Eigentlich wollte Rashad nur eine Tüte Chips kaufen...
Doch plötzlich wird er, als er den Laden kaum betreten hat, vor die Tür gezerrt, und ein Polizist stürzt sich auf ihn. Er schlägt auf ihn ein und wirft ihm Diebstahl vor. Erst im Krankenhaus kommt Rashad wieder zu sich. Rashad ist schwarzer Hautfarbe, der Polizist ein Weißer. Beobachtet hat die Szene ein anderer Jugendlicher: Quinn Collins, weiß, Freund der Familie des Polizisten und Mitschüler von
Rashad. Quinn ist schockiert. Warum wurde Rashad niedergeprügelt? Ist sein Freund, der Polizist, ein Rassist? Beide Jugendlichen erzählen ihre Geschichte: von den Vorwürfen gegenüber Rashad, er habe den Vorfall provoziert, und von dem subtilen Druck, der auf Quinn ausgeübt wird, sich nicht als Zeuge zu melden. Zur selben Zeit gerät eine Stadt in Ausnahmezustand.
Doch plötzlich wird er, als er den Laden kaum betreten hat, vor die Tür gezerrt, und ein Polizist stürzt sich auf ihn. Er schlägt auf ihn ein und wirft ihm Diebstahl vor. Erst im Krankenhaus kommt Rashad wieder zu sich. Rashad ist schwarzer Hautfarbe, der Polizist ein Weißer. Beobachtet hat die Szene ein anderer Jugendlicher: Quinn Collins, weiß, Freund der Familie des Polizisten und Mitschüler von
Rashad. Quinn ist schockiert. Warum wurde Rashad niedergeprügelt? Ist sein Freund, der Polizist, ein Rassist? Beide Jugendlichen erzählen ihre Geschichte: von den Vorwürfen gegenüber Rashad, er habe den Vorfall provoziert, und von dem subtilen Druck, der auf Quinn ausgeübt wird, sich nicht als Zeuge zu melden. Zur selben Zeit gerät eine Stadt in Ausnahmezustand.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2016Auch kein Widerstand ist zwecklos
Zwei Autoren, zwei Seiten einer Geschichte über Polizeigewalt in Amerika
Rashad fehlt heute wieder. Nach drei Tagen hatte jemand die lapidare Feststellung in riesigen neonblauen Buchstaben auf den Bürgersteig vor der Highschool gesprüht. Schon am Montag hatte eigentlich die ganze Schule beschäftigt, was dem Jungen aus der Abschlussklasse am Freitagabend zugestoßen war. Jetzt hatten die, die sich nicht damit abfinden konnten, einen Treffpunkt, einen Satz, ein Hashtag, um ihren Protest auch in den sozialen Medien kenntlich zu machen. Ihren Protest, der die Schule spalten sollte, ihr hoch gehandeltes Basketballteam, Freundeskreise und Familien. Und sie am Freitag darauf zu einem Demonstrationszug führen wird, vor dem die ganze Stadt Angst hat: von dem Laden, vor dem es passiert ist, zur Polizeiwache von Springfield, in der Officer Paul Galluzzo gearbeitet hat, bis er vorläufig suspendiert wurde, so lange, bis sich aufgeklärt hat, was wirklich geschehen ist.
Er habe helfen wollen, beteuert der Polizist. Der Junge sei beim Klauen erwischt worden und habe die Frau angegriffen, die ihn ertappt hatte. Was habe er denn tun sollen? Rashad erzählt die Sache so: Er habe sich gebückt, um sein Handy aus der Sporttasche zu holen, die Frau sei bei einem Schritt zurück über ihn gestolpert, daraufhin habe der Kassierer geglaubt, er wolle was in der Tasche verschwinden lassen. Von dem, was dann passierte, ist das meiste im Netz als Video zu sehen. Die Lokalnachrichten haben es als Endlosschleife gesendet, unterbrochen nur von Stellungnahmen und Kommentaren: Galluzzo, der auch im Laden war, zerrt Rashad aus dem Laden, wirft ihn auf den Asphalt, stemmt ihm das Knie ins Kreuz, legt ihm Handschellen an und schlägt immer wieder auf ihn ein. "Oh, du willst Widerstand leisten?", fragt er den Wehrlosen. Dabei wollte Rashad das nie, selbst dann nicht, als er noch gekonnt hätte.
Rashad ist schwarz, der Polizist ein Weißer. Jason Reynolds, einer der beiden Autoren des Jugendromans "Nichts ist okay!", ist ebenfalls Afroamerikaner, sein Koautor Brendan Kiely weiß. Die beiden erzählen die Geschichte aus zwei Perspektiven, aus der Rashads und aus der eines Schulkameraden, der den anderen aber nur über gemeinsame Freunde kennt. Viel besser kennt Quinn den Polizisten Paul: als großen Bruder seines besten Freundes - und als väterlichen Freund, nachdem sein eigener Vater als Soldat in Afghanistan gefallen ist. Quinns Loyalität ist also klar. Nur war er zufällig am Freitagabend vor dem Laden und hat gesehen, was passiert ist. Er kann nicht richtig finden, was Paul gemacht hat, und - das wird ihm immer klarer in der gerade eine Woche umspannenden Geschichte - er kann nicht schweigen.
Was hierzulande oft genug kaum über eine weitere Schlagzeile brutaler Polizeigewalt gegen Schwarze hinauskommt, bekommt bei Reynolds und Kiely nicht nur Namen, sondern Leben, Familien, Freunde, Träume, Gefühle, durchaus auch widersprüchliche Gefühle. Als Rashads älterer Bruder nicht nur das Zeugenvideo aus dem Internet fischt und an die Redaktionen schickt, sondern ihnen auch den Namen seines Bruders nennt und selbst ein Bild Rashads in Kadettenuniform verbreitet, ist die ganze Familie zunächst brüskiert. Welche Bedeutung dieses Foto neben den ausgelassenen Partybildern hat, die ebenfalls von dem Jungen online zu finden sind, leuchtet aber bald allen ein.
"Nichts ist okay!" erzählt nicht nur von einem Übergriff und seinen gesellschaftlichen Folgen. Das Buch zeigt Jugendliche im moralischen Dilemma: Ihre Familie erwartet die Verteidigung eines der Ihren, der Trainer erwartet, das Thema beim Sport außen vor zu lassen, Schulkameraden unterschiedlicher Hautfarbe misstrauen einander - und doch kommen Quinn und Pauls Cousine Jill nicht umhin, sich zu den Demonstranten zu stellen. Wie auch die Leser des Jugendromans nicht umhinkommen, das Vorgehen des Polizisten zu verurteilen, seine Beteuerungen verlogen zu finden und die häufig wiederholte Position schlicht schwach, der Officer hätte gar nicht anders handeln können.
Einerseits hat diese Eindeutigkeit etwas Wohltuendes: Sie entlässt die Leser aus einigen eigenen Fragen und gibt den Blick frei auf die Feinzeichnung der Situation, der Diskussionen und des Drucks, unter dem die Leute in Springfield stehen. Was ihr damit entgeht, zeigt eine andere Geschichte. Rashads Vater, selbst ehemals Polizist, gesteht sie dem Sohn am Krankenbett: dass er selbst als Schwarzer einmal auf einen schwarzen Jugendlichen schoss, der mit einem Weißen kämpfte. Und nachher erkennen musste, dass er das Opfer des Überfalls für den Täter gehalten hatte - und dessen panischen Griff nach dem Asthma-Spray in der Tasche für den nach einer Waffe.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Jason Reynolds, Brendan Kiely: "Nichts ist okay!"
Aus dem Englischen von Klaus Fritz und Anja Hansen-Schmidt. dtv Reihe Hanser, München 2016. 320 S., br., 14,95 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Autoren, zwei Seiten einer Geschichte über Polizeigewalt in Amerika
Rashad fehlt heute wieder. Nach drei Tagen hatte jemand die lapidare Feststellung in riesigen neonblauen Buchstaben auf den Bürgersteig vor der Highschool gesprüht. Schon am Montag hatte eigentlich die ganze Schule beschäftigt, was dem Jungen aus der Abschlussklasse am Freitagabend zugestoßen war. Jetzt hatten die, die sich nicht damit abfinden konnten, einen Treffpunkt, einen Satz, ein Hashtag, um ihren Protest auch in den sozialen Medien kenntlich zu machen. Ihren Protest, der die Schule spalten sollte, ihr hoch gehandeltes Basketballteam, Freundeskreise und Familien. Und sie am Freitag darauf zu einem Demonstrationszug führen wird, vor dem die ganze Stadt Angst hat: von dem Laden, vor dem es passiert ist, zur Polizeiwache von Springfield, in der Officer Paul Galluzzo gearbeitet hat, bis er vorläufig suspendiert wurde, so lange, bis sich aufgeklärt hat, was wirklich geschehen ist.
Er habe helfen wollen, beteuert der Polizist. Der Junge sei beim Klauen erwischt worden und habe die Frau angegriffen, die ihn ertappt hatte. Was habe er denn tun sollen? Rashad erzählt die Sache so: Er habe sich gebückt, um sein Handy aus der Sporttasche zu holen, die Frau sei bei einem Schritt zurück über ihn gestolpert, daraufhin habe der Kassierer geglaubt, er wolle was in der Tasche verschwinden lassen. Von dem, was dann passierte, ist das meiste im Netz als Video zu sehen. Die Lokalnachrichten haben es als Endlosschleife gesendet, unterbrochen nur von Stellungnahmen und Kommentaren: Galluzzo, der auch im Laden war, zerrt Rashad aus dem Laden, wirft ihn auf den Asphalt, stemmt ihm das Knie ins Kreuz, legt ihm Handschellen an und schlägt immer wieder auf ihn ein. "Oh, du willst Widerstand leisten?", fragt er den Wehrlosen. Dabei wollte Rashad das nie, selbst dann nicht, als er noch gekonnt hätte.
Rashad ist schwarz, der Polizist ein Weißer. Jason Reynolds, einer der beiden Autoren des Jugendromans "Nichts ist okay!", ist ebenfalls Afroamerikaner, sein Koautor Brendan Kiely weiß. Die beiden erzählen die Geschichte aus zwei Perspektiven, aus der Rashads und aus der eines Schulkameraden, der den anderen aber nur über gemeinsame Freunde kennt. Viel besser kennt Quinn den Polizisten Paul: als großen Bruder seines besten Freundes - und als väterlichen Freund, nachdem sein eigener Vater als Soldat in Afghanistan gefallen ist. Quinns Loyalität ist also klar. Nur war er zufällig am Freitagabend vor dem Laden und hat gesehen, was passiert ist. Er kann nicht richtig finden, was Paul gemacht hat, und - das wird ihm immer klarer in der gerade eine Woche umspannenden Geschichte - er kann nicht schweigen.
Was hierzulande oft genug kaum über eine weitere Schlagzeile brutaler Polizeigewalt gegen Schwarze hinauskommt, bekommt bei Reynolds und Kiely nicht nur Namen, sondern Leben, Familien, Freunde, Träume, Gefühle, durchaus auch widersprüchliche Gefühle. Als Rashads älterer Bruder nicht nur das Zeugenvideo aus dem Internet fischt und an die Redaktionen schickt, sondern ihnen auch den Namen seines Bruders nennt und selbst ein Bild Rashads in Kadettenuniform verbreitet, ist die ganze Familie zunächst brüskiert. Welche Bedeutung dieses Foto neben den ausgelassenen Partybildern hat, die ebenfalls von dem Jungen online zu finden sind, leuchtet aber bald allen ein.
"Nichts ist okay!" erzählt nicht nur von einem Übergriff und seinen gesellschaftlichen Folgen. Das Buch zeigt Jugendliche im moralischen Dilemma: Ihre Familie erwartet die Verteidigung eines der Ihren, der Trainer erwartet, das Thema beim Sport außen vor zu lassen, Schulkameraden unterschiedlicher Hautfarbe misstrauen einander - und doch kommen Quinn und Pauls Cousine Jill nicht umhin, sich zu den Demonstranten zu stellen. Wie auch die Leser des Jugendromans nicht umhinkommen, das Vorgehen des Polizisten zu verurteilen, seine Beteuerungen verlogen zu finden und die häufig wiederholte Position schlicht schwach, der Officer hätte gar nicht anders handeln können.
Einerseits hat diese Eindeutigkeit etwas Wohltuendes: Sie entlässt die Leser aus einigen eigenen Fragen und gibt den Blick frei auf die Feinzeichnung der Situation, der Diskussionen und des Drucks, unter dem die Leute in Springfield stehen. Was ihr damit entgeht, zeigt eine andere Geschichte. Rashads Vater, selbst ehemals Polizist, gesteht sie dem Sohn am Krankenbett: dass er selbst als Schwarzer einmal auf einen schwarzen Jugendlichen schoss, der mit einem Weißen kämpfte. Und nachher erkennen musste, dass er das Opfer des Überfalls für den Täter gehalten hatte - und dessen panischen Griff nach dem Asthma-Spray in der Tasche für den nach einer Waffe.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Jason Reynolds, Brendan Kiely: "Nichts ist okay!"
Aus dem Englischen von Klaus Fritz und Anja Hansen-Schmidt. dtv Reihe Hanser, München 2016. 320 S., br., 14,95 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Maximilian Probst hat an J. Reynolds und B. Kielys Roman "Nichts ist okay" nur eines auszusetzen: Die Geschichte um einen schwarzen Jungen, der als vermeintlicher Ladendieb von einem weißen Polizisten niedergeschlagen wird, gerät ihm ein wenig zu "schwarzweiß". Wie Rashad erst durch die Gewalttat bewusst wird, was es heißt, im heutigen Amerika schwarz zu sein, wie sein weißer Freund Quinn, der feststellt, dass der Polizist ein enger Vertrauter ist, in einen Gefühlskonflikt gerät, kann ihm das Autoren-Duo gut vermitteln, allein die Vielschichtigkeit bleibt auf der Strecke, meint der Kritiker. Dafür punkten die Autoren nicht nur mit einer gelungen Mischung aus Jugendslang und "schlichter" Sprache, sondern auch mit viel Raffinesse in Figurenzeichnung und Motivverknüpfung, lobt der Rezensent, der hier lernt, wie Rassismus funktioniert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
'Nichts ist okay!' ist ein hochaktueller Roman, der sich flüssig und leicht lesen lässt und dabei stark zum Nachdenken anregt - eine klare Leseempfehlung! Nora Müller Alliteratus 20171009