129,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in ca. 2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Wer leitet die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages? Dürfen alle Fraktionen einen Vizepräsidenten stellen? Kann ein Ausschuss seinen Vorsitzenden abberufen? Wer sitzt im Plenarsaal an welchem Platz? - solche, mit einem Blick in Grundgesetz und Geschäftsordnung nicht eindeutig zu beantwortende Fragen sind Anzeichen eines besonderen parlamentarischen Phänomens: Organisation und Verfahrensgang eines Parlaments werden nicht allein von kodifizierten Normen gesteuert, sondern von einer Vielzahl an ungeschriebenen Übungen, Sitten, Gebräuchen und Gepflogenheiten entscheidend mitbestimmt.…mehr

Produktbeschreibung
Wer leitet die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages? Dürfen alle Fraktionen einen Vizepräsidenten stellen? Kann ein Ausschuss seinen Vorsitzenden abberufen? Wer sitzt im Plenarsaal an welchem Platz? - solche, mit einem Blick in Grundgesetz und Geschäftsordnung nicht eindeutig zu beantwortende Fragen sind Anzeichen eines besonderen parlamentarischen Phänomens: Organisation und Verfahrensgang eines Parlaments werden nicht allein von kodifizierten Normen gesteuert, sondern von einer Vielzahl an ungeschriebenen Übungen, Sitten, Gebräuchen und Gepflogenheiten entscheidend mitbestimmt. Der Autor nimmt diesen Befund zum Anlass, derartige Regelmäßigkeiten am Beispiel des Deutschen Bundestages empirisch zu erfassen, rechtssystematisch zu ordnen und die Ursachen ihrer Wirksamkeit zu ergründen. In Zeiten, in denen der Grundkonsens zwischen den am Parlamentsgeschehen beteiligten Akteuren zunehmend in Frage gestellt ist, bietet die Untersuchung auch der Praxis rechtliche Orientierung.
Autorenporträt
Felix Lücke studierte Rechtswissenschaften an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Seit September 2020 ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht bei Prof. Dr. Hermann Butzer beschäftigt, unter dessen Betreuung er auch seine Dissertation verfasste. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist er derzeit an den Niedersächsischen Staatsgerichtshof abgeordnet. Seit Dezember 2022 ist Felix Lücke zudem Rechtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle und absolviert unter anderem Stationen beim Niedersächsischen Justizministerium, in einer auf das Öffentliche Recht spezialisierten Kanzlei in Bonn sowie beim Bundesverfassungsgericht.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit ein paar Einschränkungen lobenswert ist dieses Buch für Rezensent Finn Hohenschwert. Der Rechtswissenschaftler Felix Lücke beschäftigt sich darin, lernen wir, mit der Bedeutung ungeschriebener Regeln im Bundestag, ein Feld, das nicht nur die Kleidungsordnung, sondern etwa auch die Zusammensetzung von Ausschüssen betrifft. Durchaus erstaunlich findet Hohenschwert es nach der Lektüre, wie viele der parlamentarischen Gepflogenheiten nicht kodifiziert sind. In eine Krise, fasst der Rezensent die Argumentation zusammen, geraten diese teils nichtrechtlichen teils durchs Gewohnheitsrecht gestützten Regeln oftmals, wenn neue politische Kräfte ins Parlament drängen. Im Fall der AfD zeigt sich dies in der Missachtung der Regeln durch die neue Partei, so Hohenschwert mit Lücke, aber auch in der Ausgrenzung der AfD durch andere Parteien. Lücke plädiert laut Rezensent dafür, das Gewohnheitsrecht als dem formalen Recht gleichgestellt zu betrachten. Eine interessante und wichtige Perspektive ist das, findet Hohenschwert, der lediglich an einigen Stellen detaillierte Belege vermisst und eine etwas allzu knappe Argumentation bemängelt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2024

"Seismograph der Parlamentskultur"
Wenn der Grundkonsens bröckelt - Vom Nutzen und Grenzen ungeschriebener Regeln im Bundestag

Ungeschriebene Regeln im Parlament können Außenstehende befremden. Ihre fehlende Niederschrift macht es schwer, Abläufe nachzuvollziehen. Neben vermeintlichen Banalitäten wie der Kleider- oder Sitzordnung behandeln sie praktisch bedeutsame Fragen wie die personelle Besetzung der Ausschussvorsitze oder des Bundestagspräsidiums. Es gibt sie aus gutem Grund: Als Verfahrens- und Organisationsregeln erleichtern sie die Entscheidungsfindung. Auseinandersetzungen konzentrieren sich mehr auf die Sache und weniger auf Verfahren. Parlamente werden dadurch leistungsfähiger. Ungeschriebene Regeln haben zudem eine befriedende Wirkung. Sie leben davon, dass jeder sie einhält. Das schafft Vertrauen, setzt aber auch eine Konsensbereitschaft unter den Parlamentariern voraus. Seit dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag bröckelt der dortige Grundkonsens. Während die Rechtspopulisten parlamentarische Gepflogenheiten offen infrage stellen, setzen die übrigen Fraktionen auf Ausgrenzung. Bis heute durfte die AfD-Fraktion keinen Bundestagsvizepräsidenten stellen. Das wirft rechtliche Fragen auf, mit denen sich in jüngster Zeit auch immer wieder das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen musste.

Das Thema bietet ausreichend Stoff, um daraus eine juristische Dissertation zu stricken. Die Anzahl hierzu veröffentlichter Arbeiten ist überschaubar. Viele davon beziehen sich noch auf ein konsensual geprägtes Drei-Fraktionen-Parlament aus Union, SPD und FDP. Mit den Grünen und der AfD nehmen mittlerweile aber fünf Fraktionen sowie die parlamentarischen Gruppen der Linken und des BSW im Bundestag Platz. Das hat sich auch auf interfraktionelle Verständigungen ausgewirkt. Dass der Hannoveraner Rechtswissenschaftler Felix Lücke eine Doktorarbeit zu dem Thema geschrieben hat, ist deshalb erfreulich.

Seine Arbeit setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Im ersten empirischen Teil trägt der Autor die ungeschriebenen Regeln im Bundestag zusammen und unterteilt sie anhand ihrer Funktion in verschiedene Kategorien. Beim Lesen dieser Zusammenschau wird man überrascht, wie viele der gängigen Praktiken im Bundestag einzig auf informellen, konsensbasierten Absprachen beruhen. In einer ansprechenden Mischung aus jüngeren Entwicklungen und historischen Rückblicken fächert Lücke die Regeln auf. Leider lässt er seine Leser über die Datengrundlage seiner empirischen Studie im Unklaren. Die knappen Hinweise auf "bereits vorgenommene Beobachtungen in der Literatur" und "konkrete Informationen aus der Parlamentspraxis" liefern keine zufriedenstellende Antwort. Hier wären Ausführungen zur methodischen Herangehensweise notwendig.

Zum Ende seines ersten Teils resümiert Felix Lücke, dass ungeschriebene Regeln stets auch ein Spiegelbild des parlamentsdemokratischen Geistes, gegenseitiger Fairness und politischen Stils seien. Er zeichnet das gelungene Bild von einem "Seismograph der Parlamentskultur": Anhand der Kompromiss- und Konsensfähigkeit bei Verfahrens- und Organisationsfragen sei immer auch die gegenwärtige Kultur im Parlament ablesbar. Herausforderungen ergäben sich dann, wenn bestehende Konventionen durch einen parlamentarischen Neuling vornehmlich aus politischen Gründen der Abgrenzung vom bisherigen Status quo hinterfragt würden. Das sei bereits in den 1980er-Jahren bei den Grünen und nach der Wiedervereinigung bei der PDS zu beobachten gewesen. Neu sei jedoch die Verrohung des Parlamentsklimas durch den rechtspopulistischen Kommunikationsstil der AfD. Symmetrisch dazu verhalte sich die von den übrigen Fraktionen geübte Exklusionstendenz. Dies verdeutliche letztlich auch die Fragilität des parlamentarischen Grundkonsenses.

Im zweiten rechtssystematischen Teil der Arbeit untergliedert der Autor die ungeschriebenen Regeln im Bundestag in solche mit rechtlichem und nichtrechtlichem Charakter. Letztere hätten nur einen symbolischen Charakter und appellierten an die Moral der Parlamentarier. Schwerpunktmäßig behandelt der Autor solche Regeln mit Rechtsqualität. Diese seien überwiegend gewohnheitsrechtlicher Natur. Das Gewohnheitsrecht ist im vergangenen Jahrhundert weitestgehend vom Gesetzesrecht verdrängt worden. Die vermeintlich überalterte und unbedeutende Rechtsquelle sei Lücke zufolge im traditionsgeprägten Parlamentsrecht aber als eine Art Refugium erhalten geblieben. Der Autor plädiert für eine Überarbeitung der Entstehungsvoraussetzungen im parlamentarischen Umfeld. Überzeugend und gut begründet spricht er sich über den bisherigen Diskussionsstand hinaus dafür aus, in objektiver Hinsicht nicht nur auf die Dauer einer praktizierten Übung, sondern auf zusätzliche Indikatoren wie ihre Wiederholungsintensität abzustellen.

Interessant sind auch seine Ausführungen zur Normhierarchie. Lücke vertritt die Auffassung, parlamentarisches Gewohnheitsrecht stehe dem geschriebenen Parlamentsrecht äquivalent gegenüber. Diese Äquivalenzthese, die zugleich die zentrale These seiner Untersuchung darstellt, hätte noch mehr Schlagkraft gewonnen, wenn der Autor umfassender auf den Einwand der geringeren Rechtssicherheit eingegangen wäre. Mit diesem Argument wird im Schrifttum ein Nachrangverhältnis konstruiert. Lücke behauptet knapp, das Defizit lasse sich durch objektiv eindeutige Kriterien bei der Gewohnheitsrechtsbildung überwinden. Eine umfassendere Auseinandersetzung wäre auch im Interesse des Autors gewesen, um der erwartbaren Kritik an seiner These den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Insgesamt überzeugt die mit 563 Seiten sehr umfangreiche Dissertation dennoch. Seine Arbeit war anspruchsvoll, da er die nicht immer transparenten Wechselwirkungen zwischen Politik und Recht berücksichtigen musste. Mit seiner Dissertation trägt er dazu bei, ein Verständnis für die komplexen Wirkungsweisen im Parlament zu schaffen und dort für Rechtsklarheit zu sorgen, wo es aufgrund zunehmender Spannungen dringend nötig ist. FINN HOHENSCHWERT

Felix Lücke: Nicht kodifizierte Regeln im Deutschen Bundestag. Eine empirische und rechtssystematische Studie über das informale Parlament.

Duncker & Humblot, Berlin 2024. 563 S., 129,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
…mehr