Die Fortsetzung der Liebe mit anderen Mitteln - Häme, Lüge, Rache.
Sie sind jung und gut aussehend, sie haben zwei bezaubernde Kinder, Erfolg im Beruf - und eine gewaltige Ehekrise. Auf jede erdenkliche Weise machen sie sich das Leben zur Hölle. Da liegt das Tagebuch mit den ausführlichen Berichten über außereheliche Abenteuer offen herum, da schwört man beim Leben der Kinder - und lügt. Und die wichtigste Kampfregel: nichts, aber auch gar nichts jemals verzeihen. Bis er schließlich Alice trifft, die ihm im Restaurant ihre Telefonnummer zusteckt und so etwas wie Liebe wieder möglich zu sein scheint. Doch um welchen Preis? Nicolas Fargues, Mitte dreißig, hat den Liebesroman seiner Generation geschrieben: schonungslos, einfühlsam, temporeich, leidenschaftlich.
Sie sind jung und gut aussehend, sie haben zwei bezaubernde Kinder, Erfolg im Beruf - und eine gewaltige Ehekrise. Auf jede erdenkliche Weise machen sie sich das Leben zur Hölle. Da liegt das Tagebuch mit den ausführlichen Berichten über außereheliche Abenteuer offen herum, da schwört man beim Leben der Kinder - und lügt. Und die wichtigste Kampfregel: nichts, aber auch gar nichts jemals verzeihen. Bis er schließlich Alice trifft, die ihm im Restaurant ihre Telefonnummer zusteckt und so etwas wie Liebe wieder möglich zu sein scheint. Doch um welchen Preis? Nicolas Fargues, Mitte dreißig, hat den Liebesroman seiner Generation geschrieben: schonungslos, einfühlsam, temporeich, leidenschaftlich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2007Wilde Träume in Kodong
Liebesschaden: Nicolas Fargues blickt in den Generationenspiegel
Frau im Rücken, so könnte dieser Roman auch heißen. Oder vielmehr: gleich zwei Frauen. Die eine, Alexandrine, ist leidenschaftlich, erbarmungslos, dominierend, intelligent, schön und lebt mit dem Erzähler seit mehreren Jahren zusammen. Sie haben zwei Kinder. Auf einen dummen kleinen Flirt, den dieser mit einer anderen hat, reagiert sie wild aufbrausend und lässt sich in einem Hotelzimmer im fernen Kodong zur Rache mit einem anderen auf ein Abenteuer ein, einem Schwarzen wie sie. So sitzt unser Held deprimiert in einem Restaurant in Italien, wo er gerade zu Besuch bei seinem Vater weilt. Vom Kellner bekommt er da ein Kärtchen von einer Unbekannten mit einer Telefonnummer zugesteckt. "Ero dietro di te", steht auf dem Kärtchen: Ich saß hinter dir. "J'étais derrière toi" hieß vor einem Jahr in Frankreich dieser erfolgreiche Roman. Der deutsche Titel wirkt dagegen unschlüssig. Ist aber auch nicht so schlimm, die Übersetzung von Frank Wegner ist sonst vorzüglich.
Wo das im literarisch ambitionierten Pariser Verlag P.O.L. - Leslie Kaplan, Marie Darrieussecq, Claude Ollier, Mathieu Lindon - erschienene Buch im stilistisch überhöhten Kunstschliff monologisch schnurrte, gurgelt es bei Wegner mit flapsigen Ausdrücken näher an der Umgangssprache. Der leicht geschwätzige Ton des Helden, der seine Geschichte einem oder einer uns Unbekannten erzählt und gern allgemeine Betrachtungen über die Italiener, die Franzosen, den Sex, die Liebe und das Glück überhaupt einstreut, erhält auch im deutschen Parlando einen ganz eigenen Klang. Zum Soundtrack, der sich durch den Roman zieht - Carlinhos Browns "Argila", Jorge Bens "Por Causa de Você, Menina", Carmen Consolis "Equilibrio Precario", Johnny Cashs "Hurt" - und den der Autor am Schluss wie in einem Filmabspann aufführt, passt das vorzüglich. Mag auch der vierunddreißigjährige Nicolas Fargues hier nicht gleich "den Liebesroman seiner Generation" vorlegen, wie der deutsche Bucheinband prahlt, trommelt doch der Zeitgeist den Rhythmus mit.
Der durch Alexandrines Reaktion aus der Bahn geworfene Held, der weder ein frühkindliches Trauma noch sonst etwas objektiv Dramatisches wie Mord, Völkermord oder Deportation durchgemacht hat, sondern allenfalls einen ganz normalen Scheidungsstress von Papa und Mama, ist von der eher lockeren Sorte - beruflich erfolgreich, nette Kinder, für Frauen attraktiv. Doch ist er ein verhinderter Don Juan, weil in der Liebe ein Idealist und Alexandrine völlig ergeben. Sie, "so weiblich, erwachsen, zu erwachsen, kühl, streng, so voller Zorn, so anspruchsvoll, unversöhnlich, beeindruckend und oft so rabiat", schüchtert ihn ein. Es ist eine verrückte, aber verkorkste Liebe zwischen den beiden. Beim Sex gibt es nichts zu lachen, das ist ihrer beider Drama, auch weil der junge Mann nicht akzeptieren will, dass die Liebe zu Alexandrine Krieg ist.
Der so sich anbahnenden Ehekrise sucht er auf seine typisch neumännlich flapsige Weise mit einem Gelegenheitsflirt zu begegnen und mit dem launenhaften Geständnis an seine Frau, er werde sie verlassen. Deren zugleich verstörte und herrische Reaktion wirft ihn dann zu Boden. Er winselt, hängt ängstlich an ihren Lippen, harrt auf Versöhnung, ist auf euphorische Weise verzweifelt, tanzt, um ihr zu gefallen, in Unterhosen zu ihrer Lieblingsmusik über den tristen Fliesenboden, bis sie mit der Sanftheit des Gnadenstoßes sagt: "Das war ganz hübsch, danke, wie lieb von dir."
In ihrem Tagebuch liest er heimlich nach, wie aufregend die drei Nächte mit dem Unbekannten in Kodong waren. Das ganze Unfassbare, Hypermoderne, Maßlose, Smogdurchfeuchtete, tropisch Schwüle der fernen asiatischen Städte erscheint dem bange Lesenden so bedrohlich wie der kraftvoll-perfekte Körperbau, den der Fremde doch wohl gehabt haben muss. Von solcher Niedergeschlagenheit heilt den Mann dann in Italien das ganz unerwartete Abenteuer mit der jungen Unbekannten, die ihm das Kärtchen zusteckte. Der Ehebruch mit der schönen, selbstbewussten, sanften Alice zeigt ihm, dass seine Gesten beim Verführen und alles Weitere bei ihm noch instinktsicher funktionieren. Ob das nun daran liegt, wie er selbst meint, dass er Alice gegenüber sich ebenbürtig fühlt, ein weißer Mann halt mit einer weißen Frau, während er gegenüber der "unergründlichen Schwarzen" Alexandrine sich klein, leichtgewichtig, hager vorkommt, bleibe dahingestellt.
Die Betrachtungen über Menschen, Städte, Kulturen, Vespa, Pasta und Pizza zählen in diesem Roman nicht um ihres Inhalts willen, sondern durch den hellen Gesamtklang, den sie zusammen mit dem Fortgang der Ereignisse ergeben. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Befindlichkeit. Es gibt keine Bedeutungssprünge. Erzählung, Kommentare, Abschweifungen umspielen einander in einer zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitsform frei hin und her springenden Plauderpartie. Der leider anonym bleibende Ansprechpartner des Erzählers - "Du musst mir sagen, wenn ich vom Thema abschweife", "Wo war ich stehengeblieben?", "Warum ich dir das alles erzähle?" - ist nie weit. So stolpert ein Dreißigjähriger gesprächsweise aus seiner wohlbehüteten Selbstbezüglichkeit, emanzipiert sich von einer leidenschaftlichen Liebe und landet in einer vagen Lebensrealität, die nicht Drama, nicht Schicksal, nicht Abgeklärtheit und auch nicht Normalität ist. Sich und seine Umgebung zeichnet er dabei fein, klar und spannend, selbst dort, wo man dem Erzähler kein Wort glaubt.
JOSEPH HANIMANN
Nicolas Fargues: "Nicht so schlimm". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Frank Wegner. Rowohlt Verlag, Hamburg 2007. 190 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liebesschaden: Nicolas Fargues blickt in den Generationenspiegel
Frau im Rücken, so könnte dieser Roman auch heißen. Oder vielmehr: gleich zwei Frauen. Die eine, Alexandrine, ist leidenschaftlich, erbarmungslos, dominierend, intelligent, schön und lebt mit dem Erzähler seit mehreren Jahren zusammen. Sie haben zwei Kinder. Auf einen dummen kleinen Flirt, den dieser mit einer anderen hat, reagiert sie wild aufbrausend und lässt sich in einem Hotelzimmer im fernen Kodong zur Rache mit einem anderen auf ein Abenteuer ein, einem Schwarzen wie sie. So sitzt unser Held deprimiert in einem Restaurant in Italien, wo er gerade zu Besuch bei seinem Vater weilt. Vom Kellner bekommt er da ein Kärtchen von einer Unbekannten mit einer Telefonnummer zugesteckt. "Ero dietro di te", steht auf dem Kärtchen: Ich saß hinter dir. "J'étais derrière toi" hieß vor einem Jahr in Frankreich dieser erfolgreiche Roman. Der deutsche Titel wirkt dagegen unschlüssig. Ist aber auch nicht so schlimm, die Übersetzung von Frank Wegner ist sonst vorzüglich.
Wo das im literarisch ambitionierten Pariser Verlag P.O.L. - Leslie Kaplan, Marie Darrieussecq, Claude Ollier, Mathieu Lindon - erschienene Buch im stilistisch überhöhten Kunstschliff monologisch schnurrte, gurgelt es bei Wegner mit flapsigen Ausdrücken näher an der Umgangssprache. Der leicht geschwätzige Ton des Helden, der seine Geschichte einem oder einer uns Unbekannten erzählt und gern allgemeine Betrachtungen über die Italiener, die Franzosen, den Sex, die Liebe und das Glück überhaupt einstreut, erhält auch im deutschen Parlando einen ganz eigenen Klang. Zum Soundtrack, der sich durch den Roman zieht - Carlinhos Browns "Argila", Jorge Bens "Por Causa de Você, Menina", Carmen Consolis "Equilibrio Precario", Johnny Cashs "Hurt" - und den der Autor am Schluss wie in einem Filmabspann aufführt, passt das vorzüglich. Mag auch der vierunddreißigjährige Nicolas Fargues hier nicht gleich "den Liebesroman seiner Generation" vorlegen, wie der deutsche Bucheinband prahlt, trommelt doch der Zeitgeist den Rhythmus mit.
Der durch Alexandrines Reaktion aus der Bahn geworfene Held, der weder ein frühkindliches Trauma noch sonst etwas objektiv Dramatisches wie Mord, Völkermord oder Deportation durchgemacht hat, sondern allenfalls einen ganz normalen Scheidungsstress von Papa und Mama, ist von der eher lockeren Sorte - beruflich erfolgreich, nette Kinder, für Frauen attraktiv. Doch ist er ein verhinderter Don Juan, weil in der Liebe ein Idealist und Alexandrine völlig ergeben. Sie, "so weiblich, erwachsen, zu erwachsen, kühl, streng, so voller Zorn, so anspruchsvoll, unversöhnlich, beeindruckend und oft so rabiat", schüchtert ihn ein. Es ist eine verrückte, aber verkorkste Liebe zwischen den beiden. Beim Sex gibt es nichts zu lachen, das ist ihrer beider Drama, auch weil der junge Mann nicht akzeptieren will, dass die Liebe zu Alexandrine Krieg ist.
Der so sich anbahnenden Ehekrise sucht er auf seine typisch neumännlich flapsige Weise mit einem Gelegenheitsflirt zu begegnen und mit dem launenhaften Geständnis an seine Frau, er werde sie verlassen. Deren zugleich verstörte und herrische Reaktion wirft ihn dann zu Boden. Er winselt, hängt ängstlich an ihren Lippen, harrt auf Versöhnung, ist auf euphorische Weise verzweifelt, tanzt, um ihr zu gefallen, in Unterhosen zu ihrer Lieblingsmusik über den tristen Fliesenboden, bis sie mit der Sanftheit des Gnadenstoßes sagt: "Das war ganz hübsch, danke, wie lieb von dir."
In ihrem Tagebuch liest er heimlich nach, wie aufregend die drei Nächte mit dem Unbekannten in Kodong waren. Das ganze Unfassbare, Hypermoderne, Maßlose, Smogdurchfeuchtete, tropisch Schwüle der fernen asiatischen Städte erscheint dem bange Lesenden so bedrohlich wie der kraftvoll-perfekte Körperbau, den der Fremde doch wohl gehabt haben muss. Von solcher Niedergeschlagenheit heilt den Mann dann in Italien das ganz unerwartete Abenteuer mit der jungen Unbekannten, die ihm das Kärtchen zusteckte. Der Ehebruch mit der schönen, selbstbewussten, sanften Alice zeigt ihm, dass seine Gesten beim Verführen und alles Weitere bei ihm noch instinktsicher funktionieren. Ob das nun daran liegt, wie er selbst meint, dass er Alice gegenüber sich ebenbürtig fühlt, ein weißer Mann halt mit einer weißen Frau, während er gegenüber der "unergründlichen Schwarzen" Alexandrine sich klein, leichtgewichtig, hager vorkommt, bleibe dahingestellt.
Die Betrachtungen über Menschen, Städte, Kulturen, Vespa, Pasta und Pizza zählen in diesem Roman nicht um ihres Inhalts willen, sondern durch den hellen Gesamtklang, den sie zusammen mit dem Fortgang der Ereignisse ergeben. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Befindlichkeit. Es gibt keine Bedeutungssprünge. Erzählung, Kommentare, Abschweifungen umspielen einander in einer zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitsform frei hin und her springenden Plauderpartie. Der leider anonym bleibende Ansprechpartner des Erzählers - "Du musst mir sagen, wenn ich vom Thema abschweife", "Wo war ich stehengeblieben?", "Warum ich dir das alles erzähle?" - ist nie weit. So stolpert ein Dreißigjähriger gesprächsweise aus seiner wohlbehüteten Selbstbezüglichkeit, emanzipiert sich von einer leidenschaftlichen Liebe und landet in einer vagen Lebensrealität, die nicht Drama, nicht Schicksal, nicht Abgeklärtheit und auch nicht Normalität ist. Sich und seine Umgebung zeichnet er dabei fein, klar und spannend, selbst dort, wo man dem Erzähler kein Wort glaubt.
JOSEPH HANIMANN
Nicolas Fargues: "Nicht so schlimm". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Frank Wegner. Rowohlt Verlag, Hamburg 2007. 190 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Durchaus angetan zeigt sich Kerstin Ruskowski von Nicolas Fargues Roman über eine kaputte Ehe, den sie durchaus auch als Geschichte einer beziehungsunfähigen Generation versteht. Dabei findet sie die Story des Romans viel weniger interessant, als die Art und Weise wie sie erzählt wird: als einziger Redeschwall des Ehemanns, der sich bei einem Kumpel über seine Ehe auskotzt. Ruskowski bescheinigt dem Autor, diesen Wortschwall scheinbar unredigiert aufs Papier zu bringen. Das macht die Lektüre in ihren Augen einerseits manchmal ein wenig mühselig, vermittelt andererseits aber Authentizität und macht durchaus auch Spaß. Sie begrüßt, dass bei aller Gefühlsduselei und Selbstreflexion immer wieder auch ernste Themen wie Rassismus aufgegriffen werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein großartiger, ein wahrer Roman Philippe Sollers, Le Nouvel Observateur