Lanzarote, am Neujahrsmorgen: Henning sitzt auf dem Fahrrad und will den Steilaufstieg nach Femés bezwingen. Seine Ausrüstung ist miserabel, das Rad zu schwer, Proviant nicht vorhanden. Während er gegen Wind und Steigung kämpft, lässt er seine Lebenssituation Revue passieren. Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Er hat zwei gesunde Kinder und einen passablen Job. Mit seiner Frau Theresa praktiziert er ein modernes, aufgeklärtes Familienmodell, bei dem sich die Eheleute in gleichem Maße um die Familie kümmern. Aber Henning geht es schlecht. Er lebt in einem Zustand permanenter Überforderung. Familienernährer, Ehemann, Vater - in keiner Rolle findet er sich wieder. Seit Geburt seiner Tochter leidet er unter Angstzuständen und Panikattacken, die ihn regelmäßig heimsuchen wie ein Dämon. Als Henning schließlich völlig erschöpft den Pass erreicht, trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Er war als Kind schon einmal hier in Femés. Damals hatte sich etwas Schreckliches zugetragen - etwas so Schreckliches, dass er es bis heute verdrängt hat, weggesperrt irgendwo in den Tiefen seines Wesens. Jetzt aber stürzen die Erinnerungen auf ihn ein, und er begreift: Was seinerzeit geschah, verfolgt ihn bis heute.
»Weil beides, der Thriller und die Gesellschaftsanalyse, hier so dicht ineinandergreifen, ist 'Neujahr' vielleicht Juli Zehs bislang bestes Buch.« Karin Janker / Süddeutsche Zeitung
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Petra Kohse hat den Verdacht, dass Juli Zehs Romane ihren eigenen Mitteln nicht trauen. Da sitzt erzählerisch eigentlich alles, ist fest im Alltagsleben verankert, hat Spannung und liest sich flott, erklärt Kohse, und doch bleibt bei der Rezensentin ein schaler Geschmack. Die Ängste eines Familienvaters aus dem akademischen Milieu, von Zeh laut Kohse detailliert und fokussiert entworfen, wirken im Text auf die Rezensentin mitunter wie auserzähltes Schulfunkwissen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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