Der Roman erzählt von Grenzen - und von dem Versuch, sie zu überschreiten. Da ist zunächst Erik, ein junger Hamburger Staatsanwalt, dem der Mauerfall willkommene Gelegenheit bietet, vor seiner wenig aufregenden Ehe und festgefahrenen Karriere in die Fremde einer mecklenburgischen Provinzstadt zu fliehen. In der rauheren Luft des Umbruchs erfährt er sich selbst als den Fremden, der er auch vorher schon war. Und da ist der Schüler Silvio, ein heutiger Taugenichts, der die Reise in entgegengesetzter Richtung antritt: aus der Unwirklichkeit einer romantischen Projektion in die real existierende Seifenoper. Begegnen werden sich die beiden so wenig wie Himmel und Meer. Die je eigenen Vorurteile und Erfahrungen west- und ostdeutscher Prägung, Realität und Fiktion von Juglichen und jungen Erwachsenen erscheinen gespiegelt und schieben sich in heftiger Anziehung oder gewaltsamem Überfall für kurze Momente ineinander. Dann fallen sie scheinbar unverändert auf sich selbst zurück. Und doch bilden nur beide zusammen jenen Horizont, hinter dem es allem Anschein nach weitergeht. Joachim Helfer ist ein genauer Beobachter, und mit "seiner starken, weil fintenreich biegsamen, alle Gefahren wegredenden Sprache" (Gustav Seibt) vermag er, der jüngsten deutschen Gegenwart jenseits aller Klischees Weite und Geschichte zu geben.
Zwei Grenzgänger schickt Joachim Helfer in seinem dritten Roman auf die Reise durch das vereinte Deutschland: Den Hamburger Juristen verschlägt´s in die mecklenburgische Provinz und in fremde Betten. Daheim an der Elbe findet die feine Gattin Gefallen am jungen Silvio, einem Taugenichts aus der mecklenburgischen Provinz..."Nicht Himmel, nicht Meer" ist Helfers dritter Roman, und erstmals kontrolliert der Autor seinen Hang zum Manierismus - was der Story zugute kommt: Helfer erzählt seine west-östlichen Entwicklungs-Geschichten mit Witz, Verstand, romantischen Untertönen und wohltuend wenig eitler Schnörkelei. (Hörzu)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2002Jugendstilübung
Alt in der Hamburger Schule: Joachim Helfers Deutschstunde
Nicht Himmel, nicht Meer? Wir meinen: nicht Fisch und nicht Fleisch, für die Vegetarier: nicht Kartoffel und nicht Reis. Joachim Helfer erzählt in seinem neuen Roman die folgende Geschichte aus Deutschland: Erik kommt aus Hamburgs besseren Vierteln, ist ein junger strebsamer Anwalt, hat eine Erwählte in Blankenese (Ellen, wohnt bei ihrer Mutter Louise), geht zum Arbeiten in den Osten Deutschlands, macht dort dem Zimmermädchen Karin ein Kind, die sich irgendwann heimlich mit dem Bauch nach Düsseldorf und aus der Geschichte verzieht, lernt bei seinen Ermittlungen über einen Brandanschlag einen Skinhead kennen, der im Grunde ein ängstliches Kerlchen ist. Eriks Eltern leben getrennt, seine Mutter, in ihrem Beruf erfolgreich, wohnt in Südafrika, sein Vater in Londons teurer Innenstadt.
Rund alle vierzig Seiten werden wir mit einer kursiv gedruckten anderen Biographie beschenkt: Silvio aus dem armen Osten beispielsweise. Er gerät dank eines sehr glücklichen Zufalls nach Blankenese, fällt dank eines zweiten sehr glücklichen Zufalls in die gepflegten und zum Streicheln aufgelegten Hände von Louise und Ellen. Die beiden nehmen das gutaussehende, sehr junge Ostfundstückchen zu sich in die Villa. Dort beschnuppern und betütern sie ihn und machen ihn mit einem goldenen Werber an der Außenalster bekannt. Der kauft Silvio beste Klamotten, bringt ihn in der Agentur unter und darauf als Serienheld zum Fernsehen. Erik und Silvio begegnen sich nicht (Dichter können manchmal das Nächstliegende aussparen).
Nicht genug der Wunder in Deutschland: Silvios Vater wird durch Eriks Vermittlung Wachmann bei Eriks Mutter in Afrika. Und dann, in Afrika auf einer Hochhausterrasse stehend, mit Blick auf Himmel und Meer und die buckelnden Wale, wünscht sich der neue Held des Ostens von der Westdame Ellen: ein Kind. Das klingt bei Helfer so: "So überwältigt ist Erik von dem Anblick, daß alles andere plötzlich von allein geht: ,Ich will ein Kind!'" (Wale, nicht Störche bringen die Kinder zum Menschen.) Wollte Helfer ein deutsches Vereinigungsmärchen erzählen? Oder ist es gar eine sanfte, doch bittere Satire mit den Klischees der jüngsten deutschen Gegenwart? Nichts von beidem hier. Die Geschichte ist ernst gemeint. Der schmetterlingsflügelschlagende und doch nur rosenblütenblättchentreibende Stil aus Pubertätstagen versucht allein schon mit Alliterationen sich auf das Leben einen behütenden Reim zu machen.
Helfer hat in seinem letzten Roman "Cohn & König" seine ganze Intelligenz dafür eingesetzt, Satzendlosschleifen zu drehen, die seinen Helden, der nicht flügge werden mochte, im Flug über dem warmen Nest des Elternhauses hielten, aus dem das Reißaus in die weite Welt nicht ohne große Worte gelingen mochte. Erik hat diesen Absprung halb geschafft. Die Sätze sind kürzer, die Arroganz klimpert nicht mehr laut mit ihren Armbändern. Doch die Geschichte hängt zwischen dem Himmel der geistreichrandvollen Floskeln und dem suppenwarmen trüben Meer der Klischees, auf dessen Wellen dahinzudümpeln eine Erinnerung an frühes Glück sein muß. Vielleicht kommt Joachim Helfer bei seinem nächsten Roman endlich aus dem Nestflüchterpathos seines Hamburger Jugendstils heraus.
EBERHARD RATHGEB.
Joachim Helfer: "Nicht Himmel, nicht Meer". Roman. Suhrkamp Verlag 2002. 213 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alt in der Hamburger Schule: Joachim Helfers Deutschstunde
Nicht Himmel, nicht Meer? Wir meinen: nicht Fisch und nicht Fleisch, für die Vegetarier: nicht Kartoffel und nicht Reis. Joachim Helfer erzählt in seinem neuen Roman die folgende Geschichte aus Deutschland: Erik kommt aus Hamburgs besseren Vierteln, ist ein junger strebsamer Anwalt, hat eine Erwählte in Blankenese (Ellen, wohnt bei ihrer Mutter Louise), geht zum Arbeiten in den Osten Deutschlands, macht dort dem Zimmermädchen Karin ein Kind, die sich irgendwann heimlich mit dem Bauch nach Düsseldorf und aus der Geschichte verzieht, lernt bei seinen Ermittlungen über einen Brandanschlag einen Skinhead kennen, der im Grunde ein ängstliches Kerlchen ist. Eriks Eltern leben getrennt, seine Mutter, in ihrem Beruf erfolgreich, wohnt in Südafrika, sein Vater in Londons teurer Innenstadt.
Rund alle vierzig Seiten werden wir mit einer kursiv gedruckten anderen Biographie beschenkt: Silvio aus dem armen Osten beispielsweise. Er gerät dank eines sehr glücklichen Zufalls nach Blankenese, fällt dank eines zweiten sehr glücklichen Zufalls in die gepflegten und zum Streicheln aufgelegten Hände von Louise und Ellen. Die beiden nehmen das gutaussehende, sehr junge Ostfundstückchen zu sich in die Villa. Dort beschnuppern und betütern sie ihn und machen ihn mit einem goldenen Werber an der Außenalster bekannt. Der kauft Silvio beste Klamotten, bringt ihn in der Agentur unter und darauf als Serienheld zum Fernsehen. Erik und Silvio begegnen sich nicht (Dichter können manchmal das Nächstliegende aussparen).
Nicht genug der Wunder in Deutschland: Silvios Vater wird durch Eriks Vermittlung Wachmann bei Eriks Mutter in Afrika. Und dann, in Afrika auf einer Hochhausterrasse stehend, mit Blick auf Himmel und Meer und die buckelnden Wale, wünscht sich der neue Held des Ostens von der Westdame Ellen: ein Kind. Das klingt bei Helfer so: "So überwältigt ist Erik von dem Anblick, daß alles andere plötzlich von allein geht: ,Ich will ein Kind!'" (Wale, nicht Störche bringen die Kinder zum Menschen.) Wollte Helfer ein deutsches Vereinigungsmärchen erzählen? Oder ist es gar eine sanfte, doch bittere Satire mit den Klischees der jüngsten deutschen Gegenwart? Nichts von beidem hier. Die Geschichte ist ernst gemeint. Der schmetterlingsflügelschlagende und doch nur rosenblütenblättchentreibende Stil aus Pubertätstagen versucht allein schon mit Alliterationen sich auf das Leben einen behütenden Reim zu machen.
Helfer hat in seinem letzten Roman "Cohn & König" seine ganze Intelligenz dafür eingesetzt, Satzendlosschleifen zu drehen, die seinen Helden, der nicht flügge werden mochte, im Flug über dem warmen Nest des Elternhauses hielten, aus dem das Reißaus in die weite Welt nicht ohne große Worte gelingen mochte. Erik hat diesen Absprung halb geschafft. Die Sätze sind kürzer, die Arroganz klimpert nicht mehr laut mit ihren Armbändern. Doch die Geschichte hängt zwischen dem Himmel der geistreichrandvollen Floskeln und dem suppenwarmen trüben Meer der Klischees, auf dessen Wellen dahinzudümpeln eine Erinnerung an frühes Glück sein muß. Vielleicht kommt Joachim Helfer bei seinem nächsten Roman endlich aus dem Nestflüchterpathos seines Hamburger Jugendstils heraus.
EBERHARD RATHGEB.
Joachim Helfer: "Nicht Himmel, nicht Meer". Roman. Suhrkamp Verlag 2002. 213 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein bisschen enttäuscht ist der Rezensent Alex Rühle schon von diesem Roman, obwohl oder gerade weil er findet, dass der Autor Joachim Helfer ein richtig guter Erzähler ist. Leider lässt Helfer sich nach Rühles Ansicht seine Arbeit von einer Über-Konstruiertheit der Handlung und überflüssigen Eitelkeiten kaputtmachen. Oft tritt nach Rühle die Ambitioniertheit des Autors zu deutlich hervor und versperrt den Blick auf die Erzählung. Der Leser wird so unfreiwillig zum Zeugen eines "intellektuellen Scharmützels, einer mühsamen Spiegelfechterei zwischen einem rhetorisch versierten Autor und der deutsche Sprache und Literatur". Das ist nach Rühles Meinung umso bedauerlicher, als der Autor neben dem Erzählen auch noch zum scharfen Beobachten von Details in der Lage ist - aber wegen seiner verschiedene Einwände (so ist der Rezensent auch mit der Erzählperspektive, die der Autor für seine Protagonisten gewählt hat, nicht einverstanden) fällt Rühles Gesamtfazit dann doch eher negativ aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Joachim Helfer bestätigt mit seinem neuen Roman über westöstliche Erkundungen seinen Rang als Erzähler mit Stil. [...] Dieser Romancier erschafft Menschen und Atmosphäre, nicht Abziehbilder aus Hochglanzprospekten." Ulrich Weinzierl Die Welt