Produktdetails
- Verlag: Unionsverlag
- Seitenzahl: 264
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 412g
- ISBN-13: 9783293002814
- ISBN-10: 3293002811
- Artikelnr.: 24673148
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2001Tragisches Lachduell
Eiskalt: Jørn Riel schlägt Funken aus Grönlands Gletschern
In Grönland zu wohnen würde einem Durchschnittseuropäer wohl wenig Spaß machen. Der Begriff Spaß paßt auch schlecht zu Schneestürmen und kalbenden Gletschern, monatelanger Finsternis im Winter und fahlhellen Polarnächten im Sommer. Auch der Unterbegriff Lesespaß fällt uns in solch frostigem Zusammenhang kaum ein, allenfalls assoziieren wir Heldenmären aus der Wikingerzeit oder Sippendramen nach Saga-Art. Und dann bekommen wir plötzlich ein Buch in die Hand, dessen Handlung sich im äußersten Nordosten Grönlands zuträgt und das uns Seite für Seite schmunzeln macht. Sein Titel: "Nicht alle Eisbären halten Winterschlaf".
Der dänische Autor Jørn Riel, Jahrgang 1931, hat sechzehn Jahre an jenem kalten Ort zugebracht und kennt sich dort also aus wie ein Eingeborener. Was aber nicht heißt, daß er auf diese Polargegend fixiert ist. Riel reiste durch Westindien, Nordafrika, Südostasien, arbeitete in Diensten der Vereinten Nationen im Vorderen Orient und hält sich heute häufig in Malaysia auf.
Das Eisbärenbuch ist kein Roman, sondern eine Sammlung von dreizehn Geschichten, die aber alle die gleiche Personnage aufweisen und auf diese Weise ein einheitliches Ganzes bilden. Im dänischen Original kamen sie in zwei Bänden heraus, was uns nicht weiter kümmern müßte, fiele nicht in beiden dänischen Titeln der Ausdruck "skrøner" auf, das ist "Flunkereien". Ein programmatisches Wort, es signalisiert die Heiterkeit, die im Buch auf uns wartet, hat aber auch ein bißchen mit Schummeln und Schwindeln zu tun. Auch so verstanden, charakterisiert der Ausdruck die vorliegenden Schnurren durchaus richtig, wenngleich nicht im landläufig groben Sinne. Jørn Riel bekennt sich in seiner Nachbemerkung zu einer Erzähltradition, deren Wurzeln bis zu den großen skandinavischen Sagen reichen. "Eigentlich", präzisiert er, "existieren zwei unterschiedliche Traditionen: Bei der einen erzählt man die Geschichte stets mit denselben Worten, bei der anderen ist der Erzähler gefordert, er muß die Geschichten ausschmücken, sie verschönern, sie - wenn nötig - verändern. Es ist beinah überflüssig, zu erwähnen, daß ich mich dieser zweiten Tradition verschrieben habe."
Die Helden der Geschichten sind allesamt Männer. Die einen haben, aus unterschiedlichen Gründen, die europäische Zivilisation, überhaupt die moderne Welt satt und möchten sich in einem ganz und gar ursprünglichen Dasein ausprobieren. Zu ihnen gehören der Branntweinfreund Valfred, der rauhbeinige Isländer Fjordur, der kampferprobte Leutnant Hansen. Andere, wie etwa der Lehrling Anton oder der naive Lasselille, gerieten mehr durch Zufall in ihr kaltes Leben, fanden Gefallen daran oder wollen sich und den Kumpels beweisen, daß auch sie Kerle sind und was aushalten können. Es ist aber nicht damit getan, daß die Nordmänner Robben und Fische fangen oder Eisbären jagen, dafür ihr Salär einstreichen und es sich nach grönländischer Möglichkeit gutgehen lassen. Wie alle gemeinschaftbildenden Menschen müssen sie ihr Zusammenleben organisieren. Sie haben damit teils rührende Erfolge, teils tragikomische Mißerfolge. Weil sie, freiwillig oder nicht, unter einer Art Verschluß leben, entwickeln sie allerlei Schrullen, und diese Schrullen färben ihr Handeln, Reden, Denken, ihre Beziehungen im Positiven wie im Negativen. Im Grunde sind sie ein Häuflein Narren.
Was nicht heißt, daß sie dumm sind. Einige bringen sogar Kultur in die eisige Einöde. Der sogenannte Graf zum Beispiel schafft es, dem kalten Nordland einen erfolgreichen Weinbau abzutrotzen, er hat dazu besondere Gewächshäuser entworfen. Sein Kumpel Mortensen baut aus allerlei technischem Krempel eine großartige Funkstation, die nicht bloß Nachrichten empfängt und sendet, sondern auch musikalische Töne produziert. Das akustische Wunderwerk beendet den Kleinkrieg mit dem Wohngefährten Doc, dessen singende Säge Mortensen zuvor so auf die Nerven gegangen war. Nun aber wird die Funkstation zum Konzerthaus. Andere üben simplere Künste aus. Fjordur zum Beispiel ist ein heimlicher Meister des Strickens, was, als es herauskommt, seine Kollegen erst verprellt und dann begeistert. Lodvig erweist sich als erfolgreichster Hundeerzieher der Welt. Als er krankheitshalber in die Zivilisation ausweichen muß, findet der Köter Laban nach einer meeres- und kontinentweiten Odyssee das verlorene Herrchen. Alle Nordmänner zusammen komponieren sich eine Traumszenerie, über die Emma herrscht, eine Frau, die es nicht wirklich gibt, die aber aller Seelen beflügelt und kultiviert.
Hin und wieder grenzt das Narrenspiel ans Trauerspiel, einmal wird die Grenze sogar überschritten: Leutnant Hansen und Lause, im Streit darüber, ob man bei feinen Tafeleien die Speisen von links oder von rechts serviert, fordern einander zum Duell. Verabredet wird ein theatralischer Wettkampf um den großen Publikumslacher. Der Leutnant siegt, Lause schießt sich eine Kugel in den Kopf. Die ganze Fängerkolonie ist erschüttert. Der Leser ist es auch. Aber selbst hier bleibt ihm, bei allem Mitleiden, die grundsätzliche Freude an den Eulenspiegeleien, mit denen dieses Buch ihn beschenkt.
SABINE BRANDT
Jørn Riel: "Nicht alle Eisbären halten Winterschlaf". Eine arktische Safari. Aus dem Dänischen übersetzt von Wolfgang Th. Recknagel. Unionsverlag, Zürich 2001. 265 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eiskalt: Jørn Riel schlägt Funken aus Grönlands Gletschern
In Grönland zu wohnen würde einem Durchschnittseuropäer wohl wenig Spaß machen. Der Begriff Spaß paßt auch schlecht zu Schneestürmen und kalbenden Gletschern, monatelanger Finsternis im Winter und fahlhellen Polarnächten im Sommer. Auch der Unterbegriff Lesespaß fällt uns in solch frostigem Zusammenhang kaum ein, allenfalls assoziieren wir Heldenmären aus der Wikingerzeit oder Sippendramen nach Saga-Art. Und dann bekommen wir plötzlich ein Buch in die Hand, dessen Handlung sich im äußersten Nordosten Grönlands zuträgt und das uns Seite für Seite schmunzeln macht. Sein Titel: "Nicht alle Eisbären halten Winterschlaf".
Der dänische Autor Jørn Riel, Jahrgang 1931, hat sechzehn Jahre an jenem kalten Ort zugebracht und kennt sich dort also aus wie ein Eingeborener. Was aber nicht heißt, daß er auf diese Polargegend fixiert ist. Riel reiste durch Westindien, Nordafrika, Südostasien, arbeitete in Diensten der Vereinten Nationen im Vorderen Orient und hält sich heute häufig in Malaysia auf.
Das Eisbärenbuch ist kein Roman, sondern eine Sammlung von dreizehn Geschichten, die aber alle die gleiche Personnage aufweisen und auf diese Weise ein einheitliches Ganzes bilden. Im dänischen Original kamen sie in zwei Bänden heraus, was uns nicht weiter kümmern müßte, fiele nicht in beiden dänischen Titeln der Ausdruck "skrøner" auf, das ist "Flunkereien". Ein programmatisches Wort, es signalisiert die Heiterkeit, die im Buch auf uns wartet, hat aber auch ein bißchen mit Schummeln und Schwindeln zu tun. Auch so verstanden, charakterisiert der Ausdruck die vorliegenden Schnurren durchaus richtig, wenngleich nicht im landläufig groben Sinne. Jørn Riel bekennt sich in seiner Nachbemerkung zu einer Erzähltradition, deren Wurzeln bis zu den großen skandinavischen Sagen reichen. "Eigentlich", präzisiert er, "existieren zwei unterschiedliche Traditionen: Bei der einen erzählt man die Geschichte stets mit denselben Worten, bei der anderen ist der Erzähler gefordert, er muß die Geschichten ausschmücken, sie verschönern, sie - wenn nötig - verändern. Es ist beinah überflüssig, zu erwähnen, daß ich mich dieser zweiten Tradition verschrieben habe."
Die Helden der Geschichten sind allesamt Männer. Die einen haben, aus unterschiedlichen Gründen, die europäische Zivilisation, überhaupt die moderne Welt satt und möchten sich in einem ganz und gar ursprünglichen Dasein ausprobieren. Zu ihnen gehören der Branntweinfreund Valfred, der rauhbeinige Isländer Fjordur, der kampferprobte Leutnant Hansen. Andere, wie etwa der Lehrling Anton oder der naive Lasselille, gerieten mehr durch Zufall in ihr kaltes Leben, fanden Gefallen daran oder wollen sich und den Kumpels beweisen, daß auch sie Kerle sind und was aushalten können. Es ist aber nicht damit getan, daß die Nordmänner Robben und Fische fangen oder Eisbären jagen, dafür ihr Salär einstreichen und es sich nach grönländischer Möglichkeit gutgehen lassen. Wie alle gemeinschaftbildenden Menschen müssen sie ihr Zusammenleben organisieren. Sie haben damit teils rührende Erfolge, teils tragikomische Mißerfolge. Weil sie, freiwillig oder nicht, unter einer Art Verschluß leben, entwickeln sie allerlei Schrullen, und diese Schrullen färben ihr Handeln, Reden, Denken, ihre Beziehungen im Positiven wie im Negativen. Im Grunde sind sie ein Häuflein Narren.
Was nicht heißt, daß sie dumm sind. Einige bringen sogar Kultur in die eisige Einöde. Der sogenannte Graf zum Beispiel schafft es, dem kalten Nordland einen erfolgreichen Weinbau abzutrotzen, er hat dazu besondere Gewächshäuser entworfen. Sein Kumpel Mortensen baut aus allerlei technischem Krempel eine großartige Funkstation, die nicht bloß Nachrichten empfängt und sendet, sondern auch musikalische Töne produziert. Das akustische Wunderwerk beendet den Kleinkrieg mit dem Wohngefährten Doc, dessen singende Säge Mortensen zuvor so auf die Nerven gegangen war. Nun aber wird die Funkstation zum Konzerthaus. Andere üben simplere Künste aus. Fjordur zum Beispiel ist ein heimlicher Meister des Strickens, was, als es herauskommt, seine Kollegen erst verprellt und dann begeistert. Lodvig erweist sich als erfolgreichster Hundeerzieher der Welt. Als er krankheitshalber in die Zivilisation ausweichen muß, findet der Köter Laban nach einer meeres- und kontinentweiten Odyssee das verlorene Herrchen. Alle Nordmänner zusammen komponieren sich eine Traumszenerie, über die Emma herrscht, eine Frau, die es nicht wirklich gibt, die aber aller Seelen beflügelt und kultiviert.
Hin und wieder grenzt das Narrenspiel ans Trauerspiel, einmal wird die Grenze sogar überschritten: Leutnant Hansen und Lause, im Streit darüber, ob man bei feinen Tafeleien die Speisen von links oder von rechts serviert, fordern einander zum Duell. Verabredet wird ein theatralischer Wettkampf um den großen Publikumslacher. Der Leutnant siegt, Lause schießt sich eine Kugel in den Kopf. Die ganze Fängerkolonie ist erschüttert. Der Leser ist es auch. Aber selbst hier bleibt ihm, bei allem Mitleiden, die grundsätzliche Freude an den Eulenspiegeleien, mit denen dieses Buch ihn beschenkt.
SABINE BRANDT
Jørn Riel: "Nicht alle Eisbären halten Winterschlaf". Eine arktische Safari. Aus dem Dänischen übersetzt von Wolfgang Th. Recknagel. Unionsverlag, Zürich 2001. 265 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Eher überraschend findet Sabine Brandt, was dieser Band mit 13 grönländischen Geschichten zu bieten hat. Nämlich nicht etwa Düsternis und Kälte in Eis und Schnee, sondern "Schnurren" und "Flunkereien", die die Rezensentin "Seite für Seite schmunzeln" gemacht haben. Wer fürs Schmunzeln sorgt, sind die Helden der Erzählungen - das Personal bleibt in allen Geschichten konstant -, die sich als "ein Häuflein Narren" erweisen. Ein offenbar recht sympathisches Häuflein jedoch, das Weinbau auf Grönland betreibt, Funkanlagen baut und einen "Meister des Strickens" hervorbringt. Der Ton ist vorwiegend heiter, aber nicht ausschließlich: bei einem Duell kommt einer der Helden ums Leben und "die ganze Fängerkolonie ist erschüttert. Der Leser ist es auch."
© Perlentaucher Medien GmbH"
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»Riel zeichnet ein lebhaftes Bild der eigenbrötlerischen Bewohner einer kleinen Gemeinde im Nordosten Grönlands. Der Charme und der Witz dieses Erzählers sorgen für unterhaltsame Lektüre.« Philipp Zimmermann Blick