Erzählen, um zu überleben
Ausgezeichnet mit dem Georg-Büchner-Preis 2018.
Wenige Monate nachdem Terézia Mora im Herbst 2013 für ihren Roman »Das Ungeheuer« mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, hielt sie ihre Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Schritt für Schritt erzählte sie, wie sie ihren unvergleichlichen literarischen Kosmos geschaffen hat, erst Erzählungen, dann ihre vielfach ausgezeichneten Romane. Diese Vorlesungen waren ein Ereignis. Wer mehr über Terézia Mora, ihr Werk, über das Schreiben und über die Literatur im Allgemeinen erfahren möchte, kann die in Frankfurt gehaltenen Vorträge jetzt nachlesen.
Terézia Moras Frankfurter Poetik-Vorlesungen beginnen mit einem starken Bild. Sie erzählt, wie sie unlängst mit ihrer kleinen Tochter im Kino war, um sich einen Zeichentrickfilm anzusehen. Darin musste eine Familie von Steinzeitmenschen ihre Höhle verlassen und sah sich mit einem Mal einer fremden und bedrohlichen Welt gegenüber. Ähnlich fühlt Terézia Mora sich als Autorin von jeher in eine Welt von Störungen und Irritationen ausgesetzt, der sie sich erwehren muss, die aber auch zu Antriebskräften ihres Schreibens werden. Wie sich dies gestaltet, darüber spricht sie in ihren Vorlesungen. Detailliert erzählt sie von ihren Romanfiguren, wann sie ihnen begegnet ist und welchen intimen Umgang sie mit ihnen, fiktiven Freunden teilweise schon seit Kindertagen, pflegt. Und sie kommt auch auf einen wesentlichen Aspekt ihres Schreibens zu sprechen: das Drastische, und weswegen ihre Geschichten immer radikale Wendungen nehmen. Indem Terézia Mora so dem existentiellen Ursprung sowie den Bedingungen und Grundlagen ihres Schreibens nachgeht, ist ihr neues Buch auch ein Nachdenken über die autobiographischen Hintergründe ihrer Entwicklung als Autorin. Dies macht »Nicht sterben« zu einer ebenso erhellenden wie faszinierenden Hinführung zu ihrem Werk und zur Literatur im Allgemeinen.
Ausgezeichnet mit dem Georg-Büchner-Preis 2018.
Wenige Monate nachdem Terézia Mora im Herbst 2013 für ihren Roman »Das Ungeheuer« mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, hielt sie ihre Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Schritt für Schritt erzählte sie, wie sie ihren unvergleichlichen literarischen Kosmos geschaffen hat, erst Erzählungen, dann ihre vielfach ausgezeichneten Romane. Diese Vorlesungen waren ein Ereignis. Wer mehr über Terézia Mora, ihr Werk, über das Schreiben und über die Literatur im Allgemeinen erfahren möchte, kann die in Frankfurt gehaltenen Vorträge jetzt nachlesen.
Terézia Moras Frankfurter Poetik-Vorlesungen beginnen mit einem starken Bild. Sie erzählt, wie sie unlängst mit ihrer kleinen Tochter im Kino war, um sich einen Zeichentrickfilm anzusehen. Darin musste eine Familie von Steinzeitmenschen ihre Höhle verlassen und sah sich mit einem Mal einer fremden und bedrohlichen Welt gegenüber. Ähnlich fühlt Terézia Mora sich als Autorin von jeher in eine Welt von Störungen und Irritationen ausgesetzt, der sie sich erwehren muss, die aber auch zu Antriebskräften ihres Schreibens werden. Wie sich dies gestaltet, darüber spricht sie in ihren Vorlesungen. Detailliert erzählt sie von ihren Romanfiguren, wann sie ihnen begegnet ist und welchen intimen Umgang sie mit ihnen, fiktiven Freunden teilweise schon seit Kindertagen, pflegt. Und sie kommt auch auf einen wesentlichen Aspekt ihres Schreibens zu sprechen: das Drastische, und weswegen ihre Geschichten immer radikale Wendungen nehmen. Indem Terézia Mora so dem existentiellen Ursprung sowie den Bedingungen und Grundlagen ihres Schreibens nachgeht, ist ihr neues Buch auch ein Nachdenken über die autobiographischen Hintergründe ihrer Entwicklung als Autorin. Dies macht »Nicht sterben« zu einer ebenso erhellenden wie faszinierenden Hinführung zu ihrem Werk und zur Literatur im Allgemeinen.
buecher-magazin.deIm Wintersemester 2014 hielt Terézia Mora, die einige der schönsten Sätze der deutschsprachigen Literatur geschrieben hat, im Rahmen der Frankfurter Poetikdozentur fünf Vorlesungen. Die Themen wählen die Vortragenden selbst, und Mora entschied sich dafür, ihre Zuhörer an ihrem Schaffensprozess teilhaben zu lassen. Sie spricht vom ersten Buch ("Aus der Höhle kommen und überleben, nicht irgendwie, sondern in einer neuen Qualität."), vom Ordnen der Gedanken, vom Kommen und Gehen ihrer Charaktere, von Recherchereisen und über Ungeheuer, davon also, wie man das Äußerste und Innerste beschreibt und auch das überlebt. Immer wieder stellt sie Fragen, die im Laufe des Schreibprozesses wichtig werden ("Wie wurde die Sprache benutzt, dort, wo du sie zum ersten Mal erlernt hast? Wer hat wie mit wem gesprochen?") und sagt Sätze, die man sich direkt an die Wand schreiben sollte ("Der Bereich, in dem es an Worten fehlt, ist derjenige, in den der Schriftsteller hineinschreibt."). Was dieser Text dankenswerterweise nicht ist: eine Sammlung von Schreibtipps und -tricks, eine abstrakte Abhandlung, esoterisch, egozentrisch. Was dieser Text ist: schön, wirklichkeitsnah, spannend und klug.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In höchsten Tönen, an der Grenze zum Dithyrambischen, bespricht Andreas Breitenstein diesen Band, in dem Mora poetologische Auskunft über ihr Schreiben gibt. Als hohes Verdienst würdigt er schon ihre interessante Herkunft aus der deutschen Minderheit in Ungarn, die sie zu den halb deutschen halb migrantischen Autoren zählen lässt, durch die die deutsche Literatur - von den "nach innen gewendeten Rändern" aus - erneuert hätten. Mora, so insistiert, hat all die Literaturpreise, die sie bis jetzt bekommen hat, zu recht erhalten: Sie ragt für Breitentein aus all jenen Autoren, die die deutsche Literatur in den letzten Jahren so "welthaltig und zeitgemäß" machten, heraus. Mit Bewunderung schildert Breitenstein, wie Mora ihre Kindheit in Sopron an der österreichischen Grenze schildert: eine Welt der Gewalt, der Dunkelheit und Hierarchien, die Mora aber mit ihrer ganz eigenen Kraft in Literatur umgemünzt habe, indem sie "das Destruktive mittels Sprache und Form aufzufangen und in Konstruktives zu verwandeln" strebe. Eine dringliche Leseempfehlung!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2015Das Ungeheuer
und die Stille
Selbsterkundung: Terézia Moras
Frankfurter Poetikvorlesungen
Wohl keine andere Berufsgruppe ist so sehr damit beschäftigt, ihr eigenes Tun zu erklären, wie die Schriftsteller. Schreiben ist einerseits das Selbstverständlichste von der Welt – jeder tut es, so wie atmen oder essen –, andererseits aber vielleicht genau deshalb rechtfertigungspflichtig, wenn daraus etwas anderes werden soll als Selbstzweck, nämlich Kunst, Literatur. Was da vor sich geht, wie etwas entsteht, woher die Worte und die Sprache kommen, das sind nicht restlos erklärbare Phänomene, und deshalb gelangen auch die Erklärungsversuche nie an ein Ende.
Dass die Gattung der Poetikvorlesungen boomt, hat aber auch mit dem sich immer weiter aufblähenden Literaturbetrieb zu tun. Es ist lange her, dass die Frankfurter Poetikvorlesungen eine geradezu andachtsvolle Weihe produzierten, damals, als noch Bachmann oder Christa Wolf die Massen beseelten. Heute gibt es Vorlesungen an jeder zweiten Universität und von jedem handwerklich halbbegabten Autor, entsprechend zahlreich sind auch die Buchpublikationen, die daraus folgen. Aber nicht jedem ist es gegeben, über die Bedingungen des Schreibens und die Bedeutung von Literatur so zu sprechen, dass dabei mehr entstehen kann als bloß eine narzisstische Nabelschau.
Selbst die kluge Terézia Mora schafft das nur in einzelnen Passagen ihrer nun unter dem Titel „Nicht sterben“ Buch gewordenen Frankfurter Poetikvorlesungen. Sie bleibt da ganz dicht bei sich selbst und der Entstehung ihrer Werke – vom Debüt-Erzählungsband „Seltsame Materie“ bis zum letzten Roman „Das Ungeheuer“, die chronologisch abgehandelt und dabei in ihren Intentionen erklärt werden. Das ist, weil allzu eng mit den eigenen Absichten und Schwierigkeiten verbunden, nicht mehr als ein Blick in die Werkstatt und eher uninteressant. Man muss nicht wissen, wie lange es dauert, bis sich Geschichten und Figuren bei ihr einstellen und wann und wo sie sich dann doch eingestellt haben. Es ist wohl auch nicht wichtig – weil bei jedem Autor anders –, wie viel vorherige Planung und wie viel Offenheit der Schreibprozess braucht, um in Gang zu kommen. Vielleicht interessieren sich Literaturinstitutsseminaristen dafür.
Spannender ist die zweite, weniger explizite Ebene der Vorlesungen, wenn man Moras chronologisches Voranschreiten von Buch zu Buch als thematische Entwicklung und Erweiterung des Blicks liest. Dann reicht der Bogen von der Unerträglichkeit der eigenen Herkunft über die Fremdheit in der Gesellschaft, die (scheiternde) Liebe und das Unterwegssein hin zur Konfrontation mit dem Schrecklichen, das es auszuhalten gilt, wenn Welt ertragen und dargestellt werden soll. Das sagt sich leicht, und ist doch ein langer Prozess: Wie stellt man Gewalt dar und wie innere Vorgänge, die bis zur Selbstzerstörung führen können?
Interessant werden diese Vorlesungen immer dann, wenn sie sich vom Gegenstand – dem eigenen Schreiben und den eigenen Büchern lösen. Das trifft vor allem auf das Reise-Kapitel zu, in dem Mora in einem wenig heimeligen Hotelzimmer in Japan sitzt und von dort aus über ihr Verhältnis zum Reisen und zur Hässlichkeit menschlicher Behausungen nachdenkt. Da entstehen Einsichten, die mehr sind als bloß Selbsterklärungen oder Schreibanleitungen: „Am Ende schlägt man sich doch immer alleine durch. Und? Dafür machst du es doch auch, oder nicht? Um es am eigenen Leib zu erfahren.“
So ist es kein Zufall, dass die letzte Vorlesung, die von Melancholie und Depression handelt – einem Thema von Moras Roman „Das Ungeheuer“ –, sich schließlich in den Raum und die Zeit zwischen den Büchern verabschiedet. Vielleicht ist dieser Ort, an dem endlich geschwiegen werden darf, das eigentliche Ziel des Schreibens. Und so endet Mora mit dem utopischen Moment, in dem alles gesagt ist: „Wenn das Nächste, was zu tun ist, wieder in Stille zu verharren und Beobachten ist. Womit ich hiermit beginne.“ Weil aber nie alles gesagt ist und neue Fragen entstehen, meldet sich schon bald nach diesem Beginn das nächste Buch. Doch wenn man Glück hat, dann dauert es bis dorthin ein paar Jahre.
JÖRG MAGENAU
Terézia Mora: Nicht sterben. Frankfurter Poetikvorlesungen. Luchterhand Verlag, München 2015. 160 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
„Am Ende schlägt man sich immer allein durch“: Terézia Mora. Foto: Peter von Felbert
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und die Stille
Selbsterkundung: Terézia Moras
Frankfurter Poetikvorlesungen
Wohl keine andere Berufsgruppe ist so sehr damit beschäftigt, ihr eigenes Tun zu erklären, wie die Schriftsteller. Schreiben ist einerseits das Selbstverständlichste von der Welt – jeder tut es, so wie atmen oder essen –, andererseits aber vielleicht genau deshalb rechtfertigungspflichtig, wenn daraus etwas anderes werden soll als Selbstzweck, nämlich Kunst, Literatur. Was da vor sich geht, wie etwas entsteht, woher die Worte und die Sprache kommen, das sind nicht restlos erklärbare Phänomene, und deshalb gelangen auch die Erklärungsversuche nie an ein Ende.
Dass die Gattung der Poetikvorlesungen boomt, hat aber auch mit dem sich immer weiter aufblähenden Literaturbetrieb zu tun. Es ist lange her, dass die Frankfurter Poetikvorlesungen eine geradezu andachtsvolle Weihe produzierten, damals, als noch Bachmann oder Christa Wolf die Massen beseelten. Heute gibt es Vorlesungen an jeder zweiten Universität und von jedem handwerklich halbbegabten Autor, entsprechend zahlreich sind auch die Buchpublikationen, die daraus folgen. Aber nicht jedem ist es gegeben, über die Bedingungen des Schreibens und die Bedeutung von Literatur so zu sprechen, dass dabei mehr entstehen kann als bloß eine narzisstische Nabelschau.
Selbst die kluge Terézia Mora schafft das nur in einzelnen Passagen ihrer nun unter dem Titel „Nicht sterben“ Buch gewordenen Frankfurter Poetikvorlesungen. Sie bleibt da ganz dicht bei sich selbst und der Entstehung ihrer Werke – vom Debüt-Erzählungsband „Seltsame Materie“ bis zum letzten Roman „Das Ungeheuer“, die chronologisch abgehandelt und dabei in ihren Intentionen erklärt werden. Das ist, weil allzu eng mit den eigenen Absichten und Schwierigkeiten verbunden, nicht mehr als ein Blick in die Werkstatt und eher uninteressant. Man muss nicht wissen, wie lange es dauert, bis sich Geschichten und Figuren bei ihr einstellen und wann und wo sie sich dann doch eingestellt haben. Es ist wohl auch nicht wichtig – weil bei jedem Autor anders –, wie viel vorherige Planung und wie viel Offenheit der Schreibprozess braucht, um in Gang zu kommen. Vielleicht interessieren sich Literaturinstitutsseminaristen dafür.
Spannender ist die zweite, weniger explizite Ebene der Vorlesungen, wenn man Moras chronologisches Voranschreiten von Buch zu Buch als thematische Entwicklung und Erweiterung des Blicks liest. Dann reicht der Bogen von der Unerträglichkeit der eigenen Herkunft über die Fremdheit in der Gesellschaft, die (scheiternde) Liebe und das Unterwegssein hin zur Konfrontation mit dem Schrecklichen, das es auszuhalten gilt, wenn Welt ertragen und dargestellt werden soll. Das sagt sich leicht, und ist doch ein langer Prozess: Wie stellt man Gewalt dar und wie innere Vorgänge, die bis zur Selbstzerstörung führen können?
Interessant werden diese Vorlesungen immer dann, wenn sie sich vom Gegenstand – dem eigenen Schreiben und den eigenen Büchern lösen. Das trifft vor allem auf das Reise-Kapitel zu, in dem Mora in einem wenig heimeligen Hotelzimmer in Japan sitzt und von dort aus über ihr Verhältnis zum Reisen und zur Hässlichkeit menschlicher Behausungen nachdenkt. Da entstehen Einsichten, die mehr sind als bloß Selbsterklärungen oder Schreibanleitungen: „Am Ende schlägt man sich doch immer alleine durch. Und? Dafür machst du es doch auch, oder nicht? Um es am eigenen Leib zu erfahren.“
So ist es kein Zufall, dass die letzte Vorlesung, die von Melancholie und Depression handelt – einem Thema von Moras Roman „Das Ungeheuer“ –, sich schließlich in den Raum und die Zeit zwischen den Büchern verabschiedet. Vielleicht ist dieser Ort, an dem endlich geschwiegen werden darf, das eigentliche Ziel des Schreibens. Und so endet Mora mit dem utopischen Moment, in dem alles gesagt ist: „Wenn das Nächste, was zu tun ist, wieder in Stille zu verharren und Beobachten ist. Womit ich hiermit beginne.“ Weil aber nie alles gesagt ist und neue Fragen entstehen, meldet sich schon bald nach diesem Beginn das nächste Buch. Doch wenn man Glück hat, dann dauert es bis dorthin ein paar Jahre.
JÖRG MAGENAU
Terézia Mora: Nicht sterben. Frankfurter Poetikvorlesungen. Luchterhand Verlag, München 2015. 160 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
„Am Ende schlägt man sich immer allein durch“: Terézia Mora. Foto: Peter von Felbert
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