Die mit diesem zweisprachigen Buch vorliegenden Gedichte von Paul Bowles stammen aus dem 1981 bei der Black Sparrow Press erschienenen Band "Next to Nothing - Collected Poems 1926-1977". Er umfasst sämtliche zu Lebzeiten veröffentlichte Lyrik des legendären Autors von "The Sheltering Sky" (dt. Himmel über der Wüste), übersetzt und herausgegeben von Jonis Hartmann.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Tom Schulz riecht den Duft von Freiheit in den Gedichten des amerikanischen Schriftstellers Paul Bowles, die Jonis Hartmann dem Kritiker zufolge brillant ins Deutsche übertragen hat. Überhaupt ist der Rezensent hellauf begeistert, dass der Roughbooks-Verlag diesen "poetischen Schatz" nun in einer zweisprachigen Ausgabe zugänglich macht. In den Gedichten und Meditationen von Bowles lauscht Schulz den "kristallinen" Klängen des Hafens und des Meeres, spürt Aufbruchsstimmung und staunt, wie der Dichter "Härte und Zärtlichkeit" zusammenbringt. Ein hingebungsvolles, "heilendes" Werk für unruhige Zeiten, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2020Komm, lass uns der Freiheit verfallen
Ein Song bleibt ein Song und ein Trip ein Trip: Die gesammelten Gedichte von Paul Bowles erscheinen in einer lyrischen Neuübersetzung von Jonis Hartmann.
Das war nicht schön. Da steht der zwanzigjährige Amerikaner endlich in Paris vor der bewunderten Gertrude Stein. Und die erklärt ihm, er sei kein schlechter Dichter. Er sei überhaupt kein Dichter! Er solle es lassen! So ein Unsinn: "the heated beetle pants". Käfer keuchten nicht! Oder: "can purple clouds forget to sail" - ganz falsch! "Keine Wolke hatte je ein Bewusstsein, keine Wolke erinnert sich an irgendetwas!" Die Gedichte seien schon publiziert, sagte der junge Dichter kleinlaut (publiziert immerhin in "transition", der ersten Pariser Adresse für experimentelle Lyrik!). Das wisse sie, konterte die alte Dame, aber ein ernsthafter Lyriker korrigiere!
Die Szene ist überliefert von Florian Vetsch, der den alten Paul Bowles 1998, kurz vor dessen Tod, mehrfach in Tanger besuchte. Ihm, so Bowles, sei klar gewesen, dass es hier nicht um einzelne Bilder ging, die zu korrigieren wären, sondern um eine Haltung. Er liebte Lautréamont, die Surrealisten. Gertrude Stein offensichtlich nicht. Der Schweizer Florian Vetsch übertrug damals als erster die "Collected Poems" ins Deutsche; sie erschienen kurz nach seinem Gespräch mit Bowles im St. Gallener Erker-Verlag. Jetzt hat, gut 20 Jahre später, Jonis Hartmann (Jahrgang 1982) eine Neuübersetzung gewagt. Wo Vetsch weicher, im Verständnis interpolierend, verdeutlichend überträgt, bleibt Hartmann spröder, radikaler, unverschämter. Die Zeile "Salaamed, licked his lips and pressed them to the dust" ("Polemos") heißt bei Vetsch: "Salam, sprach er, leckte die lippen und küsste den staub." Bei Hartmann: "Salaamte, leckte die Lippen und presste sie in den Staub." Hartmann erlaubt sich Neologismen und übersetzt manche Wörter nicht mehr. Ein "song" bleibt ein Song und ein "trip" ein Trip. ("Es war ein langer Trip zurück. / Weiße Lilien winkten an Mauern. / Der Schweiß von blauen Trauben / Glänzte wie Glas . . .) Und er erlaubt sich, das englische Adjektiv "taupe", im Deutschen selten gebraucht (es bezeichnet einen ins Bräunliche gleitenden Farbton), stehenzulassen: "Das weiße Licht unseres hauchdünnen Knasts / Wo träg wir liegen auf taupen Matten" ("Amerika"). In der zweisprachigen Neuausgabe sind die Entscheidungen von Hartmann gut nachzuverfolgen, was einen weiteren Reiz ausmacht. Etwa wenn er im Gedicht "Kirche", in dem es um Thomas Hood geht ("Hood was / Not an / Import / Ant / Man"), wortspielt: "Hood war / Kein / Import / Tiger / Mann"). Er rettet das Tier, die Ameise ("ant"), immerhin im Tiger und behält das Wort "important" im Neologismus "import(t)iger". Wie Florian Vetsch ist auch Jonis Hartmann Lyriker.
Die "Collected Poems" umfassen 26 Jugendgedichte (entstanden bis 1931, dem Jahr der Begegnung mit Stein). Sie sind wild, impulsiv, schöpfen Energie aus der écriture automatique, zerschlagen gewohnten Sinn, um eine frische Sprache für radikales Empfinden freizusetzen. Sie spielen mit der Erotik von Gewalt und der Schönheit künstlicher Paradiese. Unter diesen Gedichten findet sich auch das umwerfende achtteilige Prosagedicht "Kein Dorf". Es beginnt: "Welche Clematis-Tentakel wurden vereinbart? Die Asche der Morgendämmerung ist in einer Million Kehlen, und tausend Motoren drücken aufs Herz." Es folgen 14 Gedichte aus den Jahren 1934 bis 1940, diskrete Zeilen an einen Geliebten, Reisebilder mit Kamelen, dem goldenen Staub der Wüsten. Die Sehnsucht gilt dem Nichts, dem Schweigen, dem Verlorenen. Ein Ich will ankommen im Unterwegssein. Danach hat Bowles nur noch sechs späte Gedichte aus den Jahren 1969 bis 1977 in seine Sammlung aufgenommen (geschrieben, so Vetsch, habe er "hunderte", aber nur die ausgewählt, für die er "sich nicht geschämt habe"). Es sind philosophische melancholische Etüden und Bekenntnisse.
Ob Bowles bei seiner ersten Begegnung mit Gertrude Stein ihrem Rat, keine Gedichte mehr zu schreiben, gefolgt war oder doch (so sah er es jedenfalls später) der eigenen Einsicht, dass er das Schreiben von Lyrik bewusster angehen müsse, bleibt unsicher - jedenfalls hielt er sich mit Versen eine Weile zurück und setzte seine Karriere als erfolgreicher Komponist (Oper, Bühne, Ballett) fort. Aber sicher folgte er Gertrude Stein, wenn er mit seinem damaligen Lebenspartner, dem Komponisten Aaron Copland, nach Tanger fuhr. Die Stadt an der Straße von Gibraltar, das Tor zu Afrika, der marokkanische Treffpunkt einer aufgekratzten Elite aus Kunst, Wirtschaft, Diplomatie, war die Chance, den "Riffelglaskammern" Amerikas zu entkommen.
Tanger sollte Bowles' Schicksal werden. 1937 zog er ganz in diese Internationale Zone, in der das Leben für Künstler aufregender und auf jeden Fall billiger war als anderswo. 1938 folgte ihm seine damals 21 Jahre alte Frau Jane nach; eine unkonventionelle Ehe begann. Er homosexuell (nie bekennend, in seiner Lyrik aber offenbar), sie lesbisch, die Frauen wechselnd wie Sommerkleider, wurden die beiden zu einem der interessantesten und begehrtesten Paare in den europäisch-amerikanischen Kreisen Tangers. Über dem Lektorat von Janes erstem Roman "Zwei sehr ernsthafte Damen" (1943) fand der gefragte Komponist Paul Bowles die Lust und den Mut, selbst Prosa zu schreiben. Im Unterschied zu Jane, die zunehmend von Schreibblockaden und Selbstzweifeln gequält wurde, verfasste er nach seinem gefeierten Erstling "Himmel über der Wüste" (1949) weitere Romane, Erzählungen, Reisereportagen und wurde zu einem der bekanntesten Schriftsteller Amerikas. Ein schreibender Nomade, der als festen Wohnsitz aber Tanger beibehielt. Sein Grundthema war die Heimatsuche im Fremdsein. Janes Thema blieb die Entfremdung in Paarbeziehungen. Im Unterschied zu ihr war er in seiner Prosa (anders als in der Lyrik) stilistisch eher konventionell. Sie hingegen wurde eine Kultfigur der Avantgarde. Truman Capote verehrte sie, Harold Pinter, Tennessee Williams hielten sie für die größte englisch schreibende Autorin des Jahrhunderts.
Zunächst hatten Beatniks das provozierende Paar in Tanger aufgespürt, nach ihnen kamen die Hippies. Sie suchten den Aussteiger Bowles, dessen Wahlheimat die Wüste war, den Ethnologen marokkanischer Musik, der mit Tonbändern in die abgelegensten Winkel zog. Als einen der ihren haben sie ihn wohl missverstanden. Jane und er, das war eine andere Liga. Sie gehörten in das alte, kultivierte Europa.
Er besaß kein Telefon. Und er mochte das Fliegen nicht. Er fuhr mit Schiffen, am liebsten auf Frachtern, monatelang über den Atlantik. Er war kein Tourist; er war ein Reisender. Oder er hatte ein Jaguar-Cabriolet mit Chauffeur. Das freilich ging auch.
1957, in ihrem 41. Lebensjahr, drogenabhängig, von ihrer Lebensleistung enttäuscht, sexuell und seelisch einer marokkanischen Feticheuse hörig, erlitt Jane einen ersten Schlaganfall. Für sie begann ein Martyrium; für ihn das Leben mit einer zunehmend Verlorenen. Psychiatrien, Sanatorien im nahe gelegenen spanischen Malaga und immer wieder der Versuch eines Neuanfangs in Tanger. Was Jane am Ende noch las, waren seine Gedichte, die zu ihren Lebzeiten in drei schmalen Bänden erschienen waren.
"Next to Nothing", das titelgebende Langgedicht der "Collected Poems", war schließlich Paul Bowles' Epitaph an seine Frau Jane, die 1973, nach drei Schlaganfällen blind und gelähmt, endlich (sie hatte ihn wiederholt gebeten, sie zu töten) starb. "Ich bin die Spinne in deinem Salat, dein Brotaufstrich aus Blut. / Ich bin der rostige Skalpell, unter deinem Nagel der Dorn. / (...) ich bin die falsche Richtung, das tote Nervenende, der unbeendete Schrei. / Eines Tags mögen meine Worte dir so wohltun wie mir deine weh."
ANGELIKA OVERATH
Paul Bowles:
"Next to Nothing/Fast nichts". Sämtliche Gedichte. Hrsg. und aus dem Englischen übersetzt von Jonis Hartmann. Verlag Roughbooks, Hamburg, Berlin und Schupfart 2020. 144 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Song bleibt ein Song und ein Trip ein Trip: Die gesammelten Gedichte von Paul Bowles erscheinen in einer lyrischen Neuübersetzung von Jonis Hartmann.
Das war nicht schön. Da steht der zwanzigjährige Amerikaner endlich in Paris vor der bewunderten Gertrude Stein. Und die erklärt ihm, er sei kein schlechter Dichter. Er sei überhaupt kein Dichter! Er solle es lassen! So ein Unsinn: "the heated beetle pants". Käfer keuchten nicht! Oder: "can purple clouds forget to sail" - ganz falsch! "Keine Wolke hatte je ein Bewusstsein, keine Wolke erinnert sich an irgendetwas!" Die Gedichte seien schon publiziert, sagte der junge Dichter kleinlaut (publiziert immerhin in "transition", der ersten Pariser Adresse für experimentelle Lyrik!). Das wisse sie, konterte die alte Dame, aber ein ernsthafter Lyriker korrigiere!
Die Szene ist überliefert von Florian Vetsch, der den alten Paul Bowles 1998, kurz vor dessen Tod, mehrfach in Tanger besuchte. Ihm, so Bowles, sei klar gewesen, dass es hier nicht um einzelne Bilder ging, die zu korrigieren wären, sondern um eine Haltung. Er liebte Lautréamont, die Surrealisten. Gertrude Stein offensichtlich nicht. Der Schweizer Florian Vetsch übertrug damals als erster die "Collected Poems" ins Deutsche; sie erschienen kurz nach seinem Gespräch mit Bowles im St. Gallener Erker-Verlag. Jetzt hat, gut 20 Jahre später, Jonis Hartmann (Jahrgang 1982) eine Neuübersetzung gewagt. Wo Vetsch weicher, im Verständnis interpolierend, verdeutlichend überträgt, bleibt Hartmann spröder, radikaler, unverschämter. Die Zeile "Salaamed, licked his lips and pressed them to the dust" ("Polemos") heißt bei Vetsch: "Salam, sprach er, leckte die lippen und küsste den staub." Bei Hartmann: "Salaamte, leckte die Lippen und presste sie in den Staub." Hartmann erlaubt sich Neologismen und übersetzt manche Wörter nicht mehr. Ein "song" bleibt ein Song und ein "trip" ein Trip. ("Es war ein langer Trip zurück. / Weiße Lilien winkten an Mauern. / Der Schweiß von blauen Trauben / Glänzte wie Glas . . .) Und er erlaubt sich, das englische Adjektiv "taupe", im Deutschen selten gebraucht (es bezeichnet einen ins Bräunliche gleitenden Farbton), stehenzulassen: "Das weiße Licht unseres hauchdünnen Knasts / Wo träg wir liegen auf taupen Matten" ("Amerika"). In der zweisprachigen Neuausgabe sind die Entscheidungen von Hartmann gut nachzuverfolgen, was einen weiteren Reiz ausmacht. Etwa wenn er im Gedicht "Kirche", in dem es um Thomas Hood geht ("Hood was / Not an / Import / Ant / Man"), wortspielt: "Hood war / Kein / Import / Tiger / Mann"). Er rettet das Tier, die Ameise ("ant"), immerhin im Tiger und behält das Wort "important" im Neologismus "import(t)iger". Wie Florian Vetsch ist auch Jonis Hartmann Lyriker.
Die "Collected Poems" umfassen 26 Jugendgedichte (entstanden bis 1931, dem Jahr der Begegnung mit Stein). Sie sind wild, impulsiv, schöpfen Energie aus der écriture automatique, zerschlagen gewohnten Sinn, um eine frische Sprache für radikales Empfinden freizusetzen. Sie spielen mit der Erotik von Gewalt und der Schönheit künstlicher Paradiese. Unter diesen Gedichten findet sich auch das umwerfende achtteilige Prosagedicht "Kein Dorf". Es beginnt: "Welche Clematis-Tentakel wurden vereinbart? Die Asche der Morgendämmerung ist in einer Million Kehlen, und tausend Motoren drücken aufs Herz." Es folgen 14 Gedichte aus den Jahren 1934 bis 1940, diskrete Zeilen an einen Geliebten, Reisebilder mit Kamelen, dem goldenen Staub der Wüsten. Die Sehnsucht gilt dem Nichts, dem Schweigen, dem Verlorenen. Ein Ich will ankommen im Unterwegssein. Danach hat Bowles nur noch sechs späte Gedichte aus den Jahren 1969 bis 1977 in seine Sammlung aufgenommen (geschrieben, so Vetsch, habe er "hunderte", aber nur die ausgewählt, für die er "sich nicht geschämt habe"). Es sind philosophische melancholische Etüden und Bekenntnisse.
Ob Bowles bei seiner ersten Begegnung mit Gertrude Stein ihrem Rat, keine Gedichte mehr zu schreiben, gefolgt war oder doch (so sah er es jedenfalls später) der eigenen Einsicht, dass er das Schreiben von Lyrik bewusster angehen müsse, bleibt unsicher - jedenfalls hielt er sich mit Versen eine Weile zurück und setzte seine Karriere als erfolgreicher Komponist (Oper, Bühne, Ballett) fort. Aber sicher folgte er Gertrude Stein, wenn er mit seinem damaligen Lebenspartner, dem Komponisten Aaron Copland, nach Tanger fuhr. Die Stadt an der Straße von Gibraltar, das Tor zu Afrika, der marokkanische Treffpunkt einer aufgekratzten Elite aus Kunst, Wirtschaft, Diplomatie, war die Chance, den "Riffelglaskammern" Amerikas zu entkommen.
Tanger sollte Bowles' Schicksal werden. 1937 zog er ganz in diese Internationale Zone, in der das Leben für Künstler aufregender und auf jeden Fall billiger war als anderswo. 1938 folgte ihm seine damals 21 Jahre alte Frau Jane nach; eine unkonventionelle Ehe begann. Er homosexuell (nie bekennend, in seiner Lyrik aber offenbar), sie lesbisch, die Frauen wechselnd wie Sommerkleider, wurden die beiden zu einem der interessantesten und begehrtesten Paare in den europäisch-amerikanischen Kreisen Tangers. Über dem Lektorat von Janes erstem Roman "Zwei sehr ernsthafte Damen" (1943) fand der gefragte Komponist Paul Bowles die Lust und den Mut, selbst Prosa zu schreiben. Im Unterschied zu Jane, die zunehmend von Schreibblockaden und Selbstzweifeln gequält wurde, verfasste er nach seinem gefeierten Erstling "Himmel über der Wüste" (1949) weitere Romane, Erzählungen, Reisereportagen und wurde zu einem der bekanntesten Schriftsteller Amerikas. Ein schreibender Nomade, der als festen Wohnsitz aber Tanger beibehielt. Sein Grundthema war die Heimatsuche im Fremdsein. Janes Thema blieb die Entfremdung in Paarbeziehungen. Im Unterschied zu ihr war er in seiner Prosa (anders als in der Lyrik) stilistisch eher konventionell. Sie hingegen wurde eine Kultfigur der Avantgarde. Truman Capote verehrte sie, Harold Pinter, Tennessee Williams hielten sie für die größte englisch schreibende Autorin des Jahrhunderts.
Zunächst hatten Beatniks das provozierende Paar in Tanger aufgespürt, nach ihnen kamen die Hippies. Sie suchten den Aussteiger Bowles, dessen Wahlheimat die Wüste war, den Ethnologen marokkanischer Musik, der mit Tonbändern in die abgelegensten Winkel zog. Als einen der ihren haben sie ihn wohl missverstanden. Jane und er, das war eine andere Liga. Sie gehörten in das alte, kultivierte Europa.
Er besaß kein Telefon. Und er mochte das Fliegen nicht. Er fuhr mit Schiffen, am liebsten auf Frachtern, monatelang über den Atlantik. Er war kein Tourist; er war ein Reisender. Oder er hatte ein Jaguar-Cabriolet mit Chauffeur. Das freilich ging auch.
1957, in ihrem 41. Lebensjahr, drogenabhängig, von ihrer Lebensleistung enttäuscht, sexuell und seelisch einer marokkanischen Feticheuse hörig, erlitt Jane einen ersten Schlaganfall. Für sie begann ein Martyrium; für ihn das Leben mit einer zunehmend Verlorenen. Psychiatrien, Sanatorien im nahe gelegenen spanischen Malaga und immer wieder der Versuch eines Neuanfangs in Tanger. Was Jane am Ende noch las, waren seine Gedichte, die zu ihren Lebzeiten in drei schmalen Bänden erschienen waren.
"Next to Nothing", das titelgebende Langgedicht der "Collected Poems", war schließlich Paul Bowles' Epitaph an seine Frau Jane, die 1973, nach drei Schlaganfällen blind und gelähmt, endlich (sie hatte ihn wiederholt gebeten, sie zu töten) starb. "Ich bin die Spinne in deinem Salat, dein Brotaufstrich aus Blut. / Ich bin der rostige Skalpell, unter deinem Nagel der Dorn. / (...) ich bin die falsche Richtung, das tote Nervenende, der unbeendete Schrei. / Eines Tags mögen meine Worte dir so wohltun wie mir deine weh."
ANGELIKA OVERATH
Paul Bowles:
"Next to Nothing/Fast nichts". Sämtliche Gedichte. Hrsg. und aus dem Englischen übersetzt von Jonis Hartmann. Verlag Roughbooks, Hamburg, Berlin und Schupfart 2020. 144 S., geb., 15,- [Euro].
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