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Grenzüberschreitende Opernbesuche, Leibesvisitation für Grenzgänger, Passkontrolle im Schlafwagen... Was die ungarisch-amerikanische Autorin mit ihrem deutschen Mann und ihren Kindern an innerdeutschen Grenzübergängen erlebt hat, ihre ganz persönlichen Geschichten stehen stellvertretend für ähnliche Erfahrungen unzähliger anderer Menschen, die die schwierige Reise von Deutschland nach Deutschland wagten. Geschichten, die heute bereits ein Stück Geschichte sind - Geschichte, die allerdings kaum Eingang in die Geschichtsbücher finden wird.

Produktbeschreibung
Grenzüberschreitende Opernbesuche, Leibesvisitation für Grenzgänger, Passkontrolle im Schlafwagen... Was die ungarisch-amerikanische Autorin mit ihrem deutschen Mann und ihren Kindern an innerdeutschen Grenzübergängen erlebt hat, ihre ganz persönlichen Geschichten stehen stellvertretend für ähnliche Erfahrungen unzähliger anderer Menschen, die die schwierige Reise von Deutschland nach Deutschland wagten. Geschichten, die heute bereits ein Stück Geschichte sind - Geschichte, die allerdings kaum Eingang in die Geschichtsbücher finden wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.1999

Mauerbaby
Die bizarre Welt der Transitvisa

Marianna S. Katona: Nicht bedient, sondern abgefertigt. Geschichten um die Berliner Mauer. Aus dem Englischen übertragen von Catarina Kennedy-Bannier. Mit Illustrationen von Tamara Fodor. Haag + Herchen, Frankfurt am Main 1999. 172 Seiten, Abbildungen, 22,80 Mark.

Die Mauer hat nicht nur, wie man weiß, Familien in Ost und West durchschnitten; sie hat auch Familien gespalten, die einträchtig im Berliner Westen lebten: Jedes Mal wenn Burkhard Strümpel, Professor an der Freien Universität, seinen Bruder Peter, Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Ostberlin, besuchen wollte, musste die Familie Strümpel (West) sich zweiteilen: Der Vater und die in Deutschland geborene zweite Tochter benutzten den Grenzübergang Prinzenstraße, die Mutter (und Autorin) mit amerikanischem Pass und die in den Vereinigten Staaten geborene erste Tochter, ebenso wie die von dort anreisenden Großeltern, gelangten über Check-Point Charlie, der ausländischen Grenzübergängern vorbehalten war, in den Osten. Als der frisch gebackene Vater einmal mit seinem ersten Kind allein in der Prinzenstraße über die Grenze wollte, bedeutete ihm der Posten: "Das Baby muss am Check-Point Charlie rüber!" "Gut, dann gehe ich dorthin." "Nein", sagte der Posten, "Sie sind ja ein Westdeutscher; Sie können nicht an der Grenzübergangsstelle für Ausländer einreisen." "Aber das Baby kann doch nicht allein gehen!" "Das ist Ihr Problem." "Wo kann ich denn mit meinem Kind zusammen rübergehen?" "Nirgendwo!" Der empörte Vater fuhr nach Hause zurück, holte seine Frau aus ihren Prüfungsvorbereitungen, ließ sich von ihr wieder zur Prinzenstraße fahren und ging zu Fuß über die Grenze, während die Mutter mit dem Baby zum Check-Point Charlie fuhr, nach mühseliger Wartezeit in den Ostteil der Stadt gelangte und dort durch die Ruinenfelder ihren Weg zur Übergangsstelle Prinzenstraße zurück suchte. Nach mehr als zwei Stunden waren Vater und Baby auf der östlichen Seite der Mauer wieder vereint.

Mit minutiöser Genauigkeit erzählt die promovierte Kristallographin Marianna Katona die Geschichten ihrer Grenzübergänge nach Ostberlin und der DDR aus fast dreißig Jahren. So entsteht wenn nicht ein Sittengemälde, so doch ein Bild der Sitten an der deutsch-deutschen Grenze, das an Plastizität und Komik nichts zu wünschen übrig lässt. Die bizarre Welt der Transitvisa und Leibesvisitationen, der Passfoto- und Tintenprüfungen, der Schikanen und des augenzwinkernden Wohlwollens, des Misstrauens, des Zitterns und der Listigkeiten - soll sie gerade erst untergegangen sein?

Die Verfasserin schreibt schlicht, ohne literarischen und politisch-moralischen Anspruch, aus der Sicht einer Amerikanerin ungarischer Herkunft, die zugleich distanziert und beteiligt ist. Ihre Gefühle zum absurden Theater, in das sie hineingezogen wird, verhehlt sie nicht - zu Recht: Bilden doch sie den Kern gesellschaftlicher Realität. Fotos und Zeichnungen verhelfen dem Erlebnisbuch zu einer geradezu rührenden Sachlichkeit. Alles zusammen macht den Informationsgehalt, die Authentizität und den Charme dieses kleinen Buches aus - für diejenigen, die den deutsch-deutschen Grenzalltag wiedererkennen wie für diejenigen, für die er unglaublich und unwirklich erscheinen muss, heute, zehn Jahre danach . . . Nicht zuletzt, und fast zu diskret, ist das Buch eine Erinnerung an den großartigen, früh gestorbenen Sozialwissenschaftler Burkhard Strümpel, der in ihm nicht wissenschaftlich, sondern als mutiger und musischer Mensch handelt (vorkommt).

KARL OTTO HONDRICH

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