Charles Darwin war ein fleißiger Briefeschreiber. Er hat im Laufe seines Lebens mit über 2000 Personen korrespondiert und mehr als 7500 Briefe verfaßt. Die von Frederick Burckhardt vorgelegte repräsentative Edition versammelt Briefe aus den Jahren 1822 bis 1859. Sie setzt ein mit einigen erst jüngst entdeckten Briefen, die Darwin als 12jähriger schrieb und die hier erstmals veröffentlicht werden, und begleitet die weiteren Stationen seines Lebens, die Universitätszeit in Edinburg und Cambridge, die fünfjährige Weltumsegelung auf der Beagle bis zur Publikation der Entstehung der Arten.
Anders als das sorgfältig überarbeitete Tagebuch der Beagle-Reise oder die wissenschaftlichen Werke zeigen die oft begeisterten Schilderungen von Erlebnissen und Entdeckungen Darwin als einen Menschen von besonderer Spontaneität. Die Briefe - lebendig und anschaulich geschrieben - eröffnen einen faszinierenden Blick nicht nur auf den Forscher und seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch den Privatmann, den Sohn, Bruder, Familienvater und Ehemann.Ein ausführlicher Kommentar und eine Übersicht über die Briefpartner ordnen die Briefe in ihren historischen Kontext ein. Das Vorwort von Stephen Jay Gould führt in Leben und Werk Charles Darwins ein.
Anders als das sorgfältig überarbeitete Tagebuch der Beagle-Reise oder die wissenschaftlichen Werke zeigen die oft begeisterten Schilderungen von Erlebnissen und Entdeckungen Darwin als einen Menschen von besonderer Spontaneität. Die Briefe - lebendig und anschaulich geschrieben - eröffnen einen faszinierenden Blick nicht nur auf den Forscher und seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch den Privatmann, den Sohn, Bruder, Familienvater und Ehemann.Ein ausführlicher Kommentar und eine Übersicht über die Briefpartner ordnen die Briefe in ihren historischen Kontext ein. Das Vorwort von Stephen Jay Gould führt in Leben und Werk Charles Darwins ein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2009Oder war es umgekehrt?
Der Forscher schob die Publikation seines welterschütternden Ergebnisses hinaus, weil er sich bei jeder Einzelheit die Chance auf eine andere Erklärung erhalten wollte. Darwins Briefe erscheinen erstmals Deutsch.
Der Band, der auf vierhundert Seiten den Briefschreiber Darwin zum ersten Mal in deutscher Sprache vorstellt, schließt mit dem Jahr 1859. Genauer: mit jenen Tagen im November und Dezember, als sein Buch über die Entstehung der Arten ausgeliefert wird, am ersten Tag vergriffen ist und in der "Times" eine rühmende anonyme Rezension erscheint: genug für ein Gelehrtenleben.
Die Vorgeschichte dieser triumphalen Tage wird in der Briefsammlung Schritt für Schritt verfolgt: von den unsicheren ersten Schritten eines jungen Mannes, der nach dem Wunsch seiner Familie zunächst Arzt, dann Geistlicher werden sollte, zu beidem kein Verhältnis gewinnen konnte, dann aber durch einen unglaublichen Zufall die Chance erhielt, für fünf Jahre an einer Weltumsegelung in wissenschaftlicher Absicht teilzunehmen, vorbereitet durch nichts weiter als seine privat betriebenen naturgeschichtlichen Studien.
Die Briefe dieser Jahre sind Dokumente des Eifers eines Sammlers, der regelmäßig aus den Häfen, die die "Beagle" anläuft, seine Fundstücke an die wissenschaftlichen Gewährsleute in England abschickt, und sich, betrachtet man die Reichweite seiner Aufmerksamkeit, offenbar schon damals in Träumen von einer umfassenden Theorie ergeht, die Geologie und Biologie in eins fassen sollte.
Der Briefschreiber selbst wird kaum sichtbar. Seine Seekrankheit, die ihn wochenlang in seine enge Koje bannt, sein Jubel angesichts der überwältigenden südamerikanischen Natur, seine spärlichen Landschaftsschilderungen lassen nur kurz etwas vom Temperament des jungen Mannes bemerken. Sein emphatischer Ausruf: "Lest Humboldt" lässt allenfalls ahnen, wie viel ästhetische Emotion den jungen Darwin trotz seiner eigenen Wortkargheit erfassen konnte.
Eine Ausnahme ist allerdings jener Augenblick, in dem er zum ersten Mal einer Gruppe von Feuerländern begegnet und mit allen Zeichen des Erschreckens notiert, dass er hier Verwandte in ihrer ursprünglichen Wildheit vor sich hat. Darwins Erschrecken könnte zu jener Zurückhaltung beigetragen haben, mit der er die Behandlung des Menschen in seiner Theorie immer wieder hinausschieben wird. Er kann sich auch nicht verhehlen, dass die Engländer, denen er auf der Weltumsegelung begegnet, eine überlegene Figur machen, und dass die Missionare, die die schwere Arbeit der Zivilisierung leisten, nur zu rühmen sind. Über sie wird er nach seiner Rückkehr seinen ersten Aufsatz publizieren.
Ist es die Rastlosigkeit des jungen Forschers, die ihn von seinen Fundstücken kaum die Augen heben lässt oder ist es die literarische Befangenheit des Briefschreibers, der sich in den fünf Jahren der Expedition kaum zu einer starken Emotion aufschwingen kann? Intensiver wird die Schilderung seiner Erlebnisse erst gegen Ende der Reise, als das Heimweh mitspricht. Wie gepeinigt von all dem Neuen, das all die Jahre auf ihn einstürmte, wünscht er sich inbrünstig, endlich einmal einen Ort wiedersehen zu dürfen.
Auch in den langen Jahren nach Ende der Expedition und bis zur Publikation seiner Theorie fällt es nicht leicht, aus Darwins Briefen die Person zu erraten, die hinter dem Schreibenden mit seinem Stil der Sachlichkeit steht. Er liebt es, hinter dieser Sachlichkeit zu verschwinden. Will man sich mit dem Genie des Mannes bekannt machen, muss man auf die kleinen Eigenheiten achten: auf seinen immensen Fleiß, auf seine Gewohnheit schier nicht enden wollenden Fragens und schließlich auf die merkwürdige Geduld, mit der er den Zeitpunkt einer Veröffentlichung seiner Theorie selbst dann noch hinausschiebt, als sie für ihn klare Konturen gewonnen hat und er sie in einer Skizze schon sein eigen nennt.
Der Durchblick auf den Autor muss, ganz wie Darwin selbst es bei seinen Forschungen tat, sich auf die Details richten, aus denen seine Statur allerdings nur erraten werden kann. Am nächsten kommt man Darwin, wenn man seine Fragen auf sich wirken lässt, die er bald in alle Welt verschickt. Schon die Familie wurde überschüttet mit Auskunftsbegehren wie dem folgenden, das er an seine Schwester richtet: "Könntest Du Vater fragen, ob er nicht gesagt hat, dass Überflutungen der Severn durch Schnee weniger schlammig und zerstörerisch für den Boden seien als diejenigen, die durch starke Regenfälle verursacht werden? Oder war es umgekehrt oder wie war es?" Niemand konnte erraten, wozu die Antwort gut sein mochte. Und wusste er es selbst in jedem Fall? Jedenfalls wusste er, warum er diese endlosen Fragen brauchte: "Ich sammle ständig weiter jede Art von Indiz, das Licht auf die Entstehung der Arten werfen könnte." Darwin war ein Genie, wie Lichtenberg es charakterisierte und das bei allem fragte, ob dies nicht auch anders sein könnte.
Der Leser der Briefe, der Darwin auf dem zwanzig Jahre langen Weg zur Veröffentlichung seiner Theorie begleitet, wird Zeuge einer fast unheimlichen Geduld, mit der immer neue Details herbeigezogen werden, als wären sie nur eine Ausrede, um nicht zum Ende zu kommen. Die Intuition, die Darwin auf den Weg seiner Einsichten brachte, übersetzt sich im Lauf der Jahre in ein Gewebe von Kleinigkeiten, das es kaum erlaubt, die einzigartige Konzentration zu spüren, die aus all dem eine große Hypothese machen wird. Darwin konnte nicht vorzeitig veröffentlichen, weil die Beweiskraft seiner Theorie auf der überzeugenden Rekonstruktion der Entwicklung dieser nicht endenden Einzelheiten beruhte. Sie konnten von dieser Art sein: Wie lernen Krähen, dass Gewehre gefährlich sind?
Zur Arbeit des Aufschubs der Theorie mit Hilfe immer neuer Fragen gehört auch Darwins Krankheit. Während er die erregendste Phase seiner Theorieschöpfung durchmacht, sucht ihn eine Schwäche heim, die ihn zu dem zweifelhaften Mittel der Hydrotherapie greifen lässt, zu einer Wasserkur nach der anderen. Sein Arbeitstag schrumpft über Wochen und Monate auf schließlich zweieinhalb Stunden. Die offenbar nicht therapierbare Krankheit begleitet Darwin als der Preis für die Last seiner unerschöpflichen Fragen, von denen in seinen Augen das Gelingen seiner Theorie abhängt. Sobald die Theorie sich anschickt, den Weg in die Welt anzutreten, als der über zwei Jahrzehnte durchgehaltene Aufschub ein Ende hat, scheint die Krankheit, die nicht zu heilen war, überwunden zu sein. Sie war Ausdruck des Zeitverbrauchs, den er sich zugemutet hatte.
Die Wissenschaftsgeschichte der Entstehung des Buches über die Arten ist bekannt, das Profil des Autors dagegen ist immer noch schwer zu erkennen. Auch die Briefe geben nur sparsame Hinweise von einer geradezu unerbittlichen Diskretion - als hätte nur die Sache selbst ein Recht, ans Licht zu treten. Darwin hatte für seine persönlichen Bedürfnisse offenbar eine komplizierte seelische Konstruktion geschaffen. Sie erlaubte es ihm, mehr als zwanzig Jahre mit seiner Entdeckung hinter dem Berge zu halten und nur wenige in den Grundgedanken einzuweihen.
Bekanntlich hat er sich erst durch die Nachricht, dass am anderen Ende der Welt ein Naturforscher dieselbe Entdeckung gemacht hatte, aus dieser scheinbaren Lethargie, aus seinem Universum, in dem er wie eine Schöpfer waltete, aufschrecken lassen. Er hatte mit der Möglichkeit einer solchen Konvergenz von Einsichten in abstracto durchaus gerechnet. Aber wie einer seiner wenigen offenherzigen Briefe deutlich macht, hatte er sich eingebildet, für den Fall, dass man ihm zuvorkommen würde, "genug geistige Größe zu haben, sich nichts daraus zu machen". Doch nichts davon. Er konnte es doch nicht einfach geschehen lassen, dass er überholt wurde. Es überraschte ihn, dass er die Priorität seiner Entdeckung nicht preisgeben wollte.
HENNING RITTER
Charles Darwin: "Nichts ist beständiger als der Wandel". Briefe 1822 - 1859. Herausgegeben von Frederick Burkhardt. Mit einem Vorwort von Stephen Jay Gould. Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 415 S., geb., 36,- [Euro].
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Der Forscher schob die Publikation seines welterschütternden Ergebnisses hinaus, weil er sich bei jeder Einzelheit die Chance auf eine andere Erklärung erhalten wollte. Darwins Briefe erscheinen erstmals Deutsch.
Der Band, der auf vierhundert Seiten den Briefschreiber Darwin zum ersten Mal in deutscher Sprache vorstellt, schließt mit dem Jahr 1859. Genauer: mit jenen Tagen im November und Dezember, als sein Buch über die Entstehung der Arten ausgeliefert wird, am ersten Tag vergriffen ist und in der "Times" eine rühmende anonyme Rezension erscheint: genug für ein Gelehrtenleben.
Die Vorgeschichte dieser triumphalen Tage wird in der Briefsammlung Schritt für Schritt verfolgt: von den unsicheren ersten Schritten eines jungen Mannes, der nach dem Wunsch seiner Familie zunächst Arzt, dann Geistlicher werden sollte, zu beidem kein Verhältnis gewinnen konnte, dann aber durch einen unglaublichen Zufall die Chance erhielt, für fünf Jahre an einer Weltumsegelung in wissenschaftlicher Absicht teilzunehmen, vorbereitet durch nichts weiter als seine privat betriebenen naturgeschichtlichen Studien.
Die Briefe dieser Jahre sind Dokumente des Eifers eines Sammlers, der regelmäßig aus den Häfen, die die "Beagle" anläuft, seine Fundstücke an die wissenschaftlichen Gewährsleute in England abschickt, und sich, betrachtet man die Reichweite seiner Aufmerksamkeit, offenbar schon damals in Träumen von einer umfassenden Theorie ergeht, die Geologie und Biologie in eins fassen sollte.
Der Briefschreiber selbst wird kaum sichtbar. Seine Seekrankheit, die ihn wochenlang in seine enge Koje bannt, sein Jubel angesichts der überwältigenden südamerikanischen Natur, seine spärlichen Landschaftsschilderungen lassen nur kurz etwas vom Temperament des jungen Mannes bemerken. Sein emphatischer Ausruf: "Lest Humboldt" lässt allenfalls ahnen, wie viel ästhetische Emotion den jungen Darwin trotz seiner eigenen Wortkargheit erfassen konnte.
Eine Ausnahme ist allerdings jener Augenblick, in dem er zum ersten Mal einer Gruppe von Feuerländern begegnet und mit allen Zeichen des Erschreckens notiert, dass er hier Verwandte in ihrer ursprünglichen Wildheit vor sich hat. Darwins Erschrecken könnte zu jener Zurückhaltung beigetragen haben, mit der er die Behandlung des Menschen in seiner Theorie immer wieder hinausschieben wird. Er kann sich auch nicht verhehlen, dass die Engländer, denen er auf der Weltumsegelung begegnet, eine überlegene Figur machen, und dass die Missionare, die die schwere Arbeit der Zivilisierung leisten, nur zu rühmen sind. Über sie wird er nach seiner Rückkehr seinen ersten Aufsatz publizieren.
Ist es die Rastlosigkeit des jungen Forschers, die ihn von seinen Fundstücken kaum die Augen heben lässt oder ist es die literarische Befangenheit des Briefschreibers, der sich in den fünf Jahren der Expedition kaum zu einer starken Emotion aufschwingen kann? Intensiver wird die Schilderung seiner Erlebnisse erst gegen Ende der Reise, als das Heimweh mitspricht. Wie gepeinigt von all dem Neuen, das all die Jahre auf ihn einstürmte, wünscht er sich inbrünstig, endlich einmal einen Ort wiedersehen zu dürfen.
Auch in den langen Jahren nach Ende der Expedition und bis zur Publikation seiner Theorie fällt es nicht leicht, aus Darwins Briefen die Person zu erraten, die hinter dem Schreibenden mit seinem Stil der Sachlichkeit steht. Er liebt es, hinter dieser Sachlichkeit zu verschwinden. Will man sich mit dem Genie des Mannes bekannt machen, muss man auf die kleinen Eigenheiten achten: auf seinen immensen Fleiß, auf seine Gewohnheit schier nicht enden wollenden Fragens und schließlich auf die merkwürdige Geduld, mit der er den Zeitpunkt einer Veröffentlichung seiner Theorie selbst dann noch hinausschiebt, als sie für ihn klare Konturen gewonnen hat und er sie in einer Skizze schon sein eigen nennt.
Der Durchblick auf den Autor muss, ganz wie Darwin selbst es bei seinen Forschungen tat, sich auf die Details richten, aus denen seine Statur allerdings nur erraten werden kann. Am nächsten kommt man Darwin, wenn man seine Fragen auf sich wirken lässt, die er bald in alle Welt verschickt. Schon die Familie wurde überschüttet mit Auskunftsbegehren wie dem folgenden, das er an seine Schwester richtet: "Könntest Du Vater fragen, ob er nicht gesagt hat, dass Überflutungen der Severn durch Schnee weniger schlammig und zerstörerisch für den Boden seien als diejenigen, die durch starke Regenfälle verursacht werden? Oder war es umgekehrt oder wie war es?" Niemand konnte erraten, wozu die Antwort gut sein mochte. Und wusste er es selbst in jedem Fall? Jedenfalls wusste er, warum er diese endlosen Fragen brauchte: "Ich sammle ständig weiter jede Art von Indiz, das Licht auf die Entstehung der Arten werfen könnte." Darwin war ein Genie, wie Lichtenberg es charakterisierte und das bei allem fragte, ob dies nicht auch anders sein könnte.
Der Leser der Briefe, der Darwin auf dem zwanzig Jahre langen Weg zur Veröffentlichung seiner Theorie begleitet, wird Zeuge einer fast unheimlichen Geduld, mit der immer neue Details herbeigezogen werden, als wären sie nur eine Ausrede, um nicht zum Ende zu kommen. Die Intuition, die Darwin auf den Weg seiner Einsichten brachte, übersetzt sich im Lauf der Jahre in ein Gewebe von Kleinigkeiten, das es kaum erlaubt, die einzigartige Konzentration zu spüren, die aus all dem eine große Hypothese machen wird. Darwin konnte nicht vorzeitig veröffentlichen, weil die Beweiskraft seiner Theorie auf der überzeugenden Rekonstruktion der Entwicklung dieser nicht endenden Einzelheiten beruhte. Sie konnten von dieser Art sein: Wie lernen Krähen, dass Gewehre gefährlich sind?
Zur Arbeit des Aufschubs der Theorie mit Hilfe immer neuer Fragen gehört auch Darwins Krankheit. Während er die erregendste Phase seiner Theorieschöpfung durchmacht, sucht ihn eine Schwäche heim, die ihn zu dem zweifelhaften Mittel der Hydrotherapie greifen lässt, zu einer Wasserkur nach der anderen. Sein Arbeitstag schrumpft über Wochen und Monate auf schließlich zweieinhalb Stunden. Die offenbar nicht therapierbare Krankheit begleitet Darwin als der Preis für die Last seiner unerschöpflichen Fragen, von denen in seinen Augen das Gelingen seiner Theorie abhängt. Sobald die Theorie sich anschickt, den Weg in die Welt anzutreten, als der über zwei Jahrzehnte durchgehaltene Aufschub ein Ende hat, scheint die Krankheit, die nicht zu heilen war, überwunden zu sein. Sie war Ausdruck des Zeitverbrauchs, den er sich zugemutet hatte.
Die Wissenschaftsgeschichte der Entstehung des Buches über die Arten ist bekannt, das Profil des Autors dagegen ist immer noch schwer zu erkennen. Auch die Briefe geben nur sparsame Hinweise von einer geradezu unerbittlichen Diskretion - als hätte nur die Sache selbst ein Recht, ans Licht zu treten. Darwin hatte für seine persönlichen Bedürfnisse offenbar eine komplizierte seelische Konstruktion geschaffen. Sie erlaubte es ihm, mehr als zwanzig Jahre mit seiner Entdeckung hinter dem Berge zu halten und nur wenige in den Grundgedanken einzuweihen.
Bekanntlich hat er sich erst durch die Nachricht, dass am anderen Ende der Welt ein Naturforscher dieselbe Entdeckung gemacht hatte, aus dieser scheinbaren Lethargie, aus seinem Universum, in dem er wie eine Schöpfer waltete, aufschrecken lassen. Er hatte mit der Möglichkeit einer solchen Konvergenz von Einsichten in abstracto durchaus gerechnet. Aber wie einer seiner wenigen offenherzigen Briefe deutlich macht, hatte er sich eingebildet, für den Fall, dass man ihm zuvorkommen würde, "genug geistige Größe zu haben, sich nichts daraus zu machen". Doch nichts davon. Er konnte es doch nicht einfach geschehen lassen, dass er überholt wurde. Es überraschte ihn, dass er die Priorität seiner Entdeckung nicht preisgeben wollte.
HENNING RITTER
Charles Darwin: "Nichts ist beständiger als der Wandel". Briefe 1822 - 1859. Herausgegeben von Frederick Burkhardt. Mit einem Vorwort von Stephen Jay Gould. Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 415 S., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Henning Ritter nimmt sich den Band voller Erwartung vor. Vierhundert Seiten Darwin als Briefeschreiber - erstmals auf Deutsch! Darwins Triumph kann Ritter auf die Art Schritt für Schritt nachvollziehen. Als Dokumente von Darwins Sammlereifer bleiben die Briefe dem Rezensenten allerdings etwas schuldig. Allzu wortkarg, sachlich und emotional zu zurückhaltend erscheinen sie Ritter, um hinter dem Forscher einmal den Menschen Darwin sichtbar zu machen. Um dennoch einen Blick zu erhaschen, rät der Rezensent, Darwins Fragen auf sich wirken zu lassen. Hier scheint der Schlüssel zu liegen, zur Person Darwin, ihrer Geduld und einer aus schier endlosen Details zusammengesetzten Theorie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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