Unter Neuro-Enhancement versteht man Maßnahmen zur gezielten Verbesserung geistiger Fähigkeiten oder psychischer Befindlichkeiten bei Gesunden. Dank des großen neurowissenschaftlichen Erkenntniszuwachses der letzten Jahre sind etliche Ansätze zum Verständnis und zur Behandlung von krankhaften Befunden wie Gedächtnisschwund, Aufmerksamkeitsstörungen, Depressionen oder Narkolepsie (Schlafsucht) entwickelt worden. Die pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen, die hier wirksam Abhilfe schaffen können, eignen sich zum Teil zugleich auch als Enhancement-Methoden - eben bei Gesunden. Der vorliegende Sammelband beleuchtet ethische und soziale Aspekte, die sich aus der Anwendung von Neuro-Enhancement ergeben: neben den grundsätzlichen Möglichkeiten für Neuro-Enhancement Fragen der Authentizität und Verantwortlichkeit des Individuums, soziale Folgen mit Blick auf Gerechtigkeit und Wettbewerbspraxis, zugrundeliegendes ärztliches Aufgaben- und Rollenverständnis. Das Buch ist ein transdisziplinärer Diskurs mit Stimmen aus Philosophie, Medizin, Rechts-, Neuro- und Politikwissenschaften.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2009Gute Stimmung per Pille
Die Stichworte heißen Fluctin, Prozac, Modafinil oder Ritalin. Es sind Wirkstoffe, die ursprünglich für bestimmte medizinische Anwendungen entwickelt wurden, zur Therapierung von Depressionen, von Schlafsucht oder von ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom). Doch dann kamen diese Pharmaka über die ursprünglich anvisierten Behandlungszwecke hinaus in Gebrauch: zur Stimmungsaufhellung, als Wachmacher und für die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit. Sie sind Mittel zur Steigerung psychischer und kognitiver Belastbarkeit geworden oder, mit einem Begriff, der sich in den letzten Jahren in den einschlägigen Diskussionen etablierte: Pillen für "Neuro-Enhancement".
Es ist davon auszugehen, dass die Palette der in Anspruch genommenen Mittel für solches Neuro-Enhancement breiter werden wird: in Gestalt von neuen Psychopharmaka, von nichtinvasiven Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation und invasiven Varianten der Neurostimulation. Wenig lässt sich zwar einstweilen konkret über die tatsächlichen Wirkungen und erst recht über mögliche unerwünschte Effekte sagen. Aber die direkten Zugriffsmöglichkeiten auf die neurologische Basis unserer Fähigkeiten werden wohl zunehmen. Auch wenn sich offenkundige fatale Nebenwirkungen vermeiden oder gering halten ließen: Was spricht für oder gegen solche Maßnahmen des direkt am neuronalen Substrat ansetzenden Selbstdesigns?
Dieser Frage widmet sich ein exzellenter Sammelband, der vor Augen führt, dass man auf diesem Terrain scharf gezogene Grenzlinien nicht erwarten darf ("Neuro-Enhancement". Ethik vor neuen Herausforderungen. Herausgegeben von Bettina Schöne-Seifert und anderen. Mentis Verlag, Paderborn 2009. 367 S., br., 39,80 [Euro]). Unterscheidungen zwischen natürlichen und künstlich induzierten Veränderungen unserer psychischen Ausstattung führen nicht weit. Wir sind natürlich-kulturelle Wesen, die von jeher mit der Überformung dieser Ausstattung beschäftigt sind. Trotzdem befällt viele ein Unbehagen, wenn es um die neuen Formen des Neuro-Enhancement geht. Als ob mit ihnen etwas verlorengehen könnte, worauf wir nicht Verzicht leisten sollten.
Die dahinterstehenden Intuitionen sind verschiedener Art. Es kann die Ansicht sein, dass nur das selbst Erworbene zählt, dass die pharmakologische Modulation in irgendeiner Weise äußerlich und instabil bleibt, dass authentischer Selbstbezug verlorengeht. Hinzu kommen Prognosen, dass auf der einen Seite der normierende gesellschaftliche Druck wachsen werde, sich dieser Mittel zu bedienen, und auf der anderen Seite ungerechte Nachteile für jene entstehen, die sie sich nicht leisten können.
Die Beiträge des Bandes sondieren diese Bedenken auf mustergültige Art. Wollte man das Ergebnis resümieren, lautet es am ehesten: Die Befürchtungen sind äußerst aufschlussreich für unsere Vorstellungen von Individualität und Zurechenbarkeit, weisen auch auf heikle Fälle und Regelungsbedarf, lassen sich aber nicht einfach zu tragfähigen Argumenten allgemeiner Art gegen anvisierte Varianten von Neuro-Enhancement entwickeln.
Selbst dort, wo man sich abseits der oft gar nicht leicht abzuwägenden Konzepte von Selbstsein, Gesundheit und Therapiebedarf auf einfachem Grund wähnt, sind die Wege nicht gebahnt: Unterschiedlichen Zugang zu Enhancement-Angeboten wird es geben, aber der ist auch beim heutigen Stand der Mittel die Regel. Der Status quo ist nicht bloß nicht zu halten, sondern auch genauso kritisch unter die Lupe zu nehmen wie prognostizierte Möglichkeiten.
Der Band zeigt, wie nuanciert auf diesem Feld der medizinischen Ethik von Ärzten, Psychologen, Neurowissenschaftlern und Philosophen - oft auch in Personalunion - mittlerweile argumentiert wird. Genauso wie ein gleichzeitig erschienener Band, der bereits als "klassisch" geltende Beiträge zur allgemeinen Enhancement-Debatte versammelt, also auch zu Sportdoping, Schönheitschirurgie, gentechnischen Verbesserungsabsichten und Anti-Aging-Therapien - fast durchweg zum ersten Mal in deutschen Übersetzungen ("Enhancement". Die ethische Debatte. Herausgegeben von Bettina Schöne-Seifert und Davinia Talbot. Mentis Verlag, Paderborn 2009. 411 S., br., 38,- [Euro]).
Nicht die großen Alles-oder-nichts-Fragen nach einem grundlegend neuen Menschenbild oder "dem" freien Willen geben da den Ausschlag, sondern die über den Stand und die mögliche Zukunft medizinisch-technischer Möglichkeiten wohl informierte Aufmerksamkeit für die unspektakuläreren, dafür aber tatsächlich wirksamen und absehbaren Modifikationen unserer selbst. Sich näher mit diesen Aussichten zu befassen, dazu geben diese beiden Bände ausgezeichnete Gelegenheit.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Stichworte heißen Fluctin, Prozac, Modafinil oder Ritalin. Es sind Wirkstoffe, die ursprünglich für bestimmte medizinische Anwendungen entwickelt wurden, zur Therapierung von Depressionen, von Schlafsucht oder von ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom). Doch dann kamen diese Pharmaka über die ursprünglich anvisierten Behandlungszwecke hinaus in Gebrauch: zur Stimmungsaufhellung, als Wachmacher und für die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit. Sie sind Mittel zur Steigerung psychischer und kognitiver Belastbarkeit geworden oder, mit einem Begriff, der sich in den letzten Jahren in den einschlägigen Diskussionen etablierte: Pillen für "Neuro-Enhancement".
Es ist davon auszugehen, dass die Palette der in Anspruch genommenen Mittel für solches Neuro-Enhancement breiter werden wird: in Gestalt von neuen Psychopharmaka, von nichtinvasiven Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation und invasiven Varianten der Neurostimulation. Wenig lässt sich zwar einstweilen konkret über die tatsächlichen Wirkungen und erst recht über mögliche unerwünschte Effekte sagen. Aber die direkten Zugriffsmöglichkeiten auf die neurologische Basis unserer Fähigkeiten werden wohl zunehmen. Auch wenn sich offenkundige fatale Nebenwirkungen vermeiden oder gering halten ließen: Was spricht für oder gegen solche Maßnahmen des direkt am neuronalen Substrat ansetzenden Selbstdesigns?
Dieser Frage widmet sich ein exzellenter Sammelband, der vor Augen führt, dass man auf diesem Terrain scharf gezogene Grenzlinien nicht erwarten darf ("Neuro-Enhancement". Ethik vor neuen Herausforderungen. Herausgegeben von Bettina Schöne-Seifert und anderen. Mentis Verlag, Paderborn 2009. 367 S., br., 39,80 [Euro]). Unterscheidungen zwischen natürlichen und künstlich induzierten Veränderungen unserer psychischen Ausstattung führen nicht weit. Wir sind natürlich-kulturelle Wesen, die von jeher mit der Überformung dieser Ausstattung beschäftigt sind. Trotzdem befällt viele ein Unbehagen, wenn es um die neuen Formen des Neuro-Enhancement geht. Als ob mit ihnen etwas verlorengehen könnte, worauf wir nicht Verzicht leisten sollten.
Die dahinterstehenden Intuitionen sind verschiedener Art. Es kann die Ansicht sein, dass nur das selbst Erworbene zählt, dass die pharmakologische Modulation in irgendeiner Weise äußerlich und instabil bleibt, dass authentischer Selbstbezug verlorengeht. Hinzu kommen Prognosen, dass auf der einen Seite der normierende gesellschaftliche Druck wachsen werde, sich dieser Mittel zu bedienen, und auf der anderen Seite ungerechte Nachteile für jene entstehen, die sie sich nicht leisten können.
Die Beiträge des Bandes sondieren diese Bedenken auf mustergültige Art. Wollte man das Ergebnis resümieren, lautet es am ehesten: Die Befürchtungen sind äußerst aufschlussreich für unsere Vorstellungen von Individualität und Zurechenbarkeit, weisen auch auf heikle Fälle und Regelungsbedarf, lassen sich aber nicht einfach zu tragfähigen Argumenten allgemeiner Art gegen anvisierte Varianten von Neuro-Enhancement entwickeln.
Selbst dort, wo man sich abseits der oft gar nicht leicht abzuwägenden Konzepte von Selbstsein, Gesundheit und Therapiebedarf auf einfachem Grund wähnt, sind die Wege nicht gebahnt: Unterschiedlichen Zugang zu Enhancement-Angeboten wird es geben, aber der ist auch beim heutigen Stand der Mittel die Regel. Der Status quo ist nicht bloß nicht zu halten, sondern auch genauso kritisch unter die Lupe zu nehmen wie prognostizierte Möglichkeiten.
Der Band zeigt, wie nuanciert auf diesem Feld der medizinischen Ethik von Ärzten, Psychologen, Neurowissenschaftlern und Philosophen - oft auch in Personalunion - mittlerweile argumentiert wird. Genauso wie ein gleichzeitig erschienener Band, der bereits als "klassisch" geltende Beiträge zur allgemeinen Enhancement-Debatte versammelt, also auch zu Sportdoping, Schönheitschirurgie, gentechnischen Verbesserungsabsichten und Anti-Aging-Therapien - fast durchweg zum ersten Mal in deutschen Übersetzungen ("Enhancement". Die ethische Debatte. Herausgegeben von Bettina Schöne-Seifert und Davinia Talbot. Mentis Verlag, Paderborn 2009. 411 S., br., 38,- [Euro]).
Nicht die großen Alles-oder-nichts-Fragen nach einem grundlegend neuen Menschenbild oder "dem" freien Willen geben da den Ausschlag, sondern die über den Stand und die mögliche Zukunft medizinisch-technischer Möglichkeiten wohl informierte Aufmerksamkeit für die unspektakuläreren, dafür aber tatsächlich wirksamen und absehbaren Modifikationen unserer selbst. Sich näher mit diesen Aussichten zu befassen, dazu geben diese beiden Bände ausgezeichnete Gelegenheit.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit Lob bedenkt Helmut Mayer diesen von Bettina Schöne-Seifert herausgegebenen Band über die ethische Debatte des "Neuro-Enhancement", also des Gehirndopings mit Psychopharmaka, die ursprünglich für den medizinisch-therapeutisch Einsatz entwickelt wurden. Im Zentrum der Diskussion sieht er die Frage nach der ethischen Bewertung einer Einnahme dieser Medikamente bei Gesunden im Dienste des Selbstdesigns. Die Beiträge sondieren für Mayer Bedenken und Befürchtungen auf überzeugende und erhellende Art. Sie führen für ihn zudem vor Augen, wie "nuanciert" auf diesem Feld der medizinischen Ethik inzwischen argumentiert wird. Sein Fazit: ein "exzellenter Sammelband".
© Perlentaucher Medien GmbH
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