Neue Religionen, häufig auch als Jugendsekten oder Psychogruppen stigmatisiert, genießen kein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Es assoziieren sich mit ihnen Vorstellungen wie Gehirnwäsche, finanzielle Bereicherung einer kleinen Funktionärselite oder in Einzelfällen sogar die Gefährdung der rechtsstaatlichen Ordnung. Eine solche Außensicht stellt den Anspruch der betroffenen Gruppierungen, religiöser Natur zu sein, grundsätzlich in Abrede.
Auch die Religionswissenschaftler Douglas E. Cowan und David G. Bromley nähern sich neuen Religionen aus einer Außenperspektive, ziehen jedoch das religiöse Selbstverständnis der Akteure nicht in Zweifel. In Neureligionen und ihre Kulte wird die Geschichte von acht neureligiösen Bewegungen erzählt, unter ihnen große Organisationen wie Scientology und Kleingruppen wie die UFO-Anhänger von 'Heaven's Gate', an die man sich vielleicht wegen ihres aufsehenerregenden Suizids erinnert. Im Vordergrund steht zunächst der Versuch zu verstehen, wie solche Bewegungen entstanden sind und was ihre Attraktivität ausmacht: Wer sind die Gründer, und wodurch gelangten sie zu ihren Überzeugungen? Wie rekrutieren sie Anhänger? Was sind die Kernelemente ihrer Lehrsysteme und die grundlegenden Ritualpraktiken? Erst nachdem ihre sinnstiftende 'Vision der unsichtbaren Ordnung' (William James) verständlich geworden ist, werden die Organisationsform und die Sozialstruktur der jeweiligen Gruppierung dargelegt und analysiert.Jede einzelne Darstellung ist ein in sich geschlossenes Porträt, das aber zugleich als Paradigma für generelle Kontroversen zwischen religiösen Minderheiten und der Mehrheitsgesellschaft dient: über die Frage der Gewalt und der Sexualität zum Beispiel und welche Rolle die Medien bei der Austragung von Konflikten spielen. Die zentrale Frage aber lautet: Wer hat die Deutungshoheit, was oder was nicht als Religion bezeichnet zu werden verdient?
Auch die Religionswissenschaftler Douglas E. Cowan und David G. Bromley nähern sich neuen Religionen aus einer Außenperspektive, ziehen jedoch das religiöse Selbstverständnis der Akteure nicht in Zweifel. In Neureligionen und ihre Kulte wird die Geschichte von acht neureligiösen Bewegungen erzählt, unter ihnen große Organisationen wie Scientology und Kleingruppen wie die UFO-Anhänger von 'Heaven's Gate', an die man sich vielleicht wegen ihres aufsehenerregenden Suizids erinnert. Im Vordergrund steht zunächst der Versuch zu verstehen, wie solche Bewegungen entstanden sind und was ihre Attraktivität ausmacht: Wer sind die Gründer, und wodurch gelangten sie zu ihren Überzeugungen? Wie rekrutieren sie Anhänger? Was sind die Kernelemente ihrer Lehrsysteme und die grundlegenden Ritualpraktiken? Erst nachdem ihre sinnstiftende 'Vision der unsichtbaren Ordnung' (William James) verständlich geworden ist, werden die Organisationsform und die Sozialstruktur der jeweiligen Gruppierung dargelegt und analysiert.Jede einzelne Darstellung ist ein in sich geschlossenes Porträt, das aber zugleich als Paradigma für generelle Kontroversen zwischen religiösen Minderheiten und der Mehrheitsgesellschaft dient: über die Frage der Gewalt und der Sexualität zum Beispiel und welche Rolle die Medien bei der Austragung von Konflikten spielen. Die zentrale Frage aber lautet: Wer hat die Deutungshoheit, was oder was nicht als Religion bezeichnet zu werden verdient?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2010Gretchenfrage
Definieren könne man nur, so bemerkte Nietzsche einmal, was keine Geschichte hat. Ein Diktum, das einem gleich in den Sinn kommt, wenn man neuere evolutionspsychologische Versuche durchmustert, sich einen Begriff von Religion oder religiösem Empfinden zurechtzulegen. Erst recht natürlich dann, wenn es darum geht, bei bestimmten Gruppen der Gegenwart die Diagnose zu stellen, ob man es da nun mit der Ausübung einer Religion zu tun habe oder nicht. Zumal diese Frage beantwortet sein will, wenn von der Antwort nicht nur gesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch ganz handfeste Vorteile wie etwa Steuerbefreiungen abhängen. Die Einschätzungen liegen dann, wie das Beispiel der Scientology-Kirche vor Augen führt, in verschiedenen Staaten weit auseinander. Scientology ist nur eine der "Neureligionen", denen sich die beiden amerikanischen Religionswissenschaftler Douglas Cowen und David Bromley widmen. Wobei der von ihnen verwendete Terminus "Neureligion" weniger für eine ausgefeilte Antwort auf die normativ aufgeladene Gretchenfrage steht, sondern vor allem zum Ausdruck bringt, dass die beiden Autoren das Selbstverständnis der von ihnen vorgestellten Gruppierungen ernst nehmen. Deren Lehren und Gemeinschaftsformen werden in den einzelnen Kapiteln bündig resümiert, ob nun Scientology, Transzendentale Meditation, Wicca-Kult oder andere. Eine lesenswerte Darstellung, um Phänomene vor sich zu haben, die beim Debattieren über ihren gesellschaftlichen Stellenwert und die mit ihnen verknüpften religiös-spirituellen Ambitionen oft schnell hinter Klischees verschwinden. (Douglas E. Cowan und David G. Bromley: "Neureligionen und ihre Kulte". Aus dem Amerikanischen von Claus-Jürgen Thornton". Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Berlin 2010. 321 S., geb., 26,90 [Euro].) hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Definieren könne man nur, so bemerkte Nietzsche einmal, was keine Geschichte hat. Ein Diktum, das einem gleich in den Sinn kommt, wenn man neuere evolutionspsychologische Versuche durchmustert, sich einen Begriff von Religion oder religiösem Empfinden zurechtzulegen. Erst recht natürlich dann, wenn es darum geht, bei bestimmten Gruppen der Gegenwart die Diagnose zu stellen, ob man es da nun mit der Ausübung einer Religion zu tun habe oder nicht. Zumal diese Frage beantwortet sein will, wenn von der Antwort nicht nur gesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch ganz handfeste Vorteile wie etwa Steuerbefreiungen abhängen. Die Einschätzungen liegen dann, wie das Beispiel der Scientology-Kirche vor Augen führt, in verschiedenen Staaten weit auseinander. Scientology ist nur eine der "Neureligionen", denen sich die beiden amerikanischen Religionswissenschaftler Douglas Cowen und David Bromley widmen. Wobei der von ihnen verwendete Terminus "Neureligion" weniger für eine ausgefeilte Antwort auf die normativ aufgeladene Gretchenfrage steht, sondern vor allem zum Ausdruck bringt, dass die beiden Autoren das Selbstverständnis der von ihnen vorgestellten Gruppierungen ernst nehmen. Deren Lehren und Gemeinschaftsformen werden in den einzelnen Kapiteln bündig resümiert, ob nun Scientology, Transzendentale Meditation, Wicca-Kult oder andere. Eine lesenswerte Darstellung, um Phänomene vor sich zu haben, die beim Debattieren über ihren gesellschaftlichen Stellenwert und die mit ihnen verknüpften religiös-spirituellen Ambitionen oft schnell hinter Klischees verschwinden. (Douglas E. Cowan und David G. Bromley: "Neureligionen und ihre Kulte". Aus dem Amerikanischen von Claus-Jürgen Thornton". Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Berlin 2010. 321 S., geb., 26,90 [Euro].) hmay
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»Eine lesenswerte Darstellung, um Phänomene vor sich zu haben, die beim Debattieren über ihren gesellschaftlichen Stellenwert ... oft schnell hinter Klischees veschwinden.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20101011