Eine Klasse mit elf Mädchen irgendwo an der australischen Küste. Die Lehrerin, Miss Renshaw, möchte ihren Schülerinnen etwas über den Tod beibringen, denn gerade am Morgen hat die letzte Hinrichtung in der Geschichte Australiens stattgefunden. Miss Renshaw nimmt den Mädchen das Versprechen ab, niemandem von dieser Unterrichtsstunde zu erzählen. Nicht jetzt, niemals. Die Schülerinnen ahnen nicht, wie schwierig es sein wird, dieses Versprechen zu halten.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lobend äußert sich Christine Knödler über Ursula Dubosarskys Erzählung für Jugendliche "Nicht jetzt. Niemals". Die Geschichte um eine Lehrerin, die ihren Schülerinnen ein Versprechen abnimmt, das diese in arge Bedrängnis bringen wird, ist für sie eine Kindheitsgeschichte an der Grenze zwischen Kindheit und Pubertät, in der Fantasie der Kinder und reale Ereignisse verschwimmen. Sie attestiert der Autorin einen "kunstvollen Assoziations-Teppich" zu schaffen, voll von Andeutungen, in dem sehr viel in der Schwebe bleibt. In diesem Zusammenhang lobt sie auch die Übersetzung von Silvia Schroer, der es gelingt, die Atmosphäre von Unsicherheit nuanciert zu übertragen. Das Fazit der Rezensentin: ein eindringliches Buch mit einem irritierenden, merkwürdigen Ende.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2012Das bleibt unser kleines Geheimnis, nicht wahr?
Gedichte lesen im Park, und in Vietnam tobt der Krieg: Die australische Autorin Ursula Dubosarsky hat einen feinen Bildungsroman um elf Mädchen und ihre Lehrerin geschrieben.
Wie wichtig Lehrer sind, begreift man oft erst später im Leben. Zu Schulzeiten wird die aufkeimende Erkenntnis, dass man über bestimmte Fragen, von einem besonderen Lehrer gestellt, viel lieber nachdenkt als über andere, häufig noch vom Überdruss an Hausaufgaben und Klassenarbeiten erdrückt. Erst wenn man die Schule längst verlassen hat, reift die Einsicht, dass ein persönliches Interesse, vielleicht gar eine Leidenschaft, einem einzelnen Lehrer zu verdanken ist, der es verstanden hat, zur richtigen Zeit die richtigen Impulse zu geben. Es gibt Lehrer, die man deswegen nicht vergisst. Zu ihnen gehört Miss Renshaw.
Sie ist die Lehrerin in dem schmalen Buch "Nicht jetzt, niemals", das die australische Autorin Ursula Dubosarsky geschrieben hat und das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist. "Miss Renshaw", heißt es dort auf den ersten Seiten, "war groß, edel und stark. Ihr Haar war rot und lockig. Sie war wie eine Löwin. Sie stand an der Tür zum Klassenzimmer und wartete, dass die kleinen Mädchen ihre breitkrempigen Hüte mit den blauen Bändern fanden, während sie sich darauf vorbereiteten, die Sicherheit des Schulgebäudes zu verlassen."
Damit ist schon sehr viel über Miss Renshaw gesagt: Sie ist eine respekteinflößende Frau, für die die Behaglichkeit sicherer Orte keine Verlockung darstellt. Im Gegenteil: Was sie auszeichnet, ist ein Hang zum Ungewöhnlichen. Das betrifft nicht nur die Menschen, mit denen sie sich umgibt, sondern auch ihre Unterrichtsmethoden.
An dem schönen Sommertag 1967, an dem die Geschichte beginnt, führt Miss Renshaw ihre elf Schülerinnen - es sind ausschließlich Mädchen - hinaus in die Ena Thompson Memorial Gardens, von denen aus man einen wunderbaren Blick auf die anrollenden Pazifikwellen hat. Hier sollen ihre Schülerinnen lernen, so lustzuwandeln, wie Miss Renshaw es dort gern tut, sprich: Sie sollen sich treiben lassen und über das, was sie sehen, hören und fühlen, ein Gedicht verfassen. Doch die Mädchen sind, wenn auch noch nicht mal zwölf Jahre alt, weit weniger naiv, als Miss Renshaw das gern glauben möchte. Von wegen Lustwandeln und Gedichte: Sie wissen genau, dass Miss Renshaws Interesse in Wahrheit dem Gärtner Morgan gilt, der in dem Park arbeitet. Manchmal erzählt Morgan den Mädchen Geschichten oder liest ihnen Gedichte vor, die er selbst verfasst hat. Miss Renshaw sagt dann: "Wir erzählen unseren Eltern oder anderen Lehrern nichts von diesen Treffen mit Morgan, nicht wahr, Mädchen?" Die Treffen sind geheim. Warum sie geheim sind, sagt Miss Renshaw nicht.
Wie sich zeigt, funktioniert ihre Beschwörung, die sich als unheilvoll herausstellen soll, aber auch ohne gute Begründung. Denn selbst als Morgan die ganze Klasse an diesem Sommertag in eine nahe gelegene Höhle führt, in der noch uralte Zeichnungen von den Aborigines zu sehen sein sollen; selbst als die Mädchen diese Höhle irgendwann allein verlassen müssen, weil sie ihnen unheimlich wird; selbst als sie schließlich ohne Miss Renshaw an die Schule zurückkehren und selbst als die Direktorin die Mädchen dringend bittet, ihr zu erzählen, was passiert sei und wo ihre Lehrerin geblieben sei - selbst da schweigen die Mädchen. Erst dem Schulpsychologen gelingt es, den wochenlangen, zähen Widerstand zu brechen und die Wahrheit herauszukitzeln - und zwar aus dem schwächsten der elf Mädchen. Doch was ist die Wahrheit? Was ist in der Höhle geschehen? Wo sind Miss Renshaw und Morgan? Wird man sie wiedersehen? Und was geschieht, wenn man das alles nie erfährt? Das sind die Fragen, um die es hier geht.
Die Antworten, die das Buch gibt, sind so unterschiedlich wie die Schülerinnen selbst. Während die zarteste von ihnen, Bethany, die immer sofort anfängt zu weinen, fest daran glaubt, dass die von allen verehrte Miss Renshaw wiederauftaucht, geht die scheinbar abgebrühteste, Icara, ohne zu zögern, davon aus, dass die Verschwundene tot ist. Und doch ist es gerade Icara, die ihre Freundin Cubby eines Tages mit zu sich nach Hause nimmt, um ihr einen Ort zu zeigen, den sie besonders mag. Es ist eine Art Spielplatz mitten im Wald, den man am besten vom Wasser aus mit dem Ruderboot erreicht. Icara nennt ihn "Märchenland". Es gibt dort ein Reh aus Holz, eine Schneewittchen-Figur lugt aus dem Unterholz, es ist dunkel und kalt, und Cubby fürchtet sich, vor allem als Icara ihr die seltsame Frage stellt: "Glaubst du an Geister, Cubby?"
Denn das wäre natürlich eine Möglichkeit, sich die Ereignisse zu erklären. Und es ist nicht ohne Reiz, dass es ausgerechnet Icar ist, jene von Miss Renshaw so oft abschätzig als "Realistin" bezeichnete Schülerin, die diese Möglichkeit ins Spiel bringt. Die Welt, so pflegte die Lehrerin gern zu sagen, brauche keine Realisten, sondern Träumer. Und ja, mit Geisterträumen ist der Vorstellung vom Tod der Lehrerin durchaus beizukommen. Andere Ereignisse hingegen lassen sich auf diese Art nicht ohne weiteres erklären. Denn diskret zwar, aber doch unüberhörbar hat Ursula Dubosarsky in ihre Geschichte weitere Todesnachrichten fließen lassen - in Vietnam tobt der Krieg, in Melbourne ist ein Mann hingerichtet worden. Langsam dringen diese Ereignisse in das Bewusstsein der Mädchen ein und fordern sie dazu auf, sich ein Bild von dem Land und der Zeit zu machen, in der sie leben.
So balanciert dieses Buch lange und sehr geschickt zwischen den Vorboten vom Ernst des Lebens, die machtvoll an das malerische Schulgebäude drängen, und der kindlichen Vorstellungswelt, in der die Mädchen (noch) vor Unheil geschützt sind. In dieser Welt, die Dubosarsky mit wunderschönen Bildern heraufzubeschwören weiß, in der Miss Renshaws Stimme über Baumwipfeln segelt, "während sich die kleinen Mädchen wie Tropfen eines Nieselregens verstreuten", um sich wenig später "behäbig wie Tropfen klebrigen Karamells" aus dem weichen Gras zu erheben, sind Geisterbeschwörungen ein probates Mittel. Ebenso wenig wie das Leben aber, das vor den Mädchen liegt, ist Dubosarskys Buch eine reine Spukgeschichte. Denn "Nicht jetzt, niemals" ist auch ein Bildungsroman. Er erzählt von elf Mädchen und ihren ersten Prüfungen, von frühen Entscheidungen und von so wichtigen Fragen wie der, ob man lieber träumt oder wacht. Oder ob sich beides nicht auch miteinander vereinbaren lässt. In diesem Sinn ist "Nicht jetzt, niemals" ein ebenso fein- wie hintersinniges Werk. Ein schönes Buch.
LENA BOPP.
Ursula Dubosarsky: "Nicht jetzt, niemals".
Aus dem Englischen von Silvia Schröer. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2012. 144 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedichte lesen im Park, und in Vietnam tobt der Krieg: Die australische Autorin Ursula Dubosarsky hat einen feinen Bildungsroman um elf Mädchen und ihre Lehrerin geschrieben.
Wie wichtig Lehrer sind, begreift man oft erst später im Leben. Zu Schulzeiten wird die aufkeimende Erkenntnis, dass man über bestimmte Fragen, von einem besonderen Lehrer gestellt, viel lieber nachdenkt als über andere, häufig noch vom Überdruss an Hausaufgaben und Klassenarbeiten erdrückt. Erst wenn man die Schule längst verlassen hat, reift die Einsicht, dass ein persönliches Interesse, vielleicht gar eine Leidenschaft, einem einzelnen Lehrer zu verdanken ist, der es verstanden hat, zur richtigen Zeit die richtigen Impulse zu geben. Es gibt Lehrer, die man deswegen nicht vergisst. Zu ihnen gehört Miss Renshaw.
Sie ist die Lehrerin in dem schmalen Buch "Nicht jetzt, niemals", das die australische Autorin Ursula Dubosarsky geschrieben hat und das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist. "Miss Renshaw", heißt es dort auf den ersten Seiten, "war groß, edel und stark. Ihr Haar war rot und lockig. Sie war wie eine Löwin. Sie stand an der Tür zum Klassenzimmer und wartete, dass die kleinen Mädchen ihre breitkrempigen Hüte mit den blauen Bändern fanden, während sie sich darauf vorbereiteten, die Sicherheit des Schulgebäudes zu verlassen."
Damit ist schon sehr viel über Miss Renshaw gesagt: Sie ist eine respekteinflößende Frau, für die die Behaglichkeit sicherer Orte keine Verlockung darstellt. Im Gegenteil: Was sie auszeichnet, ist ein Hang zum Ungewöhnlichen. Das betrifft nicht nur die Menschen, mit denen sie sich umgibt, sondern auch ihre Unterrichtsmethoden.
An dem schönen Sommertag 1967, an dem die Geschichte beginnt, führt Miss Renshaw ihre elf Schülerinnen - es sind ausschließlich Mädchen - hinaus in die Ena Thompson Memorial Gardens, von denen aus man einen wunderbaren Blick auf die anrollenden Pazifikwellen hat. Hier sollen ihre Schülerinnen lernen, so lustzuwandeln, wie Miss Renshaw es dort gern tut, sprich: Sie sollen sich treiben lassen und über das, was sie sehen, hören und fühlen, ein Gedicht verfassen. Doch die Mädchen sind, wenn auch noch nicht mal zwölf Jahre alt, weit weniger naiv, als Miss Renshaw das gern glauben möchte. Von wegen Lustwandeln und Gedichte: Sie wissen genau, dass Miss Renshaws Interesse in Wahrheit dem Gärtner Morgan gilt, der in dem Park arbeitet. Manchmal erzählt Morgan den Mädchen Geschichten oder liest ihnen Gedichte vor, die er selbst verfasst hat. Miss Renshaw sagt dann: "Wir erzählen unseren Eltern oder anderen Lehrern nichts von diesen Treffen mit Morgan, nicht wahr, Mädchen?" Die Treffen sind geheim. Warum sie geheim sind, sagt Miss Renshaw nicht.
Wie sich zeigt, funktioniert ihre Beschwörung, die sich als unheilvoll herausstellen soll, aber auch ohne gute Begründung. Denn selbst als Morgan die ganze Klasse an diesem Sommertag in eine nahe gelegene Höhle führt, in der noch uralte Zeichnungen von den Aborigines zu sehen sein sollen; selbst als die Mädchen diese Höhle irgendwann allein verlassen müssen, weil sie ihnen unheimlich wird; selbst als sie schließlich ohne Miss Renshaw an die Schule zurückkehren und selbst als die Direktorin die Mädchen dringend bittet, ihr zu erzählen, was passiert sei und wo ihre Lehrerin geblieben sei - selbst da schweigen die Mädchen. Erst dem Schulpsychologen gelingt es, den wochenlangen, zähen Widerstand zu brechen und die Wahrheit herauszukitzeln - und zwar aus dem schwächsten der elf Mädchen. Doch was ist die Wahrheit? Was ist in der Höhle geschehen? Wo sind Miss Renshaw und Morgan? Wird man sie wiedersehen? Und was geschieht, wenn man das alles nie erfährt? Das sind die Fragen, um die es hier geht.
Die Antworten, die das Buch gibt, sind so unterschiedlich wie die Schülerinnen selbst. Während die zarteste von ihnen, Bethany, die immer sofort anfängt zu weinen, fest daran glaubt, dass die von allen verehrte Miss Renshaw wiederauftaucht, geht die scheinbar abgebrühteste, Icara, ohne zu zögern, davon aus, dass die Verschwundene tot ist. Und doch ist es gerade Icara, die ihre Freundin Cubby eines Tages mit zu sich nach Hause nimmt, um ihr einen Ort zu zeigen, den sie besonders mag. Es ist eine Art Spielplatz mitten im Wald, den man am besten vom Wasser aus mit dem Ruderboot erreicht. Icara nennt ihn "Märchenland". Es gibt dort ein Reh aus Holz, eine Schneewittchen-Figur lugt aus dem Unterholz, es ist dunkel und kalt, und Cubby fürchtet sich, vor allem als Icara ihr die seltsame Frage stellt: "Glaubst du an Geister, Cubby?"
Denn das wäre natürlich eine Möglichkeit, sich die Ereignisse zu erklären. Und es ist nicht ohne Reiz, dass es ausgerechnet Icar ist, jene von Miss Renshaw so oft abschätzig als "Realistin" bezeichnete Schülerin, die diese Möglichkeit ins Spiel bringt. Die Welt, so pflegte die Lehrerin gern zu sagen, brauche keine Realisten, sondern Träumer. Und ja, mit Geisterträumen ist der Vorstellung vom Tod der Lehrerin durchaus beizukommen. Andere Ereignisse hingegen lassen sich auf diese Art nicht ohne weiteres erklären. Denn diskret zwar, aber doch unüberhörbar hat Ursula Dubosarsky in ihre Geschichte weitere Todesnachrichten fließen lassen - in Vietnam tobt der Krieg, in Melbourne ist ein Mann hingerichtet worden. Langsam dringen diese Ereignisse in das Bewusstsein der Mädchen ein und fordern sie dazu auf, sich ein Bild von dem Land und der Zeit zu machen, in der sie leben.
So balanciert dieses Buch lange und sehr geschickt zwischen den Vorboten vom Ernst des Lebens, die machtvoll an das malerische Schulgebäude drängen, und der kindlichen Vorstellungswelt, in der die Mädchen (noch) vor Unheil geschützt sind. In dieser Welt, die Dubosarsky mit wunderschönen Bildern heraufzubeschwören weiß, in der Miss Renshaws Stimme über Baumwipfeln segelt, "während sich die kleinen Mädchen wie Tropfen eines Nieselregens verstreuten", um sich wenig später "behäbig wie Tropfen klebrigen Karamells" aus dem weichen Gras zu erheben, sind Geisterbeschwörungen ein probates Mittel. Ebenso wenig wie das Leben aber, das vor den Mädchen liegt, ist Dubosarskys Buch eine reine Spukgeschichte. Denn "Nicht jetzt, niemals" ist auch ein Bildungsroman. Er erzählt von elf Mädchen und ihren ersten Prüfungen, von frühen Entscheidungen und von so wichtigen Fragen wie der, ob man lieber träumt oder wacht. Oder ob sich beides nicht auch miteinander vereinbaren lässt. In diesem Sinn ist "Nicht jetzt, niemals" ein ebenso fein- wie hintersinniges Werk. Ein schönes Buch.
LENA BOPP.
Ursula Dubosarsky: "Nicht jetzt, niemals".
Aus dem Englischen von Silvia Schröer. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2012. 144 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2012Barbarischer Akt
Geheimnis eines rätselhaften Verbrechens
Alles beginnt an einem heißen Februartag des Jahres 1967 in einem kleinen Ort, irgendwo an der Pazifikküste Australiens. Es ist der Tag der Hinrichtung von Ronald Ryan, der letzten Exekution in diesem Land. Eine Klasse kleiner Mädchen wird von ihrer Lehrerin Miss Renshaw mit dem „barbarischen Akt“ konfrontiert. Sie führt sie in den nahe gelegenen Garten, damit sie dort über den Tod nachdenken. Tatsächlich will sich Miss Renshaw mit dem Gärtner treffen, mit Morgan, in den sie sich verliebt hat, das wissen die Mädchen genau. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass sie in den Garten gehen. Dass das nicht in Ordnung ist, wissen sie auch, denn Miss Renshaw vereinbart, dass sie mit keinem über ihre Ausflüge sprechen. „Das ist unser kleines Geheimnis“, redet sie ihnen ein, auch an diesem Tag im Februar 1967.
Vom Garten aus bringen die beiden Erwachsenen die Kinder in eine Höhle am Meer, um ihnen Malereien der Aborigines zu zeigen. Den Mädchen ist das unheimlich. Sie wollen weg, sie schleichen sich allein zur Schule, immer die Weisung im Ohr, ihr kleines Geheimnis für sich zu behalten. Aus der Absprache wird ein Versprechen, daraus ein Gebot, schließlich ein Verhängnis, dann nämlich, als Miss Renshaw und Morgan nicht zurückkehren, als die Lehrerinnen, die Direktorin, der Pfarrer, die Polizei den Mädchen Fragen stellen. Als Cubby, eine der Hauptfiguren der Erzählung, an der Tafel drei Worte auftauchen sieht: „Nicht jetzt. Niemals“. Die Mädchen halten sich daran. Sie schweigen auf alle Fragen. Acht Jahre später. Aus den Mädchen sind junge Frauen geworden, da steht Miss Renshaw, die Totgeglaubte, vor ihnen und erzählt ihre Version der Geschichte – Geist oder Wirklichkeit?
Es ist das seltsame, verstörende Ende einer bemerkenswerten Erzählung, die Kindheitsgeschichte, aber keinesfalls Kindergeschichte ist. Einer Geschichte, die sich an der fragilen und bislang weitgehend unbeschrittenen Grenze zwischen Kindheit und Pubertät entlang tastet. In der die Fantasien und die seelischen Zustände der Mädchen reale Handlungselemente einer Kette absurder Ereignisse werden, von denen Ursula Dubosarsky weniger erzählt, als dass sie Schlaglichter darauf wirft. Sie schafft einen kunstvollen Assoziations-Teppich, dessen Charakteristikum die Andeutung ist, das In-der-Schwebe-Bleiben, voll sperriger Schönheit. Die liegt in der Sprache, der irrlichternden Atmosphäre, der präzisen literarischen Konstruktion, von Silvia Schroer in allen Nuancen übertragen.
„Ist das wirklich alles passiert?“, fragt Cubby am Ende. „Oder ist alles, ich weiß auch nicht, eine Art Falschmeldung?“ Anders gefragt: Was wollen Geschichten? Was (ver)heißt Fantasie? Was vermag Sprache? Eine Antwort liegt in dieser Erzählung wie ein Gedicht: ein einzigartiges Gedankenspiel von besonderer Ausdruckskraft offen und voller Möglichkeiten. (ab 12 Jahre)
CHRISTINE KNÖDLER
Ursula Dubosarsky: Nicht jetzt. Niemals. Aus dem australischen Englisch von Silvia Schroer. Ueberreuter 2012. 143 Seiten, 12,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Geheimnis eines rätselhaften Verbrechens
Alles beginnt an einem heißen Februartag des Jahres 1967 in einem kleinen Ort, irgendwo an der Pazifikküste Australiens. Es ist der Tag der Hinrichtung von Ronald Ryan, der letzten Exekution in diesem Land. Eine Klasse kleiner Mädchen wird von ihrer Lehrerin Miss Renshaw mit dem „barbarischen Akt“ konfrontiert. Sie führt sie in den nahe gelegenen Garten, damit sie dort über den Tod nachdenken. Tatsächlich will sich Miss Renshaw mit dem Gärtner treffen, mit Morgan, in den sie sich verliebt hat, das wissen die Mädchen genau. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass sie in den Garten gehen. Dass das nicht in Ordnung ist, wissen sie auch, denn Miss Renshaw vereinbart, dass sie mit keinem über ihre Ausflüge sprechen. „Das ist unser kleines Geheimnis“, redet sie ihnen ein, auch an diesem Tag im Februar 1967.
Vom Garten aus bringen die beiden Erwachsenen die Kinder in eine Höhle am Meer, um ihnen Malereien der Aborigines zu zeigen. Den Mädchen ist das unheimlich. Sie wollen weg, sie schleichen sich allein zur Schule, immer die Weisung im Ohr, ihr kleines Geheimnis für sich zu behalten. Aus der Absprache wird ein Versprechen, daraus ein Gebot, schließlich ein Verhängnis, dann nämlich, als Miss Renshaw und Morgan nicht zurückkehren, als die Lehrerinnen, die Direktorin, der Pfarrer, die Polizei den Mädchen Fragen stellen. Als Cubby, eine der Hauptfiguren der Erzählung, an der Tafel drei Worte auftauchen sieht: „Nicht jetzt. Niemals“. Die Mädchen halten sich daran. Sie schweigen auf alle Fragen. Acht Jahre später. Aus den Mädchen sind junge Frauen geworden, da steht Miss Renshaw, die Totgeglaubte, vor ihnen und erzählt ihre Version der Geschichte – Geist oder Wirklichkeit?
Es ist das seltsame, verstörende Ende einer bemerkenswerten Erzählung, die Kindheitsgeschichte, aber keinesfalls Kindergeschichte ist. Einer Geschichte, die sich an der fragilen und bislang weitgehend unbeschrittenen Grenze zwischen Kindheit und Pubertät entlang tastet. In der die Fantasien und die seelischen Zustände der Mädchen reale Handlungselemente einer Kette absurder Ereignisse werden, von denen Ursula Dubosarsky weniger erzählt, als dass sie Schlaglichter darauf wirft. Sie schafft einen kunstvollen Assoziations-Teppich, dessen Charakteristikum die Andeutung ist, das In-der-Schwebe-Bleiben, voll sperriger Schönheit. Die liegt in der Sprache, der irrlichternden Atmosphäre, der präzisen literarischen Konstruktion, von Silvia Schroer in allen Nuancen übertragen.
„Ist das wirklich alles passiert?“, fragt Cubby am Ende. „Oder ist alles, ich weiß auch nicht, eine Art Falschmeldung?“ Anders gefragt: Was wollen Geschichten? Was (ver)heißt Fantasie? Was vermag Sprache? Eine Antwort liegt in dieser Erzählung wie ein Gedicht: ein einzigartiges Gedankenspiel von besonderer Ausdruckskraft offen und voller Möglichkeiten. (ab 12 Jahre)
CHRISTINE KNÖDLER
Ursula Dubosarsky: Nicht jetzt. Niemals. Aus dem australischen Englisch von Silvia Schroer. Ueberreuter 2012. 143 Seiten, 12,95 Euro.
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