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In der Geschichte der Physik und ihrer Entdeckungen spielen, neben hartnäckigem Forschen, nicht selten Intuition und Zufall eine wesentliche Rolle. Newton kam der Gravitation auf die Spur, als ein Apfel vom Baum fiel. Becquerel entdeckte die Radioaktivität, weil die Sonne gerade nicht schien und Einstein hatte einen entscheidenden Geistesblitz, als er sich vorstellte, was wohl ein Mensch verspürt, wenn er vom Dach eines Hauses fällt. Thomas Bührke beschreibt nicht nur die herausragenden Entdeckungen und Momente der Physik, sondern widmet sich auch den Menschen, denen wir jene Sternstunden der…mehr

Produktbeschreibung
In der Geschichte der Physik und ihrer Entdeckungen spielen, neben hartnäckigem Forschen, nicht selten Intuition und Zufall eine wesentliche Rolle. Newton kam der Gravitation auf die Spur, als ein Apfel vom Baum fiel. Becquerel entdeckte die Radioaktivität, weil die Sonne gerade nicht schien und Einstein hatte einen entscheidenden Geistesblitz, als er sich vorstellte, was wohl ein Mensch verspürt, wenn er vom Dach eines Hauses fällt. Thomas Bührke beschreibt nicht nur die herausragenden Entdeckungen und Momente der Physik, sondern widmet sich auch den Menschen, denen wir jene Sternstunden der Physik verdanken, mit ihren Stärken und Schwächen und ihren teilweise harten Schicksalen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.1997

Als Einstein ganz schnell eine Stelle brauchte
Thomas Bührke richtet sein Teleskop auf die weltbewegenden Momente der Physik

Es ist einer dieser mild-geruhsamen Spätsommertage. Wohliges Sonnenlicht fällt auf den Garten hinter dem Haus mit den zwei Kaminen an den Giebelseiten, Zephyrsgesäusel wispert im Gezweig des Apfelbaumes, in dessen Schatten ein blonder Jüngling im lockigen Haar auf der Bank sitzt und über die Schwerkraft sinniert. Es ist September in Woolsthorpe Manor. Isaac Newton hat sich hierher zurückgezogen, während in London, das nach einem Großfeuer zu vier Fünfteln in Schutt und Asche liegt, die Pest tobt.

Dies ist der belegbare Teil der vielleicht berühmtesten Anekdote in der Geschichte der Naturwissenschaften. Der legendäre Apfelfall soll sich 1666, beinahe zwanzig Jahre vor der Veröffentlichung der "Philosophiae naturalis principia mathematica", zugetragen haben. Vieles deutet darauf hin, daß Newton sich die Geschichte selbst ausgedacht hat. Er schilderte sie zuerst seiner Nichte, die sie dem Philosophen de Fontenelle weitergab, von dem sie wiederum sein Landsmann Voltaire vernahm, der sie schließlich verbreitete. Vermutlich hat Newton die Mär vom Apfel so weit zurückdatiert, um sich die Priorität seiner Gravitationstheorie gegenüber Konkurrenten zu sichern, denn Plagiatsvorwürfe der Kollegen prägten die zweite Hälfte seines Lebens.

Die Sternstunden der Physik, denen Thomas Bührke seine Sammlung von zwölf Lebensläufen großer Entdecker widmet, jene Augenblicke, in denen eine seltene Verkettung glücklicher Zufälle den großen Gedanken gebiert, sind keine magischen Momente. Mögen Intuition und Zufall bei der Zündung des Geistesblitzes eine Rolle spielen, so ist das herausragende Ergebnis in allen Fällen die Folge intensiven Studiums und hartnäckiger Untersuchung. Außer der Hingabe an die Objekte ihrer Neugier weisen die Lebensläufe der porträtierten Forscher kaum Gemeinsamkeiten auf.

Michael Faraday, der Entdecker der elektromagnetischen Induktion, war der Sohn eines Dorfschmieds. Das Leben in der großen Gesellschaft interessierte ihn nicht, die Erhebung in den Ritterstand lehnte er ab, seine Ehe blieb kinderlos, aber glücklich, und er verzichtete darauf, an der Seite Newtons in der Westminster Abbey beigesetzt zu werden. Am 25. August 1867 starb er friedlich in seinem Sessel.

Der junge Albert Einstein, Sohn eines Elektrikers, sprach mit zweieinhalb Jahren noch kein Wort. Er war ein guter Schüler, dem die Autorität der Lehrer die Freude am Lernen verleidete. Im Sommer 1900 erlangte er das Diplom als Fachlehrer in Mathematik und Physik, doch blieb ihm eine Anstellung als wissenschaftlicher Assistent versagt. Die Perspektivlosigkeit des zweiundzwanzigjährigen Einstein und seiner in der Diplomprüfung durchgefallenen Freundin Mileva Mariç verdichtet Bührke in dem Satz: "Als Mileva im April 1901 auch noch schwanger wurde, brauchte Einstein sofort eine Stelle."

Ernest Rutherford wuchs in Neuseeland auf, half als Kind bei der Hopfenernte mit und las bis an sein Lebensende leidenschaftlich gerne Groschenromane. Mit vierundzwanzig Jahren erhielt er das einzige für einen Neuseeländer vorgesehene Stipendium für einen Studienaufenthalt im britischen Mutterland. Weder Herkunft noch Kindheit, noch Partnerschaften scheinen auf die große Entdeckung einen Einfluß zu haben. Das Streben nach dem herausragenden Ergebnis wird so wenig von äußeren Faktoren beeinflußt, daß Bührke sich bisweilen veranlaßt sieht, Zusammenhänge an den Haaren herbeizuschreiben. So merkt er zu Rutherfords Reise nach England an: "Und es war kein schlechtes Omen, daß er unmittelbar nach seiner Ankunft in London auf einer Bananenschale ausrutschte und sich das Knie verletzte."

Henri Becquerels Entdeckung der Radioaktivität 1896 wurde durch die Wetterlage beschleunigt. Becquerel glaubte zunächst, daß die von ihm entdeckten Strahlen, die von Uransalzen ausgehen, in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Phosphoreszenz dieser Mineralien stünden. Er setzte daher seine Kristalle der Sonnenstrahlung aus, um die Phosphoreszenz anzuregen. Als er nach einigen trüben Tagen, an denen er in Ermangelung des Sonnenscheins seine Versuchsmaterialien in einer dunklen Schublade aufbewahrt hatte, eine Photoplatte entwickelte, die bei den Kristallen gelegen hatte, fand er heraus, daß die neuen Strahlen auch ohne Phosphoreszenz der Uransalze die Platte belichtet hatten. In anschließenden Experimenten konnte er das Element Uran als Strahlungsquelle identifizieren. Die Systematik, mit der diese Versuche durchgeführt wurden, legt die Vermutung nahe, daß Becquerel die Radioaktivität auch bei anhaltend freundlichem Wetter entdeckt hätte.

Die Entdeckung des Planckschen Wirkungsquantums war insofern vom Zufall geprägt, als Max Planck nach einer Formel suchte, die das Strahlungsspektrum eines heißen Körpers beschreiben konnte. Es erwies sich als günstig anzunehmen, daß die Strahlung, also elektromagnetische Wellen, von Oszillatoren abgegeben wird, daß diese Oszillatoren ihre Energie in Paketen, sogenannten Quanten, abstrahlen und daß die Energie eines Quantums der Frequenz des Oszillators proportional ist. Die Konstante, mit der sich aus der Frequenz die Größe der Energiequanten berechnen läßt, ist das Plancksche Wirkungsquantum.

Max Planck war die Bedeutung dieser willkürlich angenommenen Größe zunächst selbst nicht klar. Als sich Jahre später abzeichnete, welche Rolle die von ihm begründete Quantenmechanik für das physikalische Verständnis der Welt einnimmt, resümierte er, daß es bemerkenswert sei, daß "das physikalische Weltbild sich in seiner Struktur immer weiter von der Sinnenwelt entfernt, daß es seinen anschaulichen, ursprünglich ganz anthropomorph gefärbten Charakter immer mehr einbüßt, daß die Sinnesempfindungen in steigendem Maße aus ihm ausgeschaltet werden . . ., daß damit sein Wesen sich immer weiter ins Abstrakte verliert, wobei rein formale mathematische Operationen eine stets bedeutendere Rolle spielen".

Zufälle spielen bei den von Bührke geschilderten Entdeckungen keine entscheidende Rolle, des Autors Betonung der zufälligen Faktoren zeigt eher auf, wie nebensächlich solche Einflüsse wie etwa der Heuschnupfen Heisenbergs für einen wissenschaftlichen Durchbruch sind. Selbst widrigste Umstände scheinen die großen Entdecker nicht von ihrem Wirken abhalten zu können.

Lise Meitner mußte sich in einer von Männern gestalteten Welt gegen Vorbehalte durchsetzen. Als sie mit siebenundvierzig Jahren 1924 endlich die ersten größeren Würdigungen ihrer Arbeit erfuhr, begannen bereits die Hetzkampagnen gegen Juden. 1938 emigrierte sie nach Schweden und setzte von dort aus ihre Arbeit mit den in Berlin verbliebenen Otto Hahn und Fritz Straßmann als Briefwechsel fort. Per Ferndiagnose deutete sie zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch die Versuchsergebnisse von Hahn und Straßmann als Kernspaltung des Urans. 1946 erhielt Hahn hierfür den Nobelpreis, während Lise Meitner leer ausging.

Große Entdeckungen werden von Menschen gemacht, die nicht nur schlauer sind als die Schlausten, sondern vor allem zäher als die Zähsten. Die Sternstunden der Physik haben mit Fallobst wenig zu tun. Sie sind vielmehr Ergebnis des Einsatzes von Geduld, Disziplin und Ausdauer. HARTMUT HÄNSEL

Thomas Bührke: "Newtons Apfel". Sternstunden der Physik. Von Galilei bis Lise Meitner. Verlag C. H. Beck, München 1997. 264 S., 12 Abb., br., 19,80 DM.

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