Siri Hustvedt hat sich mit ihren Romanen «Die unsichtbare Frau» und «Die Verzauberung der Lily Dahl» als Autorin ebenso spannender wie moderner Literatur einen Namen gemacht. In «Nicht hier, nicht dort» sind nun zum ersten Mal ihre essayistischen Schriften versammelt. Der Titel ist programmatisch: Hustvedt bezieht ihn auf ihre geographische Herkunft als zwischen den Kulturen aufgewachsene Tochter norwegischer Einwanderer und auf ihren künstlerischen Standpunkt als Beobachterin und Bewahrerin: die Fiktion als Zwilling der Erinnerung, angesiedelt zwischen der realen Welt und der gedachten, gefühlten der Phantasie. Die Sprache als Mittlerin zwischen diesen Welten steht im Mittelpunkt von Hustvedts Betrachtungen zu Literatur und bildender Kunst: Sie erschließt, ob als Bildsprache des Malers oder als literarische des Schriftstellers, ein komplexes System von changierenden Zeichen und Symbolen, deren Struktur und Bedeutung in unserem Bewusstsein und zugleich außerhalb von uns angelegt sind. ln dieses Zwischenreich blickt man, wenn man in den leeren Spiegel von Vermeers «Annunziata» oder durch «Gatsbys Brille» bei F. Scott Fitzgerald schaut oder wenn man die sprechenden Figurennamen in Charles Dickens' «Unser gemeinsamer Freund» betrachtet. An diesen und anderen Beispielen erläutert Hustvedt, wie der künstlerische Schaffensprozess zu Erkenntnis führt. Ein Essay über den puritanischen Dirigismus, mit dem US-amerikanische Gerichte und Institutionen die Sexualität regulieren wollen, erforscht ebenfalls ein Zwischenreich: jenes wiederum stark durch Phantasie, Projektion und Experiment geprägte Feld der Annäherung, in dem jeder erotische Kontakt zwischen Menschen beginnt. Siri Hustvedt unterscheidet, wie in ihren Romanen, nicht streng zwischen ihrer privaten Biographie und ihrem öffentlichen Werk. Im Werk schwingt stets ein Widerhall des Lebens mit. Deshalb ist dieses Buch ein Glücksfall. Es gibt Einblick in ihre Arbeit und in ihr Leben und unterhält zudem auf hohem Niveau.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der Rezensent Thomas Kraft hätte gerne erfahren, wann und wo die sechs Essays der New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt (ganz nebenbei, sie ist die Frau von Paul Auster) zuerst erschienen sind. Warum ihm das so wichtig erscheint, bleibt allerdings schleierhaft. Denn Kraft scheint an den Reflexionen von Hustvedt über ihren Umgang mit Literatur und bildender Kunst nichts auszusetzen zu haben. Hustvedts Lebensgeschichte prägt ihr literarisches Schaffen, erzählt der Rezensent. Das ist zunächst eigentlich nichts Neues. Interessant findet Kraft aber, wie die Autorin ihre Wahrnehmung und deren Auswirkung auf die literarische Arbeit beschreibt: als ein Denken in Bildern und ein Changieren zwischen Hier und Dort. Diese "Yonder-Welt", wie Hustvedt schreibt, führt zu einem schwebenden Zustand in der Gegenwart, berichtet Kraft. Die Erinnerung an Orte und Zustände sei daher zuverlässiger und klarer als die Wahrnehmung der Gegenwart.
© Perlentaucher Medien GmbH
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