Grund, warum "Watership Down", der erste Band, auf unzähligen "Lieblingsbücher-Listen" im Internet vertreten ist. Trotz seines märchenhaften Talents für das Fabulieren muß sich Adams den Vorwurf gefallen lassen, daß "Neues vom Watership Down" der Inbegriff eines Buchs zum Verschenken ist: Mit den menschlichen Kaninchen trifft man jeden Geschmack.
Richard Adams: "Neues vom Watership Down". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Fred Schmitz. Ullstein Verlag, Berlin 1997. 270 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unverdrossen: Richard Adams setzt "Watership Down" fort / Von Eva Menasse
Modern Märchen erzählen, ohne die Ideologiekeule allzu sichtbar zu schwingen; von einem heiteren Grundton getragene Parabeln schaffen, ohne allzu oberlehrerhaft zu wirken; die gute alte Gattung der Tierfabel von Walt Disney wiederaufleben lassen - all das hat der Brite Richard Adams, Schöpfer der altklugen Kaninchen vom "Watership Down" (Unten am Fluß), im Sinn.
Nach dem Welterfolg legt er nun einen Folgeband unter dem Titel "Neues vom Watership Down" vor, der in Anspruch und Tonlage das erprobte Erfolgsrezept bruchlos weiterführt. Die Kaninchen mit ihrer merkwürdigen, druidisch angehauchten Sprache, die ein eigenes Glossar erfordert, sind wieder da. Meisterhaft und hinterhältig, wie als Rätselrallye für Literaturliebhaber, mischt Adams Motive aus der klassischen Mythologie und dem europäischen Volks- und Sagengut in die Geschichten rund um El-ahrairah, dem Kaninchen-Volkshelden, der tüchtig wie Herakles, kriegerisch wie Siegfried, listig wie Odysseus und so weise, gelassen und gerecht wie eine Personalunion aus König Artus und Christus ist.
Diese spielerisch und phantasievoll im Mythos getränkten Abenteuer El-ahrairahs gehören zum Besten des Buchs, um so mehr, je stärker sie mit irrationalen, übernatürlichen Elementen hantieren. Gleich die erste Geschichte etwa, in der El-ahrairah sich in eine Art Unterwelt aufmacht, um dort für die Kaninchen den Geruchssinn zu erbitten, ist dafür beispielhaft: Sie erinnert erstens an Prometheus, der für die Menschen das lebensnotwendige Feuer herbeischaffte, und zeigt außerdem augenzwinkernd, wie alle Gesellschaften, so eben auch Adams' literarische Kaninchen, für den gegenwärtigen Zustand ihrer Welt zumindest sagenhafte Begründungen zu finden bemüht sind, weil sie Begründungen brauchen.
Die Moral steckt hier bloß in nebensächlichen Details - El-ahrairah lernt auf seiner Suche nach dem Geruchssinn auch den "König von Gestern" kennen, der über ein Reich voller ausgestorbener Tiere herrscht - und kann guten Gewissens überlesen werden.
Dabei bleibt es leider nicht. Wenn Adams sich und den Leser nicht einfach den Höhenflügen von Mythos und Phantasie überläßt, sondern sich den "realen" Tagesereignissen seiner Kaninchenpopulation zuwendet, springt der moralische Knüppel gelegentlich dicke aus dem Sack: In der Geschichte über den erst präpotenten, dann geläuterten Angeber Sandwort etwa, die im Grunde nur den sauren Lehrsatz vom Hochmut, der vor dem Fall kommt, neu illustriert, oder in jener über Stonecrop, der, von Menschen in einem Verschlag aufgezogen, wegen seines "Menschengestanks" von den Wildkaninchen beinahe getötet wird, würde sich nicht in letzter Sekunde das reichlich humanistische Leitkaninchen Hazel mitsamt seiner ganzen Autorität dazwischenwerfen. Und die faschistisch gedrillten Kaninchen General Woundworts wurden zwar glücklicherweise bereits in "Unten am Fluß" besiegt, tauchen am Rande aber immer wieder auf: Unter dem Zeichen von Versöhnung und Verständnis darf etwa Hauptmann Campion, ein Veteran aus Woundworts Armee, weiterhin mit Freiwilligen etwas abhalten, was an Wehrsportübungen gemahnt.
Richard Adams' Gabe, mit leichter Hand diese Kaninchengeschichten zu erzählen und damit alte und junge, literarisch gebildete oder bloß am Comic geschulte Leser in seinen Bann zu ziehen, hat etwas Faszinierendes und etwas Irritierendes zugleich. Irritierend ist die Massenkompatibilität, die ungeheure Geschmacksbreite seiner Stories, aus denen jeder so viel oder so wenig Belehrung ziehen kann, wie es ihm gerade beliebt. Vielleicht ist das der Grund, warum "Watership Down", der erste Band, auf unzähligen "Lieblingsbücher-Listen" im Internet vertreten ist. Trotz seines märchenhaften Talents für das Fabulieren muß sich Adams den Vorwurf gefallen lassen, daß "Neues vom Watership Down" der Inbegriff eines Buchs zum Verschenken ist: Mit den menschlichen Kaninchen trifft man jeden Geschmack.
Richard Adams: "Neues vom Watership Down". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Fred Schmitz. Ullstein Verlag, Berlin 1997. 270 S., geb., 36,- DM.
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