»Ein Roman wie eine Party: Die Sprache schlägt Funken, stürzt sich ins Vergnügen und dringt bis in die verborgensten Winkel.« Claudia Durastanti
Veronica Raimo erzählt von den Zumutungen des Erwachsenwerdens in einer ganz normalen unnormalen Familie. Dafür hat sie eine neue, so zarte wie präzise Sprache gefunden. Mit wunderbarem Humor zeichnet sie das ebenso chaotische wie wahrhaftige Bild einer jungen Frau im 21. Jahrhundert.
Veronica fragt sich, wie sie zu der Frau werden konnte, die sie ist. Ihre Erinnerungen führen sie zurück in ihre gelinde gesagt eigenartige Familie. Es vergeht keine Party, bei der nicht irgendwann das Telefon klingelt und Helikopter-Mama Francesca anruft. Der Vater möchte, dass sich die Familie nur noch von Konservendosen ernährt, die vor dem Reaktorunglück von Tschernobyl eingeschweißt wurden, und baut in seiner Freizeit immer weitere zusätzliche Trennmauern in die Wohnung ein. Und dann gibt es auch noch den Bruder, eine Nervensäge und aufmerksamkeitsversessenes Genie. Dabei ist es schon so schwer genug, vom Mädchen zur Frau zu werden, und das am besten erfolgreich, emanzipiert und glücklich. Mit der preisgekrönten, autofiktionalen Tragikomödie »Nichts davon ist wahr« hat Veronica Raimo ein sehr lustiges Buch über die Tücken und Abgründe des Lebens geschrieben.
Veronica Raimo erzählt von den Zumutungen des Erwachsenwerdens in einer ganz normalen unnormalen Familie. Dafür hat sie eine neue, so zarte wie präzise Sprache gefunden. Mit wunderbarem Humor zeichnet sie das ebenso chaotische wie wahrhaftige Bild einer jungen Frau im 21. Jahrhundert.
Veronica fragt sich, wie sie zu der Frau werden konnte, die sie ist. Ihre Erinnerungen führen sie zurück in ihre gelinde gesagt eigenartige Familie. Es vergeht keine Party, bei der nicht irgendwann das Telefon klingelt und Helikopter-Mama Francesca anruft. Der Vater möchte, dass sich die Familie nur noch von Konservendosen ernährt, die vor dem Reaktorunglück von Tschernobyl eingeschweißt wurden, und baut in seiner Freizeit immer weitere zusätzliche Trennmauern in die Wohnung ein. Und dann gibt es auch noch den Bruder, eine Nervensäge und aufmerksamkeitsversessenes Genie. Dabei ist es schon so schwer genug, vom Mädchen zur Frau zu werden, und das am besten erfolgreich, emanzipiert und glücklich. Mit der preisgekrönten, autofiktionalen Tragikomödie »Nichts davon ist wahr« hat Veronica Raimo ein sehr lustiges Buch über die Tücken und Abgründe des Lebens geschrieben.
»Sehr lustig, skurril, und stellenweise wunderschön melancholisch.« Karen Krüger, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09. Juli 2023 Karen Krüger Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20230709
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Maike Albath muss schon ein bisschen suchen nach den Wahrheiten in Veronica Raimos autobiografischem Familienroman. Das Stilmittel der Übertreibung nämlich nutzt die Autorin laut Albath virtuos und ausgiebig. Klassische Autofiktion ist es also nicht, was Raimos vorlegt, eher ein dieselbe permanent unterlaufender Spaß, ahnt die Rezensentin. Das Lachen über die angstgetriebene Helikoptermutter oder die idiosynkratische Pflege der Körperfunktionen in dieser in komischer Verzerrung erscheindenden römischen Familie, die Raimo in Kürzestkapiteln beschreibt, bleibt Albath jedenfalls nicht selten im Rachen stecken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2023Wie wird man mit seiner Familie fertig?
Die italienische Autorin Veronica Raimo versucht es in ihrem Roman „Nichts davon ist wahr“ mit Humor
Die Erzählerin in Veronica Raimos Roman „Nichts davon ist wahr“ klingt ein bisschen wie eine dieser amerikanischen Stand-up-Comedians, dabei ist sie durch und durch italienisch. Dauernd setzt sie sich selbst in schlechtes Licht, nie will sie eine gute Figur machen, sondern immer eine möglichst schlechte. Das ist ungewöhnlich für eine Kultur, die von Mädchen und Frauen maximale Schönheit und Gefälligkeit fordert.
Aber mit dieser Haltung schafft sie es, erst die Kindheit in ihrer hochneurotischen Familie zu überstehen und später mehr oder weniger unbeschadet durchs Leben zu kommen. Als sie über 40 ist und einige kleinere Bücher geschrieben hat, entscheidet sie sich, einen Rückblick auf ihre Herkunft zu schreiben, und das Produkt dieses Unterfangens halten wir jetzt in den Händen. In Italien wurde der Roman mit dem Premio Strega Giovani ausgezeichnet.
Auf den ersten Blick sieht es nach klassischer Autofiktion aus, aber Veronica Raimo, 1978 in Rom geboren, als Übersetzerin, Essayisten und Schriftstellerin in Erscheinung getreten, Verfasserin mehrerer Romane und eines bereits auf Deutsch erschienen Erzählbandes, unterläuft ihr Projekt permanent. Es trägt sein Programm bereits im Titel.
Die Heldin Veronica, Vero genannt, teilt etliche Eigenschaften mit der Autorin. Im Original ist der Titel zweideutig: „Niente di Vero“. „Vero“, was durch den Großbuchstaben sogar naheliegt, könnte auch der Name der Protagonistin sein. „Nichts von Vero“ oder „Nichts über Vero“ würde die Übersetzung lauten, doch gleichzeitig schwingt die zweite Bedeutung mit: „vero“ mit kleinem „v“. Nichts Wahres über Vero also, keine Wahrheiten, aber was soll das schon sein, die Wahrheit?
Veronica Raimo macht sich einen Spaß daraus, auch ihren Bruder Christian, einen ehemaligen römischen Kulturstadtrat und ebenfalls Schriftsteller, unter Klarnamen auftreten zu lassen und mit überprüfbaren Insignien zu versehen. Und überhaupt sei es so, betont die Erzählerin gleich zu Beginn, dass nicht die Familie darunter leide, wenn sie Gegenstand einer Erzählung werde. Es sei vielmehr der Schriftsteller selbst, dem es an den Kragen gehe. Denn der Versuch, die Eltern und Geschwister zu töten, indem man sie auf Papier banne, müsse scheitern, schließlich stünden sie immer und immer wieder lebendig vor einem.
Die Mutter Francesca zum Beispiel, eine Lehrerin, wird seit jeher von der Fantasie gequält, ihren Kindern könne etwas zustoßen. Permanent malt sie sich die schlimmsten Todesarten aus, was dazu führt, dass sie ihren Sohn Christian und ihre Tochter in jeder erdenklichen Lage per Handy aufspürt oder Freunde mit Telefonterror in Atem hält oder gleich die Polizei verständigt. Aus Angst vor Keimen und Bakterien durften die Geschwister als Kinder kaum aus dem Haus. Ein übermäßiger Bücherkonsum ist die Folge. Der Vater, Personalchef einer größeren Firma, unterteilt nicht nur die Wohnung mit Rigipsplatten in lauter Minieinheiten, sondern verordnet permanente Desinfektion, was ihm gesünder erscheint als normales Waschen.
In der Folge des Reaktorunglücks von Tschernobyl steigern sich die Maßnahmen noch: Nur Konserven zur Ernährung, sonst nichts. Während der Bruder als kleines Genie behandelt wird, bleibt für Veronica freundliche Nachlässigkeit übrig, so zumindest stellt es die Ich-Erzählerin dar. Vero ist klein und dünn, versteht vieles falsch oder erst im Nachhinein, leidet unter Verstopfung und macht durch den unangemessenen Gebrauch von Schimpfwörtern, eine Verhaltensweise der Gesamtfamilie, auf sich aufmerksam.
Überdies spricht man bei ihr zu Hause vorzugsweise mit vollem Mund, lässt ausgespuckte Essensreste neben dem Teller liegen, ist umfangen vom „phagozytierenden Surren“ der Körper und lässt alle möglichen Haushaltsgeräte laufen. „Wir waren ein einziger, verdichteter und in die Wohnung gezwängter Organismus, der mit dem Schwanz wedelte und gegen die Trennwände stieß“, beschreibt die Erzählerin die Geräuschkulisse.
Genussvoll rückt Raimo ihren Figuren mit ihrem Hauptstilmittel auf die Pelle: dem der Übertreibung. Vor allem die Körperfunktionen sind dankbare Zielscheiben. Die komische Verzerrung funktioniert auch deshalb, weil der Roman, ähnlich wie die Wohnung, in lauter kleine Einheiten gegliedert ist: Permanent prasseln Kurzkapitel auf den Leser ein, pendeln zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, wechseln zwischen den Schauplätzen Rom und Berlin, atemlos und schnell getaktet wie die Nummern einer Komikerin.
In ihren besten Momenten hat Veronica Raimo etwas von dem ausdruckslos vor sich hin starrenden Buster Keaton. Selbst dem Tod des Vaters, der Bruchstelle zwischen postpubertärer Jugend und Erwachsenenleben, gewinnt sie eine tragikomische Note ab, denn das gesundheitsbesessene Familienoberhaupt war militanter Kettenraucher und stirbt an einem Krebsleiden. Gleichzeitig umspielt Raimos komischer Katastrophismus existenzielle Erfahrungen und macht sie überhaupt ertragbar. Es handelt sich um eine Art seelischer Hochstapelei: Hinter der Großspurigkeit lugt immer wieder die Verletzbarkeit hervor. Und so kommt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit über Vero zum Vorschein.
MAIKE ALBATH
Hauptstilmittel der Erzählerin:
die Übertreibung. Vor allem
Körperfunktionen sind ihr Ziel
Veronica Raimo:
Nichts davon ist wahr.
Aus dem Italienischen
von Verena von
Koskull. Klett Cotta,
Stuttgart 2023.
224 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die italienische Autorin Veronica Raimo versucht es in ihrem Roman „Nichts davon ist wahr“ mit Humor
Die Erzählerin in Veronica Raimos Roman „Nichts davon ist wahr“ klingt ein bisschen wie eine dieser amerikanischen Stand-up-Comedians, dabei ist sie durch und durch italienisch. Dauernd setzt sie sich selbst in schlechtes Licht, nie will sie eine gute Figur machen, sondern immer eine möglichst schlechte. Das ist ungewöhnlich für eine Kultur, die von Mädchen und Frauen maximale Schönheit und Gefälligkeit fordert.
Aber mit dieser Haltung schafft sie es, erst die Kindheit in ihrer hochneurotischen Familie zu überstehen und später mehr oder weniger unbeschadet durchs Leben zu kommen. Als sie über 40 ist und einige kleinere Bücher geschrieben hat, entscheidet sie sich, einen Rückblick auf ihre Herkunft zu schreiben, und das Produkt dieses Unterfangens halten wir jetzt in den Händen. In Italien wurde der Roman mit dem Premio Strega Giovani ausgezeichnet.
Auf den ersten Blick sieht es nach klassischer Autofiktion aus, aber Veronica Raimo, 1978 in Rom geboren, als Übersetzerin, Essayisten und Schriftstellerin in Erscheinung getreten, Verfasserin mehrerer Romane und eines bereits auf Deutsch erschienen Erzählbandes, unterläuft ihr Projekt permanent. Es trägt sein Programm bereits im Titel.
Die Heldin Veronica, Vero genannt, teilt etliche Eigenschaften mit der Autorin. Im Original ist der Titel zweideutig: „Niente di Vero“. „Vero“, was durch den Großbuchstaben sogar naheliegt, könnte auch der Name der Protagonistin sein. „Nichts von Vero“ oder „Nichts über Vero“ würde die Übersetzung lauten, doch gleichzeitig schwingt die zweite Bedeutung mit: „vero“ mit kleinem „v“. Nichts Wahres über Vero also, keine Wahrheiten, aber was soll das schon sein, die Wahrheit?
Veronica Raimo macht sich einen Spaß daraus, auch ihren Bruder Christian, einen ehemaligen römischen Kulturstadtrat und ebenfalls Schriftsteller, unter Klarnamen auftreten zu lassen und mit überprüfbaren Insignien zu versehen. Und überhaupt sei es so, betont die Erzählerin gleich zu Beginn, dass nicht die Familie darunter leide, wenn sie Gegenstand einer Erzählung werde. Es sei vielmehr der Schriftsteller selbst, dem es an den Kragen gehe. Denn der Versuch, die Eltern und Geschwister zu töten, indem man sie auf Papier banne, müsse scheitern, schließlich stünden sie immer und immer wieder lebendig vor einem.
Die Mutter Francesca zum Beispiel, eine Lehrerin, wird seit jeher von der Fantasie gequält, ihren Kindern könne etwas zustoßen. Permanent malt sie sich die schlimmsten Todesarten aus, was dazu führt, dass sie ihren Sohn Christian und ihre Tochter in jeder erdenklichen Lage per Handy aufspürt oder Freunde mit Telefonterror in Atem hält oder gleich die Polizei verständigt. Aus Angst vor Keimen und Bakterien durften die Geschwister als Kinder kaum aus dem Haus. Ein übermäßiger Bücherkonsum ist die Folge. Der Vater, Personalchef einer größeren Firma, unterteilt nicht nur die Wohnung mit Rigipsplatten in lauter Minieinheiten, sondern verordnet permanente Desinfektion, was ihm gesünder erscheint als normales Waschen.
In der Folge des Reaktorunglücks von Tschernobyl steigern sich die Maßnahmen noch: Nur Konserven zur Ernährung, sonst nichts. Während der Bruder als kleines Genie behandelt wird, bleibt für Veronica freundliche Nachlässigkeit übrig, so zumindest stellt es die Ich-Erzählerin dar. Vero ist klein und dünn, versteht vieles falsch oder erst im Nachhinein, leidet unter Verstopfung und macht durch den unangemessenen Gebrauch von Schimpfwörtern, eine Verhaltensweise der Gesamtfamilie, auf sich aufmerksam.
Überdies spricht man bei ihr zu Hause vorzugsweise mit vollem Mund, lässt ausgespuckte Essensreste neben dem Teller liegen, ist umfangen vom „phagozytierenden Surren“ der Körper und lässt alle möglichen Haushaltsgeräte laufen. „Wir waren ein einziger, verdichteter und in die Wohnung gezwängter Organismus, der mit dem Schwanz wedelte und gegen die Trennwände stieß“, beschreibt die Erzählerin die Geräuschkulisse.
Genussvoll rückt Raimo ihren Figuren mit ihrem Hauptstilmittel auf die Pelle: dem der Übertreibung. Vor allem die Körperfunktionen sind dankbare Zielscheiben. Die komische Verzerrung funktioniert auch deshalb, weil der Roman, ähnlich wie die Wohnung, in lauter kleine Einheiten gegliedert ist: Permanent prasseln Kurzkapitel auf den Leser ein, pendeln zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, wechseln zwischen den Schauplätzen Rom und Berlin, atemlos und schnell getaktet wie die Nummern einer Komikerin.
In ihren besten Momenten hat Veronica Raimo etwas von dem ausdruckslos vor sich hin starrenden Buster Keaton. Selbst dem Tod des Vaters, der Bruchstelle zwischen postpubertärer Jugend und Erwachsenenleben, gewinnt sie eine tragikomische Note ab, denn das gesundheitsbesessene Familienoberhaupt war militanter Kettenraucher und stirbt an einem Krebsleiden. Gleichzeitig umspielt Raimos komischer Katastrophismus existenzielle Erfahrungen und macht sie überhaupt ertragbar. Es handelt sich um eine Art seelischer Hochstapelei: Hinter der Großspurigkeit lugt immer wieder die Verletzbarkeit hervor. Und so kommt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit über Vero zum Vorschein.
MAIKE ALBATH
Hauptstilmittel der Erzählerin:
die Übertreibung. Vor allem
Körperfunktionen sind ihr Ziel
Veronica Raimo:
Nichts davon ist wahr.
Aus dem Italienischen
von Verena von
Koskull. Klett Cotta,
Stuttgart 2023.
224 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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