30 Jahre nach der Gründung ist die Partei "Die Grünen" ein etablierter Faktor in der bundesdeutschen Politik. Doch aus welchen ideengeschichtlichen Traditionen stammten ihre Konzepte, wo ist ihr historischer Ort in der Geschichte der Bundesrepublik? Silke Mende entfaltet das ganze Spektrum der grünen Strömungen, von konservativen Naturschützern über verschiedene Anhänger eines "Dritten Weges" bis hin zu dogmatischen und undogmatischen Gruppen der Neuen Linken nach "1968". Die Formierung der Gründungsgrünen setzt sie mit den politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen in Beziehung, die die Bundesrepublik der 1970er und frühen 1980er Jahre kennzeichneten. Ausgezeichnet mit dem Dr. Leopold-Lucas-Nachwuchswissenschaftler-Preis 2011 der Universität Tübingen
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2012Im Land Technokrazien
Silke Mende zeigt, wie die Grünen zusammenfanden:
Nur in der Kritik am Staat war man sich halbwegs einig
Ganz wohl fühlen sie sich in der Rolle als altersweise Ratgeber noch nicht. Jedenfalls war es den grünen Politstrategen sichtlich unangenehm, den Erfolg der Piratenpartei in Berlin erklären zu müssen. Da blieb nicht viel übrig als – ähnlich wie einst die Genossen der achtziger Jahre – im Tonfall großzügiger Gönnerschaft über die Sprösslinge des Mac-Milieus zu schwadronieren. Schließlich wusste man ja, was gemeint ist, wenn von „verkrusteten Parteien und Parlamenten“ und einem „neuen Politikstil“ die Rede war.
Den einen oder anderen Grünen mag es beängstigen, dass aus der „Anti-Parteien-Partei“ von damals inzwischen ein Gegenstand der Zeitgeschichte geworden ist. Die Tübinger Historikerin Silke Mende hat sich der Gründungsgeschichte der Grünen angenommen und ein – gerade auch mit Blick auf die Gegenwart – beeindruckendes Buch geschrieben, das verstehen hilft, woher diese Partei ihre Energie bezog, um gegen viele Widerstände den Weg in das politische Establishment der Bundesrepublik zu finden.
Mende interessiert sich vor allem für die intellektuellen Strömungen, die in der Folge von 1968 die Gründungsgeschichte der Grünen bestimmten. „Undogmatische Linke“ gehörten dazu genauso wie die „Spontis“ um Joschka Fischer oder die verschworenen „demokratischen Zentralisten“ aus den kommunistischen Gruppen.
Nirgends konnte man zuvor so präzise etwas über drei weitere wesentliche Gruppierungen lesen, deren Einfluss in den späten 1970er Jahren von erheblicher Bedeutung war: Dazu zählten „Konservative in Grün“, wie der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl. Mochte sein Habitus als öko-apokalyptischer Anzugträger in den Anfangsjahren der grünen Bewegung zwar auf manche Ex-Kommunarden befremdlich wirken, gehörte sein Buch „Ein Planet wird geplündert“ von 1975 gleichwohl zu den zentralen Referenzwerken der Ökobewegung – wohl gerade wegen seines düsteren Weltuntergangspathos.
Gerade diese sehr spezifische Untergangsrhetorik sollte ein Fixpunkt grüner Weltsicht in den späten siebziger und frühen achtziger Jahre sein. Mende weist zudem auf eine weitere Gruppe konservativer Revolutionäre im „ökologischen Zeitalter“ – wie August Haußleiter – hin, deren völkische Prägungen sie sehr präzise analysiert. Schließlich betont sie den oft unterschätzten Einfluss einer Gruppe, die sie als „antiautoritäre Anthroposophen“ bezeichnet und deren Aushängeschild Joseph Beuys war.
Überzeugend kann sie zeigen, dass die Grünen keineswegs nur Ausläufer der Protestbewegung waren, sondern ihre intellektuellen Bezüge, ihre kulturpessimistische Fortschrittskritik (zumindest in den frühen achtziger Jahren) eng mit älteren Debatten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verbunden waren.
Die ökologische Frage war es schließlich, die die so unterschiedlichen Gruppen seit den siebziger Jahren zusammenführte. Auch für linke Gruppen jenseits der SPD erhielt das Umweltthema eigenständiges Gewicht. Entfremdung, Staatskritik, „Krise“: Das waren Begriffe, mit denen linke und konservative Gruppierungen gemeinsam sprechen konnten – auch wenn sie darunter Unterschiedliches verstanden –, um ihrem Gefühl der Enttäuschung, ja ihrer existentiellen Verzweiflung über die „herrschenden Verhältnisse“ Ausdruck zu verleihen.
Deutlich wird auch, wie sehr das grüne Milieu einst freigeistige Köpfe anzog wie beispielsweise den katholischen Schriftsteller Carl Amery. Feinsinnig geht Mende den unterschiedlichen Strängen gesellschaftlicher Fortschrittskritik nach und bettet sie in die Protestgeschichte der siebziger Jahre ein. Denn auch das war ein zentrales Element der Gründungsgrünen: ihre regional sehr unterschiedlichen, aber doch für die politische Praxis eminent wichtigen Erfahrungen des Protests im Kampf gegen die großen Infrastrukturprojekte, allem voran die Kernenergiepolitik der beiden großen Parteien.
Mende zeigt, wie sehr die späte Bundesrepublik von einem neuen Gefühl der „Angst“ und „Unsicherheit“ geprägt war. Hatten Sozialdemokraten ihre Hoffnungen auf einen lenkenden Wohlfahrtsstaat gesetzt, so galt der Staat in den alternativen Debatten der siebziger Jahre vor allem als „Moloch“, als bürokratisches „Ungeheuer“. In den Karikaturen des alternativen Milieus war der Staatsapparat keineswegs mehr – wie für viele Sozialdemokraten und christliche Arbeitnehmer – Instrument zur Beseitigung sozialer Ungleichheit, sondern ein unmenschliches Produkt „Technokraziens“, dem seine eigentlichen Herren wie Helmut Schmidt schon lange nicht mehr gewachsen zu sein schienen. Parlamentarismus- und Staatskritik gingen dabei Hand in Hand.
Einiges spricht dafür, dass sich dieser Teil der Geschichte grün-alternativer Staatskritik auch als (teils ungewollte) Vorgeschichte jener Privatisierungsdebatten lesen lässt, die schließlich seit den späten 1980er und 1990er Jahren die politische Agenda bestimmten. So weit geht Mende nicht. Aber ihre Arbeit wird die Auseinandersetzung über das „grüne Erbe“ beleben.
DIETMAR SUESS
SILKE MENDE: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen. Oldenbourg Verlag, München 2011. 541 S., 64,80 Euro.
Der Autor lehrt Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Pessimistische Kulturkritik
und Sorge um die Ökologie
gingen Hand in Hand.
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Silke Mende zeigt, wie die Grünen zusammenfanden:
Nur in der Kritik am Staat war man sich halbwegs einig
Ganz wohl fühlen sie sich in der Rolle als altersweise Ratgeber noch nicht. Jedenfalls war es den grünen Politstrategen sichtlich unangenehm, den Erfolg der Piratenpartei in Berlin erklären zu müssen. Da blieb nicht viel übrig als – ähnlich wie einst die Genossen der achtziger Jahre – im Tonfall großzügiger Gönnerschaft über die Sprösslinge des Mac-Milieus zu schwadronieren. Schließlich wusste man ja, was gemeint ist, wenn von „verkrusteten Parteien und Parlamenten“ und einem „neuen Politikstil“ die Rede war.
Den einen oder anderen Grünen mag es beängstigen, dass aus der „Anti-Parteien-Partei“ von damals inzwischen ein Gegenstand der Zeitgeschichte geworden ist. Die Tübinger Historikerin Silke Mende hat sich der Gründungsgeschichte der Grünen angenommen und ein – gerade auch mit Blick auf die Gegenwart – beeindruckendes Buch geschrieben, das verstehen hilft, woher diese Partei ihre Energie bezog, um gegen viele Widerstände den Weg in das politische Establishment der Bundesrepublik zu finden.
Mende interessiert sich vor allem für die intellektuellen Strömungen, die in der Folge von 1968 die Gründungsgeschichte der Grünen bestimmten. „Undogmatische Linke“ gehörten dazu genauso wie die „Spontis“ um Joschka Fischer oder die verschworenen „demokratischen Zentralisten“ aus den kommunistischen Gruppen.
Nirgends konnte man zuvor so präzise etwas über drei weitere wesentliche Gruppierungen lesen, deren Einfluss in den späten 1970er Jahren von erheblicher Bedeutung war: Dazu zählten „Konservative in Grün“, wie der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl. Mochte sein Habitus als öko-apokalyptischer Anzugträger in den Anfangsjahren der grünen Bewegung zwar auf manche Ex-Kommunarden befremdlich wirken, gehörte sein Buch „Ein Planet wird geplündert“ von 1975 gleichwohl zu den zentralen Referenzwerken der Ökobewegung – wohl gerade wegen seines düsteren Weltuntergangspathos.
Gerade diese sehr spezifische Untergangsrhetorik sollte ein Fixpunkt grüner Weltsicht in den späten siebziger und frühen achtziger Jahre sein. Mende weist zudem auf eine weitere Gruppe konservativer Revolutionäre im „ökologischen Zeitalter“ – wie August Haußleiter – hin, deren völkische Prägungen sie sehr präzise analysiert. Schließlich betont sie den oft unterschätzten Einfluss einer Gruppe, die sie als „antiautoritäre Anthroposophen“ bezeichnet und deren Aushängeschild Joseph Beuys war.
Überzeugend kann sie zeigen, dass die Grünen keineswegs nur Ausläufer der Protestbewegung waren, sondern ihre intellektuellen Bezüge, ihre kulturpessimistische Fortschrittskritik (zumindest in den frühen achtziger Jahren) eng mit älteren Debatten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verbunden waren.
Die ökologische Frage war es schließlich, die die so unterschiedlichen Gruppen seit den siebziger Jahren zusammenführte. Auch für linke Gruppen jenseits der SPD erhielt das Umweltthema eigenständiges Gewicht. Entfremdung, Staatskritik, „Krise“: Das waren Begriffe, mit denen linke und konservative Gruppierungen gemeinsam sprechen konnten – auch wenn sie darunter Unterschiedliches verstanden –, um ihrem Gefühl der Enttäuschung, ja ihrer existentiellen Verzweiflung über die „herrschenden Verhältnisse“ Ausdruck zu verleihen.
Deutlich wird auch, wie sehr das grüne Milieu einst freigeistige Köpfe anzog wie beispielsweise den katholischen Schriftsteller Carl Amery. Feinsinnig geht Mende den unterschiedlichen Strängen gesellschaftlicher Fortschrittskritik nach und bettet sie in die Protestgeschichte der siebziger Jahre ein. Denn auch das war ein zentrales Element der Gründungsgrünen: ihre regional sehr unterschiedlichen, aber doch für die politische Praxis eminent wichtigen Erfahrungen des Protests im Kampf gegen die großen Infrastrukturprojekte, allem voran die Kernenergiepolitik der beiden großen Parteien.
Mende zeigt, wie sehr die späte Bundesrepublik von einem neuen Gefühl der „Angst“ und „Unsicherheit“ geprägt war. Hatten Sozialdemokraten ihre Hoffnungen auf einen lenkenden Wohlfahrtsstaat gesetzt, so galt der Staat in den alternativen Debatten der siebziger Jahre vor allem als „Moloch“, als bürokratisches „Ungeheuer“. In den Karikaturen des alternativen Milieus war der Staatsapparat keineswegs mehr – wie für viele Sozialdemokraten und christliche Arbeitnehmer – Instrument zur Beseitigung sozialer Ungleichheit, sondern ein unmenschliches Produkt „Technokraziens“, dem seine eigentlichen Herren wie Helmut Schmidt schon lange nicht mehr gewachsen zu sein schienen. Parlamentarismus- und Staatskritik gingen dabei Hand in Hand.
Einiges spricht dafür, dass sich dieser Teil der Geschichte grün-alternativer Staatskritik auch als (teils ungewollte) Vorgeschichte jener Privatisierungsdebatten lesen lässt, die schließlich seit den späten 1980er und 1990er Jahren die politische Agenda bestimmten. So weit geht Mende nicht. Aber ihre Arbeit wird die Auseinandersetzung über das „grüne Erbe“ beleben.
DIETMAR SUESS
SILKE MENDE: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen. Oldenbourg Verlag, München 2011. 541 S., 64,80 Euro.
Der Autor lehrt Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Pessimistische Kulturkritik
und Sorge um die Ökologie
gingen Hand in Hand.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Belebung der Debatten um das sogenannte "grüne Erbe" verspricht sich Dietmar Süss von dieser Arbeit der Tübinger Historikerin Silke Mende zur Gründungsgeschichte der Grünen. Dem Buch traut er zweifellos eine Menge zu. Schon weil Mende ihm mit ihrer präzisen Darstellung zu intellektuellen Strömungen und Wegbereitern nach 1968, wie den "antiautoritären Anthroposophen" um Joseph Beuys, zu zeigen vermag, dass die Grünen in ihren Anfängen eben nicht nur Teil einer Protestbewegung waren, sondern ihre intellektuellen Bezüge viel weiter zurückreichten. Die Feinsinnigkeit der Autorin beim Nachzeichnen der verschiedenen Ausprägungen gesellschaftlicher Fortschrittskritik, erstaunt Süss außerdem aufs Angenehmste.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die Tübinger Historikerin Silke Mende hat sich der Gründungsgeschichte der Grünen angenommen und ein - gerade auch mit Blick auf die Gegenwart - beeindruckendes Buch geschrieben, das verstehen hilft, woher diese Partei ihre Energie bezog, um gegen viele Widerstände den Weg in das politische Establishment der Bundesrepublik zu finden.(...) Ihre Arbeit wird die Auseinandersetzung über das 'grüne Erbe' beleben." Dietmar Suess, Süddeutsche Zeitung, 16.01.2012 "Mendes akribische und sachkundige Analyse gibt zugleich auch einen Einblick in die bundesdeutsche Mentalität der siebziger und frühen achtziger Jahre. Ihre Arbeit beweist, dass eine Dissertation wissenschaftlich fundiert und lesbar sein kann." BUNDmagazin, Nr. 3/2012 "Silke Mende ist eine Pionierarbeit gelungen, deren Ertrag über die hier beleuchteten Ergebnisse weit hinausreicht. Sie bietet nicht nur eine der eindringlichsten empirischen Studien für den Untersuchungszeitraum, sondern leistet zudem einen fundemtalen Beitrag zum Verständnis der bundes-deutschen politischen Kultur seither." Bernhard Gotto in: Archiv für Sozialgeschichte, Band 52 (2012) "Silke Mende hat mit ihrer Arbeit über die Geschichte der Gründungsgrünen einen imposanten, materialreichen und äußerst umsichtig argumentierenden Beitrag zur Geschichte dieser ehemaligen "Anti-Parteien-Partei" vorgelegt, der sich erfolgreich darum bemüht, die Anregungen der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung aufzunehmen und zugleich den "zweiten Blick" der zeithistorischen Forschung dafür nutzt, die Dominanz der bewegungseigenen Narrative zu dekonstruieren. (...) Für die Debatten um den Zäsurcharakter der 1970er Jahre leistet Mendes Studie einen wichtigen Beitrag, zeigt sie doch eindringlich, wie sehr "Unsicherheit" und "Angst" zu kollektiven Wahrnehmungsfolien wurden. " Dietmar Süß in sehepunkte 11/2011 "Sowohl inhaltlich als auch methodisch ist die Arbeit ein überaus gewinnbringender und impulsgebender Beitrag zur bundesrepublikanischen Gesellschaftsgeschichte der 1970er- und 1980er-Jahre. Und stärker noch, als Silke Mende es zu Beginn ihres Dissertationsprojekts selbst geahnt haben dürfte, ist daraus zugleich ein zeithistorischer Beitrag zum politischen Gegenwartsverständnis geworden." Kathrin Knödler in H-Soz-Kult " 'Nicht rechts, nicht links, sondern vorn' ist aus mehreren Gründen sehr lesenswert: Die Autorin hat ein außerordentliches Gespür für interessante Details und ihr gelingt auf eindrucksvolle Weise, den Zeitgeist der späten 1970er-Jahre zu vermitteln - ohne jedoch den Untersuchungsgegenstand aus den Augen zu verlieren. Des Weiteren ist die Lektüre der Arbeit äußerst nützlich für das Verständnis aktueller Diskussionen." Jahrbuch 'Grünes Gedächtnis' 2011 "Die ausgezeichnete Dissertation der Tübinger Historikerin Silke Mende verdient eine große Leserschaft." Jürgen Dinkel, kult_online, Ausgabe 28 (2011)