Immer mehr Chinesen zieht es in den Ferien nach Europa. Christoph Rehage hat sich einer dieser Reisegruppen angeschlossen, um herauszufinden, was die Asiaten wirklich über uns und unsere Heimat denken. Der Vorteil: Er spricht fließend Mandarin und kann so die Erfahrungen der Gruppe intensiv miterleben. Auf dem Programm der dreizehntägigen Erkundungstour stehen kulturelle Pflichtstationen wie Schloss Neuschwanstein, Michelangelos David in Florenz und der Eiffelturm in Paris. Aber auch heimliche Lieblingsziele der Chinesen: Einkaufszentren und Luxusboutiquen. In seinem klugen und zugleich amüsanten Buch erklärt Christoph Rehage nicht nur die Faszination von Kuckucksuhren und deutschem Babymilchpulver, sondern ermöglicht interessante Einblicke in eine uns fremde Kultur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2016NEUE REISEBÜCHER
Für den Tisch Was für ein Himmelfahrtskommando. Und was für ein Hochmut! Haarsträubend lesen sich die Details der Expedition von Salomon Andrée und seiner Mitstreiter aus Stockholm, die sich 1897 per Wasserstoffballon auf den Weg zum Nordpol machten. Der Expeditionsleiter war zwar Ingenieur, aber als reiner Schreibtischtäter im Patentamt. Mit seinem Ballon wurde nicht ein Probeflug unternommen. Er ist leck, von Anfang an, und Andrée weiß es. Da scheint der Wille, selbst die Eitelkeit größer als der eigene Glaube. Natürlich stürzt die Truppe ab, ihre Überreste werden Jahre später in Spitzbergen gefunden. Jedes Kind in Schweden kennt die Expedition, ihre Teilnehmer werden noch heute verehrt. Hat sich denn niemand die Mühe gemacht, ihre Geschichte so akribisch aufzubereiten, wie es Bea Uusma getan hat? An Besessenheit für ihr Projekt steht sie Andrée in nichts nach. Um das Rätsel der letzten Stunden im Leben der Männer zu lösen (man fand genug Nahrung, warme Kleidung, Zelte und Waffen bei ihnen), studierte die Autorin Medizin, heuerte selbst bei Arktisexpeditionen an, forschte in Archiven und Museen. In ihrem Buch vereint sie Tagebucheintragungen Andrées mit Obduktionsberichten, Theorien und eigenen Überlegungen zum Fall, die in beklemmender Dichte in ihrer Vision der Todesstunde münden. Zum Frösteln, in Schweden preisgekrönt als bestes Sachbuch des Jahres.
slt
Bea Uusma: "Die Expedition. Wie ich das Rätsel einer Polartragödie löste. Eine Liebesgeschichte". btb-Verlag, 320 Seiten, 29,99 Euro
Für die Tasche Touristengruppen führen ein seltsames Eigenleben. Besonders die aus Fernost. Nachdem die japanischen Gäste das Heidelberger Schloss ja schon lange wundknipsen, fallen seit einiger Zeit auch chinesische Reisegruppen auf, die nicht minder enthusiastisch wirken und doch unter sich bleiben. Die Gäste, die Europa besonders lieben, lernt man nie kennen. Insofern ist das Konzept des Buches "Neuschweinstein" nichts weniger als genial: Der Autor Christoph Rehage hat sich einfach in eine Reisegruppe aus Peking eingeschmuggelt und dann unseren Kontinent mit den Augen des Besuchers gesehen. Rehage spricht Mandarin, hofft also, kaum aufzufallen. Und dennoch dauert es 30 Seiten, bis er endlich seine Gruppe findet - Seiten, auf denen man schon viel über Chinas Kultur, nämlich die erstaunliche Korrektheit der Bürokraten und einen sehr förmlichen Ehrbegriff gelernt hat. Die Gruppe, die den Deutschen aufnimmt, ist nicht die erste, die er anspricht. Doch dann beginnt endlich eine Reise vom Isartor nach Imola, Florenz und Frankreich, eine dieser Rundfahrten mit weit über 1000 Kilometern Strecke. Die Chinesen schließen den Mann mit der großen Nase ins Herz, und das Buch wird ein Freundschaftsreiseroman im Reportagegewand. Sie üben zusammen die Aussprache von "Neuschwanstein", man erfährt, warum Chinesen das Naseputzen hassen, man ist dabei, wie der Deutsche ihnen beibringt, im Imbiss "mit alles und scharf" zu bestellen. Man fährt nach Venedig, Pisa und Paris mit der Gruppe, und am Ende auch ins Einkaufszentrum, weil es da Schallzahnbürsten gibt. Am Ende gefällt dem Protagonisten und Autor die Reise so gut, dass er nach einer kleinen Pause beschließt, alles in China noch einmal zu wiederholen: Er fliegt hin, um sich diesmal ganz regulär als Tourist durch das Land führen zu lassen. Vor allem aber, seine Freunde zu treffen, die aus der Reisegruppe. Nach und nach wandelt sich das Buch, bis es irgendwann keine Reportage mehr ist, sondern ein Roman. Das mag daran liegen, dass immer mehr von den Gefühlen der Figuren die Rede ist und dass der Autor versucht, in sich und die Chinesen hineinzusehen. So wird dieser Reisebericht auch eine Sitcom (wegen der wiederkehrenden Figuren) und manchmal auch tragikomisch. Der Deutsche hat etwas Böses, nämlich bloß Berichtendes über den brutalen Straßenverkehr Chinas gepostet. Nun ist Hou beleidigt. Sie können sich einfach nicht einigen. Also gehen sie still belgisches Bier trinken - wie sie es in Europa gelernt haben.
tlin
Christoph Rehage: "Neuschweinstein. Mit zwölf Chinesen durch Europa". Malik, 270 Seiten, 15 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch Was für ein Himmelfahrtskommando. Und was für ein Hochmut! Haarsträubend lesen sich die Details der Expedition von Salomon Andrée und seiner Mitstreiter aus Stockholm, die sich 1897 per Wasserstoffballon auf den Weg zum Nordpol machten. Der Expeditionsleiter war zwar Ingenieur, aber als reiner Schreibtischtäter im Patentamt. Mit seinem Ballon wurde nicht ein Probeflug unternommen. Er ist leck, von Anfang an, und Andrée weiß es. Da scheint der Wille, selbst die Eitelkeit größer als der eigene Glaube. Natürlich stürzt die Truppe ab, ihre Überreste werden Jahre später in Spitzbergen gefunden. Jedes Kind in Schweden kennt die Expedition, ihre Teilnehmer werden noch heute verehrt. Hat sich denn niemand die Mühe gemacht, ihre Geschichte so akribisch aufzubereiten, wie es Bea Uusma getan hat? An Besessenheit für ihr Projekt steht sie Andrée in nichts nach. Um das Rätsel der letzten Stunden im Leben der Männer zu lösen (man fand genug Nahrung, warme Kleidung, Zelte und Waffen bei ihnen), studierte die Autorin Medizin, heuerte selbst bei Arktisexpeditionen an, forschte in Archiven und Museen. In ihrem Buch vereint sie Tagebucheintragungen Andrées mit Obduktionsberichten, Theorien und eigenen Überlegungen zum Fall, die in beklemmender Dichte in ihrer Vision der Todesstunde münden. Zum Frösteln, in Schweden preisgekrönt als bestes Sachbuch des Jahres.
slt
Bea Uusma: "Die Expedition. Wie ich das Rätsel einer Polartragödie löste. Eine Liebesgeschichte". btb-Verlag, 320 Seiten, 29,99 Euro
Für die Tasche Touristengruppen führen ein seltsames Eigenleben. Besonders die aus Fernost. Nachdem die japanischen Gäste das Heidelberger Schloss ja schon lange wundknipsen, fallen seit einiger Zeit auch chinesische Reisegruppen auf, die nicht minder enthusiastisch wirken und doch unter sich bleiben. Die Gäste, die Europa besonders lieben, lernt man nie kennen. Insofern ist das Konzept des Buches "Neuschweinstein" nichts weniger als genial: Der Autor Christoph Rehage hat sich einfach in eine Reisegruppe aus Peking eingeschmuggelt und dann unseren Kontinent mit den Augen des Besuchers gesehen. Rehage spricht Mandarin, hofft also, kaum aufzufallen. Und dennoch dauert es 30 Seiten, bis er endlich seine Gruppe findet - Seiten, auf denen man schon viel über Chinas Kultur, nämlich die erstaunliche Korrektheit der Bürokraten und einen sehr förmlichen Ehrbegriff gelernt hat. Die Gruppe, die den Deutschen aufnimmt, ist nicht die erste, die er anspricht. Doch dann beginnt endlich eine Reise vom Isartor nach Imola, Florenz und Frankreich, eine dieser Rundfahrten mit weit über 1000 Kilometern Strecke. Die Chinesen schließen den Mann mit der großen Nase ins Herz, und das Buch wird ein Freundschaftsreiseroman im Reportagegewand. Sie üben zusammen die Aussprache von "Neuschwanstein", man erfährt, warum Chinesen das Naseputzen hassen, man ist dabei, wie der Deutsche ihnen beibringt, im Imbiss "mit alles und scharf" zu bestellen. Man fährt nach Venedig, Pisa und Paris mit der Gruppe, und am Ende auch ins Einkaufszentrum, weil es da Schallzahnbürsten gibt. Am Ende gefällt dem Protagonisten und Autor die Reise so gut, dass er nach einer kleinen Pause beschließt, alles in China noch einmal zu wiederholen: Er fliegt hin, um sich diesmal ganz regulär als Tourist durch das Land führen zu lassen. Vor allem aber, seine Freunde zu treffen, die aus der Reisegruppe. Nach und nach wandelt sich das Buch, bis es irgendwann keine Reportage mehr ist, sondern ein Roman. Das mag daran liegen, dass immer mehr von den Gefühlen der Figuren die Rede ist und dass der Autor versucht, in sich und die Chinesen hineinzusehen. So wird dieser Reisebericht auch eine Sitcom (wegen der wiederkehrenden Figuren) und manchmal auch tragikomisch. Der Deutsche hat etwas Böses, nämlich bloß Berichtendes über den brutalen Straßenverkehr Chinas gepostet. Nun ist Hou beleidigt. Sie können sich einfach nicht einigen. Also gehen sie still belgisches Bier trinken - wie sie es in Europa gelernt haben.
tlin
Christoph Rehage: "Neuschweinstein. Mit zwölf Chinesen durch Europa". Malik, 270 Seiten, 15 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ob Christoph Rehage seiner Reisegruppe offenbart hat, dass er über sie ein Buch schreibt? Rezensent Sebastian Niemetz erwähnt in seiner Besprechung zwar ein anfängliches Misstrauen der zwölf Chinesen gegenüber dem Sinologen, aber diese entscheidende Frage bleibt seltsamerweise ungeklärt. Und was er von dem Buch hält, verrät er auch nicht. Er berichtet allerdings recht wohlwollend, was Rehage auf der gemeinsamen Europareise über die die Kuriositäten des Alltags zu erzählen hat, über chinesischen Humor oder die Bedeutung der Harmonie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Harte Arbeit mit vielen Buskilometern, Verkaufsvorführungen, Abspeisungen und Sights wie Neuschweinstein.", Schaufenster (Die Presse) (A), 12.05.2017